3431/AB XXIV. GP
Eingelangt am 21.12.2009
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BM für Gesundheit
Anfragebeantwortung
Frau Präsidentin des Nationalrates Maga. Barbara Prammer Parlament 1017 Wien |
Alois Stöger diplômé Bundesminister
|
GZ: BMG-11001/0316-I/5/2009
Wien, am 18. Dezember 2009
Sehr geehrte Frau Präsidentin!
Ich beantworte die an mich gerichtete schriftliche parlamentarische
Anfrage Nr. 3430/J der Abgeordneten Dr. Belakowitsch-Jenewein und weiterer Abgeordneter nach den mir vorliegenden Informationen wie folgt:
Einleitend ist festzuhalten, dass zur Beantwortung der vorliegenden Anfrage die Leiterin der Drogenambulanz am AKH/Med. Universität Wien, die Frauengesundheitsbeauftragte der Stadt Wien sowie die Sucht- und Drogenkoordination Wien (Spitalsverbindungsdienst Contact) befasst wurden.
Frage 1:
Zu dieser Frage ist keine spezifische österreichweite Statistik bekannt. Eine aus Anlass der vorliegenden Anfrage bei GÖG/ÖBIG veranlasste Auswertung zur Spitalsentlassungsdiagnose P961 zeigt für das Jahr 2008 österreichweit 92 (Burgenland 5, Kärnten 4, Niederösterreich 7, Oberösterreich 5, Salzburg 6, Steiermark 5, Tirol 6, Vorarlberg 2, Wien 52) Diagnosen „Entzugssymptome beim Neugeborenen bei Einnahme von abhängigkeitserzeugenden Arzneimitteln oder Drogen durch die Mutter“.
Aufgrund der von der Wiener Sucht- und Drogenkoordination (Spitalsverbindungsdienst CONTACT) mitgeteilten, allerdings allein für Wien höheren Zahl - demnach wurden im Jahr 2008 in Wien 110 drogenabhängige Mütter betreut - ist jedoch davon auszugehen, dass in den Entlassungsdiagnosen offenbar nicht alle Fälle erfasst sind. Die vom Wiener Spitalsverbindungsdienst CONTACT mitgeteilte Zahl scheint insofern plausibel, als aufgrund des gut ausgebauten Betreuungssystems in Wien fast alle Entzugsbabys, sowohl von Seiten der MAG 11 als auch durch die Drogensozialarbeit im AKH und durch den Spitalsverbindungsdienst CONTACT erfasst werden. Mit den Zahlen von CONTACT vergleichbare Zahlen liegen aus anderen Bundesländern nicht vor, zumal es dort nach den meinem Ressort vorliegenden Informationen keine mit dem Spitalsverbindungsdienst CONTACT vergleichbaren Einrichtungen gibt.
Frage 2:
Da es keine spezifische österreichweite Statistik gibt und es zu dieser Zeit auch noch kein Wien-weites Monitoringsystem gegeben hat, sind aus dem Jahr 2000 keine zuverlässigen Zahlen vorhanden. Nach den Spitalsentlassungsdiagnosen wurden im Jahr 2000 österreichweit 19 Fälle (Burgenland 0, Kärnten 0, Niederösterreich 1, Oberösterreich 0, Salzburg 0, Steiermark 2, Tirol 3, Vorarlberg 1, Wien 12) verzeichnet.
Für Wien stellt die Drogenambulanz des AKH/Med. Universität, die seit 1995 ein integratives Behandlungsmodell anbietet, eines der international am meisten etablierten Modelle dar. Das Programm „Pregnancy & Addiction“ wird von Frau Univ.- Prof. Dr. Gabriele Fischer geleitet und gemeinsam mit einem multiprofessionellen Team werden gravide Substanzabhängige betreut, aber auch in Forschungsprojekte eingebunden. Als besondere Auszeichnung der Qualität dieses Zentrums unterstützt das amerikanische NIH (National Institute of Health) über klar definierte Forschungsprojekte die Beforschung und Behandlung dieser Risikogruppe. Für die WHO entstanden an der Wiener Drogenambulanz die Richtlinien zur Behandlung substanzabhängiger gravider Frauen.
Laut Prof. Fischer stieg an der Drogenambulanz die Zahl der Geburten von anfangs 15 im Jahr 1995 auf ca. 50 - 60 in den Jahren 2007/2008 an. Insgesamt wurden von 1995 bis Jänner 2008 478 schwangere opioidabhängige Frauen an der Wiener Drogenambulanz betreut. Etwa die Hälfte der Patientinnen weist ein polytoxikomanes Abhängigkeitsmuster auf. Als Problem, dem besondere Aufmerksamkeit zuzuwenden ist, wird auch die zunehmende Verschreibung von Benzodiazepinen verzeichnet – denn Alkohol, Nikotin und eben auch Benzodiazepine verursachen Organschädigungen beim Kind, während dies bei den Opioiden nicht der Fall ist.
