4640/AB XXIII. GP
Eingelangt am 28.08.2008
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BM für Justiz
Anfragebeantwortung
DIE BUNDESMINISTERIN
FÜR
JUSTIZ
BMJ-Pr7000/0151-Pr 1/2008
An die
Frau Präsidentin des Nationalrates
W i e n
zur Zahl 4721/J-NR/2008
Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Johann Maier und GenossInnen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Europäischer Haftbefehl – Übergabeverfahren – Anwendung durch Mitgliedstaaten bzw. Österreich“ gerichtet.
Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:
Zu 1:
Der Europäische Haftbefehl hat den Auslieferungsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union erheblich verbessert. Die Entscheidungsfrist von höchstens 90 Tagen und die Übergabefrist von 10 Tagen nach der Entscheidung haben zu einer wesentlichen Beschleunigung der Verfahren geführt. Der unmittelbare Verkehr zwischen der Ausstellungs- und der Vollstreckungsbehörde hat sich dabei bewährt. Durch die Beschränkung der Ablehnungsgründe und die Abschaffung des politischen Delikts konnten auch Auslieferungen nach Österreich erwirkt werden, die in der Vergangenheit bereits abgelehnt worden sind.
Zu 2:
Gewisse Defizite in der Umsetzung des Europäischen Haftbefehls bestehen insbesondere in jenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union, die dem „common-law“-System angehören, weil besonders hohe formelle und inhaltliche Anforderungen für die Angaben im Europäischen Haftbefehl bestehen, bei deren Fehlen die Vollstreckung abgelehnt wird.
Die Umsetzung des Europäischen Haftbefehls in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ist Gegenstand der 4. Runde der gegenseitigen Evaluierung über „die praktische Anwendung des Europäischen Haftbefehls und der entsprechenden Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten“, die Ende des Jahres 2008 abgeschlossen werden soll. Derzeit liegen bereits eine Reihe von Länderberichten vor, die auch veröffentlicht wurden.
Zu 3:
Seit dem Jahr 2004 wird aufgrund eines einheitlichen Fragebogens eine europaweite Jahresstatistik über die Anwendung des Europäischen Haftbefehls vom Generalsekretariat des Rates der Europäischen Union erstellt. Diese Statistik ist als Ratsdokument öffentlich zugänglich. Darüber hinaus gehende Angaben werden nicht erhoben. Die Daten für das Jahr 2007 sind noch nicht vollständig beim Generalsekretariat eingegangen und ergeben sich aus vorläufigen Auswertungen.
Die für die Jahre 2005 und 2006 veröffentlichten Statistiken schließe ich in der Anlage dieser Anfragebeantwortung bei.
Anzahl der bisher von allen Mitgliedstaaten
erlassenen Europäischen Haftbefehle
Mitgliedstaat |
2005 |
2006 |
2007 |
|
|
|
|
Belgien |
|
|
|
Bulgarien |
|
|
|
Tschechische Republik |
4 |
168 |
|
Dänemark |
64 |
52 |
|
Deutschland |
|
|
1785 |
Estland |
38 |
42 |
31 |
Griechenland |
38 |
53 |
|
Spanien |
519 |
450 |
588 |
Frankreich |
1914 |
1552 |
1028 |
Irland |
29 |
43 |
35 |
Italien |
121 |
|
|
Zypern |
44 |
20 |
20 |
Lettland |
44 |
65 |
97 |
Litauen |
500 |
538 |
316 |
Luxemburg |
42 |
35 |
44 |
Ungarn |
42 |
155 |
373 |
Malta |
1 |
4 |
3 |
Niederlande |
373 |
325 |
|
Österreich |
975 |
391 |
495 |
Polen |
1448 |
2421 |
3473 |
Portugal |
200 |
102 |
117 |
Rumänien |
|
|
856 |
Slowenien |
81 |
67 |
|
Slowakei |
56 |
111 |
208 |
Finnland |
86 |
69 |
84 |
Schweden |
144 |
137 |
170 |
Vereinigtes Königreich |
131 |
129 |
185 |
|
|
|
|
Summe |
6894 |
6929 |
9908 |
Zu 4 und 5:
Statistiken über die Staatsbürgerschaft der mit Europäischen Haftbefehl gesuchten Personen und über die zugrundeliegenden strafbaren Handlungen werden nicht geführt.
