6725/AB XXIV. GP

Eingelangt am 04.01.2011
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

 

 

DIE  BUNDESMINISTERIN
           FÜR  JUSTIZ

BMJ-Pr7000/0283-Pr 1/2010

 

An die

                                      Frau Präsidentin des Nationalrates

                                                                                                                           W i e n

 

zur Zahl 6831/J-NR/2010

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Mag. Judith Schwentner, Freundinnen und Freunde haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „die Bekämpfung des Menschenhandels“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1:

Den RichterInnen und StaatsanwältInnen werden im Rahmen der Aus- und Fortbildung regelmäßig Veranstaltungen angeboten, die zur Sensibilisierung für die Problematik des Menschenhandels beitragen. Die nachfolgende Übersicht bietet einen Überblick über die justizinternen Veranstaltungen samt Teilnehmerkreis, wobei nur Vertreter aus dem Justizbereich angeführt sind.

17. Juni 2003: Seminar „Menschenhandel“ im Justiz-Bildungszentrum Schwechat; 31 Teilnehmer

24. Jänner 2005: Seminar „Menschenhandel“ im Justiz-Bildungszentrum Schwechat; 34 Teilnehmer

22. Mai 2007: Seminar im Rahmen der Österreichischen Richterwoche 2007 zum Thema „Trafficking in Human Beings and its Impact on Court Proceedings; 74 Teilnehmer

21. November 2007: Seminar „Menschenhandel und Opferschutz“ im Justiz-Bildungszentrum Schwechat; 18 Teilnehmer

21. bis 22. April 2008: Konferenz „Judicial Training on Human Trafficking and Domestic Violence“ im Bundesministerium für Justiz in Kooperation mit dem Europarat; 12 Teilnehmer

11. Juni 2008: Seminar „Menschenhandel – Neue Herausforderung für die Justiz bei der Bekämpfung eines globalen Problems“; 15 Teilnehmer

Zusätzlich zum justizinternen Fortbildungsangebot wird Richterinnen, Richtern, Staatsanwältinnen und Staatsanwälten sowie Richteramtsanwärterinnen und Richteramtsanwärtern im Rahmen dienstlicher Erfordernisse ermöglicht, an nationalen und internationalen Veranstaltungen zum Themenbereich „Menschenhandel“ teilzunehmen. Als Beispiele dürfen die Seminare der ERA Trier „Die Bekämpfung des Menschenhandels durch internationale Zusammenarbeit in Strafsachen“ vom 6. bis 8. Oktober 2008 in Trier und der Deutschen Richterakademie „Internationaler Menschenhandel“ vom 1. bis 5. Mai 2007, die Konferenz der OSCE zum Thema „Alliance Against Trafficking in Persons“ am 16. und 17. November 2006 in Wien oder die Fortbildungsveranstaltung der Lefö-Interventionsstelle für Betroffene des Frauenhandels zum Thema „Arbeit – Migration – Rechte: Strategien gegen Frauenhandel“ vom 22. bis 23. Oktober 2008 in Wien dienen.


Einer Staatsanwältin wurde die Teilnahme am International Visitor Leadership Program des U.S. Departement of State zum Thema „Combating Trafficking in Persons“, das vom 30. Mai bis 21. Juni 2009 in den USA stattgefunden hat, ermöglicht.

Zu 2:

Im Jahr 2010 sind keine Schulungen mehr vorgesehen. Allerdings arbeitet das Bundesministerium für Justiz derzeit gemeinsam mit „LEFÖ“ und „IOM“ (Internationale Organisation für Migration) an einem maßgeschneiderten Fortbildungsangebot für RichterInnen und StaatsanwältInnen zum Thema „Menschenhandel“.

Zu 3:

Die Frage lässt sich aus heutiger Sicht nicht verlässlich beantworten. Allgemein hoffe ich, dass das breite Fortbildungsangebot gut angenommen wird.

Zu 4:

Österreich hat im Menschenhandelsbericht des U.S. State Department im Jahr 2010 – wie auch die Jahre zuvor – die höchste (=beste) Stufe, nämlich das Level TIER 1, erreicht. Die Strafverfolgung von Menschenhändlern in Österreich wird somit auch vom U.S. State Department grundsätzlich für gut befunden.

Die Frage, ob im Einzelfall alle Elemente des Straftatbestandes „Menschenhandel“ als erfüllt anzusehen sind, hängt – ebenso wie die allfällige Ausmessung einer Strafe – von der konkreten Ausgestaltung des vom Gericht als erwiesen angenommenen Sachverhalts ab. Diese Beurteilung obliegt ausschließlich der unabhängigen Rechtsprechung.

Zu 5 und 6:

Eine zahlenmäßige Beantwortung ist mir nicht möglich, weil weder die Verfahrensautomation Justiz (VJ) noch die Kriminalstatistik statistische Daten über den Zuspruch von Schmerzensgeld bzw. Schadenersatz an Opfer von Menschenhandel erfasst.

