Vorblatt
Problem:
Vor allem
der Beitritt zahlreicher neuer Vertragsstaaten zur Europäischen
Menschenrechtskonvention sowie der zunehmende Bekanntheitsgrad der Konvention
haben die Zahl der jährlich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
herangetragenen Menschenrechtsbeschwerden stark ansteigen lassen.
Ziel:
Maßnahmen,
die die Effizienz des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte nicht nur
langfristig sichern, sondern auch steigern sollen.
Inhalt:
Mit dem
vorliegenden 14. Protokoll zur Europäischen Konvention zum Schutz der
Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) wird die mit dem 11. Protokoll
durchgeführte Reform des Kontrollsystems der Europäischen
Menschenrechtskonvention (Einrichtung eines ständigen Gerichtshofes, dem allein
die Zuständigkeit zur Prüfung von Menschenrechtsbeschwerden zukommt, die von
allen Vertragsstaaten unbefristet anerkannt ist) konsequent weitergeführt.
Darüber hinaus wird der Europäischen Union die Möglichkeit des Beitritts zur
Europäischen Menschenrechtskonvention eröffnet. Die Reformvorhaben zur
Steigerung der Effizienz wurden schließlich auch zum Anlass genommen, in der
Konvention redaktionelle Bereinigungen vorzunehmen.
Alternativen:
keine
Auswirkungen auf die Beschäftigung und den
Wirtschaftsstandort Österreich:
keine
Finanzielle Auswirkungen:
keine
Verhältnis zu Rechtsvorschriften der Europäischen
Union:
Aufgrund des
grundrechtlichen Inhalts kein Widerspruch. Mit Art. 17 des Protokolls wird
seitens der EMRK die grundsätzliche Voraussetzung für den in Art. I-9
Abs. 2 des Vertrags über eine Verfassung für Europa vorgesehenen Beitritts
der Europäischen Union zur EMRK geschaffen.
Besonderheiten des Normerzeugungsverfahrens:
Genehmigung gemäß
Art. 50 Abs. 3 B-VG (sinngemäße Anwendung des Art. 44
Abs. 1 B-VG).
Erläuterungen
Allgemeiner
Teil
Hauptgesichtspunkte des Entwurfes:
Die Anzahl der bei
dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (im Folgenden: EGMR)
eingebrachten Beschwerden ist nicht zuletzt durch den Beitritt zahlreicher
neuer Vertragsstaaten zur Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte
und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) stark angestiegen. Dies hat einen
beträchtlichen Rückstand an offenen Verfahren nach sich gezogen, der es
wiederum erforderlich macht, insbesondere Organisation und Verfahren des EGMR
entsprechend umzugestalten, um die Erledigung der Beschwerden in angemessener
Zeit zu gewährleisten. Das vorliegende Protokoll Nr. 14 zur EMRK über die
Änderung des Kontrollsystems der Konvention (im Folgenden: 14. ZPEMRK) ergänzt
die mit dem Protokoll Nr. 11 zur EMRK über die Umgestaltung des durch die
Konvention eingeführten Kontrollmechanismus, BGBl. III Nr. 30/1998,
gesetzten Reformschritte mit dem Ziel, die langfristige Wirksamkeit des
bestehenden Kontrollsystems zu sichern und zu verbessern.
Der Steigerung der
Effizienz des EGMR dient vor allem die Übertragung der offensichtlich
begründeten Beschwerden, die bisher von siebenköpfigen Kammern behandelt
wurden, in die Zuständigkeit der dreiköpfigen Ausschüsse und die Übertragung
der Gruppe der offensichtlich unbegründeten Beschwerden („clearly inadmissible
cases“) in die Zuständigkeit von Einzelrichtern (Art. 26ff EMRK nF);
beides bringt mit sich, dass die betreffenden Beschwerden im vereinfachten
Verfahren erledigt werden. Zugleich wird die Möglichkeit eröffnet, Kammern zu
bilden, die bloß aus fünf anstatt wie bisher sieben Richtern bestehen.
Darüber hinaus
führt das 14. ZPEMRK verbesserte Instrumente zur Umsetzung von Urteilen des
EGMR ein (Anträge des Ministerkomitees gemäß Art. 46 Abs. 3 und 4
EMRK nF: Antrag auf Auslegung eines Urteils, um die erforderlichen Durchführungsmaßnahmen
leichter zu bestimmen; Antrag auf Klärung, ob ein Vertragsstaat seiner
Verpflichtung zur Befolgung eines rechtskräftigen Urteils des EGMR nachgekommen
ist). Außerdem wird die Amtszeit der Richterinnen und Richter auf neun Jahre
ohne Möglichkeit der Wiederwahl verlängert (Art. 23 EMRK nF iVm.
Art. 21 des 14. ZPEMRK), erhalten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der
Kanzlei des EGMR in bestimmten Bereichen die Funktion von Berichterstattern
ohne Stimmrecht (Art. 24 Abs. 2 EMRK nF) und wird dem Kommissar für
Menschenrechte des Europarates die Möglichkeit eingeräumt, in einzelnen
Verfahren eine Stellungnahme zu erstatten (Art. 36 Abs. 3 EMRK nF).
Weiters werden die
Zulässigkeitstatbestände um eine neue Zulässigkeitsschranke für
Bagatellbeschwerden erweitert (Art. 35 Abs. 3 lit. b EMRK nF
iVm. Art. 20 des 14. ZPEMRK).
Von der Leitidee
der Effizienz des EGMR losgelöst schafft das 14. ZPEMRK die Voraussetzung für
einen schon lange in Diskussion stehenden Beitritt der Europäischen Union zur
EMRK (Art. 59 Abs. 2 EMRK nF) und nimmt Bereinigungen redaktioneller
Natur an der EMRK vor.
