7477/AB XXIV. GP

Eingelangt am 01.04.2011
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BM für Verkehr, Innovation und Technologie

Anfragebeantwortung

 

 

GZ. BMVIT-10.000/0010-I/PR3/2011    

DVR:0000175

 
 


An die

Präsidentin des Nationalrats

Mag.a  Barbara PRAMMER

Parlament

1017    W i e n

 

 

 

Wien, am     . April 2011

Sehr geehrte Frau Präsidentin!

 

 

Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr.in Moser, Freundinnen und Freunde haben am 3. Februar 2011 unter der Nr. 7582/J an mich eine schriftliche parlamentarische Anfrage betreffend gefährliche Sicherheitsspielereien an den österreichischen Eisenbahnkreuzungen gerichtet.

 

Diese Anfrage beantworte ich wie folgt:

 

 

Zu den Fragen 1 und 2:

Ø  Sind Sie so wie die Grünen der Auffassung, dass für die Sicherheit der österreichischen Eisenbahnkreuzungen spätestens jetzt rasch eindeutige rechtliche und technische Grundlagen geschaffen werden müssen, insbesondere eine brauchbare Eisenbahnkreuzungs-Verordnung, oder erachten Sie das weiterhin für nicht so wichtig?

Ø  Falls ja, wann kann mit der Vorlage eines entsprechenden Konzepts (Eisenbahnkreuzungs-Verordnung, technische Durchführungsbestimmungen) gerechnet werden?

 

Die Versendung zur Begutachtung des überarbeiteten Entwurfes zur Eisenbahn-Kreuzungsverordnung steht bevor.

Zu den Fragen 3 bis 6:

Ø  Wie beurteilen Sie die Entwicklung, dass aufgrund des bestehenden Regelungsvakuums für technische Standards an den österreichischen Eisenbahnkreuzungen jetzt an Konzepten gebastelt wird, wonach die technische Verlässlichkeit (Verfügbarkeit) von Schrankenanlagen/Blinklichtanlagen (SIL-Level) jetzt sogar heruntergeschraubt und stattdessen „tolerierbare Fehlerraten“ (THR – Tolerable Hazard Rates) zugelassen werden sollen?

Ø  Werden Sie gegen Entwicklungen laut Frage 3 vorgehen oder erachten Sie das für nicht erforderlich?

Ø  Halten Sie es für zulässig, dass bei Schrankenanlagen/Blinklichtanlagen zukünftig technische Ausführungen errichtet werden, bei denen sich der Straßenbenützer nicht mehr so wie bisher auf das Funktionieren der Schrankenanlage/Blicklichtanlage verlassen kann?

Ø  Werden Sie gegen Entwicklungen laut Frage 5 vorgehen oder erachten Sie das für nicht erforderlich?

 

 

Laut Rechnungshof passieren die meisten Eisenbahnkreuzungsunfälle (99%) auf Grund der Unachtsamkeit der Straßenverkehrsbenutzer.

 

Die rechtlichen Grundlagen sehen vor, dass gemäß § 36 Abs.3 Eisenbahngesetz 1957 für den Bau oder die Veränderung von eisenbahnsicherungstechnischen Einrichtungen keine eisenbahnrechtliche Baugenehmigung erforderlich ist, wenn deren Bau oder Veränderung entsprechend einer europäischen technischen Zulassung erfolgt oder für die jeweilige eisenbahnsicherungstechnische Einrichtung europäische Normen, europäische Spezifikationen oder gemeinsame europäische technische Spezifikationen vorliegen und deren Bau oder Veränderung entsprechend dieser Normen und Spezifikationen erfolgt.

 

Weiters ist gemäß § 36 Abs. 3a Eisenbahngesetz 1957 für den Bau oder die Veränderung von eisenbahnsicherungstechnischen Einrichtungen keine Bauartgenehmigung erforderlich, wenn deren Bau oder Veränderung entsprechend einer europäischen technischen Zulassung erfolgt oder für die jeweilige eisenbahnsicherungstechnische Einrichtung gemeinsame europäische technische Spezifikationen vorliegen und deren Bau oder Veränderung entsprechend dieser Spezifikationen erfolgt.

 

Die Europäischen Normen EN 50129 und EN 50128 sehen somit die Entwicklung entsprechender sicherungstechnischer Einrichtungen auf der Grundlage einer risikobasierten Betrachtung vor. 

