14365/AB XXIV. GP

Eingelangt am 28.06.2013
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

BMJ-Pr7000/0115-Pr 1/2013


Republik Österreich
die bundesministerin für justiz

 

 

Museumstraße 7

1070 Wien

 

Tel.: +43 1 52152 0

E-Mail: team.pr@bmj.gv.at

 

 

 

Frau
Präsidentin des Nationalrates

 

 

Zur Zahl 14663/J-NR/2013

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Helene Jarmer, Freundinnen und Freunde haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Umsetzung der für 2012 geplanten Maßnahmen im Nationalen Aktionsplan Behinderung“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1:

Aufgrund einer – bei der Verabschiedung der Unterbringungsgesetz-Novelle 2010 gefassten – Entschließung des Nationalrats war über einen Zeitraum von zwei Jahren zu untersuchen, wie sich der neue § 32a Unter­bringungsgesetz (UbG) über die angemessene Dauer einer Unterbringung im Licht des Verhältnismäßigkeitsprinzips auswirkt.

Die erhoffte Wirkung der neuen Regelung, den sog. „Drehtüreffekt“ einzudämmen, konnte in der Evaluationsstudie nicht nachgewiesen werden. Die erhobenen Daten weisen zu große Unterschiede sowohl zwischen den einzelnen Krankenanstalten als auch zwischen den Bezirksgerichten auf. Dies dürfte im Wesentlichen auf die Komplexität der Einflussfaktoren zurückzuführen sein; die Wirkung einzelner Faktoren auf die Anzahl der Unterbringungen ist nur schwer eingrenzbar. 

Es wäre allerdings überschießend, in Folge dieser Analyse die Wirksamkeit des § 32a UbG generell in Zweifel zu ziehen. Befragt nach ihren praktischen Erfahrungen berichteten die teilnehmenden Expertinnen und Experten nämlich einhellig, dass die neue Regelung für die Handhabung konkreter Fälle, vor allem für „heavy user“, Verbesserungen gebracht habe. Diese Patientengruppe würde von den Neuerungen profitieren. Allerdings sei die Fallzahl zu gering, um in der Gesamtstatistik Niederschlag zu finden.

Zu 2:

Derzeit wird in Zusammenarbeit mit dem Bundesrechenzentrum an einer EDV-gestützten Patientenverwaltung gearbeitet. In der Integrierten Vollzugsverwaltung (IVV) sollen künftig so viele Informationen wie möglich über die Behandlung und Medikamentation der Insassen ersichtlich sein. In diesem Zusammenhang wird zurzeit ein EDV-unterstütztes, für alle Justiz­anstalten zugängliches Medikamentenprogramm erprobt. Die Schulungen des ärztlichen und pflegerischen Personals wurden im Jahr 2012 begonnen und werden heuer flächendeckend durchgeführt.

Zu 3:

Sowohl die Zivilprozessordnung (§ 73a) als auch das Außerstreitgesetz (§ 4 Abs. 3) und die Strafprozessordnung (§§ 56 iVm 381 Abs. 6) sehen im Fall einer gehörlosen, hochgradig hörbehinderten oder sprachbehinderten Partei bzw. einer oder eines gehörlosen oder stummen Beschuldigten die verpflichtende Beiziehung eines Gebärdensprachdolmetschers und die Tragung der Kosten durch den Bund vor. In diesem Zusammenhang bedarf es aus Sicht des Bundesministeriums für Justiz daher keiner weiteren legistischen Schritte, obgleich im Zuge der Umsetzung der RL 2010/64/EU vom 20. Oktober 2010 über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren eine Klarstellung geplant ist, dass auch bei hör- und sprachgeschädigten Personen ein Dolmetscher für die Gebärdensprache bei Unterredungen mit dem Verteidiger beizuziehen ist.

Zu 4:

Für den Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für Justiz wurden bereits zwei Barrierefreiheits-Beauftragte nominiert, einer für den gebäudetechnischen Bereich und einer für den Bereich der IKT-Anwendungen der Justiz.