Alle Maßnahmen, die zur Wahrung und Steigerung der Effizienz des EGMR
ergriffen werden, basieren auf dem Subsidiaritätsprinzip (vgl. Art. 1 und
19 EMRK): Die Verantwortung für die Wahrung der Grund- und Freiheitsrechte
tragen in erster Linie die Vertragsstaaten der EMRK, sodass sie das
EMRK-Kontrollsystem auf innerstaatlicher Ebene entsprechend zu unterstützen
haben. Durch entsprechende Ausgestaltung der nationalen Rechtsordnungen, die
eine Verletzung von Menschenrechten weitgehend verhindert und innerstaatliche
Rechtsmittel gegen dennoch eingetretene Verletzungen bereitstellt, wird der
EGMR ebenso entlastet wie durch die umgehende und umfassende Durchführung von
EGMR-Urteilen, die einen Strukturmangel festgestellt haben. In Summe stellen
solche nationale Maßnahmen die wirksamste Prävention gegen
Menschenrechtsverletzungen dar und nehmen mittelfristig Druck vom EGMR. Die in diesem Rahmen wünschenswerten
Schritte hat der Europarat in mehreren Empfehlungen und Resolutionen
zusammengefasst (Declaration Dec-12.05.2004/1E; Recommendation No. R (2000) 2 of the
Committee of Ministers on the re-examination or reopening of certain cases at
domestic level following judgments of the European Court of Human Rights; Recommendation Rec(2002)13 of the
Committee of Ministers on the publication and dissemination in the member
states of the text of the European Convention on Human Rights and of the
case-law of the European Court of Human Rights; Recommendation Rec(2004)4E of
the Committee of Ministers on the European Convention of Human Rights in
university education and professional training; Recommendation Rec(2004)5E of
the Committee of Ministers on the verification of the compatibility of draft laws,
existing laws and administrative practice with the standards laid down by the
European Convention of Human Rights; Recommendation Rec(2004)6E of the
Committee of Ministers on the improvement of domestic remedies; Resolution
Res(2004)3E of the Committee of Ministers on judgments revealing an underlying
systemic problem).
Das 14. ZPEMRK
bedarf als Änderungsprotokoll gemäß seinem Art. 19 zu seinem
In-Kraft-Treten der Ratifizierung aller Vertragsstaaten. Der
In-Kraft-Tretens-Zeitpunkt ist zur Zeit nicht abzuschätzen, da im April 2005
noch nicht alle Vertragsstaaten unterzeichnet hatten und lediglich die
Ratifikationen von Armenien, Dänemark, Georgien, Irland, Malta, Norwegen und
des Vereinigten Königreichs vorlagen; in der Deklaration „Ensuring the effectiveness
of the implementation of the European Convention on Human Rights at national
and European level“ hat das Ministerkomitee aber die Mitgliedstaaten dringend
aufgefordert, alle erforderlichen Schritte zu unternehmen, um das 14. ZPEMRK so
rasch wie möglich zu ratifizieren, um dessen In-Kraft-Treten spätestens im Mai
2006 zu garantieren.
Entstehungsgeschichte im Überblick:
Bereits mit dem
11. ZPEMRK, das im Jahr 1994 vom Ministerkomitee angenommen wurde und am
1. November 1998 in Kraft getreten ist, wurde das Kontrollsystem der EMRK
grundlegend reformiert (siehe zu der Entstehungsgeschichte, den Gründen und den
Grundsätzen des 11. ZPEMRK RV 85 BlgNR XIX GP, 26ff). Ein Beweggrund für
die tiefgreifenden Reformen war bereits damals, dass die Organe der EMRK auf
Grund des Beitritts neuer Vertragsstaaten nach Zusammenbruch des
kommunistischen Ostblocks und der Entstehung der Reformstaaten neue
Herausforderungen auf sich zukommen sahen. Nun, da der EMRK nahezu alle
europäischen Länder angehören (es fehlt derzeit lediglich Belarus) und ihr
Kontrollsystem 800 Millionen potentiellen Beschwerdeführerinnen und
Beschwerdeführern offen steht, haben sich die mit dem 11. ZPEMRK getroffenen
Vorkehrungen – Vereinfachung des Kontrollsystems durch Zentrierung des
Verfahrens beim EGMR - als nicht hinreichend erwiesen.
Die zu Ehren des
50-jährigen Bestehens der EMRK im November 2000 in Rom veranstaltete
Ministerkonferenz wurde zum Anlass genommen, auf die exponentiell steigenden
Beschwerdezahlen aufmerksam zu machen (vgl. die Jahresberichte des EGMR, wonach
im Jahr 1990 5279, im Jahr 1998 18.164, im Jahr 2002 bereits 34.546 und 2004
sogar 40.943 Beschwerden beim EGMR eingebracht wurden). Zugleich wurde eine
raschere und umfassendere Durchführung der Urteile des EGMR durch die Vertragsstaaten
eingemahnt. In weiterer Folge hat das Ministerkomitee des Europarates zu Beginn
des Jahres 2001 zwei Arbeitsgruppen mit dem Mandat eingerichtet, zur Wahrung
der Effektivität und damit der Glaubwürdigkeit und Autorität des EGMR in Frage
kommende Lösungsmöglichkeiten zu erarbeiten: Die dreiköpfige „Evaluation
Group“, der ua der Präsident des EGMR angehörte, einerseits und die „Reflection
Group on the Reinforcement of the Human Rights Protection Mechanism“ im Rahmen
des Leitungskomitees für Menschenrechte (CDDH) andererseits. Außerdem hat der
EGMR selbst schon im Jahr 1999 eine interne Arbeitsgruppe („Working Party on
Working Methods“) zur begleitenden kritischen Analyse seiner Arbeitsabläufe und
Vorbereitung von Novellen seiner Verfahrensordnung ins Leben gerufen.
