1675/J XXIV. GP

Eingelangt am 15.04.2009
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ANFRAGE

 

 

der Abgeordneten Dr. Gabriela Moser, Mag. Albert Steinhauser, Freundinnen und Freunde

 

an die Bundesministerin für Justiz

 

betreffend Vorratsdatenspeicherung (Data Retention)

 

 

Mit 15.3.2006 ist die im Anti-Terror-Zusammenhang entstandene EU-Richtlinie 2006/24/EG „über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG“ in Kraft getreten. Für Österreich hat im Rat die damalige Justizministerin Gastinger, dem Vernehmen nach ohne Einvernehmensherstellung mit zB dem BMVIT, zugestimmt. Die Richtlinie war bis 15.9.2007 bzw. in Teilen - aufgrund einer Erklärung des Mitgliedsstaates gegenüber Rat und Kommission - bis 15.3.2009 umzusetzen. Ein Vertragsverletzungsverfahren gegen die Republik Österreich wegen der bisher unterbliebenen Umsetzung befindet sich im letzten Stadium vor der Klage.

 

Rund um diese Richtlinie und ihre nationale Umsetzung hat sich europaweit und auch in Österreich eine heftige inhaltliche und politische Kontroverse weit über die üblicherweise im Spannungsfeld „Überwachung versus Datenschutz/Verbraucherschutz“ Engagierten hinaus entwickelt.

Die scharfe Kritik zielt erstens auf die grundrechtlich und hinsichtlich ihres Zustandekommens höchst fragwürdige EU-Richtlinie. Diese steht offen in Konflikt mit der in Österreich im Verfassungsrang stehenden EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention, Art.8, Schutz der Privatsphäre). Diese Frage ist auf EU-Ebene noch nicht ausjudiziert.

Zweitens ist die Richtlinie auf fragwürdiger Rechtsgrundlage aufgebaut (Art. 95 EG-V, Fördern des Funktionierens des Binnenmarkts durch Rechtsangleichung – als ob Terrorismusbekämpfung eine Binnenmarktfrage wäre!). Zwar wurde diese Rechtsgrundlage durch die nur diese Frage betreffende formale Weisswaschung der RL durch den EuGH am 10.2.2009 nach der diesbezüglichen Nichtigkeitsklage von Irland und der Slowakei, die anders als Österreich bei der Beschlussfassung am 21.2.2006 gegen die Richtlinie gestimmt und sich danach gerichtlich gegen diese gewehrt hatten, nicht beanstandet. Das ändert aber nichts an der politisch untragbaren Umgehung der gemeinschaftsrechtlich für den Justiz- und Sicherheitsbereich vorgesehenen Verfahrensschritte.

 

Aus diesen Gründen wäre höchste zeitliche und inhaltliche Zurückhaltung bei der Umsetzung angebracht. Vorrang müsste die Rücknahme der EU-Richtlinie, zumindest aber die Klärung ihrer Grundrechtskonformität haben.

Maßgebliche Kreise speziell in Österreich wollen davon hingegen nichts wissen und diese fragwürdige EU-Richtlinie offensichtlich am liebsten weit überschießend übererfüllen –entsprechenden Äußerungen sind Justizministerin bzw. BMJ jedenfalls nicht erkennbar entgegengetreten. Dies fügt sich nahtlos in die Überwachungsstaatstendenzen ein, wie sie in den letzten Jahren wiederholt etwa mit der in Sachen Handy- und Internetüberwachung skandalösen, verfassungswidrigen SPG-Novelle oder auch der jüngsten 22. StVO-Novelle und ihren groben datenschutzrechtlichen Mängeln Oberhand gewonnen haben. So nun auch bei der Vorratsdatenspeicherung: Während die Richtlinie sich ausdrücklich auf Terrorismusbekämpfung und organisierte Kriminalität bezieht, betonten die meisten österreichischen Entscheidungsträger zwar in der Öffentlichkeit, nur "Minimalstandards" und diese nur auf Druck der EU umzusetzen, der im April 2007 vom damaligen SPÖ-Verkehrsminister Faymann vorgelegte Gesetzesentwurf für eine TKG-Novelle zeigte jedoch ein ganz anderes Bild. Mit diesem Begutachtungsentwurf stellte sich das BMVIT – offenkundig im Einklang mit BMI und BMJ – klar auf Seiten derer, die die Gelegenheit für eine weitreichende generelle Aushöhlung des Telekommunikationsgeheimnisses ausnützen wollten. Die Übererfüllung wurde noch dazu in den Erläuterungen zum Gesetzesentwurf geleugnet bzw. mit sachlich krass falschen Darlegungen zu verharmlosen versucht.