Um Opfern die Möglichkeit der Durchsetzung von Schadenersatz oder Entschädigung im Strafverfahren zu erleichtern, können Opfer von Menschenhandel am Strafverfahren als Privatbeteiligte mitwirken (§ 67 StPO). Dabei können Opfer von Menschenhandel auch auf das Institut der Prozessbegleitung (§ 66 Abs. 2 StPO) zurückgreifen, wodurch auch anwaltlicher Beistand sichergestellt werden kann. Darüber hinaus ist das Ausmaß des Schadens oder der Beeinträchtigung von Amts wegen festzustellen, soweit die Ergebnisse des Strafverfahrens und allfällige einfache zusätzliche Erhebungen dafür ausreichen (§ 366 Abs. 2 StPO). Das Gericht hat im Fall einer Verurteilung auch über die privatrechtlichen Ansprüche der Privatbeteiligten zu entscheiden. Dabei sind die Entscheidungsgrundlagen von Amts wegen zu ermitteln, es sei denn, dass das Strafverfahren durch diese Ermittlungen erheblich verzögert werden würde. Kann das Gericht die Frage der privatrechtlichen Ansprüche trotz zusätzlicher Erhebungen nicht klären und bieten die Ergebnisse keine ausreichende Entscheidungsgrundlage, so ist der Privatbeteiligte auf den Zivilrechtsweg zu verweisen. In der Praxis kann das volle Ausmaß der zivilrechtlichen Ansprüche im Rahmen des Strafverfahrens mitunter im gebotenen Zeitrahmen nicht beurteilt werden, sodass man sich häufig mit Teilzusprüchen behilft.

Ich möchte aber auch ausdrücklich darauf hinweisen, dass dem Privatbeteiligten zur Erleichterung der Durchsetzung der zivilrechtlichen Ansprüche im Strafverfahren für den Fall der Verweisung auf den Zivilrechtsweg das Rechtsmittel der Berufung offen steht (§ 366 Abs. 2 StPO).  Darüber hinaus kann der Privatbeteiligte die Aufnahme von Beweisen im Strafverfahren beantragen. Sollte einem solchen Beweisantrag zu Unrecht nicht entsprochen worden sein, so steht ihm im Fall des Freispruchs das Rechtsmittel der Nichtigkeitsbeschwerde aus dem Grund des § 281 Abs. 1 Z 4 StPO zu, sofern dadurch die Chancen auf Wiedergutmachung erheblich gemindert wurden (§ 282 Abs. 2 StPO).

Mit dem 2. Gewaltschutzgesetz wurde im Jahr 2009 der Opferschutz auch auf das Zivilverfahrensrecht ausgedehnt.

So wurde das Institut der Prozessbegleitung auch in das Zivilverfahren implementiert. Die im Strafverfahren gewährte psychosoziale Prozessbegleitung kann daher grundsätzlich auch für ein mit dem Strafverfahren im Zusammenhang stehendes Zivilverfahren in Anspruch genommen werden, wobei vom Bund Kosten im Ausmaß von 800 Euro bzw. 1.200 Euro für Verfahrenshilfe genießende Personen übernommen werden.

Weiters wurde die abgesonderte Vernehmung auch für das Zivilverfahren übernommen. War die Partei oder ein Zeuge eines Zivilverfahrens Opfer eines damit im Zusammenhang stehenden Strafverfahrens, so kann die Vernehmung unter Verwendung technischer Einrichtungen zur Wort- und Bildübertragung beantragt werden.

Schließlich kann das Gericht nun auf Antrag oder von Amts wegen bei der Vernehmung minderjähriger Personen von ihrer Befragung zur Gänze oder zu einzelnen Themenbereichen absehen, wenn dadurch das Wohl der minderjährigen Person gefährdet wäre.

Der Vollständigkeit halber wären schließlich noch die Ansprüche nach dem Verbrechensopfergesetz (VOG) zu erwähnen, wobei ich hier auf die Zuständigkeit des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz verweisen muss.

Zusammenfassend ist gerade die den Opfern von Menschenhandel zu gewährende psychosoziale und juristische Prozessbegleitung ein Garant für die entsprechende Berücksichtigung der Wiedergutmachungsaspekte.

Zu 7:

Richtig ist, dass in der gerichtlichen Kriminalstatistik nur eine geringe Zahl von Verurteilungen nach § 104a StGB aufscheint. Dies liegt zunächst daran, dass es hier auch nur wenige Anzeigen gibt (2009: 32). Die Justiz kann nicht mehr Täter verurteilen, als ausgeforscht wurden. In diesem Zusammenhang ist auch auf die unterschiedliche Zählweise in der polizeilichen und gerichtlichen Kriminalstatistik hinzuweisen. Überdies wird in der gerichtlichen Kriminalstatistik bei einer Verurteilung wegen mehrerer strafbarer Handlungen die Verurteilung immer nur jenem Delikt zugeordnet, das für den Strafsatz maßgebend war. Wird jemand also wegen mehrerer Delikte verurteilt und ist Menschenhandel nicht die am strengsten bestrafte Tat, scheint die Verurteilung wegen Menschenhandels in der gerichtlichen Kriminalstatistik nicht auf.