Bei den
Untersuchungen hat sich herausgestellt, dass mehr als 90% aller an den EGMR
gerichteten Beschwerden als unzulässig zurückgewiesen werden (im Jahr 2003
beispielsweise entfielen darauf 96% aller Erledigungen) und dass von den
übrigen Beschwerden ein hoher Prozentsatz auf Fälle entfällt, die auf einen
Strukturmangel der Rechtsordnungen der Vertragsstaaten zurückgehen, zu dem der
EGMR ohnehin bereits ein Musterurteil („pilot judgment“) gefällt hat (so
entfielen zB im Jahr 2003 60% aller vom EGMR gefällten Urteile auf „repetitive
cases“). Daher bot es sich an, einen Schwerpunkt auf Lösungen zu legen, die die
Vorprüfungen von Beschwerden möglichst effizient gestalten und die Richterinnen
und Richter in diesem Verfahrensstadium weitestgehend entlasten. Ein weiterer
Schwerpunkt der Untersuchungen sollte Lösungsmöglichkeiten auf der Ebene der
Vertragsstaaten beleuchten, zum einen, um Menschenrechtsverletzungen überhaupt
zu vermeiden, und zum anderen, um den hohen Prozentsatz der von vornherein
aussichtslosen Beschwerden, der die Kapazitäten des EGMR empfindlich bindet, zu
senken. Schließlich sollte die Phase der Durchführung von Urteilen des EGMR
untersucht werden, um die Belastung des EGMR durch Massen- bzw. idente
Beschwerden zu minimieren.
Nach den ersten
Beratungen zur Klärung der prinzipiellen Positionen fällten die Expertinnen und
Experten der „Reflection Group“ die Entscheidung, dass bloß solche Maßnahmen
näherer Erörterung unterzogen werden sollten, die den einzigartigen Charakter
des Kontrollsystems der EMRK, insbesondere dessen Gerichtscharakter, das
Individualbeschwerderecht und die Überwachung der Durchführung der Urteile
durch das Ministerkomitee des Europarates, in keiner Weise antasten. Dies ist
insoweit hervorzuheben, als die „Evaluation Group“ die Übernahme des certiorari-Systems
des US-Supreme Court favorisierte, dem es ins reine Ermessen gestellt ist,
welche Beschwerden er einer eingehenden Prüfung für würdig erachtet.
In den
Arbeitsgruppen und insbesondere in der erwähnten „Reflection Group“ herrschte
rasch Einigkeit darüber, dass die Besetzung der Kammern und Ausschüsse des EGMR
verkleinert werden könnte, ohne die Prinzipien der geografischen Balance und
der Kollegialentscheidungen aufzugeben oder Abstriche in der Qualität der Rechtsprechung
befürchten zu müssen. Im Hinblick auf den hohen Prozentsatz an offensichtlich
berechtigten Beschwerden („manifestly well-founded cases“, „repetitive cases“,
„clone cases“), bei deren Erledigung weitgehend auf Vorjudikatur
zurückgegriffen werden kann und die daher keines besonders hohen richterlichen
Argumentationsaufwands bedürfen, kam man überein, dass sie künftig von den
dreiköpfigen Ausschüssen in einem summarischen Verfahren behandelt werden
sollten. Um diese Ausschüsse nicht zu überfrachten, wurde nach einigen
Diskussionsrunden Konsens darüber erzielt, die Entscheidung ganz offensichtlich
unbegründeter Beschwerden Einzelrichtern zu überantworten, die von
nicht-richterlichen, nicht-stimmberechtigten Juristinnen und Juristen der
Kanzlei als Berichterstatter unterstützt werden sollten.
Technisch-redaktionelle Überarbeitungen der EMRK bedurften keiner tiefgehenden
Erörterung.
Dahingegen
erfolgten intensive Diskussionen zu Vorschlägen, zur Prüfung der großen Zahl
von offensichtlich unbegründeten Beschwerden eine Gruppe von Richtern
einzusetzen, deren Auswahlkriterien und Ernennungserfordernisse nicht so
strenger Natur wie die der „normalen“ Richter wäre („Assessor-Lösung“) sein
sollten. Die Einrichtung eines eigenen „Filterorgans“ wurde als Rückkehr zum
alten zweigeteilten Kontrollsystem, wie es vor dem 11. ZPEMRK bestanden
hat, abgelehnt. Ebensowenig Unterstützung fanden beispielsweise der Vorschlag
regionaler Menschenrechtsgerichtshöfe I. Instanz, der Einführung von
Vorabentscheidungsverfahren und der Erhöhung der Zahl der pro Vertragsstaat
ernannten Richter für Länder, auf die eine besonders hohe Beschwerdezahl
entfällt. Am heftigsten umstritten war die Einführung eines neuen
Unzulässigkeitstatbestandes, der den „Filterprozess“ der neu eingelangten
Beschwerden maßgeblich beschleunigen sollte und der die Gefahr in sich barg,
das Individualbeschwerderecht auszuhöhlen. Die Verhandlungen dazu benötigten
Jahre und endeten mit einem Kompromiss (Art. 35 Abs. 3 lit. b
EMKR nF iVm. Art. 20 des 14. ZPEMRK).
Mitte des Jahres
2003 lagen hinreichende Ergebnisse der oben erwähnten drei Arbeitsgruppen zu
den internen Abläufen des EGMR sowie aussagekräftige Statistiken, aber auch
Lösungsansätze nicht zuletzt in Form eines Schweizerisch-Deutschen Entwurfes
vor, die das Ministerkomitee des Europarates veranlassten, eine „Drafting
Group“ unter Vorsitz der Schweiz mit der Formulierung eines 14. ZPEMRK zu
beauftragen.