Zu 5:

Das Bundesministerium für Justiz ist stets bemüht, den Bürgerinnen und Bürgern freien Zugang zu den Gerichten zu ermöglichen, sodass alle Menschen möglichst ohne Hilfe anderer die Leistungen der Justiz in Anspruch nehmen können. Dafür wurde die sukzessive Errichtung von Servicecentern, in denen Front-Office-Leistungen der Justiz angeboten werden (z.B. Beglaubigungen, Auskünfte allgemein aus Grundbuch, Firmenbuch und Registern) sowie Einzahlungen getätigt werden können, und zumindest je einem Verhandlungssaal, die jeweils barrierefrei erreichbar und erschlossen sind, in Angriff genommen. Am 1. Jänner 2020 sollen alle österreichischen Gerichtsgebäude zu 100% barrierefrei im Sinne des Bundes-Behindertengleichstellungsgesetzes sein.

Seit 2005 werden bei Neubauten und Generalsanierungen von Landes- und Bezirksgerichts­gebäuden schon im Zuge der Planung barrierefreie Servicecenter vorgesehen und umgesetzt.

Beispiele sind

-       das Bezirksgericht Klagenfurt

-       das Bezirksgericht Graz-West

-       das Bezirksgericht Salzburg

-       das Bezirksgericht Graz Ost

-       das Landesgericht für Strafsachen Wien

-       das Bezirksgericht Baden

-       das Justizzentrum Korneuburg

-       das Bezirksgericht Bruck an der Mur

-       das Justizzentrum Eisenstadt (Fertigstellung 2014).

Als Mindeststandards für die Barrierefreiheit in Gerichtsgebäuden wurden zuletzt (am Beispiel des Landesgerichtes Korneuburg) folgende Kriterien festgelegt:

Erdgeschoß:

ü Absturzsicherungen (Aufmerksamkeitsfelder) vor abwärts führenden Treppen

ü taktiles Leitsystem (zumindest bis Eingangskontrolle, Servicecenter, Verhandlungssaal,
Behinderten-WC, Aufzug, Cafeteria)

ü Induktionsanlagen (Eingangskontrolle, Servicecenter, Verhandlungssaal, Cafeteria)

ü Handlauforientierungsschilder mit tastbarer Information

ü Kinderwagenparkplatz

ü barrierefreie Durchreichen und Pulte

Alle Geschoße:

ü Blitzleuchten für den Alarmfall

ü kontrastreiche optische Markierungen auf Glasflächen

ü Türschilder mit tastbarer Raumnummer (die Beschriftung muss leicht austauschbar sein)

ü Orientierungsmanagement

In die jeweilige Planung werden bereits seit längerem örtliche Behindertenverbände (z.B. der Österreichischer Zivilinvalidenverband) einbezogen.

Das Bundesministerium für Justiz ist außerdem in dem beim Bundeskanzleramt angesiedelten Beirat für Baukultur vertreten und nutzt die dort gewonnenen Informationen und Erkenntnisse, insbesondere dessen Empfehlung Nr. 2 vom Juni 2011 (Barrierefreies Bauen – Design for all), für eigene Bauprojekte.

Auch bei Neu- und Umbauten von und in Justizanstalten wird – insbesondere – auf barrierefreie Zugangsmöglichkeiten, vor allem in Besucher- und Vernehmungszonen, sowie auf die Einführung behindertengerechter Hafträume geachtet.

Zu 6:

Im Laufe der vergangenen Jahre wurden zahlreiche neue Grundausbildungsverordnungen erlassen. Personal- und Mitarbeiterführung allgemein, aber vor allem auch Gleichbehandlung und Antidiskriminierung sind in den neuen Verordnungen als wichtige Ausbildungsinhalte vorgesehen.

In der Grundausbildung für die Bezirksanwältinnen und Bezirksanwälte (BGBl. II Nr. 354/2011) sind diese Themenbereiche beispielsweise Teil des Seminarmoduls „organisatorische Grundlagen“ (§ 8 Abs. 2 Z 6).

In § 4 Abs. 3 Z 7 der Richteramtsanwärter/-innen-Ausbildungsverordnung (RiAA-AusbVO – BGBl. II Nr. 279/2012) wird geregelt, dass bei der Ausbildung besonderes Augenmerk darauf zu legen ist, dass Richteramtsanwärterinnen und Richteramtsanwärter auch in Angelegenheiten der Gleichbehandlung und Antidiskriminierung sowie der Mobbingprävention und -sanktion besonders geschult werden.

