2764/AB XXIII. GP

Eingelangt am 12.02.2008
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

 

DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0149-Pr 1/2007

 

An die

                                      Frau Präsidentin des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 2976/J-NR/2007

 

Der Abgeordnete zum Nationalrat Mag. Dr. Manfred Haimbuchner und weitere Abgeordnete haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Weihnachtsamnestien“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Das Bundesverfassungsgesetz (B-VG) überträgt dem Bundespräsidenten die Befugnis zur "Begnadigung der von den Gerichten rechtskräftig Verurteilten" und zur "Milderung und Umwandlung der von den Gerichten ausgesprochenen Strafen" (Art. 65 Abs. 2 lit. c B-VG). Der  Begriff „Weihnachtsamnestie“ wurde früher für die Gnadenaktionen verwendet, mit denen jedes Jahr vor dem Weihnachtsfest dem Bundespräsidenten die Begnadigung einer größeren Zahl von Verurteilten vorgeschlagen wird. Diese Aktionen werden nun als „Weihnachtsbegnadigung“ bezeichnet. Amnestien sind nach Art. 93 B-VG durch Bundesgesetz zu gewähren.

Das Wesen der als Begnadigung bezeichneten Hoheitsakte liegt nach Art. 65 Abs. 2 lit. c B-VG in der Milderung und der Umwandlung von Strafen. Als Milderung ist dabei jede Reduktion des staatlichen Strafanspruchs, als Umwandlung der Ersatz der vom Gericht ausgesprochenen Strafen durch eine Strafe anderer Art zu verstehen. Die im Weihnachts- und Einzelgnadenverfahren in der weit überwiegenden Zahl der Fälle gewährte bedingte Nachsicht von Strafen und Strafresten wurde früher dem Begriff der Umwandlung unterstellt. Nun wird sie als Strafmilderung angesehen. Ein Unterschied zwischen "Weihnachtsamnestien" und "Milderung" im Sinne der Anfragepunkte 1. bis 11. und 12. bis 22. kann insofern aus der Verfassung nicht abgeleitet werden.

Ein Ansatz zur Differenzierung ergibt sich allerdings aus Unterschieden im Verfahren, die letztlich auch Einfluss auf den Inhalt der Gnadenakte ausüben.

Traditionelle Aufgabe der Weihnachtsbegnadigung ist es, dem Staatsoberhaupt die Begnadigung einer größeren Zahl von Strafgefangenen (seit 2004 auch von Verurteilten, denen eine Ersatzfreiheitsstrafe bevor steht) vor dem Weihnachtsfest zu ermöglichen. Die Fälle, in denen Begnadigung in Frage kommen könnte, werden von den Justizanstalten erfasst. Um Rechtsbrecher, deren Begnadigung von vorn herein unvertretbar ist, auszuschließen, werden die Justizanstalten in den Vorschriften über die Weihnachtsbegnadigung angewiesen, das Verfahren nur für Verurteilte einzuleiten, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Diese Kriterien orientieren sich an der Persönlichkeit des Rechtsbrechers und dem Stand der Vollstreckung des Urteils, das durch Gnadenakt gemildert werden soll. Auf diese Voraussetzungen wird bei den weiteren Anfragepunkten noch näher eingegangen werden.

Ist ein Rechtsbrecher von der Weihnachtsbegnadigung ausgeschlossen, besteht für ihn aber die Möglichkeit, im Wege eines Einzelgnadenverfahrens begnadigt zu werden. Dieses Verfahren muss allen Verurteilten offen stehen, um den Bestimmungen der Verfassung zu entsprechen. Art. 65 Abs. 2 lit. c B-VG ist der Ausschluss bestimmter Gruppen von Verurteilten ebenso fremd wie die Bindung des Bundespräsidenten an den Vollzug bestimmter Quoten der von den Gerichten verhängten Strafen. Allerdings besteht seit langem die Übung, die für die Weihnachtsbegnadigung erarbeiteten Grundsätze auch im Einzelgnadenverfahren anzuwenden. Die Weihnachtsbegnadigungsvorschriften werden jedes Jahr dem Bundespräsidenten vor ihrer Publizierung zur Genehmigung vorgelegt. Sie lassen demnach seine Intentionen bezüglich der Handhabung des Gnadenrechtes erkennen.

Zu 1 und 2 sowie 12 und 13:

Für die Jahre 2003 bis 2007 ergeben sich die nachstehenden Zahlen.

