15244/J XXIV. GP

Eingelangt am 25.06.2013
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Anfrage

 

der Abgeordneten Kurt Grünewald, Tanja Windbüchler-Souschill, Freundinnen und Freunde an die Bundesministerin für Inneres

betreffend suchtkranke Menschen und Lobbyismus

BEGRÜNDUNG

 

Mitte Februar 2013, kurz vor der niederösterreichischen Landtagswahl, wurde überraschend von Innenministerin Mikl-Leitner die Substitutionstherapie stark kritisiert. Die Abkehr von der Substitutionsbehandlung wurde in Aussicht gestellt.

Es war ein Aufruf, gegen die in Österreich seit vielen Jahren erfolgreiche Drogentherapie, konkret gegen die Substitutionstherapie, mobil zu machen. Laut der Stadtzeitung Falter[1] könnte dies bereits Teil eines größeren Plans gewesen sein: Dem Lobbyismus eines Pharmaunternehmens[2] den Weg zu bereiten.

 

Massive Kritik[3] kam von unterschiedlichsten Seiten: Ein „Proteststurm[4] wurde ausgelöst, die Stadt Wien, die Ärztekammer, ExpertInnen, BürgerInnen und viele PolitikerInnen[5] sprachen sich klar dagegen aus, diese Therapie schlechtzureden und zu kriminalisieren.

 

Im Vorfeld, und zwar bereits im Oktober 2012, erhielten verschiedene PolitikerInnen eine E-Mail mit traurigem Inhalt: Eine Familie beklagte den Tod Ihrer Tochter, der durch die Einnahme eines retardiertes Morphins, das in Österreich meistens als Substitol (Hersteller: Mundipharma) verschrieben wird, verursacht worden war.

Von: Annegret Holzmann [mailto:substitot@oink.co.uk]
Gesendet: Freitag, 12. Oktober 2012 11:36
An: eva.glawischnig@gruene.at
Betreff: Substitot – unsere öffentliche Anklage


Die Website, die in dem Schreiben angeführt war, um Details nachzulesen, ist mittlerweile (Stand: 10. 6. 2013) nicht mehr abrufbar („substitot.wordpress.com is no longer available. The authors have deleted this site.“).

Beweise über diesen angeblichen Todesfall aufgrund der Einnahme eines retardierten Morphins blieben aus. Den KritikerInnen und GegnerInnen der Substitutionstherapie schien nicht bekannt zu sein, dass durch laborchemische Untersuchungen bei Drogenkranken nicht zwischen retardierten und nicht retardierten Morphinen unterschieden werden kann. Des Weiteren ist bekannt, dass oft der Beikonsum verschiedenster toxischer Substanzen, wie z.B. Alkohol oder Psychopharmaka, für Todesfälle verantwortlich zeigt. In einer Studie zur nichtbestimmungsgemässen Verwendung von Substitutionsmitteln in Deutschland

 (Zentrum für Interdisziplinäre Suchtforschung, Hamburg) zeigte sich, dass die Substitutionsbehandlung zum Absinken des Konsums nicht verschriebener Substitutionsmittel und anderer Substanzen führt  und somit als protektiver Faktor gelten kann. Die in Zusammenhang mit Substitutionsmitteln stehenden Todesfälle waren sogar um 15 % rückläufig und weisen zudem auf ein besseres Sicherheitsprofil von Buprenorphin hin.

 

Auch der aktuelle Europäische Drogenbericht bestätigt[6], dass die Zahl der drogenbedingten Todesfälle rückläufig ist.

 

Im Suchtmittelkriminalitätsbericht[7] des österreichischen Bundeskriminalamts (BK) wird zwar erwähnt, dass ein Handel von Substitutionsmedikamenten stattfindet, allerdings betrifft dieser Handel zahlreiche andere toxische Medikamente und Suchmittle ebenso. Negative Folgen dieses Handels können daher nicht schwerpunktmäßig retardierten Morphinen zugewiesen werden.

Klärungsbedürftig ist der Suchtmittelbericht u.a. auf Seite 21, wo die Sicherstellung von 2500 Stück suchtgifthältiger Medikamente berichtet wird, in der korrespondierenden Tabelle auf Seite 61 jedoch nur 1184 Stück ausgewiesen werden.