 

Nach den Vorstellungen der UrheberInnen dieses mit BMI und BMJ abgestimmten BMVIT-Begutachtungsentwurfs sollten bei Verdacht auf folgende Delikte umfassende Auswertungen der im Sinne von Anti-Terror- und Anti-Mafia-Bestrebungen gesammelten Daten zulässig sein, wobei dies nur Beispiele ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit sind:

Mitwirkung am Selbstmord, Fahrlässige Tötung unter besonders gefährlichen Verhältnissen, Raufhandel, Auskundschaftung eines Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisses, Schwere Sachbeschädigung, Vermögensdelikte wie etwa Diebstahl, Unterschlagung, Veruntreuung einschließlich schwere Eingriffe in fremdes Jagd- und Fischereirecht bei Schäden über EUR 50.000, betrügerische Krida, Geldwucher, Begünstigung eines Gläubigers, Brandstiftung, Störung einer Religionsausübung, Falsche Beweisaussagen vor Gerichten oder Verwaltungsbehörden, Gefährliche Drohung, Stalking.

 

Es stellt sich die Frage, wie ein derart krass überzogener und überdies auch inhaltlich fehlerhafter Gesetzesentwurf zur Umsetzung einer völlig anderweitig motivierten EU-Richtlinie seinen Weg bis in ein offizielles Begutachtungsverfahren finden konnte!

 

Zwar erfolgte wegen der immer heftigeren und breiteren Kritik an Inhalt und Vorgehensweise schließlich eine politische Distanzierung des federführend zuständigen Verkehrsministers und nunmehrigen Bundeskanzlers von diesem Gesetzgebungsvorhaben. Der in der Begutachtung überwiegend vernichtend kommentierte Entwurf wurde zunächst nicht weiterverfolgt.

Auch liegt mittlerweile die Missbrauchsanfälligkeit von Anti-Terror- und Anti-Mafia-Bestimmungen anhand der Causa „Tierschützer“ offen auf dem Tisch.

Weiters scheint einzelne Überwachungs-Euphoriker im Bereich von BMVIT, BMI und BMJ mittlerweile – vielleicht auch wegen der Reaktion der SPÖ- und ÖVP-WählerInnen auf die diesbezüglichen Regierungs-Aktivitäten - ein wenig der Mut verlassen zu haben. So wird nun anders als im Jahr 2007 offenbar nicht mehr von vornherein auf einer Übererfüllung zB bei der Frist für die Datenaufbewahrung beharrt.

 

Nun steht die Frage Umsetzung ja oder nein und wenn ja wie aber erneut an, nachdem die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung vom EuGH hinsichtlich ihres rechtlich korrekten Zustandekommens - nicht jedoch hinsichtlich ihrer Grundrechtskonformität – wie erwähnt am 10.2.2009 positiv beurteilt wurde.

 

Bundesministerin Bures als für die Novelle des TKG als einen wichtigen Teil der Umsetzung federführend Zuständige hat nach dem EuGH-Entscheid angekündigt, mit der Erstellung eines entsprechenden Gesetzesvorschlags das Wiener Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte (BIM) zu beauftragen, das selbst die Grundrechtskonformität der Vorratsdatenspeicherung anzweifelt. Bis Ende März 2009 fand allerdings nur ein Round Table am Wiener Zentrum für Rechtsinformatik statt, der die Größe und Komplexität dieser Aufgabe erneut illustrierte. Ob bereits ein konkreter Auftrag ergangen war, war unklar.