Der Safety Integrity Level (SIL) wird dabei in den Europäischen Normen EN 50129 und EN 50128 definiert und auszugsweise wie folgt dargestellt:

 „Die SIL Tabelle identifiziert den geforderten SIL für eine sicherheitsrelevante Funktion ausgehend von der THR (Tolerable Hazard Rate). Wenn die THR für eine Funktion durch eine quantitative Methode abgeleitet wurde, kann deshalb der geforderte SIL mittels der folgenden Tabelle bestimmt werden.“

 

 

 

Zu den Fragen 7 bis 10

Ø    In den Risikobewertungen für die technische Verlässlichkeit (Verfügbarkeit) von Schrankenanlagen/Blinklichtanlagen (SIL-Level) soll auch ein „Aversionsfaktor“ berücksichtigt werden, wonach es ohnehin „nur“ bei 25 Prozent aller Unfälle auf Eisenbahnkreuzungen „auch zu Personenschaden“ kommt.

Halten Sie nach den Unfallbilanzen der letzten Jahre eine neue Sicherheitsphilosophie für vertretbar, wonach man mit Unfällen auf Eisenbahnkreuzungen ruhig großzügiger umgehen kann, weil es ohnehin „nur“ bei jedem vierten Unfall auch zu einem Personenschaden kommt?

Ø  Werden Sie gegen Entwicklungen laut Frage 7 vorgehen oder erachten Sie das für nicht erforderlich?

Ø   Nach dem „Aversionsfaktor“ soll berücksichtigt werden, dass es ohnehin nur (?!) bei 25 Prozent aller Unfälle auf Eisenbahnkreuzungen „auch zu einem Personenschaden“ kommt.

a)    Ist der beträchtliche Sachschaden, der bei Unfällen an Eisenbahnkreuzungen regelmäßig verursacht wird, mittlerweile gar keine besondere Überlegung mehr wert?

b)    Nimmt man beträchtlichen Sachschaden auf Eisenbahnkreuzungen jetzt in Kauf, um auf der anderen Seite durch eine Absenkung der technischen Verlässlichkeit der Schrankenanlagen/Blinklichtanlagen) sparen zu können?

c)    Wie erklären Sie, dass hier offensichtlich Einsparungen bei der Infrastruktur (Schrankenanlage/Blinklichtanlage) durch ein höheres Unfallrisiko für Eisenbahnverkehrsunternehmen und Straßenbenützer erkauft werden sollen?

Ø  Werden Sie gegen Entwicklungen laut Frage 9 vorgehen oder erachten Sie das für

nicht erforderlich?

 

Risikoanalysen sollen dazu dienen, eine Herabsetzung des Sicherheitsniveaus zu verhindern und sollen sicherstellen, dass unter den jeweils gegebenen Rahmenbedingungen und dem höchsten erforderlichen Sicherheitsniveau entsprechende technische Ausführung der sicherungstechnischen Einrichtung gewährleistet wird.

 

Es ist festzuhalten, dass die dem höchsten erforderlichen Sicherheitsniveau entsprechende technische Ausführung der sicherungstechnischen Einrichtung jeweils nur für die im Einzelfall betroffene Eisenbahnkreuzung ermittelt wird und somit nicht generell auf alle anderen Eisenbahnkreuzungen angewendet werden kann.

Zu den Fragen 11 und 12:

Ø  Halten Sie nach der Unfallentwicklung und den Unfallbilanzen der letzten Jahre eine neue Sicherheitsphilosophie für vertretbar, wonach ein Ausfall der Schrankenanlage/Blinklichtanlage während der Zugfahrt keine Rolle mehr spielt, „weil davon ausgegangen werden kann, dass ein Autofahrer normalerweise nicht in einen vor ihm befindlichen Zug hineinfahren wird“?

Ø  Werden Sie gegen Entwicklungen laut Frage 11 vorgehen oder erachten Sie das für nicht erforderlich?

 

Die ÖBB z.B. teilen mir dazu mit, dass sie sich zur weiteren Steigerung der Sicherheit auf Eisenbahnkreuzungen auch heuer wieder am europaweit durchgeführten „Level Crossing Awareness Day“ beteiligen, sowie ein Programm zur Aufklärung über die Gefahren auf Eisenbahnkreuzungen starten.

