13371/AB XXIV. GP

Eingelangt am 20.03.2013
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BM für Gesundheit

Anfragebeantwortung

 

 

Alois Stöger

Bundesminister

Frau

Präsidentin des Nationalrates

Mag.a Barbara Prammer

Parlament

1017 Wien    

 

 

 

 

 

GZ: BMG-11001/0029-I/A/15/2013

Wien, am 19. März 2013

 

 

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin!

 

Ich beantworte die an mich gerichtete schriftliche parlamentarische

Anfrage Nr. 13844/J des Abgeordneten Josef A. Riemer und weiterer Abgeordneter nach den mir vorliegenden Informationen wie folgt:

 

Frage 1:

Meinem Ressort liegen keine entsprechenden Daten vor. Auch aus der Sicht des dazu befragten Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger ist eine Beantwortung dieser Frage nicht möglich, da den Krankenversicherungsträgern aus dem niedergelassenen Bereich keine codierten Diagnosen zur Verfügung stehen und elektronische Auswertungen damit nicht möglich sind.

 

Frage 2:

Die Diagnose ADHS wird von Ärzt/inn/en, die von der Störung betroffene Kinder-und Jugendliche behandeln, in der Regel nur nach persönlicher Anamnese mit Eltern, Kindern und Jugendlichen, Lehrer/inne/n und anderen Betreuungspersonen, zusätzlich auch anhand von Anamnesefragebögen (zum Beispiel Child Behavior Checklist und anderen) und nach ausführlicher neuropsychologischer Diagnostik durch klinische Psycholog/inn/en gestellt, wobei das multiaxiale Klassifikationsschema zur Anwendung kommt. Die Ergebnisse aus Anamnese und Diagnostik werden entsprechend der gesetzlichen Verpflichtung dokumentiert.

 

Das multiaxiale Klassifikationsschema sollte mittlerweile standardmäßig bei der Diagnoseerstellung bei Kindern und Jugendlichen herangezogen werden. Es erlaubt ein vollständiges, mehrdimensionales Abbild der psychischen Störung und ist in sechs Achsen aufgegliedert:

 

1.     Achse: klinisch-psychiatrisches Syndrom

2.     Achse: Umschriebene Entwicklungsrückstände

3.     Achse: Intelligenzniveau

4.     Achse: Körperliche Symptomatik

5.     Achse: Abnorme assoziierte psychosoziale Umstände (wie Scheiden der Eltern, Fremdunterbringung etc.)

6.     Achse : Niveau der sozialen Anpassung

 

Die Diagnose ist äußerst umfangreich und setzt neben einer organischen Unter-suchung eine umfangreiche psychologische Diagnostik voraus.

 

Nach Diagnose einer ADHS erfolgt eine entsprechende ärztliche Aufklärung jedenfalls der zur Obsorge Verpflichteten und es werden die entsprechenden Behandlungsmöglichkeiten dargestellt.  Dabei werden natürlich auch die psychologischen und verhaltenstherapeutischen Interventionsmöglichkeiten (vgl. Psychotherapie einzeln oder in Gruppen, ADHS-Training, Konzentrationstraining) ebenso wie eine medikamentöse Therapie besprochen. Die Wahl der Behandlungsmethode obliegt nach entsprechender Aufklärung, natürlich auch über mögliche unerwünschte Wirkungen von Medikamenten, ausschließlich den Patient/inn/en bzw. deren Eltern. Üblicherweise erfolgt bei Beratung zu einer medikamentösen Behandlung auch eine zur zusätzlichen psychologischen und verhaltenstherapeutischen Intervention.

 

Ein Hinweis auf die mögliche Behandlung von ADHS mit Medikamenten mag zwar nach kurzer orientierender Erstanamnese genannt werden, die ausführliche Beratung dazu wird aber nicht ohne eine ausführliche Diagnostik erfolgen können.

In diesem Zusammenhang wird auf das Konsensus-Statement - State of the art 2012 der Österreichischen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin, www.oegam.at/wissenschaft-publikationen/konsensus/2012/ verwiesen.

 

Frage 3:

Meinem Ressort liegen dazu keine Daten vor. Auch der Hauptverband der öster-reichischen Sozialversicherungsträger teilt dazu mit, dass Kosten aus dem nieder-gelassenen Bereich (Diagnostik, Psychotherapie etc.), wie bereits zu Frage 1

angemerkt, mangels codierter Diagnosen nicht elektronisch ausgewertet werden können und von allenfalls möglichen Auswertungen der Kosten stationärer Aufenthalte und der Fälle der Arbeitsunfähigkeit mangels Aussagekraft abgesehen wurde.

 

Wie der Hauptverband weiter ausführt, wurden für im extramuralen Bereich verordnete und abgegebene Arzneispezialitäten, welche für ADHS zugelassen sind, von den Krankenversicherungsträgern im Jahr 2011 Kosten in Höhe von € 3.865.194,- übernommen. Kosten für Arzneispezialitäten mit einem Kassenverkaufspreis unter der Rezeptgebühr für nicht von der Rezeptgebühr befreite Personen sowie Kostener-stattungen sind darin nicht enthalten (Datenquelle: Maschinelle Heilmittelab-rechnung der österreichischen Krankenversicherungsträger).