Begleitend zu den
Expertengesprächen fanden auf Europaratsebene Seminare und Anhörungen nicht nur
von Organen des Europarates, wie dem Kommissar für Menschenrechte und der
Parlamentarischen Versammlung, sondern auch unter Mitwirkung von Mitgliedern
nationaler Verfassungsgerichtshöfe und von NGOs statt (zB „Partners for the
Protection of Human Rights: reinforcing interaction between European Court of
Human Rights and national courts”, 9. und 10 September 2002 in Straßburg;
NGO-Hearings im Jänner 2003 und am 26. und 27. Februar 2004). Dabei brachte
sich der Kommissar für Menschenrechte mit der Anregung ein, er könnte in den
Verfahren als Drittintervenient seine auf seinen Missionen gewonnenen
Erfahrungen nutzbar machen und auf diese Weise im Einzelfall erforderliche
Ermittlungen beschleunigen. Von besonderem Gewicht war jedoch stets die Haltung
des (Plenums des) EGMR zu den jeweiligen Tätigkeitsberichten der „Reflection
Group“ bzw. „Drafting Group“, der sich etwa nur zögernd dem Vorschlag eines
zusätzlichen Unzulässigkeitstatbestandes anschließen und erst im Februar 2004
einer Kompromissformel näher treten konnte.
In Österreich
wurde das Reformprojekt beispielsweise am 7. und 8. Februar 2003 an der
Karl-Franzens-Universität Graz im Rahmen des Symposions „Die Zukunft des
Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte“ vorgestellt und erörtert (siehe
dazu EuGRZ 2003, 93ff); weitere Diskussionen erfolgten im Rahmen des
Symposiums am Österreichischen Institut für Menschenrechte am 28. und 29.
November 2003 in Salzburg (siehe dazu Karl [Hrsg.], Internationale
Gerichtshöfe und nationale Rechtsordnungen, Kehl‑Straßburg‑Arlington 2005).
Schließlich konnte das 14. ZPEMRK am 13. Mai 2004 für die Vertragsstaaten
der EMRK zur Unterzeichnung und Ratifikation aufgelegt werden. Österreich hat
das Protokoll am 10. November 2004 unterzeichnet.
Finanzielle Auswirkungen:
Da das 14. ZPEMRK
im Wesentlichen organisatorische Maßnahmen für den Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte sowie die Änderung der Vorschriften für das Verfahren vor diesem
Gerichtshof vorsieht, sind für Österreich in finanzieller Hinsicht keine
Auswirkungen zu erwarten.
Kompetenzgrundlage:
Der vorliegende
Entwurf stützt sich auf Art. 10 Abs. 1 Z 1 B-VG
(„Bundesverfassung“).
Besonderheiten
des Normerzeugungsverfahrens:
Aufgrund seiner
verfassungsergänzenden und verfassungsändernden Natur bedarf der vorliegende
Staatsvertrag der Genehmigung durch den Nationalrat gemäß Art. 50
Abs. 1 und 3 B-VG; eine Erlassung von Gesetzen gemäß Art. 50
Abs. 2 B-VG ist nicht erforderlich.
Besonderer Teil
Zu Art. 1 (Art. 22 Abs. 2 EMRK):
Art. 22 Abs. 2 regelte bisher die
Nachbesetzung von frei werdenden Richterstellen sowie die Besetzung von
Richterstellen nach Beitritt neuer Vertragsstaaten; der Entfall dieser
Bestimmung resultiert aus der Neuregelung der Amtszeit der Richterinnen und
Richter in Art. 23, die den Abs. 2 gegenstandslos werden lässt.
Zu Art. 2 (Art. 23 EMRK):
Die Amtszeit der
Richterinnen und Richter beträgt derzeit in der Regel sechs Jahre, ihre
Wiederwahl ist zulässig. Die nunmehr für alle Richterinnen und Richter
vorgesehene einmalige Funktionsperiode von neun Jahren dient der Stärkung der
Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Richter, die in Zusammenhang mit
Vorkommnissen um die Verlängerung von Richtern in den vergangenen Jahren nicht
im wünschenswerten Ausmaß gewährleistet schien. Künftig erfolgt bei einem
unvorhergesehenen Ausscheiden einer Richterin oder eines Richters keine
Nachbestellung für den Rest der Amtszeit des ursprünglichen Amtsinhabers mehr,
sondern sogleich die Neubestellung für die volle Amtszeit von neun Jahren.
Diese einfache allgemeine Regel ermöglicht eine laufende Erneuerung der
Richterinnen und Richter und damit die Kontinuität des EGMR.
Art. 21 des 14. ZPEMRK enthält
Übergangsbestimmungen für die derzeit am EGMR tätigen Richter, um die
Auswirkungen des neuen Systems abzumildern.
Um vor dem Hintergrund
der Altersgrenze der Richterinnen und Richter (Vollendung des 70. Lebensjahres)
den Kreis von in Frage kommenden und wünschenswerten Kandidaten nicht zu sehr
zu beschränken, wurde davon abgesehen, eine Altersgrenze für Kandidaten
festzulegen. Es empfiehlt sich allerdings, dass nur solche Personen
vorgeschlagen werden, von denen auszugehen ist, dass sie zumindest die Hälfte
der neunjährigen Amtszeit absolvieren.
Zu Art. 3 und 4 (Art. 24 EMRK):
Durch die
Neufassung des Art. 23 EMRK betreffend Amtszeit und Entlassung der
Richterinnen und Richter kann der bisher in Geltung stehende Art. 24
(„Entlassung“) durch eine Regelung der Kanzlei des EGMR und der aus dem Kreis
der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kanzlei gewählten Berichterstatter
(siehe Art. 27 nF) ersetzt werden, die im Wesentlichen auf dem bisher in
Geltung stehenden Art. 25 („Kanzlei und wissenschaftliche Mitarbeiter“)
basiert. Der vorgesehene Art. 24 Abs. 1 unterscheidet sich vom
aktuellen Art. 25 dahingehend, dass künftig der Hinweis auf
„wissenschaftliche Mitarbeiter“ entfällt. Der Grund dafür ist darin zu sehen,
dass solche Mitarbeiter in der Praxis des EGMR keine eigenständige Bedeutung
erlangt haben.