Durch Gnadenakt entlassene Strafgefangene:

Jahr

Gesamtzahl

davon Weihnachtsbegnadigung

2003

831

379

2004

924

271

2005

1049

171

2006

975

159

2007

897

149

 

Weder beim Bundesministerium für Justiz noch bei der Österreichischen Präsidentschaftskanzlei werden statistische Aufzeichnungen über die im Einzelgnadenverfahren erstatteten Gnadenvorschläge geführt, die eine Differenzierung zwischen der Strafmilderung für nicht in Haft befindliche Verurteilte, der gnadenweisen Tilgung und der Anordnung der Beschränkung der Auskunft aus dem Strafregister zulassen. Um die Tendenzen der Gnadenpraxis dennoch aufzuzeigen, sind nachstehend die Gesamtzahlen der Gnadenerweise („Einzelgnadenakte gesamt“) tabellarisch ausgewiesen, die im Einzelgnadenverfahren ergangen sind.

Die folgende Tabelle enthält daher das kumulierte Zahlenmaterial zu allen

·        Verurteilten, die vor dem Strafantritt begnadigt wurden (inklusive Begnadigungen bei Ersatzfreiheitsstrafen),

·        Verurteilten, deren Verurteilung gnadenweise getilgt wurde,

·        Verurteilten, bei denen die Auskunft aus deren Strafregister beschränkt
wurde:

Jahr

Einzelgnadenakte gesamt

Weihnachtsbegnadigung

2003

745

0

2004

936

1269

2005

1443

570

2006

1849

497

2007

1367

344

 

Die in der Tabelle angeführten Weihnachtsbegnadigungen betrafen ausschließlich Verurteilte, denen eine Ersatzfreiheitsstrafe bevor stand. Dies wird – wie bereits erwähnt – erst seit 2004 praktiziert.

Die Voraussetzungen für die Einleitung des Gnadenverfahrens in Haftsachen sind in den Weihnachtsbegnadigungsvorschriften der Jahre 2003 bis 2007 unverändert beibehalten worden. Die dazu ergangenen Erlässe sind seit dem Jahr 2005 auf der Website Justiz (Service/Broschüren) abrufbar. Keine Änderungen gab es auch bei den 2004 angewendeten Bestimmungen über die Begnadigung von Verurteilten, denen der Strafantritt im Gnadenweg erspart werden kann. Differenzen in den Zahlen der Begnadigten resultieren demnach nicht aus Änderungen der Gnadenpraxis, sondern aus dem unterschiedlich hohen Anfall an für Begnadigungen geeigneten Fällen. Für die Entwicklung war der lange Strafaufschub nach dem mittlerweile außer Kraft getretenen Art. 65 des Budgetbegleitgesetzes 2003 von besonderer Bedeutung. Es waren vermehrt Fälle im Gnadenverfahren zu beurteilen, in denen zwischen der letzten Straftat und dem Termin des Strafantritts ein langer Wohlverhaltenszeitraum lag. Die hohe Zahl der 2006 im Einzelverfahren ergangenen Gnadenakte ist damit zu erklären, dass in diesem Jahr in rund 500 Fällen die gnadenweise Tilgung einer Verurteilung gewährt wurde.

Zu 3 und 4 sowie 14 und 15:

Statistische Aufzeichnungen darüber, welche Straftaten die begnadigten Verurteilten zu verantworten haben, werden nicht geführt.

Die Weihnachtsbegnadigungsvorschriften schließen folgende Gruppen von Rechtsbrechern vom Gnadenverfahren aus:

1) Verurteilte, die eine oder mehrere Strafen im Gesamtausmaß von mehr als fünf Jahren zu verbüßen haben.

2)  Rückfällige Rechtsbrecher sind nicht in das Verfahren einzubeziehen, wenn ihnen schon einmal ein Gnadenakt oder eine Amnestiebegünstigung gewährt worden ist. Dies gilt auch für Verurteilte, die eine größere Zahl von Vorstrafen aufweisen oder einen Strafrest nach Widerruf der bedingten Entlassung oder den zunächst bedingt nachgesehenen Teil einer teilbedingten Freiheitsstrafe verbüßen müssen.

3) Verurteilte, deren Haftverhalten oder Straftat eine besonders problematische Verhaltensprognose indiziert.

4) Verurteilte wegen Quälerei- oder Sexualdelikten (§§ 92 bzw. 201 bis 217 StGB).

5) Verurteilte, denen schwere Verstöße gegen das Suchtmittelgesetz zur Last liegen.

6) Verurteilte nach fremdenrechtlichen Vorschriften.

7) Verurteilte, die unter besonders gefährlichen Verhältnissen oder Alkoholeinwirkung (§ 81 Abs. 1 StGB) einen Verkehrsunfall verschuldet haben, sind von der Weihnachtsbegnadigung ausgeschlossen, wenn sie mehr als eine einschlägige Verurteilung erlitten oder versucht haben, sich ihrer Verantwortung durch Flucht vom Unfallsort zu entziehen.