 

Ob eine grundrechts- und verfassungskonforme Umsetzung überhaupt möglich ist, ist gerade angesichts jüngster Entwicklungen offen.

 

Hier sind die beim VfGH anhängigen Beschwerden zum inhaltlich verwandten Problem Handy- und Internet-Überwachung gemäß Sicherheitspolizeigesetz zu nennen, über die wegen „komplizierter Fragen“ frühestens im Juni 2009 entschieden werden soll.

 

Weiters ist auch auf den Gerichtsbeschluß des Verwaltungsgerichts Wiesbaden (Deutschland) vom 27.2.2009 hinzuweisen, wonach in Deutschland – wo eine Verfassungsbeschwerde von 34.000 Bürgerinnen und Bürgern gegen die Vorratsdatenspeicherung läuft – die umfassende Speicherung aller Telekommunikations-Daten ein Verstoß gegen das Grundrecht auf Datenschutz sei und die EU-Richtlinie gegen die EMRK verstoße. Wörtlich (Aktenzeichen 6 K 1045/08.WI): "Das Gericht sieht in der Datenspeicherung auf Vorrat einen Verstoß gegen das Grundrecht auf Datenschutz. Sie ist in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig. Der Einzelne gibt keine Veranlassung für den Eingriff, kann aber bei seinem legalen Verhalten wegen der Risiken des Missbrauchs und des Gefühls der Überwachung eingeschüchtert werden (...) Der nach Art. 8 EMRK zu wahrende Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist durch die Richtlinie nicht gewahrt, weshalb sie ungültig ist." Auch wenn es sich um kein Urteil handelt und daher aus diesem Beschluss keine unmittelbare Rechtsfolge erwächst, ist die grundgesetzliche Situation in Deutschland und Österreich in diesem Bereich so ähnlich, dass diese gerichtliche Äußerung auch den Überwachungs-Euphorikern in Österreich zu denken geben muss.

 

Ähnliches gilt für die Stellungnahme des – konservativ dominierten! – Deutschen Bundesrats vom 6.3.2009, in der dieser gravierende Bedenken zur Vereinbarkeit bestimmter weitreichender Protokollierungen und Auswertungen mit den „hohen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtfertigung von Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ äußert.

 

All dies sollte Anlass sein, die Grundrechtskonformität der EU-Richtlinie schleunigst einer Prüfung zuzuführen und keinesfalls übereilte oder gar unnötig weitreichende nationale Umsetzungsschritte zu setzen.

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

ANFRAGE:

 

1.      Welches Fazit haben Sie bzw. hat Ihre Vorgängerin/Ihr Ressort aus den im Rahmen des Begutachtungsverfahrens zum BMVIT-Gesetzesentwurf für die Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung in Österreich zwischen April und Juli 2007 eingegangenen Stellungnahmen gezogen?

 

2.      Wurde mittlerweile ein Auftrag für einen neuen Gesetzesentwurf zur Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung ins nationale Recht an das Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte erteilt, wenn ja wann?

 

3.      Welche Ressorts und Institutionen sollen in der diesbezüglich geplanten Arbeitsgruppe vertreten sein?

 

4.      Welche Gesetze bzw. Gesetzesänderungen über eine Änderung des TKG hinaus sind Inhalt dieses Auftrags bzw. werden Inhalt dieses Auftrags sein?

 

5.      Wie sieht der weitere Zeitplan aus:

a) Bis wann ist mit einem Vorentwurf für eine interne Vorbegutachtung zu rechnen? b) Wer wird in diese interne Vorbegutachtung einbezogen werden? c) Bis wann ist mit einem Entwurf für ein offenes Begutachtungsverfahren zu rechnen? d) Bis wann ist mit einer Regierungsvorlage bzw. einem Regierungs-Initiativantrag zu rechnen?

