7583/AB XXIV. GP

Eingelangt am 12.04.2011
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BM für Unterricht, Kunst und Kultur

Anfragebeantwortung

 

Beschreibung: Logo-soloBundesministerium für

Unterricht, Kunst und Kultur

 

 

 

Frau

Präsidentin des Nationalrates

Mag. Barbara Prammer

Parlament

1017 Wien

                                                                                        Geschäftszahl:                   BMUKK-10.000/0044-III/4a/2011

 

 

 

Wien, 11. April 2011

 

 

 

Die schriftliche parlamentarische Anfrage Nr. 7710/J-NR/2011 betreffend Gesamtschüler kaum besser als Hauptschüler der dritten Leistungsgruppe, die die Abg. Dr. Walter Rosenkranz, Kolleginnen und Kollegen am 18. Februar 2011 an mich richteten, wird wie folgt beantwortet:

 

Zu Frage 1:

Vorweg bedarf es einer grundsätzlichen Richtigstellung, zumal die in der Fragestellung enthaltene Aussage, „die NMS habe sich als „international beste Antwort auf die neuen Anforderungen an unsere Lebens- und Arbeitswelt“ erwiesen“ – bezugnehmend auf eine Broschüre des Ressorts – nicht richtig bzw. manipulativ wiedergegeben ist.

Das tatsächliche, korrekte Zitat lautet: „Eine Schule, die alle Schülerinnen und Schüler bestmöglich und individuell fördert, hat sich international als beste Antwort auf diese Anforde­rungen an unsere Lebens- und Arbeitswelt erwiesen.“

Das in der Fragestellung nicht zutreffend wiedergegebene Zitat erweckt den Eindruck, dass es sich bei der NMS um ein internationales Schulmodell handle.

Richtig ist vielmehr, dass es sich bei der NMS um einen speziell für österreichische Gegeben­heiten entwickelten Modellversuch handelt. Dieser wird dann in der Folge in der angegebenen Broschüre beschrieben.


Zutreffend ist aber, dass die Entwicklungsarbeit des Modellversuchs Neue Mittelschule auf internationalen Studien basiert, die sich unter anderem auf Einflussfaktoren und Gründe für hohe drop-out Raten beziehen. Die Mehrzahl der OECD-Länder verschiebt Bildungsweg­entscheidungen auf einen späteren Zeitpunkt (hauptsächlich mit 16 Jahren), während dies in Österreich schon im Alter von knapp 10 Jahren passiert (Quelle: The Structure of European Education Systems 2009/10 und OECD Studie „Early school leavers“ 2005 bzw. Kritikos/Ching 2005; Wößmann/Schutz 2006).

 

Im Spitzenfeld der PISA-Ergebnisse sind Gesamtschulsysteme repräsentiert, die Schüler­leistungen im obersten Kompetenzniveau ausweisen – damit wurde die oft unterstellte „Nivel­lierung nach unten“ empirisch widerlegt (OECD 2007). Gravierende Mängel von Ausleseschul­systemen laut europäischer Bildungsforschung und OECD sind vor allem:

 

-      Unzuverlässige Auslese

       Die Selektion für anspruchsvollere weiterführende Bildungskarrieren im Alter von zehn Jahren ist psychometrisch in hohem Maße unverlässlich (Roth 1969, Seidl 1970, Eder 2009)

-      Chancenungleichheit

       Soziale Selbstauslese, die mehr von den Ambitionen und den Karrierehoffnungen der Eltern als von der Begabung der Kinder bestimmt wird (Baumert/ Schümer 2002, Eder 2009)

-      Bildungsökonomische Ineffizienz

       Ausleseschulen sind sowohl makroökonomisch als auch betriebswirtschaftlich ineffizient.

       „…durch den selektiven, nicht-fördernden Umgang mit in Österreich beschulten Kindern aus Migrantenfamilien bleibt ein gewaltiger Pool von Begabung ungenutzt.“ (Nationaler Bildungsbericht 2009)

 

In Studienergebnissen bezüglich Lernen in heterogenen Gruppen und über die Gesamt­schulversuche in Österreich (in den 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts) sind neben positiven Ergebnissen der pädagogischen Arbeit, zB. die Einsicht, dass das untere Leistungsdrittel signifikant besser wird, das oberste Drittel nicht stagniert, auch kritische Befunde zum Leistungsgruppensystem enthalten, wie etwa die Erkenntnis, dass die Einstufung in Leistungs­gruppen in den 3. und 4. Klassen kaum mehr Schülermobilität zwischen den Gruppen zugelassen hat. Bezüglich weiterführender Studien zum Themenkomplex wird hingewiesen auf: Petri, G.(1984) Evaluation der Schulversuche in den Schulen der Zehn- bis Vierzehnjährigen. Wien: ÖBV; Vierlinger, R. (2009) Steckbrief Gesamtschule. Böhlau: Wien; ZSE - Report 60 („Bilanzierungsbericht“) über die Schulversuche der Sekundarstufe I und Erziehung & Unterricht, Themenheft 7-8/2009.

 

An weiterführender deutschsprachiger bzw. internationaler Literatur sind zu benennen:

Wößmann, L. (2007) Frühe Selektion führt zu mehr Chancenungleichheit. In: Pädagogik 2007 H.9, S.46-51; Klafki, W. (²1991) Neue Studien zur Bildungstheorie und Didaktik. Beltz: Weinheim.

Baumert, J./ Stanat, P./ Watermann, P. (Hrsg.) (2006) Herkunftsbedingte Disparitäten im Bildungswesen. VS Verlag: Wiesbaden.

Husen, T. (1967) (Ed.) International Study of Achievement in Mathematics. A Comparison of Twelve Countries. Stockholm-New York: Almquist & Wiksell.


Zu Fragen 2 und 3:

Die „nach Bundesländern differenzierten Ergebnisse der PISA Studie 2009 für Deutschland“ sind dem Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur nicht bekannt. Zudem existieren nach Kenntnisstand des Ressorts derartige Ergebnisse auch nicht, da PISA 2009 in Deutsch­land nicht nach Bundesländern differenziert erhoben wurde und solche Ergebnisse daher auch nicht vorliegen können.

 

Zu Frage 4:

Durch die Durchmischung der unterschiedlichen Leistungsniveaus ergeben sich für alle Beteiligten vielfältige Lerngelegenheiten im kognitiven aber auch im sozialen Bereich. Moderne pädagogische Konzepte arbeiten gezielt mit dieser Vielfalt.

 

Zu Frage 5:

Die ungünstigen Leistungsbefunde bei Schülerinnen und Schülern der KMS erscheinen nicht verwunderlich, ist doch die KMS mit einer Schülerpopulation konfrontiert, der das obere Leistungssegment weitgehend fehlt, weil von der AHS „abgeschöpft“ (Creaming). Die erwartete qualitative Verbesserung ergibt sich aus der Beantwortung zur Frage 4.

 

 

 

Die Bundesministerin:

 

Dr. Claudia Schmied eh.