2575/AB XXIII. GP

Eingelangt am 30.01.2008
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

 

DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0124-Pr 1/2007

 

An die

                                      Frau Präsidentin des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 2481/J-NR/2007

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Albert Steinhauser, Freundinnen und Freunde, haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Einsatz von Elektroschockwaffen der Marke Taser im Strafvollzug“ gerichtet.

Bevor ich auf die einzelnen Fragen eingehe, möchte ich die folgenden allgemeinen Bemerkungen vorausschicken:

Aus Anlass dieser Anfrage habe ich mich mit der Kritik des UN-Ausschusses gegen Folter (Comité contre la torture) in seinen an Portugal gerichteten Schlussfolgerungen und Empfehlungen befasst. Der Ausschuss hat in Punkt 14. des Dokuments CAT/C/PRT/CO/4 seine Sorge zum Ausdruck gebracht, dass der Einsatz des „TaserX26“ heftigen Schmerz hervorrufe, eine Form von Folter darstelle und in bestimmten Fällen zum Tod führen könne, wie zuverlässige Studien und Fälle in der Praxis jüngst ergeben hätten. Portugal wird aufgerufen, auf den Einsatz der elektrischen Waffe „TaserX26“ zu verzichten, da die physischen und mentalen Konsequenzen von Zielpersonen von ihrer Natur her zu Artikel 1 und 16 der UN-Antifolter-Konvention in Widerspruch stehen.

Diese Kritik geht über die frühere Spruchpraxis des UN-Ausschusses gegen Folter hinaus, die den Einsatz von Tasern als gelindere Alternative zum lebensgefährlichen Schusswaffengebrauch nicht schlechthin beanstandete, wenngleich die Sorge zum Ausdruck brachte, Taser könnten „manchmal als Folterinstrumente eingesetzt werden“ (vgl CAT/C/CR/34/CHE vom 21.6.2005 zur Schweiz).

Auch sind mir die - allesamt die USA und Kanada betreffenden - Berichte von Amnesty International (AMR 51/151/2007, AMR 51/030/2006, AMR 51/139/2004) bekannt, in denen insbesondere begründete Bedenken geäußert werden, dass der Einsatz von Tasern in Zusammenspiel mit anderen Faktoren wie Drogenkonsum, bestehenden Herzerkrankungen oder anderen bereits bestehenden Gesundheitsbeeinträchtigungen zum Tod von Betroffenen zumindest beitragen kann (vgl AMR 51/139/2004 Pkt 2.1.; AMR 51/151/2007 S.7). Amnesty International verzeichnete zwischen Juni 2001 und September 2007 290 Todesfälle nach dem Einsatz von Tasern (AMR 51/151/2007 S.2). Auch werden von AI Bedenken geäußert, dass Gefahren entstehen, wenn Betroffene mehreren Elektroschocks hintereinander oder längeren Stromstößen ausgesetzt werden oder wenn Betroffene zugleich etwa durch Festhalten oder durch Einsatz von Pfefferspray Atembeeinträchtigungen erfahren (AMR 51/151/2007 S.5).

Nicht zuletzt ist anzumerken, dass die in Rede stehenden Waffen gegenwärtig im Bereich der Polizei zwar erprobt werden, jedoch dort nicht definitiv eingeführt worden sind. Der im BMI eingerichtete Menschenrechtsbeirat hat sich zum Einsatz von Tasern kritisch geäußert.

Angesichts dieser unüberhörbaren Fragen und kritischen Einwände sehe ich die Notwendigkeit, über die im Jahre 2005 erfolgte Einführung von Tasern im österreichischen Strafvollzug noch einmal nachzudenken. Vor einer Entscheidung, an diesen Waffen festzuhalten, werden jedenfalls die Ergebnisse der zufolge der Empfehlung 2007/03 des Menschenrechtsbeirats zum Taser-Einsatz im Innenressort gegenwärtig laufenden Evaluierung abzuwarten sein.

Zu 1 bis 3:

Hintergrund der Einführung von Elektroschockgeräten im österreichischen Strafvollzug war ein Vorfall aus dem Jahre 2004. Dabei kam es in der Justizanstalt Stein zu einem Vorfall, bei dem ein tobender Insasse gegen andere Insassen und – zu deren Schutz herbeigeeilte – Beamte massive Gewalt anwendete. Er konnte von den eingesetzten Justizwachebeamten mit herkömmlichen Einsatzmitteln (Stockwaffe, Reizspray) nicht überwältigt werden. Der Insasse verstarb an den Folgen dieses Vorfalls, wobei ein gerichtsmedizinisches Gutachten als Todesursache ein multifaktorielles Herzversagen feststellte, das durch eine stressbedingte Belastung des Herzens auf Grund des psychischen Erregungszustandes sowie Fetteinschwemmungen in der Lunge durch im Zuge des Tobens selbst zugefügte Verletzungen ausgelöst wurde. Bei diesem Vorfall wurden auch mehr als zehn Beamte verletzt, die  - der betroffene Insasse war HIV-positiv - einer erheblichen Gesundheitsgefährdung ausgesetzt waren.

Im Sinne des Grundsatzes, für den Notfall diejenigen Mittel zu suchen und bereitzuhalten, die die jeweils geringste Gefährdung mit sich bringen, wurde nach Einsatzmitteln gesucht, die sowohl zu einem geringeren Risiko für den betroffenen Insassen als auch zu einer geringeren Gefährdung der einschreitenden Beamten führen.