 

6.      Werden Sie die nach der massiven Kritik an anderweitigen Plänen erfolgte Ankündigung des früheren Verkehrsministers und nunmehrigen Bundeskanzlers, die Vorratsdatenspeicherungs-RL nur in einer absoluten Minimalvariante umzusetzen, unterstützen? Wenn nein, warum nicht?

 

7.      Wenn ja, welche Eckpunkte sehen Sie im einzelnen für eine solche absolute Minimalvariante?

 

8.      Welche Daten im einzelnen sollen in welchem zeitlichen und sonstigen Umfang von einer Speicherung im Rahmen einer solchen „absoluten Minimalvariante“ erfasst werden?

 

9.      An wen und in welchem Umfang soll wer unter welchen Rahmenbedingungen Auskünfte über diese gespeicherten Daten geben können?

 

10.  Welche budgetäre Vorsorge ist für die Kostentragung für eine evtl. Vorratsdatenspeicherung für 2009 und 2010 getroffen?

 

11.  Falls keine budgetäre Vorsorge getroffen wurde: Gehen Sie folglich davon aus, dass die beträchtlichen Kosten einer evtl. Vorratsdatenspeicherung auf die Wirtschaft bzw. auf die VerbraucherInnen überwälzt würden?

 

12.  Was haben Sie – gegebenenfalls im Zusammenwirken mit anderen Ressorts - im einzelnen unternommen, um die EMRK-Konformität der EU-Richtlinie 2006/24/EG beurteilen zu lassen?

 

13.  Wurde diese Frage im Vorfeld der Zustimmung Österreichs zur Richtlinie im Rat im Jahr 2006 mit Gutachten o.dgl. abgeklärt, wenn nein warum nicht?

 

14.  Was haben Sie bzw. Ihre Amtsvorgängerin – gegebenenfalls im Zusammenwirken mit anderen Ressorts – seit August 2007 im einzelnen unternommen, um eine Änderung der Richtlinie zu erreichen, nachdem zB BM Faymann die Richtlinie in einer Parl. Anfragebeantwortung als „nicht vollkommen unberechtigt“ - somit im Umkehrschluß also als „weitgehend unberechtigt“ - charakterisierte?

 

15.  Falls Sie nichts unternommen haben – warum nicht?

 

16.  Wie beurteilen Sie die Sachlage angesichts der Äußerung des deutschen Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 27.2.2009, wonach die umfassende Speicherung aller Telekommunikationsdaten ein Verstoß gegen das Grundrecht auf Datenschutz sei und die EU-Richtlinie gegen die EMRK verstoße?

 

17.  Ist Ihnen die Stellungnahme des – konservativ dominierten! – Deutschen Bundesrats vom 6.3.2009 bekannt, in der dieser gravierende Bedenken zur Vereinbarkeit bestimmter weitreichender Protokollierungen und Auswertungen mit den „hohen verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rechtfertigung von Eingriffen in das Fernmeldegeheimnis und das Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ äußert? Welche Konsequenzen werden Sie daraus in Ihren einschlägigen Vollzugs-Aktivitäten ziehen?

 

18.  Ist Ihnen bekannt, dass der EuGH Anfang Dezember 2008 in einem Urteil die "flächendeckende und unterschiedslose Natur der Befugnisse zur Vorratsspeicherung der Fingerabdrücke, Zellproben und DNA-Profile" Verdächtiger als "unverhältnismäßigen Eingriff" bezeichnet hat, was analog für flächendeckende und unterschiedslose Eingriffe in andere Grundrechte wie bei der Vorratsdatenspeicherung ebenso gelten muss?

 

19.  Werden Sie dem Datenschutz, dem Schutz des Privatlebens gemäß EMRK und der Konformität mit der Österreichischen Bundesverfassung den gebotenen absolut vorrangigen Stellenwert in Ihrer Tätigkeit zu diesem Thema einräumen?