Abschließend verweise ich auch darauf, dass Menschenhandel im österreichischen StGB auch von § 217 („grenzüberschreitender Prostitutionshandel“) erfasst ist. Dieser Tatbestand pönalisiert die Zuführung bzw. Anwerbung einer Person zur Prostitution in einem fremden Staat. Zu § 217 StGB ergehen jedes Jahr wesentlich mehr Anzeigen und Verurteilungen als zu § 104a StGB.

Zu 8:

„Ausbeutung“ im Sinne des § 104a StGB liegt nach den Gesetzesmaterialen (EBRV XXII. GP 294 der Beilagen) immer dann vor, wo eine weitgehende und nachhaltige Unterdrückung vitaler Interessen des Opfers gegeben ist. Nur wenn der Täter eine spätere derartige Ausbeutung des Opfers in seinen Vorsatz aufgenommen hat, handelt er tatbildlich.

„Sexuelle Ausbeutung“ liegt nach den EBRV (XXII. GP 294 der Beilagen) vor, wenn eine Person sexuelle Leistungen erbringen oder für sexuelle Handlungen zur Verfügung stehen soll, die mit ihren vitalen Interessen nicht im Einklang stehen, also etwa dann, wenn einer Prostituierten ein über die Deckung der Grundbedürfnisse des täglichen Lebens hinausgehender „Löwenanteil“ an den Gegenleistungen ihrer Freier vorenthalten wird oder ihr bestimmte, vitale Interessen gefährdende Bedingungen für die Ausübung der Prostitution vorgeschrieben werden.

Durch Organentnahme kann eine Person ausgebeutet werden, wenn sie als Organspender dienen soll, ohne dass eine wirksame Einwilligung (nach den Kriterien des § 90 StGB) vorliegt, oder bei einer unangemessener finanzieller Abgeltung. Das StGB verweist nicht darauf, was alles als Organ aufzufassen ist, sondern wird zum Verständnis sinngemäß auf § 62a KAKuG verwiesen. Demnach sind unter einem „Organ“, alle „wieder verwertbaren“ menschlichen Organe, Organteile und menschliches Gewebe sowie Körperflüssigkeiten (insb Blut und Rückenmarkflüssigkeit) zu verstehen (vgl Schwaighofer, WK-StGB² Rz 10 zu § 104a). Eine tatbestandsmäßige Ausbeutung wird nur in Extremfällen denkbar sein, nämlich dann, wenn die Abnahme in einer solchen Häufigkeit und in solchen Mengen erfolgt, dass die Gefahr von schweren gesundheitlichen Dauerfolgen besteht.


Jedoch kann die mit einer Organentnahme verbundene Körperverletzung oder Gefährdung bei Vorliegen einer wirksamen Einwilligung gerechtfertigt sein. Die Wirksamkeit der Einwilligung erfordert die Einwilligungsfähigkeit, eine entsprechende Aufklärung und das Fehlen von Willensmängeln, dh die Einwilligung darf nicht durch Gewalt, Drohung oder Täuschung erlangt worden sein. Für die Rechtfertigung nach § 90 StGB darf die Verletzung oder Gefährdung überdies nicht gegen die guten Sitten verstoßen. Ein derartiger Verstoß gegen die guten Sitten ist anzunehmen, wenn der Eingriff oder die zu befürchtenden Folgen so schwer sind, dass sich ein vorbildlicher Mensch nicht darauf einlassen würde (vgl Schwaighofer, WK-StGB² Rz 11 zu § 104a).

Grundsätzlich kommt es für die Rechtfertigung von Organspenden nach § 90 StGB nicht darauf an, ob finanzielle Beweggründe hinter einer Einwilligung stehen. Für die Beurteilung einer Ausbeutung stellt dies jedoch ein maßgebliches Kriterium dar. Deshalb kann auch ein nach obigen Kriterien gerechtfertigter Eingriff zur Organentnahme dann eine Ausbeutung darstellen, wenn die Motive des Organspenders gerade finanzieller Natur sind und nur eine offensichtlich unangemessene Entschädigung gezahlt werden soll (vgl Schwaighofer, WK-StGB² Rz 12 zu § 104a).

Unter Ausbeutung der Arbeitskraft sind Praktiken zu verstehen, die ein rücksichtsloses Ausnützen des Opfers darstellen, das gegen dessen vitale Interessen gerichtet ist (z.B. über längere Zeit hindurch keine oder nur völlig unzureichende Geldmittel, exzessive Ausdehnung der nach der Gesetzeslage erlaubten oder zumutbaren Arbeitszeit über einen längeren Zeitraum, unzumutbare Arbeitsbedingungen).

 

. Dezember 2010

 

(Mag. Claudia Bandion-Ortner)