Zur neuen Gruppe
der Berichterstatter, die die Einzelrichterinnen und Einzelrichter bei ihrer
Tätigkeit nach Art. 27 EMRK unterstützen sollen, wird der EGMR selbst eine
Linie, insbesondere für Anzahl, Voraussetzungen, Art und Dauer der Bestellung,
zu bestimmen haben. Neben bewährten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der
Kanzlei kommen hier auch Juristinnen und Juristen in Frage, die entsprechende
Erfahrung auf dem Gebiet der Menschenrechte und insbesondere der EMRK im
jeweiligen nationalen Rechtssystem sowie entsprechende Sprachenkenntnisse
vorweisen können. Auch für diesen Personenkreis finden die für
Kanzleimitarbeiter geltenden Rekrutierungsverfahren und dienstrechtlichen
Bestimmungen Anwendung. Besondere Erwähnung finden hier etwa die
Voraussetzungen der Unparteilichkeit und Unabhängigkeit.
Zu Art. 5 (Art. 25 EMRK):
Art. 25 beruht auf dem bisherigen Art. 26. Er
wird lediglich um die neue Aufgabe der Antragstellung nach Art. 26
Abs. 2 nF (Antrag auf Herabsetzung der Zahl der Richter in den Kammern)
ergänzt.
Die in den
lit. b und c des Art. 25 nF angesprochene „Kammer“ bezieht sich auf
die „Sektionen“ des EGMR, dh. auf Verwaltungseinheiten bestehend aus zehn
Richterinnen und Richtern. Sie decken sich nicht mit dem in Art. 26
Abs. 1 erster Satz nF verwendeten Begriff der siebenköpfigen Kammern.
Zu Art. 6 (Art. 26 EMRK):
Die aus dem
bisherigen Art. 27 bekannte Zusammensetzung der verschiedenen Spruchkörper
des EGMR erfährt dahingehend Ergänzungen, dass Einzelrichterinnen und
Einzelrichter eine neue Zuständigkeit zugewiesen bekommen, und dass das Plenum
des EGMR beim EGMR beantragen kann, für einen bestimmten Zeitraum die Anzahl
der Richter je Kammer von sieben auf fünf herabzusetzen. Zur Wahrung der
Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der Einzelrichter bestimmt Abs. 3,
dass Einzelrichterinnen und -richter von der Prüfung jener Beschwerden
ausgeschlossen sind, die sich gegen jene Vertragsstaaten richten, für die sie
gewählt wurden.
Darüber hinaus
wird der Modus der Bestellung von ad-hoc-Richterinnen und ‑richtern umgestellt:
Während derzeit in jedem einzelnen Verhinderungsfall des für den jeweiligen
Vertragsstaates gewählten Richters ein ad-hoc-Richter bestellt werden muss,
soll künftig jeder Vertragsstaat eine Reihe von in Frage kommenden Personen
nominieren, aus denen der Präsident des EGMR im Bedarfsfall wählt. Damit entfällt
die derzeit bestehende – und kritisierte - Möglichkeit der Vertragsstaaten,
Richter in einem laufenden Verfahren auszuwählen.
Zu Art. 7 (Art. 27 EMRK):
Art. 27 EMRK lehnt sich am bisherigen Art. 28
an und umschreibt die Befugnisse der Einzelrichterinnen und ‑richter. Diese
beschränken sich im Wesentlichen auf die Zurückweisung von ganz offensichtlich
unzulässigen Individualbeschwerden bzw. Streichungen aus der Liste, wenn dies
ohne jegliche weitere Prüfung auf Grundlage ständiger Rechtsprechung des EGMR
erfolgen kann („clear cut cases“). Sobald Zweifel über die Zulässigkeit
entstehen, ist die Beschwerde einem Ausschuss oder einer Kammer abzutreten.
Damit ist die Anwendung des neuen Unzulässigkeitstatbestandes des Art. 35
Abs. 3 lit. b durch Einzelrichterinnen und –richter naturgemäß
vorerst ausgeschlossen; Art. 20 des 14. ZPEMRK behält seine Anwendung
jedenfalls in den ersten beiden Jahren nach In-Kraft-Treten des
Zusatzprotokolls den Kammern und der Großen Kammer vor.
Wenn auch
Einzelrichterinnen und –richter von zwei Berichterstattern unterstützt werden,
bleibt die Verantwortung für die getroffene Entscheidung ausschließlich beim
Richter.
Zu Art. 8 (Art. 28 EMRK):
Zu der schon
bisher den Ausschüssen zukommenden Befugnis, ganz offensichtlich unzulässige
Beschwerden – einstimmig - für unzulässig zu erklären bzw. zu streichen, tritt
die Befugnis, offensichtlich begründete Beschwerden für zulässig zu erklären
und sogleich in der Sache zu entscheiden. Dies wird regelmäßig dann der Fall
sein, wenn zum Gegenstand der Beschwerde bereits eine gefestigte Rechtsprechung
des EGMR besteht. Damit sollten die zahlreichen Massen- und identen Beschwerden
(„repetitive cases“, „clone cases“) in vereinfachter Form rasch erledigt werden
können. Um die Identifizierung der für diese Form der Erledigung geeigneten
Beschwerden zu erleichtern, ist der EGMR in jüngster Zeit dazu übergegangen,
jene Urteile, in denen er einen strukturellen Mangel der Rechtsordnung eines
Vertragsstaates feststellte, entsprechend zu bezeichnen. Er kommt damit einem
Ersuchen des Ministerkomitees nach (Resolution Res(2004)3E of the Committee of
Ministers on judgments revealing an underlying systemic problem; für diese
Urteile wurde der Begriff „pilot judgments“ geprägt).