Zu 6:
Anzahl der auf Grund Europäischer Haftbefehle
in den Mitgliedstaaten festgenommenen Personen
Mitgliedstaat |
2005 |
2006 |
2007 |
|
|
|
|
Belgien |
|
|
|
Bulgarien |
|
|
|
Tschechische Republik |
5 |
70 |
|
Dänemark |
22 |
27 |
|
Deutschland |
|
|
714 |
Estland |
24 |
27 |
45 |
Griechenland |
65 |
60 |
|
Spanien |
492 |
515 |
929 |
Frankreich |
372 |
404 |
372 |
Irland |
18 |
92 |
97 |
Italien |
|
|
|
Zypern |
8 |
3 |
7 |
Lettland |
17 |
12 |
14 |
Litauen |
29 |
25 |
18 |
Luxemburg |
10 |
11 |
17 |
Ungarn |
51 |
44 |
86 |
Malta |
4 |
1 |
|
Niederlande |
164 |
133 |
|
Österreich |
117 |
160 |
169 |
Polen |
100 |
129 |
155 |
Portugal |
39 |
|
74 |
Rumänien |
|
|
231 |
Slowenien |
25 |
34 |
|
Slowakei |
17 |
23 |
58 |
Finnland |
7 |
14 |
10 |
Schweden |
30 |
30 |
37 |
Vereinigtes Königreich |
154 |
268 |
504 |
|
|
|
|
Summe |
1770 |
2082 |
3537 |
Daten, auf Grund welcher Europäischer Haftbefehle die Festnahmen in den Mitgliedstaaten erfolgt sind, liegen nicht vor.
Zu 7:
Statistiken über die Zahl der im Ausland auf Grund Europäischer Haftbefehle festgenommenen österreichischen Staatsbürger werden weder im Bundesministerium für Justiz noch von den Mitgliedstaaten der Europäischen Union geführt.
Zu 8 und 9:
Auf Grund Europäischer Haftbefehle wurden in Österreich im Jahre 2005 insgesamt 117 Personen, im Jahre 2006 insgesamt 160 Personen und im Jahre 2007 insgesamt 169 Personen festgenommen. Die teilweise höhere Zahl der übergebenen Personen ergibt sich aus dem Umstand, dass Europäische Haftbefehle auch gegen Personen vollstreckt worden sind, die sich bereits in Österreich wegen hier begangener strafbarer Handlungen in Untersuchungs- oder Strafhaft befunden haben.
Anzahl und Staatsangehörigkeit der von
Österreich
an Mitgliedstaaten übergebenen Personen
Mitgliedstaat |
2005 |
2006 |
2007 |
|
|
|
|
Belgien |
9 (Belarus 1 Georgien 1 Indien 2 Kroatien 1 Polen 1 Rumänien 2 Tunesien 1) |
8 (Belgien 1 Deutschland 1 Polen 1 Rumänien 4 Ungarn 1) |
6 (Vereinigtes Königreich 2, Bulgarien 1 Polen 1 Rumänien 2) |
Bulgarien |
|
|
|
Tschechische Republik |
1 (Tschechische Republik 1) |
|
6 (Deutschland 1 Mazedonien 1 Moldau 1 Slowakei 1 Tschechische Republik 1 Staatenlos 1) |
Dänemark |
2 (Dänemark 2) |
|
|
Deutschland |
72 (Bosnien 2 Deutschland 33 Frankreich 1 Georgien 2 Italien 2 Kroatien 6 Litauen 1 Moldau 1 Polen 2 Rumänien 2 Serbien 6 Slowakei 4 Slowenien 4 Tschechische Republik 1 Türkei 1 Ungarn 4)
|
78 (Bosnien 1 Bulgarien 2 Burkina Faso 1 Deutschland 33 Indien 1 Italien 9 Kroatien 4 Liechtenstein 1 Mazedonien 1 Polen 2 Rumänien 4 Russland 2 Serbien 2 Slowakei 6 Slowenien 1 Tschechische Republik 1 Türkei 1 Ungarn 4 Vereinigte Staaten 1 Vereinigte Emirate 1) |
79 (Bulgarien 1 Deutschland 42 Österreich 1 Frankreich 1 Italien 3 Kroatien 4 Mazedonien 1 Nigeria 1 Polen 4 Rumänien 11 Schweiz 1 Serbien 5 Slowakei 1 Türkei 2 Staatenlos 1) |
Estland |
1 (Estland 1) |
1 (Estland 1) |
|
Griechenland |
|
2 (Rumänien 2) |
|
Spanien |
6 (Deutschland 1 Guinea 1 Rumänien 1 Serbien 1 Slowakei 2) |
8 (Bulgarien 1 Guinea 1 Rumänien 6) |
7 (Albanien 2 Chile 1 Guinea 1 Iran 1 Rumänien 2) |
Frankreich |
6 (Bulgarien 1 Frankreich 1 Rumänien 3 Serbien 1) |
10 (Rumänien 10) |
6 (Bulgarien 2 Italien 1 Rumänien 3) |
Irland |
|
|
|
Italien |
4 (Italien 1 Serbien 2 Tunesien 1) |
10 (Albanien 1 China 2 Rumänien 5 Serbien 1 Tunesien 1) |
9 (Italien 3 Rumänien 5 Slowakei 1) |
Zypern |
|
|
|
Lettland |
|
|
|
Litauen |
2 (Litauen 2) |
|
2 (Litauen 2) |
Luxemburg |
|
