6294/AB XXIV. GP

Eingelangt am 18.11.2010
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

 

DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0220-Pr 1/2010

 

An die

                                      Frau Präsidentin des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 6381/J-NR/2010

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Johannes Jarolim, Genossinnen und Genossen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „’ORF-Skinhead-Affäre’: Anschlag auf die Pressefreiheit“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Bevor ich auf die einzelnen Fragen eingehe, weise ich darauf hin, dass die Strafprozessordnung in § 157 Abs. 1 Z 4 SPO ausdrücklich ein Aussageverweigerungsrecht normiert, durch das Medieninhaber (Herausgeber), Medienmitarbeiter und Arbeitnehmer eines Medienunternehmens oder Mediendienstes berechtigt sind, die Aussage über Fragen zu verweigern, die die Person des Verfassers, Einsenders oder Gewährsmannes von Beiträgen und Unterlagen betreffen oder die sich auf Mitteilungen beziehen, die ihnen im Hinblick auf ihre Tätigkeit gemacht wurden. Dieses Recht dient dem wichtigen Schutz des Redaktionsgeheimnisses. Es kann sich allerdings nur der Zeuge, nicht jedoch der Beschuldigte darauf berufen.


Zur Gewährleistung des Informationsschutzes in Ansehung der in § 157 Abs. 1 Z 4 StPO genannten Personen normiert § 157 Abs. 2 StPO ein Umgehungsverbot dieses Aussageverweigerungsrechts. Demnach darf dieses Recht der Zeugen bei sonstiger Nichtigkeit nicht umgangen werden (etwa durch Sicherstellung und Beschlagnahme von Unterlagen oder auf Datenträgern gespeicherten Informationen). Eine besondere Ausprägung dieses Umgehungsverbotes findet sich auch in der Bestimmung des §  144 StPO über den Schutz der geistlichen Amtsverschwiegenheit und von Berufsgeheimnissen, die in Absatz 2 das Umgehungsverbot des Aussageverweigerungsrechtes der bereits erwähnten Berufsgeheimnisträger wiederholend bekräftigt, indem die Anordnung und Durchführung der im 8. Hauptstück der Strafprozessordnung enthaltenen Ermittlungsmaßnahmen untersagt wird, wenn dadurch das Recht, die Aussage nach § 157 Abs. 1 Z 4 StPO zu verweigern, umgangen würde. Somit ist bei jeder erdenklichen Ermittlungshandlung darauf zu achten, dass das Redaktionsgeheimnis gewahrt wird, sodass etwa die Anordnung heimlicher Ermittlungsmaßnahmen gegen diese Berufsgeheimnisträger (auch hinsichtlich der von ihnen ständig benutzten Anlagen und Computersysteme) absolut unzulässig ist; selbst die Durchführung einer gegen eine andere Person angeordnete Überwachung ist insoweit absolut unzulässig, als das Berufsgeheimnis davon betroffen wäre.

Dieses Umgehungsverbot besteht aber nicht, wenn die insoweit geschützte Person selbst der Tat, die den Anlass für die Ermittlungsmaßnahme gibt, dringend verdächtig ist.

Soll jedoch gegenüber dem dringend tatverdächtigen Berufsgeheimnisträger eine Auskunft über Daten einer Nachrichtenübermittlung (§ 135 Abs. 2 StPO), eine Überwachung von Nachrichten (§ 135 Abs. 3 StPO) oder eine optische und akustische Überwachung von Personen nach § 136 Abs. 1 Z 2 und 3 StPO angeordnet werden, so ist zuvor die Ermächtigung des Rechtsschutzbeauftragten einzuholen. Das bedeutet, dass auch in diesen Fällen der Schutz des Redaktionsgeheimnisses insoweit hervorgehoben wird, als die Staatsanwaltschaft eine gerichtliche Bewilligung nur mit Ermächtigung des Rechtsschutzbeauftragten beantragen darf. Soll ein sogenannter großer Lauschangriff in ausschließlich der Berufsausübung gewidmeten Räumlichkeiten von Berufsgeheimnisträgern nach § 157 Abs. 1 Z 4 StPO stattfinden, so darf der Rechtsschutzbeauftragte eine Ermächtigung nur erteilen, wenn besonders schwer wiegende Gründe vorliegen, die


den Eingriff verhältnismäßig erscheinen lassen. Erteilt der Rechtsschutzbeauftragte die Ermächtigung nicht, weil er die Überwachung in concreto für unverhältnismäßig hält, dann darf die Überwachung nicht stattfinden.

Zu 1:

Die der Frage zugrunde liegende Annahme, dass das Ermittlungsverfahren durch die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt eingeleitet worden sei, trifft nicht zu. Das Strafverfahren beginnt gemäß § 1 Abs. 2 StPO bereits mit jeder – auch kriminalpolizeilichen – Tätigkeit zur Erhebung des Sachverhaltes.

Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt wurde mit dem in der Anfrage relevierten Sachverhalt erstmals am 13. März 2010 durch einen fernmündlichen Anlassbericht des Niederösterreichischen Landesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (LVT NÖ) an den Journalstaatsanwalt befasst. Diesem Anlassbericht war eine Erhebungstätigkeit des Stadtpolizeikommandos Wiener Neustadt nach einer dort erstatteten mündlichen Anzeige durch den „Sicherheitskoordinator der FPÖ“, J. T., vorangegangen.