Zum Verfahren ist
festzuhalten, dass sich der Ausschuss im Regelfall damit wird begnügen können,
die Beschwerden oder Gruppen gleichartiger Beschwerden dem betroffenen
Vertragsstaat mit dem Hinweis zur Kenntnis zu bringen, dass hiezu eine
gefestigte Rechtsprechung des EGMR bestehe. Teilt der Vertragsstaat diese
Auffassung, so steht der Fällung eines Urteiles nichts mehr entgegen. Tritt der
Vertragsstaat der Auffassung des EGMR jedoch entgegen oder wendet er das
Vorliegen von Unzulässigkeit im Einzelfall ein, erschwert dies zwar die Entscheidungsfindung,
steht aber gegebenenfalls der sofortigen Fällung eines Urteils nicht entgegen,
sofern die erforderliche Einstimmigkeit erzielt wird. Mit anderen Worten, die
Vertragsstaaten haben diesbezüglich kein Vetorecht. Dies schließt nicht aus,
dass ein Ausschuss eine Beschwerde aufgrund der Stellungnahme des
Vertragsstaates etwa wegen Nichterschöpfung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe
als offensichtlich unzulässig zurückweist.
Der für den am
Verfahren beteiligten Vertragsstaat gewählte Richter ist nicht zwingend
Mitglied des Ausschusses, da seine Mitwirkung im allgemeinen insoweit nicht
erforderlich erscheint, als das Vorliegen gefestigter Rechtsprechung
Voraussetzung für die Anwendung des vereinfachten Verfahrens durch den
Ausschuss ist. Art. 28 Abs. 3 bestimmt allerdings, dass der so
genannte „nationale Richter“ eingeladen werden kann, an die Stelle eines der
Ausschussmitglieder zu treten. Dies wird wohl dann der Fall sein, wenn sich im
Zuge des Verfahrens seine Beiziehung unerlässlich erweist, etwa zur Klärung der
Frage der Erschöpfung der innerstaatlichen Rechtsbehelfe; die Erforderlichkeit
der Beiziehung dieses Richters dürfte jedoch gerade Beschwerdefälle
kennzeichnen, die nicht „ohne weitere Prüfung getroffen werden“ können und
sohin letztlich gar nicht in die Zuständigkeit der Ausschüsse nach Art. 28
Abs. 1 lit. b fallen.
Zu Art. 9 (Art. 29 EMRK):
Mit dieser
Bestimmung erhält die schon bisher in Einzelfällen geübte Praxis des EGMR, in
geeigneten Fällen über Zulässigkeit und Begründetheit einer Beschwerde
gleichzeitig zu entscheiden, eine Legitimation. Diese Praxis wird für
Individualbeschwerden zum Regelfall, für Staatenbeschwerden wird das bisherige
Regime der gesonderten Zulässigkeitsentscheidung beibehalten, es sei denn, der
EGMR entscheidet anderes.
Zu Art. 10 (Art. 31 EMRK):
Mit der neuen
lit. b wird der neuen Zuständigkeit der Großen Kammer gemäß Art. 46
Abs. 4 Rechnung getragen (Entscheidung über einen Antrag des
Ministerkomitees auf Feststellung, ob ein Vertragsstaat seinen aus Art. 46
Abs. 1 erwachsenden Verpflichtungen nachgekommen ist).
Zu Art. 11 (Art. 32 EMRK):
Die Erwähnung des
Art. 46 in Art. 32 Abs. 1 trägt ebenfalls den neuen Kompetenzen
des EGMR im Rahmen der Überwachung der Durchführung der Urteile des EGMR
Rechnung.
Zu Art. 12 (Art. 35 Abs. 3 EMRK):
Diese Bestimmung
ergänzt erstmals die seit Bestehen der EMRK im Wesentlichen unverändert
gebliebenen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Individualbeschwerde (ursprünglich
Art. 26f, seit dem 11. ZPEMRK Art. 35). Der Vorschlag, mit weiteren Zulässigkeitshürden
das erste Prüfen der Beschwerden („filtering“) zu erleichtern und zu
beschleunigen, wurde in den Verhandlungen zum 14. ZPEMRK am intensivsten und
längsten erörtert, da er den Kern des Individualbeschwerderechts und die
Grundgedanken, auf denen das Kontrollsystem der EMRK aufbaut, berührt.
Ausgehend von der
im September 2001 erfolgten Anregung der „Evaluation Group“, sich am System des
US Supreme Court zu orientieren, dh. den EGMR zu ermächtigen, alle Beschwerden
abzulehnen, „die keine besonderen Konventionsfragen aufwerfen“ („empower the
Court to decline to examine in detail applications raising no substantial issue
under the Convention“), wurde mit dem so genannten Schweizerisch-Deutschen
Vorschlag im Dezember 2002 ein erster Entwurf zu einer Novellierung des
Art. 35 vorgelegt: Er enthielt gewisse Sicherungen gegen eine
interpretative Ausweitung des Tatbestandes zu Lasten der Beschwerdeführer: „Der
Gerichtshof erklärt eine nach Artikel 34 erhobene Individualbeschwerde für
unzulässig, … wenn dem Beschwerdeführer kein erheblicher Nachteil entstanden
ist und der Fall weder eine schwerwiegende Frage der Auslegung oder Anwendung
dieser Konvention oder der Protokolle dazu noch eine andere Frage von
allgemeiner Bedeutung aufwirft“. Auf dieser Grundlage wurde bis April 2004
unter Einbeziehung weiterer Experten intensivst weiterverhandelt (siehe die
Entstehungsgeschichte im Überblick), bis vor dem Hintergrund der weiterhin
bedrohlich ansteigenden Beschwerdezahlen ein Kompromiss erzielt werden konnte,
der neben dem den Beschwerdeführer entstandenen Nachteil die Erfordernisse der
Achtung der Menschenrechte sowie die gebührende Prüfung der Rechtssache durch
ein innerstaatliches Gericht in den Mittelpunkt rückt: Der Gerichtshof darf
künftig Individualbeschwerden für unzulässig erklären, „wenn er der Ansicht
ist, dass dem Beschwerdeführer kein erheblicher Nachteil entstanden ist, es sei
denn, die Achtung der Menschenrechte, wie sie in dieser Konvention und den
Protokollen dazu anerkannt sind, erfordert eine Prüfung der Begründetheit der
Beschwerde, und vorausgesetzt, es wird aus diesem Grund nicht eine Rechtssache
zurückgewiesen, die noch von keinem innerstaatlichen Gericht gebührend geprüft
worden ist“.
