5319/J XXIV. GP

Eingelangt am 11.05.2010
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

 

der Abgeordneten Petra Bayr und GenossInnen

an den Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten betreffend

Einhaltung der Grundsätze des Völkerrechts und der UN-Charta im Fall der Westsahara.

Ausgangslage

Seit 1963 befindet sich die Westsahara auf der UN-Liste der Gebiete ohne Selbstregierung und gilt bis heute als letzte Kolonie Afrikas. Bereits 1965 bestätigte die UNO[1] das Selbstbestimmungsrecht des saharauischen Volks, die Anwendung der Antikolonialismus-Deklaration[2]“ und forderte die Befreiung der Westsahara. Die UNO hat sich seit 1965 in mehr als 100 Resolutionen zum Selbstbestimmungsrecht der saharauischen Bevölkerung bekannt. Der Internationale Gerichtshof stellte unmissverständlich fest, dass keine territorialen Gebietsansprüche zwischen Marokko und der Westsahara bestehen und bekräftigte ausdrücklich das Recht der Bevölkerung auf Selbstbestimmung[3]. 1975 wurde die Westsahara von Marokko völkerrechtswidrig besetzt[4]. Marokko wurde vom UN-Sicherheitsrat aufgefordert, sich aus der Westsahara zurückzuziehen[5].

Selbstbestimmungsrecht

Das Selbstbestimmungsrecht der Völker ist unter anderem in den Artikeln 1 und 55 der Satzung der Vereinten Nationen sowie in beiden Artikeln 1 der UN- Menschenrechtspakte 1966[6] verankert. Der Internationale Gerichtshof hat erst 1995 das Selbstbestimmungsrecht der Völker als einen der wesentlichen Grundsätze des gegenwärtigen Völkerrechts bezeichnet[7]. Die UN-Menschenrechtspakte definieren das Selbstbestimmungsrecht der Völker, insbesondere im Kontext der De-Kolonialisierung, im Wesentlichen als das Recht jedes Volkes frei über seinen politischen Status und seine wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung zu entscheiden[8].


Völkerrecht/Selbstbestimmungsrecht vs. Autonomielösung“

In seinen Resolutionen 1871 (2009) und 1920 (2010) hat der UN-Sicherheitsrat bekräftigt,  dass   auch   politische   Lösungen   das  Selbstbestimmungsrecht  der saharauischen Bevölkerung im Einklang mit den Prinzipien der UN-Charta beinhalten müssen[9].

Folgt man dem Text der Wiener Vertragsrechtskonvention wären Vereinbarungen/Verträge, die gegen eine zwingende Norm des allgemeinen Völkerrechts verstoßen, mit Nichtigkeit bedroht[10]. Auch hier scheinen der Gestaltungsfreiheit der Konfliktparteien (sinnvolle) Grenzen gesetzt. Jüngste Vorschläge Marokkos sehen ausschließlich eine sogenannte Autonomielösung“ vor, die kein freies Wahlrecht der saharauischen Bevölkerung zwischen mehreren Optionen beinhaltet. Die Option einer Unabhängigkeit wurde vom marokkanischen Außenminister, Herrn Taieb Fassi Fihri, kürzlich als unmöglich erachtet[11]. Nach den vorliegenden Informationen würde die Genehmigung einer Autonomielösung (und die damit verbundene Annahme die Westsahara wäre ein Teil Marokkos) dazu führen, dass erstmalig in der Geschichte der UNO die Erweiterung eines Staatsgebiets durch militärische Gewalt durch die internationale Staatengemeinschaft gebilligt wird.

Kommunizierte grundsätzliche Haltung

In Ihrer Rede vor der 64. UNO-Generalversammlung[12] haben Sie grundsätzlich folgende Haltung vertreten: Gemeinsam müssen wir eine Welt aufbauen, die sich auf berechenbare und gerechte Regeln stützt, die für alle Mitglieder gelten - groß oder klein, stark oder schwach. Rechtsstaatlichkeit und die Einhaltung der Grundsätze der UNO-Charta sind entscheidend, wenn es darum geht, Konflikte zu vermeiden sowie Stabilität und nachhaltige Entwicklung sicherzustellen."

Die unterzeichneten Abgeordneten stellen daher an den Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten folgende

Anfrage:

1.                   Unterstützt Österreich die Einhaltung der Grundsätze des Völkerrechts, der Satzung der Vereinten Nationen und der UN-Menschenrechtspakte auch im Fall der Westsahara?

2.         Betrachtet  Österreich  Lösungsvorschläge,  die  ein  freies Wahlrecht  der saharauischen      Bevölkerung      ausschließen,     als    mit    dem Selbstbestimmungsrecht  der Völker  im  Kontext  der  De-Kolonialisierung vereinbar?

3.     Würde Österreich  einen Lösungsvorschlag unterstützen, der die Grundsätze des  Völkerrechts und/oder das Selbstbestimmungsrecht des saharauischen Volkes verletzt?


4.     Würde Österreich eine Lösung die die Grundsätze des Völkerrechts und/oder das   Selbstbestimmungsrecht  des   saharauischen  Volkes  verletzt,  als nachhaltig konfliktlösend einschätzen?

5.     Würde Österreich eine Lösung die die Grundsätze des Völkerrechts und/oder das   Selbstbestimmungsrecht  des  saharauischen   Volkes   verletzt, als völkervertragsrechtlich zulässig erachten?

6.     Würde Österreich die Erweiterung eines Staatsgebietes durch militärische Gewalt ohne Zustimmung der betroffenen Bevölkerung unterstützen?

7.     Sind bei Billigung einer Staatserweiterung durch militärische Gewalt und/oder Entscheidungen die gegen  die   Grundsätze  des  Völkerrechts  verstoßen negative Folgewirkungen auf andere Konflikte auszuschließen?



[1] Resolution der UN-GV 2072 (XX), 16.12.1965.

[2] Resolution der UN-GV 1514 (X), 14.12.1960.

[3] Western Sahara, Advisory Opinion, IG Reports 1975, p.12, para 162.

[4] vgl. beispielsw. die Bezeichnung continued occupation" in der Resolution der GV der UNO 34/37, 21.11.1979.

[5] Resolution des UN-SR 380 (1975), 6.11.1975.

[6] Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, 16.12.1966 (UN-Menschenrechtspakt I") und Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte, 16.12.1966 (UN-Menschenrechtspakt II").

[7] Ost-Timor-Fall, Urteil des IGH, 30.6.1995, Quelle: ICJ Reports 1995, 102.

[8] Artikel 1 der UN-Menschenrechtspakte I und II.

[9] Resolution des UN-SR 1871 (2009), 30.04.2009, para 4; Resolution des UN-SR 1920 (2010), 30.04.2010, para 4.

[10] Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge, 23.5.1969 (Wiener Vertragsrechtskonvention"), Art. 53.

[11] www.derstandard.at/1269045503374/Marokkos-Aussenminister-Westsahara-Unabhängigkeit-unmöglich.

[12] www.bmeia.gv.at/aussenministerium/aktuelles/reden-und-interviews/2009/rede-von-aussenminister- michael- spindeleeeer-vor-der-64-uno-generalversammlune.html.