Zu 2 und 3:

Ich ersuche um Verständnis, dass ich diese auf eine politische Bewertung der Anzeigeerstattung und Verfahrenseinleitung abzielenden Fragen nicht beantworte. Im Übrigen ist mir eine Beantwortung der Fragen auch in Hinblick auf § 12 StPO nicht möglich, weil sich diese auf Inhalte und konkrete Schritte eines anhängigen Ermittlungsverfahrens beziehen.

Zu 4 und 5:

Eine Beantwortung dieser Fragen ist mir nicht möglich, weil sie personenbezogene Informationen betreffen, deren Veröffentlichung mir aus Gründen des verfassungsrechtlich gewährleisteten Datenschutzes verwehrt ist.

Zu 6:

Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt hat gegen den infolge eines Einspruchs des ORF ergangenen Beschluss des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom 16. Juli 2010 Beschwerde erhoben. Das Oberlandesgericht Wien hat mit Beschluss vom 3. September 2010 der Beschwerde der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt Folge gegeben und den Einspruch des ORF wegen Rechtsverletzung abgewiesen.


 

Zu 7:

Das Oberlandesgericht Wien hat die Rechtsansicht der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt bestätigt. Dessen Rechtsansicht zu kommentieren steht mir im Hinblick auf die verfassungsrechtlich eingeräumte Unabhängigkeit der Rechtsprechung nicht zu.

Die Generalprokuratur hat eine Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes erhoben, weil sie der Ansicht ist, dass durch die Mitwirkung einer wegen Verwandtschaft mit der Stellvertreterin des Leitenden Oberstaatsanwaltes befangenen Richterin das Gesetz in der Bestimmung des § 43 Abs. 1 Z 1 StPO verletzt worden sei. Ich ersuche um Verständnis, dass ich zu dieser Rechtsansicht eben so wenig Stellung nehme, weil ich nicht den Anschein erwecken möchte, damit die Entscheidung des Obersten Gerichtshofes präjudizieren zu wollen.  

Zu 8, 9 und 12:

Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass dem Redaktionsgeheimnis, also dem Schutz des Vertrauensverhältnisses zwischen einem Informanten einerseits und Journalisten oder anderen Medienmitarbeitern andererseits, im Kontext mit der Medienfreiheit größte Bedeutung zukommt.

Im Zusammenhang mit dem in der Anfrage geschilderten Anlassfall habe ich daher am 12. November 2010 gemeinsam mit Staatssekretär Dr. Ostermayer eine Fachtagung abgehalten, bei der von zahlreichen anerkannten Experten und Interessensvertretern ausführlich zu den verschiedensten Aspekten des Redaktionsgeheimnisses Stellung genommen werden konnte.

Aus meiner Sicht war ein wesentliches Ergebnis dieser Tagung, dass das Redaktionsgeheimnis in Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert ist und daher in Österreich ohnehin bereits im Verfassungsrang steht. Eine gesonderte Verfassungsbestimmung zu schaffen, wäre daher einerseits bloß Symbolik, andererseits ist die mit einem solchen Schritt offenbar verbundene Erwartung, dass das Redaktionsgeheimnis dann uneingeschränkt gelten würde, von vornherein unrichtig: Auch ein gesondert in der österreichischen Verfassung verankertes Redaktionsgeheimnis müsste (einfachgesetzlichen) Beschränkungen unterliegen können, wie ja auch die in Art. 10 Abs. 1 EMRK verbrieften Freiheiten gesetzlichen Beschränkungen unterworfen werden können (Art. 10 Abs. 2 EMRK).


 

Dass das Redaktionsgeheimnis in Österreich unbeschränkt gilt, wenn der Journalist, Medienmitarbeiter etc. im Strafverfahren den Status eines Zeugen hat, geht über das hinaus, was in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gefordert wird (dieser lässt es in solchen Fällen zu, dass bei Ermittlungen wegen schwerer Straftaten nach einer entsprechenden Interessensabwägung das Redaktionsgeheimnis durchbrochen wird).

Was jene Fälle anlangt, in denen ein Verdacht gegen den Journalisten, Medienmitarbeiter etc. vorliegt, so halte ich es für unangemessen, das Redaktionsgeheimnis ganz allgemein unbeschränkt auf diese Fälle zu erweitern; dies würde auf eine Immunität von Journalisten, Medienmitarbeitern etc. hinauslaufen, die ich nicht für sachgerecht halte.

Es sind bei der erwähnten Tagung aber auch Vorschläge erstattet worden, in welcher Weise eine Nachschärfung zum besseren Schutz der Medienfreiheit vorgenommen werden könnte. Welche dieser Vorschläge vor dem Hintergrund der einleitend dargestellten Regelungen in der Strafprozessordnung sinnvoll sind, wird derzeit noch geprüft.

Zu 10:

Es sind derzeit keine aktuellen „ähnlich gelagerten Fälle“ bekannt. Entscheidungen im Zusammenhang mit der Problematik des Redaktionsgeheimnisses sind stets nach den Umständen des Einzelfalles zu treffen.

Zu 11:

Zur abschließenden Beurteilung der Verdachtslage ist es notwendig, die noch ausstehenden Ergebnisse der gerichtlichen Beweisaufnahmen abzuwarten.

 

. November 2010

 

(Mag. Claudia Bandion-Ortner)