Einen Tag, bevor die Wiener Ärztekammer sich in einer Pressekonferenz[8] nochmals klar für die Beibehaltung der erfolgreichen österreichischen Drogenpolitik und somit für die Substitutionstherapie aussprach, erhielten Dutzende JournalistInnen (wieder einmal) eine Mail eines Vaters namens „Ronny Neumann“. Es ähnelte dem der Frau, die sich „Annegret Holzmann“ nannte und auch die Zeitungsredaktionen rund um den niederösterreichischen Wahlkampf erreichte.

„Neumann“ und „Holzmann“ geben sich als Eltern eines Mädchens namens Kathleen aus, das angeblich durch die Schuld der Wiener Drogenärzte zu Tode gekommen sei. Auf einem Weblog namens „Substitot“ schilderten sie ihren tragischen Fall – sie reagierten aber – überraschend? - nicht auf die Bitte um Rückruf.

Zufall?

Wie auch der Falter fragen wir uns: Stehen diese E-mails in einem Zusammenhang mit dem Pharmaunternehmen Reckitt Benckiser, die ein Konkurrenzpräparat zu retardierten Morphinen namens Subuxone  bewirbt? Wer könnte sonst davon profitieren? Warum macht sich die ÖVP, allen voran die Innenministerin, ohne Rücksprache mit dem Koalitionspartner, plötzlich so stark für dieses Thema? Hat eventuell jemand im Innenministerium interveniert? Läuft hier gar eine Kampagne gegen die gängige Drogenersatztherapie? Sollen eventuell „neue“ Medikamente eingeführt werden?

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1)    Hat das Innenministerium Gespräche mit VertreterInnen des Pharmakonzerns Reckitt Benckiser geführt?

2)    Wenn ja, was war der Inhalt dieser Gespräche?

3)    Wurden Sie bzw. das Ressort bezüglich der Fälle „Annegret Holzmann“ oder „Ronny Neumann“ kontaktiert?

4)    Haben Sie stichhaltige Beweise für einen kausalen Zusammenhang zwischen

Buprenophine und dem Todesfall?

5)    Glauben Sie, dass es Zufall ist, dass die betroffene Familie zeitgleich mit dem Pharmaunternehmen versucht, offene Ohren zu finden?

6)    Sind Sie aktuell in Gesprächen mit dem Gesundheitsministerium, um den Kompetenzbereich Therapie von Drogenkranken eindeutig festzulegen?

7)    Bis wann ist mit Ergebnissen zu rechnen?


8)    Können Sie die Aussage "Suchtkranke gehören zum Arzt, nicht zur Polizei[9]" bestätigen?

9)    Welche Beweise liegen für einen Anstieg des illegalen Handels mit Morphin retard vor?

10) Durch Informationen des BK berichteten Medien über den Missbrauch von retardierten Morphinen und die missbräuchliche Abgabe durch eine Wiener Ärztin, die sich als Falschmeldung herausstellte. Was werden Sie gegen solche Falschmeldungen (Buprenorphin versus Psychopharmaka) in Zukunft unternehmen?

11) Können Sie ausschließen, dass sich Falschmeldungen auch in der Kriminalitätsstatistik finden?

12) Wie bewerten Sie die Argumente der Ärztekammer (PK am 17. April 2013) und die Diskussion General Lang mit Michael Dressel in „Der Standard“ (22. April 2013, Seite 8)?

13) Ist es richtig, dass die Zunahme der Anzeigen wegen Schwarzhandels mit Drogenersatzmedikamenten mit mehr Polizeikontrollen zu erklären ist, wie ein Sprecher des BK laut „Der Standard“ vom 18. April 2013, Seite 32 behauptet?

14) Wenn Ja, wie können Sie daraus auf eine Zunahme des illegalen Handels schließen? Wenn Nein, wie kommt es zu dieser Behauptung, wurde ihr widersprochen?

15) Was befähigt Sie, die unterschiedlichen Therapieangebote für suchtkranke Menschen in Österreich fachlich kompetent zu beurteilen?