Der neue
Tatbestand ist als flexibles Instrument zu verstehen, das dem EGMR zur
Bewältigung künftiger Beschwerdezahlen zur Verfügung gestellt wird.
Insbesondere der Begriff des „erheblichen Nachteils“ bedarf als unbestimmter
Rechtsbegriff der Auslegung des EGMR und hat ua. zum Ziel, den EGMR in die Lage
zu versetzen, auch aus einem anderen Grund des Art. 35 EMRK unzulässige
Beschwerden einfacher erledigen zu können.
Art. 35 Abs. 3 lit. b kann dazu führen,
dass Beschwerden, die nach den bisherigen Gegebenheiten erfolgreich gewesen
wären, nunmehr zurückzuweisen sind. Um das Individualbeschwerderecht jedoch
angemessen abzusichern, wurden zwei Sicherheitsvorkehrungen getroffen: Die
erste ist Art. 37 Abs. 1 zweiter Satz entnommen, der es dem EGMR
bereits jetzt erlaubt, Beschwerden aus der Liste zu streichen, wenn „eine
weitere Prüfung aus anderen vom Gerichtshof festgestellten Gründen nicht
gerechtfertigt ist“ und sofern nicht „die Achtung der Menschenrechte, wie sie
in dieser Konvention und den Protokollen dazu anerkannt sind,“ eine Fortsetzung
der Prüfung der Beschwerde erfordert. Die zweite Absicherung, die auch dem
Subsidiaritätsprinzip Rechnung tragen soll, besteht darin, dass der an den EGMR
herangetragene Fall bereits von einem Gericht des belangten
Vertragsstaates gebührend geprüft sein muss, um es dem EGMR zu
ermöglichen, von der Bagatellklausel Gebrauch zu machen. Damit wird
sichergestellt, dass die vor dem EGMR erhobenen Konventionsbedenken mindestens
einmal, nämlich entweder auf innerstaatlicher oder auf europäischer Ebene,
gerichtlich geprüft werden. Um eine gebührende Prüfung in diesem Sinn wird es
sich jedoch nur dann handeln, wenn das innerstaatliche Gericht auf die
vorgebrachten Bedenken im Einzelnen eingeht und seine Entscheidung aus der
einschlägigen Rechtsprechung des EGMR nachvollziehbar ableitet.
Gemäß Art. 20
Abs. 2 des 14. ZPEMRK ist der neue Tatbestand aus Gründen der
Rechtssicherheit auf Beschwerden, die schon vor dem In-Kraft-Treten des
Protokolls für zulässig erklärt worden sind, nicht anzuwenden. Weiters ist er
in den ersten beiden Jahren bloß von den Kammern und der Großen Kammer, nicht
hingegen von Einzelrichterinnen und –richtern anzuwenden.
Zu Art. 13 (Art. 36 Abs. 3 EMRK):
Das hiermit dem
Kommissar für Menschenrechte des Europarates eingeräumte Recht der
Drittintervention beruht auf dem Gedanken, dass die im Rahmen der Tätigkeit des
Kommissars in den betreffenden Ländern gewonnenen Erfahrungen insbesondere das
Identifizieren struktureller Mängel in den betroffenen Rechtsordnungen bzw. in
anderen Vertragsstaaten erleichtern. Zugleich wird der Kommissar, dessen
Einrichtung lediglich auf der Resolution des Ministerkomitees (99)50 vom 7. Mai
1999 beruht, erstmals in einem Normakt des Europarates erwähnt. Der
hauptsächliche Aufgabenbereich des Kommissars erlaubt es nicht, ihm auch ein
Antrags- oder ein Beschwerderecht einzuräumen oder ihn auf andere Weise stärker
in das Kontrollsystem der EMRK einzubinden.
Zu Art. 14 (Art. 38 EMRK):
Dieser Artikel
beruht auf dem bisherigen Art. 38 Abs. 1 lit. a und erweitert
diesen dahingehend, dass Ermittlungen nunmehr jederzeit - anstatt wie bisher
erst nach Erklärung einer Beschwerde als zulässig – vorgenommen werden können.
Zu Art. 15 (Art. 39 EMRK):
Diese gänzlich neu
gefasste Bestimmung fasst die bisher in den Art. 38 Abs. 1
lit. b und Abs. 2 sowie Art. 39 geregelten Voraussetzungen für
und Modalitäten von Vergleichen zusammen. Vergleichsweise Bereinigungen von
Beschwerdefällen unter der Ägide des EGMR stellen insbesondere auch bei
mehreren identen Beschwerdefällen, die keine neuen Rechtsfragen aufwerfen
(„repetitive cases“, „clone cases“), eine Möglichkeit dar, den
Beschwerdeführern rasch zu einem Ergebnis zu verhelfen und zugleich den EGMR zu
entlasten. Dieses Instrument soll daher beibehalten und den übrigen
Verfahrensneuerungen des 14. ZPEMRK entsprechend angepasst werden. Die EMRK
erlaubt nun den Abschluss von Vergleichen ausdrücklich in jedem
Verfahrensstadium und nicht mehr bloß nach der Zulässigkeitserklärung einer
Beschwerde. Sie untermauert damit allerdings bloß eine vom EGMR ohnehin bereits
gepflogene Praxis.
Abs. 4 stellt
eine neue Bestimmung dar, die die Überwachung der Durchführung von Vergleichen
dem Ministerkomitee zuweist, wie dies gemäß Art. 46 Abs. 2 bisher
bloß bei Urteilen der Fall war. Deshalb hat sich der EGMR teilweise damit
beholfen, Vergleiche in Urteilsform zu kleiden, um sicher zu gehen, dass sie
auch entsprechend realisiert werden. Werden aber Vergleiche formell als Urteil
behandelt, so besteht für Vertragsstaaten vielfach kein entsprechender
Vergleichs-Anreiz mehr.
