10769/J XXIV. GP

Eingelangt am 29.02.2012
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ANFRAGE

 

des Abgeordneten Venier

und weiterer Abgeordneter

an die Bundesministerin für Justiz

betreffend die Rechtssituation hinsichtlich eines möglichen Verbotes von Minaretten

 

Es wird immer wieder, auch von sogenannten „Experten“, behauptet, ein Minarett-Verbot, wie es etwa in der Schweizerischen Eidgenossenschaft durch Volksabstimmung vom 29.11.2009 beschlossen wurde, verstoße gegen die Religionsfreiheit.

 

Tatsächlich ist die Religionsfreiheit in Österreich in den Artikeln 14 - 16 des Staatsgrundgesetzes über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger geregelt:

Artikel 14: „Die volle Glaubens- und Gewissensfreiheit ist Jedermann gewährleistet. Der Genuss der bürgerlichen und politischen Rechte ist von dem Religionsbekenntnisse unabhängig; doch darf den staatsbürgerlichen Pflichten durch das Religionsbekenntnis kein Abbruch geschehen. Niemand kann zu einer kirchlichen Handlung oder zur Teilnahme an einer kirchlichen Feierlichkeit gezwungen werden, insofern er nicht der nach dem Gesetze hierzu berechtigten Gewalt eines Anderen untersteht.

 Artikel 15: „Jede gesetzlich anerkannte Kirche und Religionsgesellschaft hat das Recht der gemeinsamen öffentlichen Religionsübung, ordnet und verwaltet ihre inneren Angelegenheiten selbständig, bleibt im Besitze und Genusse ihrer für Cultus-, Unterrichts- und Wohlthätigkeitszwecke bestimmten Anstalten, Stiftungen und Fonde, ist aber, wie jede Gesellschaft, den allgemeinen Staatsgesetzen unterworfen.

Artikel 16: „Den Anhängern eines gesetzlich nicht anerkannten Religionsbekenntnisses ist die häusliche Religionsübung gestattet, in soferne dieselbe weder rechtswidrig, noch sittenverletzend ist."

 

Durch den Vertrag von Saint-Germain wird seit dem Jahr 1919 das Recht auf öffentliche Religionsausübung auch den Anhängern nichtanerkannter Religionen eingeräumt: Artikel 63: „... Alle Einwohner Österreichs haben das Recht, öffentlich oder privat jede Art Glauben, Religion oder Bekenntnis frei zu üben, sofern deren Übung nicht mit der öffentlichen Ordnung oder mit den guten Sitten unvereinbar ist."

 


Außerdem wird die Religionsfreiheit durch die im Verfassungsrang stehende Europäische Menschenrechtskonvention von 1950 wie folgt präzisiert:

Artikel 9. Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit

(1) Jedermann hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht umfaßt die Freiheit des Einzelnen zum Wechsel der Religion oder der Weltanschauung sowie die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen öffentlich oder privat, durch Gottesdienst, Unterricht, durch Ausübung und Betrachtung religiöser Gebräuche auszuüben.

(2) Die Religions- und Bekenntnisfreiheit darf nicht Gegenstand anderer als vom Gesetz vorgesehener Beschränkungen sein, die in einer demokratischen Gesellschaft notwendige Maßnahmen im Interesse der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, Gesundheit und Moral oder für den Schutz der Rechte und Freiheiten anderer sind. "

 

In keiner dieser Bestimmungen kommt das Wort Minarett oder auch ein Verweis auf andere bauliche Einrichtungen vor. Auch eine weitergehende, sinngemäße Durchleuchtung  der zitierten Bestimmungen lässt nicht darauf schließen, dass die Religionsfreiheit einem Minarett-Verbot entgegenstehe: "Öffentliche Religionsausübung" etwa kann überall stattfinden, auch im Freien, wie das z.B. bei Feldmessen gemacht wird. Und das Minarett als Bauwerk kann weder ein "religiöser Gebrauch" noch Bestandteil der Liturgie sein. Abgesehen davon wären für den Fall, dass ein Minarett wirklich Voraussetzung dafür wäre, dass Muslime ihren Glauben korrekt leben dürfen, Gebetshandlungen und Gottesdienste, die derzeit in Räumlichkeiten ohne Minarett abgehalten werden ungültig. Die "Glaubens- und Bekenntnisfreiheit" wird durch ein Minarett-Verbot nicht beschränkt – es hindert den pflichtgetreuen Moslem weder daran, zu beten, noch beeinträchtigt es seinen Glauben an Allah und die Überlieferungen seit Mohammed oder hindert ihn daran, sich öffentlich zum Islam zu bekennen. Auch kann die Errichtung eines Minaretts nicht mit der Errichtung anderer Bauten, etwa Kirchtürmen, verglichen werden, denn ein Minarett hat eine bestimmte Funktion (als erhöhte Plattform für einen Muezzin) und eine bestimmte Geschichte.

                                                                                           

In diesem Zusammenhang richten die unterfertigten Abgeordneten an die

Bundesministerin für Justiz nachstehende

 

Anfrage:

 

1. Gibt es einen konkreten Wortlaut einer im Bundesgesetzblatt veröffentlichten Rechtsnorm aus dem hervorgeht, dass ein Minarett-Verbot gegen das Grundrecht der Religionsfreiheit verstoßen würde?

 

2. Für den Fall, dass Frage 1 verneint wird: Kann eine Beeinträchtigung des Grundrechts der Religionsfreiheit durch ein allfälliges Minarett-Verbot mit den in Österreich zulässigen Methoden der Gesetzesauslegung herausgelesen werden?

 

3. Falls ja, mit welcher Auslegungsmethode und aus welcher Norm kann eine solche Beeinträchtigung ersehen werden?

 

4. Falls nein: Welche andere Rechtsgrundlage liegt der vielgebrauchten Behauptung, ein Minarett-Verbot würde gegen das Grundrecht der Religionsfreiheit verstoßen, zu Grunde?