 

Darüber hinaus erfolgt eine regelmäßige Umrüstung von bestehenden Eisenbahnkreuzungen sowie der Ersatz von Eisenbahnkreuzungen durch den Bau von Über- oder Unterführungen, wofür der Bund jährlich rund € 35 Mio. aufwendet.

 

 

Zu den Fragen 13 und 14:

Ø  Selbst eisenbahntechnische Laien wissen, dass Bremswege von Schienenfahrzeugen beträchtlich länger sind als Bremswege im Kfz-Verkehr.

a)  Halten Sie nach der Unfallentwicklung der letzten Jahre eine neue

Sicherheitsphilosophie für vertretbar, wonach der Triebfahrzeugführer bei „übersichtlichen Eisenbahnkreuzungen“ ohnehin versuchen kann, „den Zug vor der Eisenbahnkreuzung anzuhalten“, wenn er „keine Reaktion des Straßenverkehrsteilnehmers beobachtet?

b)  Wie vertragen sich derartige Absichten mit den oft mit Millionenaufwand betriebenen Bemühungen, den Verkehr auf Schienenstrecken zu beschleunigen?

c)  Halten Sie nach der Unfallentwicklung der letzten Jahre eine neue Sicherheitsphilosophie für vertretbar, wonach für derartig riskante Annahmen auch noch für die Bremsweglänge des Zuges nur ein interpolierter „Überblickswert“ oder ein „Durchschnittswert bei normalen Witterungsverhältnissen und durchschnittlichen Bremswerten“ angenommen wird?

Ø  Werden Sie gegen Entwicklungen laut Frage 13 vorgehen oder erachten Sie das für nicht erforderlich?

 

Seit 2007 wurden und werden weitreichende Maßnahmen (neue, besser sichtbare Tafeln, Hot Spot Programm, …) zur besseren Sicherung gesetzt, u.a. hat sich dies in sinkenden Unfallzahlen widergespiegelt. Auch die Anzahl der bei Unfällen Getöteten ist erfreulicherweise in den Jahren 2009 und 2010 um jährlich fast zwei Drittel zurückgegangen.

 


Zu den Fragen 15 und 16:

Ø   Offensichtlich wird im Zusammenhang mit SIL-Levels und THR an Eisenbahnkreuzungen so vorgegangen, dass sich die ÖBB-Infrastruktur AG als „Anforderer der Risikoanalyse“ praktischerweise auch gleich von ÖBB-internen „Risikomanagern“ in „Risiko Assessment Reports“ die oben angeführten Sicherheitsannahmen als geeignet absegnen lässt.

a)  Wie sehen Sie diese Vorgangsweise der Selbstausstellung von Unbedenklichkeitserklärungen?

b)  Gehen Sie davon aus, dass eine derartige Vorgehensweise, nämlich die Selbstausstellung von Unbedenklichkeitserklärungen, bei Unfallereignissen vor Gericht halten kann?

Ø  Werden Sie gegen Entwicklungen laut Frage 15 vorgehen oder erachten Sie das für nicht erforderlich?

 

 

Diesbezüglich ist allgemein auf die Bestimmungen der §§ 39 ff Eisenbahngesetz 1957 betreffend Sicherheitsmanagementsystem hinzuweisen, wonach unter anderem Eisenbahninfrastrukturunternehmen verpflichtet werden, ein Sicherheitsmanagementsystem einzuführen, das von einer gemäß Akkreditierungsgesetz zur Zertifizierung von Qualitäts- und Sicherheitsmanagementsystemen akkreditierten Einrichtung zertifiziert werden muss.

 

In diesem Zusammenhang ist seit Mitte 2010 auch die Verordnung (EG) Nr. 352/2009 der Kommission vom 24. April 2009 über die Festlegung einer gemeinsamen Sicherheitsmethode für die Evaluierung und Bewertung von Risiken gemäß Artikel 6 Absatz 3 Buchstabe a der Richtlinie 2004/49/EG des Europäischen Parlaments und des Rates relevant. Diese Verordnung regelt, wer eine Risikoanalyse durchzuführen hat bzw. wer diese Risikoanalyse als unabhängige Bewertungsstelle zu prüfen befugt ist.