Zu Art. 16 (Art. 46 EMRK):
Die für die
Durchführung von Urteilen schon bisher maßgeblichen Abs. 1 und 2 des
Art. 46 werden durch zwei Instrumente verbessert, die die Erfüllung der
Überwachungsfunktion des Ministerkomitees erleichtern sollen. Die bisherige
Tätigkeit des Ministerkomitees hat mehrere Problembereiche erkennen lassen. So
können Auffassungsunterschiede über die in Folge eines Urteils im Einzelfall zu
treffenden Maßnahmen bestehen. Die rasche und vollständige Umsetzung von
Urteilen ist jedoch, abgesehen schon vom menschenrechtlichen Aspekt allein, von
maßgeblicher und unmittelbarer Bedeutung für die Zahl der vor dem EGMR
anhängigen Beschwerden.
Der neue
Abs. 3 eröffnet dem EGMR die unbefristete Möglichkeit, ein Urteil über
Antrag des Ministerkomitees auszulegen, verleiht ihm hingegen nicht die
Zuständigkeit, von einem Vertragsstaat vorgenommene Durchführungsmaßnahmen zu
bewerten. Der neue Abs. 4 ermächtigt das Ministerkomitee, den EGMR zur
Prüfung der Frage anzurufen, ob ein Vertragsstaat seiner Verpflichtung, ein
Urteil des EGMR durchzuführen, nachgekommen ist; das dazu ergehende Urteil kann
gemäß Abs. 5 allerdings lediglich feststellen, ob dies der Fall ist. Die
Verhängung von Geldstrafen, wie sie in vergleichbaren Verfahren vom EuGH
ausgesprochen werden, ist nicht vorgesehen – vor allem auf Grund des weit
geringeren Integrationsstandes im Bereich des Europarates.
Während der EGMR
bisher von Fragen der Durchführung seiner Urteile weitestgehend unberührt
blieb, indem dieser Bereich stets einem politischen Organ des Europarates
überantwortet war, werden nun in engem Ausmaß der judizielle und der
diplomatische Bereich des Kontrollsystems der EMRK miteinander verknüpft. Da
beide neuen Instrumente aber an einen mit Zweidrittelmehrheit der zur Teilnahme
an den Sitzungen des Ministerkomitees Berechtigten gefassten Beschluss des
Ministerkomitee gebunden sind, kann davon ausgegangen werden, dass sie bloß
ausnahmsweise zur Anwendung gelangen werden und der EGMR nicht Gefahr läuft,
von derartigen Anträgen über Gebühr beansprucht zu werden. Die Bedeutung dieser
Instrumente dürfte eher präventiver Natur sein, da sie es dem Ministerkomitee
erlauben, politischen Druck künftig in besser dosierter Weise als bisher
auszuüben, zumal das bisher dem Ministerkomitee zur Verfügung stehende
Instrumentarium bloß erlaubte, Resolutionen zu verabschieden oder aber den
Entzug von Stimmrechten im Ministerkomitee oder überhaupt den Ausschluss aus
dem Europarat auszusprechen.
Zu Art. 17 (Art 59 EMRK):
Art. 59 sah den Beitritt zur EMRK bislang bloß für
Mitglieder des Europarates vor. Das 14. ZPEMRK öffnet nun die EMRK prinzipiell
auch der Europäischen Union und setzt damit einen rechtspolitisch überaus
bedeutsamen ersten Schritt. Ein allfälliger Beitritt der Europäischen Union
(siehe dazu Art. I-9 des EU-Verfassungsvertrages sowie Protokoll 32 zum
Verfassungsvertrag) bedarf aber jedenfalls noch weiterer Anpassungen der EMRK,
sobald das Ergebnis von Verhandlungen über nähere Details eines Beitritts vorliegt.
Art. 59 Abs. 2 ist vom Bestreben getragen, solchen Verhandlungen
nicht vorzugreifen.
Zu Art. 18f und 22 (Schluss- und
Übergangsbestimmungen):
Diese Bestimmungen
entsprechen den Muster-Schlussklauseln des Europarates. Die Natur des 14.
ZPEMRK schließt Vorbehalte gänzlich aus, sodass keine Bestimmung über die
Erklärung von Vorbehalten aufgenommen wurde.
Das
In-Kraft-Treten des 14. ZPEMRK ist an die Ratifikation durch alle
Vertragsstaaten der EMRK geknüpft. Um eine rasche Umsetzung der Reformmaßnahmen
herbei zu führen, wurde eine Frist von drei Monaten nach Überreichung der
letzten Ratifikation bestimmt. Demgegenüber war für das 11. ZPEMRK eine Frist
von einem Jahr vorgesehen.
Zu Art. 20f (Schluss- und Übergangsbestimmungen):
Das 14. ZPEMRK
soll bereits auf alle bei In-Kraft-Treten des 14. ZPEMRK beim EGMR und dem
Ministerkomitee anhängigen Verfahren Anwendung finden. Lediglich für den neuen
Unzulässigkeitstatbestand des Art. 35 Abs. 3 lit. b sind
Ausnahmen vorgesehen: Zum einen ist er auf Beschwerden, die schon vor dem
In-Kraft-Treten des Protokolls für zulässig erklärt worden sind, aus Gründen
der Rechtssicherheit nicht anzuwenden. Da sich außerdem zu seiner Auslegung
erst eine Rechtsprechung bilden muss, ist es zum andern nur konsequent, dass er
in den ersten beiden Jahren bloß von den Kammern und der Großen Kammer, nicht
hingegen von Einzelrichtern angewendet werden darf.
Art. 21 trifft die im Hinblick auf die
Verlängerung der Amtszeit der Richter gemäß Art. 23 EMRK nF erforderliche
Übergangsregelung. Sie stellt eine sukzessive Erneuerung des EGMR und damit
seine Kontinuität sicher.