16) Welche Erfahrungen in der Zusammenarbeit zwischen Drogenbetreuungseinrichtungen und der Polizei gibt es?

17) Im Suchtmittelbericht 2011 (BK) wird auf Seite 21 für das Burgenland von der Sicherstellung von 2.500 Stück suchtgifthältiger Medikamente berichtet. In der korrespondierenden Tabelle auf Seite 61 (Anzahl der Sicherstellungen, Burgenland) werden jedoch unter suchtgifthältiger Medikamente 1.184 Stück ausgewiesen. Wie ist diese Differenz zu erklären?

18) Im selben Kapitel auf Seite 20f. wird berichtet, dass einer Tätergruppe „…der Verkauf von […] etwa 13.000 Stück Substitol nachgewiesen werden“ konnte und eine andere Tätergruppe etwa 650.000 Stück suchtgifthältige Medikamente verkauft habe. Auf welcher Grundlage kommt das BK auf diese Zahlen?
Handelt es sich dabei um beweisbare Zahlen oder um Annahmen und Hochrechnungen?
Falls letzteres zutrifft, wie treffsicher sind solche Hochrechnungen?

19) Trifft es zu, dass Personen, die sich als PatientInnen in einem Substitutionsprogramm ausweisen können, dennoch angezeigt werden, wenn sie verschriebene Substitutionsmittel bei sich tragen?

20) Wenn ja, wie viele solcher Aufgriffe sind in der Kriminalstatistik erfasst?


21) Wie viele Anzeigen wegen des Besitzes von Substitutionsmitteln haben 2011 zu Verurteilungen geführt?

22) Welchen Einfluss auf die Kriminalstatistik bei Drogenabhängigen hatte der langjährige Chefarzt der Wiener Polizei, Dr. Reinhard Fous?

23) Gibt es Verbindungen des Herrn Dr. Fous zum Pharmakonzern Reckitt Benckiser?

 



[1] http://www.falter.at/falter/2013/04/23/lobbystan-forte/

[2] Reckitt Benckiser, ein britischer Konzern, der hauptsächlich Waschmittel herstellt, und der die Verkaufs- und Marketingrechte für Subuxone hält. Damit soll in Österreich die Marktmacht der gängigen Medikamente Substitol und Methadon gebrochen werden. http://www.rb.com/de

[3] APA0485 5 CI 0490 II  Do, 14. Feb 2013. Drogensubstitution - Mikl-Leitner in Proteststurm

Utl.: Nach von ihr geforderter Reduktion von in Österreich seit 25 Jahren etablierter Therapie für Abhängige

[4] APA0485 5 CI 0490 II  Do, 14.Feb 2013. Drogensubstitution - Mikl-Leitner in Proteststurm

Utl.: Nach von ihr geforderter Reduktion von in Österreich seit 25 Jahren etablierter Therapie für Abhängige.

[5] OTS0167 5 II 0254 FMB0004 Mi, 13.Feb 2013.Grünewald: Drogenersatztherapien müssen beibehalten werden. Utl.: Grüne: Mikl-Leitner propagiert Drogenpolitik aus dem Mittelalter

[6] APA0223 5 CI 0460 CA  Di, 28.Mai 2013. Europäischer Drogenbericht - Behandlungsangebot auf Rekordniveau. Utl.: 1,2 Millionen Europäer in Therapie -  Zahl der Todesfälle rückläufig

[7] http://www.bmi.gv.at/cms/BK/presse/files/PA_Suchtmittelbericht2011_301012.pdf

[8] APA0216 5 CI 0486 Mi, 17.Apr 2013. Drogen-Substitutionstherapie für Experten sehr erfolgreich

Utl.: Fachleute: Gegenargumenten fehlt sachliche Basis –Mortalität sinkt unter Therapie um zwei Drittel

[9] APA0398 5 CI 0291 II   Do, 14. Feb 2013. Drogensubstitution - Stöger: Suchtkranke gehören nicht zur Polizei Utl.: "Substitutionstherapie ist ein Jahrzehnte langer parteiübergreifender Konsens" - Mikl-Leitner: Abschaffung der Substitution nicht geplant