 

Fragen 4 und 6:

Bei ADHS handelt es sich um ein komplexes psychiatrisches Störungsbild, das durch genaue Diagnosekriterien definiert und häufig vor allem durch genetische Faktoren bedingt ist. Die Kernsymptomatik umfasst Symptome der Unaufmerksamkeit, der motorischen Hyperaktivität („Zappelphilipp“) und der Impulsivität. Der Schweregrad dieser Symptome muss sich deutlich vom Verhalten gleichaltriger Kinder oder Jugendlicher unterscheiden, das heißt die Symptome müssen so schwergradig ausgeprägt sein, dass altersentsprechend verstärkter Bewegungsdrang oder durch Langeweile bedingte Unruhe in der Schule nicht ausreichend sind, um die Diagnose ADHS zu rechtfertigen.

Kinder mit diesem Störungsbild leiden in unterschiedlichen Lebensbereichen wie im sozialen Kontext (peer-group), im alltäglichen Familienleben und in der Freizeit unter typischen ADHS Symptomen, welche ihnen nicht nur das Lernen für die Schule erschweren, sondern auch Spielen mit Gleichaltrigen, positive Interaktionen in der Familie und Ausüben von Hobbies und Freizeitaktivitäten und die daher mit einer entsprechenden Einschränkung der Lebensqualität bei betroffenen Kindern einhergehen. Die ADHS-Symptomatik tritt eben nicht nur und ausschließlich im schulischen Kontext auf, wird aber aufgrund der Rahmenbedingungen in der Schule (ruhig sitzen und aufmerksam zuhören müssen) dort oft besonders deutlich.

 

Werden potentielle ADHS Symptome sorgfältig abgeklärt, das Zutreffen der Diagnosekriterien bei Kindern mit fraglicher ADHS genau überprüft und eine schrittweise Abklärung möglichst in einem multiprofessionellem Team in die Wege geleitet, sollten anlass- oder kontextbezogene Ursachen wie Unter- oder Überforderung in der Schule, familiäre Probleme oder das Vorliegen anderer (z.B. körperlicher) Erkrankungen für Aufmerksamkeitsprobleme, Leistungsschwäche und störendes Verhalten in der Schule sicher ausgeschlossen werden können.

 

Ein vorab festgelegter Therapieplan sollte grundsätzlich - unabhängig um welches Störungsbild es sich handelt - nach den individuellen Bedürfnissen des Kindes bzw. des Jugendlichen erstellt werden. Vor allem bei ADHS hat sich eine multimodale Behandlung unter Einbezug verschiedenster Professionen (Psychologie, Ergotherapie, etc.) als zielführend bei der Reduktion der Symptome erwiesen. Wie bereits in einem Konsensuspapier in Deutschland bei der ADHS-Therapie festgelegt, sollten Medika-mente nur dann verschrieben und verabreicht werden, wenn alle anderen Behand-lungsmaßnahmen ausgeschöpft wurden und nicht zur Reduktion der Symptomatik geführt haben.

 

Die Verabreichung von Psychopharmaka ist der letzte Schritt in der vorgesehenen Beratungs- und Therapiekette. Dieser darf aber bei einem entsprechend gesichertem Bedarf nicht verteufelt oder verwehrt werden, da er oftmals eine notwendige und hilfreiche Unterstützung für die Lebensbewältigung betroffener Kinder darstellt (ich darf dazu auch auf meine Ausführungen zu Frage 5 verweisen).

 

Jedenfalls muss in der begleitenden Aufklärung das altersgerechte Verständnis hergestellt und eine dem Alter angemessene Selbstbestimmtheit und Partizipation gewährleistet werden.

 

Frage 5:

In meinem Ressort gibt es derzeit verstärkte Bemühungen, sich der Thematik ADHS fachkundig und in Form einer fundierten wissenschaftlichen Auseinandersetzung zu widmen. Daher habe ich auch den obersten Sanitätsrat mit dieser Problematik befasst. Vertreter verschiedener Berufsgruppen (ÄrztInnen, PsychologInnen, LehrerInnen, etc.), die in ihrem beruflichen Alltag regelmäßig und intensiv mit der Problematik ADHS befasst sind, beschäftigen sich wissenschaftlich fundiert mit der komplexen Thematik der Zunahme an Verordnungen von Medikamenten für Kinder- und Jugendliche mit ADHS in den letzten Jahren.   

 

Vorrangiges Ziel dabei ist es, wie in anderen EU Ländern bereits etabliert, klare Richtlinien in der Vorgangsweise in Bezug auf Diagnostik und Therapie bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS zu schaffen und diese auch in die Praxis umzusetzen. Dies betrifft und erfordert unter anderem:

- psychologische und psychotherapeutische Standards in Diagnostik und Therapie von Kindern mit ADHS

- psychopharmakologische Behandlungsrichtlinien

- fachärztliche (Kinder- und Jugendpsychiatrische) Abklärung und case-management

- neben der Einbindung dieser Berufsgruppen vor allem auch die Einbindung von Pädagogen, um betroffene Kinder und Eltern im Alltag zu unterstützen.

 

Da ADHS mit massiven Belastungen für die betroffenen Kinder bzw. Jugendlichen und ihre Familien einhergeht ist auch hier ein multiprofessionelles Vorgehen erforderlich. Die kompetente Entscheidungsfindung ärztlicherseits und die rechtzeitige fachgerechte Intervention spielen dabei eine entscheidende Rolle.

Medikamentöse Therapiemöglichkeiten (Methylphenidat, Atomoxetin) spielen nach wissenschaftlicher Evidenz eine wichtige Rolle in der Behandlung von ADHS. Die fachgerechte Anwendung dieser Medikamente und die laufende Evaluierung der medikamentösen Therapie in Hinblick auf Wirkung und mögliche Nebenwirkungen sind entscheidend für den (langfristigen) Therapieerfolg.

 

Frage 7:

Wissenschaftliche Forschungen, auch aus dem Bereich der Medizin, ressortieren im Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung.