805/A(E) XXIV. GP

Eingebracht am 15.10.2009
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Entschließungsantrag

 

Antrag

der Abgeordneten Grosz
Kolleginnen und Kollegen

betreffend Maßnahmen gegen Kindersklaverei

 

Sklaven sind Menschen, die durch Täuschung und Androhung von Gewalt zur Arbeit gezwungen werden und nur das erhalten, was sie zum Überleben benötigen. Das österreichische Strafgesetzbuch bedroht Sklavenhandel und die Versklavung anderer in seinem § 104 mit Freiheitsstrafe von zehn bis zwanzig Jahren. Sklaverei ist auch durch Artikel 4 der Europäischen Menschenrechtskonvention verboten. Trotzdem soll es heutzutage mehr Sklaven auf der Welt geben als jemals zuvor in der Geschichte der Menschheit.

Einer glaubwürdigen Schätzung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) zufolge leben heute etwa zwölf Millionen Menschen im Zustand der Sklaverei, nach groben Schätzungen von Experten[1]) sogar etwa 27 Millionen Menschen, wobei die Dunkelziffer noch wesentlich höher sein dürfte. Allein in Indien, das mehr Sklaven hat als jedes andere Land, vermutet man zwischen zehn und zwanzig Millionen Sklaven. Die Regierung in Delhi schätzt zwar die Zahl der Sklaven in Indien offiziell auf 200.000, dabei spricht allein der Bundesstaat Tamil Nadu von zwei Millionen. Die glaubwürdigsten Statistiken für Indien beginnen bei zehn Millionen. Viele dieser Menschen leben deswegen in Sklaverei, nur weil sie, ihre Eltern oder ihre Großeltern (es gibt Fälle, die sechs Generationen zurückreichen!) einmal eine kleine Summe Geld (zB 62 [!] US-Cent für die Mitgift einer Tochter) geliehen hatten. Sie können weder lesen noch schreiben und ihre angebliche Schuld entbehrt jeder rechtlichen Grundlage, auch nach den indischen Gesetzen (1976: Abschaffung der Schuldknechtschaft), aber eine korrupte Polizei auf lokaler Ebene verhindert die Anwendung von Gesetzen.

„So wie die weltweite Gesamtzahl der Sklaven umstritten ist, lässt sich auch der Anteil der Kindersklaven nur schwer ermitteln. Wir müssen aber davon ausgehen, dass es sich um etwa vierzig Prozent handelt.“, meinte Experte E. Benjamin Skinner in einem Interview.

Wie unkompliziert es ist, an ein Kind zu kommen, kann man in der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince erleben, wo man von „Maklern“ auf der Strasse angesprochen wird, ob man um 100 US-Dollar einen „Restavèks“[2]) erwerben wolle. Nach Schätzungen der UNICEF im Jahr 2009 werden auf Haiti etwa 300 000 Kinder in Familien der Ober- und Mittelschicht als Haushalts­sklaven gehalten - dazu gezwungen, zu kochen und zu putzen; sie erhalten regelmäßig Schläge und dürfen die Schule nicht besuchen. Viele von ihnen werden zudem vergewaltigt.

Kindersklaven finden sich aber nicht nur in den privaten Haushalten Haitis, sondern sind auch Globalisierungsverlierer auf den Kakaoplantagen der westafrikanischen Republik Elfenbein­küste, die ca. 40% der Weltproduktion an Kakao erzeugt. Niedere Kakaopreise und Arbeitslöhne treiben die Bauern dazu, Kinder zu beschäftigen um zu überleben. Das US-Department of State schätzt, dass sich mehr als 109.000 Kinder in der Kakaoindustrie der Elfenbeinküste unter den schlimmsten Bedingungen von Kinderarbeit verdingen und dass davon einige zehntausende oder mehr Opfer von Menschenhandel oder Kindersklaverei sind. Diese Kinder werden als Ware für eine transnationale kriminelle Industrie benützt, die bereits Milliarden von Dollar für kriminelle Organisationen und Gruppierungen lukriert hat. Diese kriminellen Organisationen und Gruppierungen operieren bis dato praktisch ungestraft.

Während als die beiden Hauptformen der Kindersklaverei Sex- und Arbeitssklaverei im Vorder­grund stehen, gibt es darüber hinaus Kinder, die gewaltsam als Soldaten eingesetzt werden, wie es auch Kindersoldaten gibt, die als Kriegswaffen benützt werden, so wir uns noch an die 1980er und 1990er Jahren erinnern, wo die sudanesische Regierung in Khartum arabische Milizen bewaffnete und diese in den Süden schickte, damit sie in den Dörfern der Dinka, der größten Volksgruppe im Südsudan, die Männer töteten und die Frauen und Kinder als Sklaven gefangen nahmen und in den Norden schafften…

Mehr als 150 Jahre nach Abschaffung von Leibeigenschaft und Menschenhandel in Österreich ist Sklaverei zwar in keinem Land der Welt mehr erlaubt - zuletzt wurde sie 1981 (!) in Mauretanien abgeschafft - dennoch kann man den Vereinten Nationen und damit der internationalen Staatengemeinschaft den Vorwurf nicht ersparen, auf dem Gebiet der Bekämpfung der Sklaverei bisher versagt zu haben. In der UN-Charta ist zwar explizit festgeschrieben, Sklaverei und den Sklavenhandel zu bekämpfen, aber dennoch gibt es heute doppelt so viele Sklaven wie während des annähernd 400-jährigen transatlantischen Sklavenhandels von Anfang des 16. bis Mitte des 19. Jahrhunderts aus Afrika entführt wurden.

Dabei wäre es gar nicht so teuer, Menschen aus der Sklaverei zu befreien. Und es lohnt sich auch wirtschaftlich. Im weltweiten Durchschnitt kostet es etwa 400 Dollar, um Sklaven auf legalem Weg zu befreien, ihnen rechtlichen Schutz zu garantieren und sie zwei, drei Jahre bei ihrer Wiedereingliederung zu unterstützen. Wenn wir von 27 Millionen Sklaven ausgehen, wären das zehn bis elf Milliarden Dollar, das ist in etwa das, was die Vereinten Staaten von Amerika pro Monat im Irak ausgeben. Und das Geld wäre gut angelegt: Experten schätzen, dass diese befreiten Sklaven, selbst wenn sie nach ihrer Erholung auf einem moderaten Armutsniveau von Tagesverdiensten in Höhe von zwei Dollar bleiben, als Konsumenten 22 bis 23 Milliarden Dollar zur globalen Wirtschaft beitragen würden.

Trotz des Engagements vieler Politiker und Menschenrechtsorganisationen zur Bekämpfung der modernen Formen der Unfreiheit – besonders der Zwangsprostitution, der Zwangsarbeit, der Kinderarbeit und der Rekrutierung von Kindern als Soldaten – gelten diese Phänomene noch immer nicht als Sklaverei.

Fraglos ist absolute Armut ein zentraler Faktor in der Ausbreitung heutiger Sklaverei. 1,1 Milliarden Menschen auf der Erde müssen mit weniger als einem Dollar pro Tag ihr Leben fristen. Sie sind von der Sklaverei am meisten bedroht. Als weiterer Faktor kommen die Kriminellen hinzu, die aus dieser Armut Vorteile ziehen und Drohungen benutzen, um diese Menschen in eine Lage zu bringen, in der sie noch weniger als arm sind und zu Werkzeugen werden.

Umso entschlossener müssen daher die Ursachen für Sklaverei, wie Armut, Arbeitslosigkeit, Ungleichheit, patriarchale Strukturen, Diskriminierung, Rassismus, Gewalt etc. bekämpft werden. Kindersklaverei ist kein „Kavaliersdelikt“, sondern ein Verbrechen, das gesellschaftlich geächtet werden muss. Entsprechende Aufklärungsarbeit ist unerlässlich.

Trotz positiver Bemühungen und Entwicklungen in jüngster Zeit auf nationaler, regionaler und internationaler Ebene hat sich für die Betroffenen wenig verändert. Die Versuche das Problem Kinderarbeit und Kindersklaverei in den Griff zu bekommen, waren bisher weitgehend zahnlos und erfolglos.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

 

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, sich im Rahmen ihrer internationalen Kontakte verstärkt dafür einzusetzen, dass

·         die Definition von Sklaverei sich nicht nur auf alle Formen von Ausbeutung und sklaverei-ähnlichen Praktiken beschränken darf, sondern alle modernen Formen der Unfreiheit – besonders der Zwangsprostitution, der Zwangsarbeit, der Kinderarbeit und der Rekrutierung von Kindern als Soldaten – davon umfasst werden,

·         in jedem Fall die Menschenrechte und die Würde der von Sklaverei Betroffenen vorrangig gewährleistet und geschützt und die besondere Lage von Kindern und deren spezielle Rechten und Bedürfnisse viel stärker berücksichtigt werden,

·         die grundlegenden Ursachen für Kinderarbeit von der internationalen Staaten­ge­meinschaft vermehrt untersucht und wirksam bekämpft werden,

·         die Informationsgrundlagen über Kinderarbeit erweitert und verbessert werden,

·         die internationale Zusammenarbeit und Koordination mit jenen Ländern, welche als Verbreitungsort für Kinderarbeit bekannt sind, ausgebaut und verbessert wird,

·         die internationale Kooperation auf dem Gebiet der Bekämpfung der Kinderarbeit auf der Ebene von Justiz und Polizei durch Rechtshilfeabkommen, Grenzschutz, Informations­austausch etc. verstärkt wird,

·         insbesondere für die Opfer organisierter Kriminalität Schutzprogramme für Zeuginnen und Zeugen, wie auch Programme zum Schutz der Familien und Angehörigen im Ursprungsland auf- und ausgebaut werden,

·         bei straf- und zivilrechtlichen Verfahren gegen Menschenhändler den Betroffenen von Menschenhandel Rechtshilfe und sonstige Unterstützung gewährt wird,

·         anstatt einer automatischen Rückführung der von Menschenhandel Betroffenen in ihre Heimatländer Nachdruck auf ihre sichere Rückkehr und Wiedereingliederung gelegt wird,

·         im nationalen wie internationalen Geschäftsverkehr Gütesiegel gegen Kinderarbeit eingeführt und strikt überwacht werden, die nicht allein Produktzertifikate sondern auch Prozesszertifikate sein sollen,

·         in ILO-IPEC Programme zur Vermeidung von Kinderarbeit investiert wird und nicht in Public-Private partnerships.“

 

In formeller Hinsicht wird die  Zuweisung an den Menschenrechtsausschuss beantragt.

 

Wien, am



[1]) Kevin Bales, "Die neue Sklaverei"; E. Benjamin Skinner, „Menschenhandel. Sklaverei im 21. Jahrhundert“

[2]) von franz.: rester avec, deutsch: bei jemandem bleiben