8) Verurteilte, gegen die ein weiteres Strafverfahren geführt wird, und Ausländer, gegen die ein Auslieferungsverfahren anhängig ist.  

9) Von der Weihnachtsbegnadigung ohne Strafantritt schließlich sind alle Verurteilten ausgeschlossen, die sich schon einmal im Strafvollzug befunden und strengere Strafen als Ersatzfreiheitsstrafen zu verbüßen haben. Der gänzliche Verzicht auf ein unmittelbar fühlbares Strafübel soll nur Rechtsbrechern gewährt werden, über die vom Urteilsgericht eine Geldstrafe verhängt worden ist und die diese Strafe wegen ihrer Mittellosigkeit nicht erlegen können.

Es wurde schon darauf hingewiesen, dass die Weihnachtsbegnadigungsvorschriften über ihren Geltungsbereich hinaus für die allgemeine Gnadenpraxis von Bedeutung sind. Die Zahl der Fälle, in denen ein Einzelgnadenverfahren trotz einer größeren Anzahl von Vorverurteilungen anhängig ist, kann nicht quantifiziert werden. Es handelt sich hiebei in erster Linie um wegen Verletzung ihre Unterhaltspflicht Verurteilte, die im Gnadenverfahren die nachträgliche Erfüllung ihrer Unterhaltspflichten unter Beweis gestellt haben.

Zu 5 und 6 sowie 16 und 17:

Statistische Aufzeichnungen, mit denen die hier gestellten Fragen beantwortet werden könnten, liegen nicht vor.

Für die Weihnachtsbegnadigungsverfahren ist nach den hiefür seit Jahren geltenden Vorschriften zwischen fünf Gruppen von Verurteilten zu unterscheiden, bei denen sich die Begnadigung erfahrungsgemäß in den unten angeführten Größenordnungen bewegt:

1)  Rechtsbrecher, die ausschließlich Ersatzfreiheitsstrafen zu verbüßen haben, können zur bedingten Strafnachsicht gelangen, wenn die Ersatzfreiheitsstrafe im Urteil mit nicht mehr als 180 Tagen bemessen bzw. bei nicht in Tagessätzen bemessenen Geldstrafen eine Ersatzfreiheitsstrafe von nicht mehr als drei Monaten ausgesprochen wurde. Zumeist übersteigt das Ausmaß der Strafen, auf die sich der Gnadenakt bezieht, bei den in Tagessätzen bemessenen Geldstrafen eine Größenordnung von 70 bis 80 Tagessätzen nicht. Bei den nicht in Tagessätzen bemessenen Geldstrafen wird die Grenze von drei Monaten eher erreicht. Der Umfang der in den einzelnen Fällen gewährten Begünstigung kann nicht quantifiziert werden. Er hängt vom Stand der Einbringlichkeit der Geldstrafen ab und ist demgemäß höchst unterschiedlich.

2) Strafgefangene, die den unbedingten Teil einer Freiheitsstrafe zu verbüßen haben, erfüllen die Weihnachtsbegnadigungsvorschriften erst, wenn bis zum Wirksamwerden des Gnadenaktes zumindest die Hälfte dieses Strafteils vollzogen ist. Da § 43 Abs. 3 StGB die Dauer unbedingter Strafteile auf ein Jahr beschränkt, ergibt sich damit auch die Obergrenze der Strafteile, die einer gnadenweisen Milderung zugänglich sind. In welchem Umfang sich die Milderung in den einzelnen Fällen durchschnittlich bewegt, kann nicht quantifiziert werden. Für diese Gruppe gilt allerdings ebenso wie für die

3) Strafgefangenen, die wegen eines unter besonders gefährlichen Verhältnissen oder Alkoholeinwirkung verübten Fahrlässigkeitsdeliktes über sie verhängte Strafen zu verbüßen haben, dass ein im Hinblick auf eine möglichst umgehende Begnadigung erfolgender Strafantritt den Gnadenakt zumindest zum Stichtag der Weihnachtsbegnadigung zu hindern vermag. Auch von dieser Tätergruppe, deren Angehörige überwiegend zu ein Jahr nicht übersteigenden Freiheitsstrafen verurteilt werden, wird der Vollzug zumindest der halben Strafe für den Gnadenvorschlag vorausgesetzt. Die Prüfung der Gnadenfrage kann allerdings im Einzelfall – ebenso wie bei den unter 2) angeführten Delinquenten – trotz Vorliegens dieser Voraussetzung wegen hohen Verschuldens oder schwerer Tatfolgen zur gänzlichen Ablehnung des Gnadenvorschlags oder dazu führen, dass die Begnadigung erst nach dem Weihnachtsfest zu einem dem Fall angemessenen Termin erfolgt.