In diesem Zusammenhang wurde auch der sogenannte Taser getestet, dessen Wirkungsweise in der Einleitung zur Anfrage richtig wiedergegeben wurde. Auch wurde ein gerichtsmedizinisches Gutachten eingeholt. Diesem zufolge ist das Letalitätsrisiko sehr viel geringer als jenes beim Einsatz einer herkömmlichen Schutzwaffe, wobei dennoch verschiedene Gefahren für den Betroffenen bestehen. So können bei Abgabe eines Schusses gegen den Kopf Augenverletzungen hervorgerufen werden. Durch die elektrisch ausgelösten Muskelkrämpfe stürzt die betroffene Person in der Regel zu Boden, wobei sie sich verletzen kann. Nach diesem Sachverständigengutachten bestanden offenbar bei der Einführung des Tasers keine Bedenken, dass durch dessen Einsatz eine Störung des Herzrhythmus entstehen oder Kammerflimmern ausgelöst werden könnte, wobei ein Restrisiko nicht ausgeschlossen werden konnte.

Auf der Basis mehrerer Gutachten, Erfahrungsberichte und Stellungnahmen wurde entschieden, den Taser im österreichischen Strafvollzug einzuführen. In jeder Justizanstalt sind zumindest zwei Taser X26 vorhanden. Diese werden nicht ständig geführt, sondern nur über Anordnung des in einem Alarmfall verantwortlichen Bediensteten ausgegeben und eingesetzt. Im Gerät sind diverse Sicherungen eingebaut, um Missbrauch zu verhindern. Ein Taser zeichnet einerseits elektronisch jeden Einsatz auf, andererseits werden bei jedem Einsatz eine Vielzahl winziger Plättchen frei, die den Einsatzort markieren und auf Grund ihrer großen Anzahl und geringen Größe in der Regel auch nicht rückstandslos entfernt werden können.

Zu 4 bis 6:

Auch wenn noch keine abschließenden wissenschaftlichen Ergebnisse vorliegen, können offenbar gefahrenerhöhende Momente bei Personen unter Drogeneinfluss, mit Herzvorschädigung oder sonstigen Gesundheitsbeeinträchtigungen nicht zur Gänze ausgeschlossen werden.

Zu 7:

Seit seiner Zulassung im Sommer 2005 wurde der Taser im österreichischen Strafvollzug in insgesamt acht Fällen eingesetzt; in sieben Fällen konnte die Gewalttätigkeit des Insassen beendet werden, ohne dass es zu Verletzungen kam. In einem Fall gelang es nicht, den Taser wirksam einzusetzen, weil der Insasse eine ausgehängte Toilettentüre als Schutzschild verwendete.

Zu 8:

Der Einsatz des Tasers beruht auf den §§ 104 und 105 StVG.

Zu 9:

Die Mitglieder der Einsatzgruppe werden von Trainern der Justizwache geschult. Dabei werden die leitenden Grundsätze für den Einsatz von Waffen eindringlich in den Vordergrund gerückt, nämlich das Prinzip der Verhältnismäßigkeit und der Grundsatz des allerletzten Mittels (ultima ratio). Die Bediensteten sind verpflichtet, mit der Waffe regelmäßig zu trainieren. Darüber hinaus bestehen für den Einsatz des Tasers umfangreiche Dienstvorschriften, die unter anderem auch vorsehen, dass Betroffene nach jedem Einsatz unverzüglich einer ärztlichen Untersuchung zuzuführen sind und bei jedem Einsatz ein Defibrillator zur Verfügung steht.


Zu 10 bis 13:

Der Einsatz unmittelbarer Gewalt oder der Waffengebrauch ist nach der österreichischen Rechtslage nur im Rahmen des Gesetzes und als ultima ratio-Maßnahme und auf der Grundlage der Verhältnismäßigkeit zulässig. Jeder Einsatz, der mit Gewaltanwendung verbunden ist, birgt das Risiko einer Verletzung oder gar einer Todesfolge in sich. Beim Einsatz klassischer Schusswaffen (lebensgefährdender Waffengebrauch im Sinne des § 105 Abs. 6 StVG) liegt das Verletzungsrisiko auf der Hand, kann aber auch beim Einsatz der sogenannten – gegenüber den klassischen Schusswaffen – mindergefährlichen Waffen wie Taser, Stockwaffen, Reizsprays zwar (signifikant) reduziert, nie aber gänzlich ausgeschlossen werden. Dabei zeigt sich nach international geführten Statistiken, dass das Verletzungsrisiko beim Taser-Einsatz deutlich niedriger ist als im Vergleich zu Stockwaffen.

Zu 14 und 15:

Ich trage als Ressortleiterin die politische Verantwortung für den gesamten österreichischen Strafvollzug und damit auch für die Insassen und meine Beamten. Daher ist es mir wichtig, aus den im Strafvollzug leider nie ganz auszuschließenden Ausnahmesituationen wie dem eingangs geschilderten Unglücksfall, Lehren zu ziehen und den Umgang mit solchen extrem schwierigen Situationen laufend zu evaluieren und zu verbessern.

Zu 15 und 16:

Die Bedenken sind mir – wie bereits in der Einleitung erwähnt – bekannt und werden von mir sehr ernst genommen. Zweifellos ist die Verwendung des Tasers mit nicht unerheblichen Risken verbunden.

Dass bislang vom Taser in der Praxis nur sehr maßhaltend Gebrauch gemacht wird, zeigt allerdings die geringe Zahl von nur acht Einsätzen seit 2004.

. Jänner 2008

 

(Dr. Maria Berger)