In der Verordnung über die Grundausbildung für die Bediensteten der Entlohnungsgruppe v1 im Planstellenbereich Justizanstalten (BGBl. II Nr. 129/2011) sind die Ausbildungsinhalte „Gleichbehandlung und Antidiskriminierung“ ausdrücklich als Teil des Moduls Personal­entwicklung und Dienstaufsicht vorgesehen (§ 9 Abs. 3 Z 1). Auch die Verordnung über die Grundausbildung für die Bediensteten der Entlohnungsgruppen v4 und v3 im Planstellen­bereich Justizanstalten (BGBl. II Nr. 187/2009) führt in ihrem § 10 Abs. 3 Z 8 „Gleichbe­handlung und Antidiskriminierung“ als Inhalt des justizinternen Lehrgangsabschnitts „Organisation und Aufgaben des Strafvollzugs“ an.

Darüber hinaus ist das Bundesministerium für Justiz gemeinsam mit der Personalvertretung bemüht, durch ein möglichst reichhaltiges Angebot an persönlichkeitsbildenden Veran­staltungen für Beamtinnen, Beamte und Vertragsbedienstete eine Verbesserung im Umgang mit Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeitern und der rechtsuchenden Bevölkerung im Allgemeinen und Personen mit Behinderungen im Besonderen zu erreichen. In diesem Sinn konnte in den letzten Jahren eine signifikante sowohl quantitative wie auch qualitative Ausweitung an Kommunikations- und Konfliktlösungsseminaren auf unterschiedlichem Niveau und mit teils unterschiedlichem Zielpublikum (Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger, Bezirksanwältinnen und Bezirks­anwälte, Kanzleileiterinnen und Kanzleileiter sowie sonstige Kanzleibedienstete, Personalvertretungsorgane, Bedienstete in Leitungsfunktionen) erzielt werden. Die Seminare zielen unter anderem darauf ab, psychologische Grundlagen der Kommunikation, Außenwirkung und Selbstreflexion sowie Konfliktvermeidungs- und -lösungsstrategien theoretisch und praktisch zu vermitteln und so einen respektvollen, sachlichen und empathischen Umgang mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern ebenso wie mit der rechtsuchenden Bevölkerung in all ihren unterschiedlichen Ausprägungen zu gewährleisten.

Im Bereich der Aus- und Fortbildung der Richterinnen, Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte fand am 13. Juni 2012 ein bundesweites Seminar zum Thema „Gleichbehandlungsrecht“ statt, das unter anderem auch Diskriminierungen von Menschen mit Behinderungen behandelte. Weiters veranstaltet die Justiz laufend Seminare im Arbeits- und Sozialrecht, bei denen stets auch das Thema Antidiskriminierung anhand aktueller Judikatur behandelt wird. Darüber hinaus sind seit dem Jahr 2008 Grund- und Menschenrechte einschließlich des Gleich­behandlungs- und Antidiskriminierungsrechts Prüfungsstoff für die Richteramtsprüfung (§ 16 Abs. 4 Z 6 RStDG). Während ihrer Ausbildung haben daher alle angehenden österreichischen Richterinnen, Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte verpflichtend ein dreitägiges Grund­rechtsmodul, in dem diese Materien behandelt werden, zu absolvieren. Zudem haben Richter­amtsanwärterinnen und -anwärter die Gelegenheit, einen Teil ihrer Ausbildung bei einem für die Namhaftmachung von Sachwaltern geeigneten Verein zu absolvieren (§ 3 Abs. 1 Z 7 RiAA-AusbVO). Schließlich besteht zur weiteren Sensibilisierung aller Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie Richter­amtsanwärterinnen und -anwärter die Möglichkeit, an einschlägigen Fortbildungsprogrammen ausländischer Veranstalter (z.B. Europäische Rechtsakademie) teilzunehmen, um so das Thema auch aus einem internationalen Blickwinkel betrachten und erörtern zu können.

 

Wien,      . Juni 2013

 

 

 

Dr. Beatrix Karl