1 (Serbien 1) |
|
Ungarn |
13 (Libyen 1 Ungarn 11 Staatenlos 1) |
19 (Rumänien 2 Serbien 1 Slowenien 1 Ungarn 15) |
24 (Griechenland 1 Rumänien 2 Schweden 1 Serbien 1 Ungarn 19) |
Malta |
|
|
|
Niederlande |
2 (Niederlande 2) |
2 (Bulgarien 1 Rumänien 1) |
2 (Bosnien 1 Rumänien 1) |
Österreich |
|
|
|
Polen |
10 (Polen 10) |
12 (Deutschland 1 Polen 11) |
16 (Polen 16) |
Portugal |
2 (Rumänien 2) |
|
|
Rumänien |
|
|
18 (Rumänien 18) |
Slowenien |
|
|
5 (Slowenien 5) |
Slowakei |
3 (Slowakei 3) |
6 (Slowakei 6) |
2 (Slowakei 2) |
Finnland |
|
|
1 (Vereinigtes Königreich 1) |
Schweden |
1 (Schweden 1) |
|
|
Vereinigtes Königreich |
|
|
|
|
|
|
|
Summe |
134 |
157 |
183 |
Zu 10:
Bislang hat erst ein österreichischer Staatsbürger im Jahre 2007 von der Möglichkeit nach § 5 Abs. 6 EU-JZG Gebrauch gemacht und auf sein Recht verzichtet, nicht übergeben zu werden.
Zu 11:
Die österreichischen Gerichte haben im Jahre 2005 insgesamt 975, im Jahre 2006 insgesamt 391 und im Jahre 2007 insgesamt 495 Europäische Haftbefehle erlassen.
Die Nationalität der gesuchten Personen wurde nicht gesondert erfasst.
Zu 12:
Daten hinsichtlich der den österreichischen Europäischen Haftbefehlen zugrunde liegenden Handlungen wurden nicht erhoben. Eine Nacherhebung dieser Daten für insgesamt 1861 Europäischen Haftbefehle ist innerhalb der für die Beantwortung dieser Anfrage zur Verfügung stehenden Zeit mit vertretbarem Aufwand nicht durchführbar.
Zu 13.
An Österreich wurden im Jahre 2005 insgesamt 73 Personen, im Jahre 2006 insgesamt 67 Personen und im Jahre 2007 insgesamt 47 Personen übergeben. Eine Statistik hinsichtlich der Vollstreckungsstaaten wird nicht geführt.
Zu 14:
Für österreichische Staatsbürger ergibt sich aufgrund des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl und dem EU-JZG mit 1.1.2009 folgende Rechtslage:
· Die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls gegen einen österreichischen Staatsbürger zum Vollzug einer im Ausstellungsstaat verhängten Freiheitsstrafe oder mit Freiheitsentzug verbundenen vorbeugenden Maßnahme ist immer unzulässig (§ 5 Abs. 2 EU-JZG). Die im Ausstellungsstaat verhängte Freiheitsstrafe ist im Inland zu vollstrecken (§§ 39 – 44 EU-JZG), wenn im Übrigen die Voraussetzungen für die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls vorliegen.
· Die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls gegen einen österreichischen Staatsbürger wegen Taten, die im österreichischen Bundesgebiet begangen wurden, ist unzulässig (§ 6 EU-JZG).
· Die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls gegen einen österreichischen Staatsbürger wegen Auslandstaten, die dem Geltungsbereich der österreichischen Strafgesetze, insbesondere nach § 65 Abs. 1 Z 1 StGB unterliegen, ist unzulässig (§ 5 Abs. 2 EU-JZG).
· Andere Auslandstaten österreichischer Staatsbürger unterliegen nur dann einem Europäischen Haftbefehl, wenn der Betroffene Tathandlungen (§ 5 Abs. 3 Z 1 EU-JZG) im Ausstellungsstaat begangen hat, die nach österreichischem Recht nicht gerichtlich strafbar sind und unter die Liste von Anhang I A zum EU-JZG fallen. Die Übergabe eines österreichischen Staatsbürgers an den Ausstellungsstaat hat dabei stets unter der Bedingung der Rücküberstellung zum Strafvollzug nach Österreich zu erfolgen.
Auf die erwähnten Ablehnungsgründe und Bedingungen kann der Betroffene unter den formalen Voraussetzungen für eine Zustimmung zur vereinfachten Übergabe verzichten (§ 5 Abs. 6 EU-JZG)
27. August 2008
(Dr. Maria Berger)