Die steigende Zahl der am Wiener AKH betreuten graviden Substanzabhängigen ist durch die bessere Versorgung der Patientinnen durch die Opioiderhaltungstherapie noch vor bestehender Schwangerschaft gegeben und auch durch den Zustrom an die Wiener Drogenambulanz, die sich durch den Verbund mit Gynäkologie und Neonatologie auf diese Fälle spezialisiert hat.
Frage 3:
Die Aufenthaltsdauer der Neugeborenen im Krankenhaus ist sehr unterschiedlich, es gibt hier international einen großen Range (einige Tage bis 2 - 3 Monate). Die Dauer hängt insbesondere auch davon ab, welchen Substanzen, einschließlich etwa Nikotin oder Alkohol, das Neugeborene intrauterin exponiert war. Weiters hängt die Behandlungsdauer auch davon ab, wie versiert in der standardisierten Behandlung das Betreuungsteam der Kinderärztinnen und -ärzte ist und welche Medikamente zur Anwendung kommen. Die Drogenambulanz am AKH Wien konnte bei der durchschnittlichen stationären Behandlungsdauer eine Reduktion von ca. 20 Tagen im Jahr 1995 auf durchschnittlich 5 Tage im Jahr 2008 erzielen.
Durch das Einbeziehen der Mütter während des Entzugs und die intensive Auseinandersetzung mit Mutter und Kind durch das Spitalspersonal ergibt sich eine deutliche Verkürzung des Entzugs.
Frage 4:
Die Behandlungskosten sind abhängig von der Aufenthaltsdauer der mit einem Entzugssyndrom zur Welt kommenden Neugeborenen und auch von der Höhe des Tagsatzes im jeweiligen Krankenhaus, in dem sie betreut werden, wobei sich insbesondere auch die Frühgeburtlichkeit als Kostenfaktor niederschlägt. Am AKH Wien wurde durch das standardisierte Programm praepartal erzielt, dass die Neugeborenen meist gemeinsam mit der Mutter nach der Entbindung verbleiben und, wenn notwendig, nach Entlassung der Mutter auf eine Routine-Neugeborenen-Station verlegt werden. Durch das integrative Behandlungsmodell konnte auch die Frühgeburtlichkeit gesenkt werden (die große Mehrheit der Kinder kommt in der 38. SSW zur Welt).
Frage 5:
Im Rahmen der Mutter-Kind-Pass Untersuchungen ist in der 25. bis 28. Schwangerschaftswoche unter anderem eine Hepatitis-B-Untersuchung (HBS-Antigen-Bestimmung) vorgesehen. Wird bei Schwangeren Hepatitis-B festgestellt, kann das Neugeborene durch rechtzeitige Impfung wirksam geschützt werden.
Durch eine rechtzeitige Feststellung einer HIV-Infektion, ebenfalls im Rahmen der Mutter-Kind-Pass Untersuchungen und entsprechende medizinische Betreuung kann das Infektionsrisiko des Ungeborenen wesentlich reduziert werden.
Der Betreuungsschwerpunkt liegt in der Thematisierung der Drogensucht und der besonderen Behandlung der sich daraus ergebenden gesundheitlichen Beschwerden (analog zu allen Risikoschwangerschaften).
Bei den Untersuchungen nach dem Mutter-Kind-Pass-Programm wird bereits bei der Anamneseerhebung darauf geachtet, Risikofaktoren zu erfassen, die auf einen möglichen Drogenkonsum hinweisen. Bei Feststellung eines derartigen erhöhten Risikos ist dann eine weitere Betreuung der Schwangeren an geeigneten Spezialeinrichtungen möglich. Auch in der Begleitbroschüre zum Mutter-Kind-Pass „Mein Baby kommt“ wird auf das erhöhte Risiko von Suchtmittelkonsum für die Entwicklung des Kindes und entsprechende Betreuungsmöglichkeiten hingewiesen.
Substanzabhängige Frauen erhalten, wenn sie sich an Spezialambulanzen wie die Drogenambulanz am AKH Wien wenden, eine sehr engmaschige Betreuung auf medizinischer, psychologischer, psychosozialer und juristischer Ebene.
Auch die substituierenden Ärztinnen und Ärzte sind in diesem Themenbereich über die Weiterbildungen im Rahmen der Weiterbildungsverordnung orale Substitution speziell geschult. Weiters gibt es in Wien eine außerordentlich gute Vernetzung zwischen der MAG 11, der Drogenhilfe und den Krankenhäusern, die gemeinsam an einem immer besser werdenden Behandlungssetting unter optimalen Bedingungen arbeiten.
Frage 6:
Bezüglich Langzeitschäden bei Kindern von drogenabhängigen Müttern liegen keine kontrollierten Langzeitstudien und auch international noch keine Vergleiche vor. Generell kann aber gesagt werden, dass die gesundheitliche Entwicklung der Kinder einerseits durch die unmittelbare Auswirkung der Toxine gefährdet ist (z.B. niedriges Geburtsgewicht durch Mangelernährung in der Schwangerschaft, erhöhte Frühgeburtenrate), andererseits können sich längerfristige psychosoziale Defizite ergeben (z.B. Entwicklungsstörungen).