4) Strafgefangene, die erstmals eine Freiheitsstrafe verbüßen, erfüllen die Voraussetzungen der Weihnachtsbegnadigung, wenn zumindest ein Drittel der Strafe vollzogen wurde und der Strafrest 18 Monate nicht übersteigt. Die Mehrzahl dieser Fälle bewegt sich in Strafhöhen von ein bis zwei Jahren. Der Umfang, in dem die Strafen durch Gnadenakt gemildert wurden, ist nicht zu quantifizieren.

5) Nach Vollzug einer Freiheitsstrafe rückfällig gewordene Strafgefangene werden nur in das Gnadenverfahren einbezogen, wenn sie mindestens die Hälfte der Strafe verbüßen und der Strafrest ein Jahr nicht übersteigt.

Nur für die unter 4) und 5) angeführten Gruppen ist die absolute Ausschlussgrenze von fünf Jahren bedeutsam von der schon in anderem Zusammenhang gesprochen wurde. Fälle Strafgefangener, die zwei Jahre übersteigende Freiheitsstrafen zu verbüßen haben, eignen sich selten zum Gnadenvorschlag. In diesem Zusammenhang ist zu bedenken, dass die zeitlichen Voraussetzungen der bedingten Entlassung ab einer Strafhöhe von 36 Monaten früher erreicht werden als die der Weihnachtsbegnadigung. Die Gnadenakte bewegen sich daher im unteren Strafenbereich und werden Rechtsbrechern zuteil, von denen nach ihrer Entwicklung in der Haft angenommen werden kann, dass sie die prognostischen Voraussetzungen der bedingten Entlassung schon vor Vollzug der hiefür vom Gesetz geforderten Strafquote erfüllen.

 

Zu 7 bis 11 und 18 bis 22:

Statistische Erkenntnisse über ausländische Rechtsbrecher und den Rückfall nach Begnadigung stehen für die Zeit, auf die sich die Anfrage bezieht, nicht zur Verfügung. Ausländische Rechtsbrecher werden im Gnadenverfahren Inländern gleich gestellt, wenn die fremdenpolizeilichen Behörden kein Aufenthaltsverbot erlassen. Ebenso werden Gnadenvorschläge für ausländische Strafgefangene erstattet, wenn ein rechtskräftiges Aufenthaltsverbot besteht und die Rückführung in den Heimatstaat gewährleistet werden kann. Ist die fremdenrechtliche Situation eines ausländischen Rechtsbrechers während des Gnadenverfahrens nicht abschließend zu beurteilen, unterbleibt der Gnadenvorschlag. Dies gilt für alle Fälle eines anhängigen fremdenpolizeilichen Verfahrens ebenso wie für das Asylverfahren.

Ältere Arbeiten zur statistischen Darstellung des Rückfalls nach Begnadigung und bedingter Entlassung wurden nach umfangreichen Erneuerungen der elektronischen Datenverarbeitung, die von 1998 bis 2002 aus technischen Gründen im Strafregister und in der Strafvollzugsverwaltung erfolgen mussten, nicht fortgesetzt. Im vergangenen Herbst wurde beim Bundesministerium für Justiz ein Arbeitskreis eingerichtet, der die für die Erstellung einer Rückfallsstatistik vorausgesetzten Ermittlungskriterien zu erörtern hat. Derzeit steht für den in der Anfrage genannten Zeitraum kein statistisches Material zur Verfügung.

Zu 23 bis 33:

Wie eingangs erwähnt, ist unter dem Begriff der Umwandlung in moderner Terminologie ausschließlich der Ersatz der vom Gericht ausgesprochenen Strafe durch eine andere Art zu verstehen. Da der Rechtsordnung seit 1975 nur noch die Freiheits- und die Geldstrafe als eigenständige Strafarten bekannt sind, wäre nur die gnadenweise Umwandlung von Freiheits- in Geldstrafen zulässig. In den letzten fünf Jahren wurde nur einmal – im Jahr 2006 – ein in diese Richtung gehender Gnadenvorschlag erstattet. Dem Bundespräsidenten wurde die Umwandlung einer einmonatigen Freiheitsstrafe in eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen vorgeschlagen. Beim Verurteilten handelte es sich um einen Inländer.

Zu 34 bis 42:

Seit Jahresanfang 2003 hat sich kein Fall ergeben, in dem Grund dazu gefunden wurde, dem Bundespräsidenten die "Niederschlagung" eines Strafverfahrens vorzuschlagen.

. Februar 2008

 

(Dr. Maria Berger)