8383/J XXIV. GP
Eingelangt am 29.04.2011
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ANFRAGE
der Abgeordneten Dr. Walser, Freundinnen und Freunde
an die Bundesministerin für Inneres, Mag. Johanna Mikl-Leitner
betreffend Staatsbürgerschaftsprüfung
Am 19.1.2010 haben die unterfertigten Abgeordneten eine parlamentarische Anfrage betreffend die Lernunterlage des Bundes zur Staatsbürgerschaftsprüfung gestellt. In der Anfrage wurden zahlreiche fragwürdige Ansätze und fehlerhafte Passagen im Teil zur Geschichte Österreichs aus der Lernunterlage aufgezählt, worauf das BM.I. die Lernunterlage von seiner Homepage zurückgezogen hat.
In der Beantwortung der Anfrage durch Frau BM Dr. Fekter (4216/AB XXIV. GP, eingelangt am 19.3.2010) wurde angeführt, dass „ [d]as Skriptum (...) derzeit überarbeitet und (...) demnächst auf der Homepage meines Ressorts wieder überarbeitet zur Verfügung stehen [wird].
(http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/AB/AB_04216/fnameorig_182035.html)
Im Februar 2010 wurden von ExpertInnen der Universitäten Graz, Wien und Klagenfurt weitere Gutachten angefertigt, die die inhaltliche Qualität, den didaktischen Ansatz und das sprachliche Niveau der Lernunterlage und des Tests massiv infrage stellen. So listete der Politikwissenschafter Univ.-Prof. Dr. Helmut Kramer auch im Teil zur demokratischen Grundordnung Österreichs schwerwiegende inhaltliche Fehler auf. Und, so Kramer, es zeige sich ein auf formale und juristische Aspekte reduziertes Politik- und Demokratieverständnis, das keinen Bezug zur Lebenswirklichkeit der KandidatInnen herzustellen und den Prozess der Erlangung einer Befähigung zur Teilnahme am gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben positiv zu unterstützen vermag . Wichtige Aspekte der Realverfassung des österreichischen politischen Systems, die Parteien und die Sozialpartnerschaft werden völlig ausgeklammert. Die Lernunterlage stehe „unter jedem vertretbaren Niveau einer wissenschaftlich fundierten und didaktisch sinnvollen Politischen Bildung.“ (http://www.oedaf.at/content/site/oedaf/stellungnahmen/index.html)
Die wissenschaftliche Leiterin des Österreichischen Sprachdiplom Deutsch (ÖSD), Dr. Manuela Glaboniat, stellte fest, dass das Skriptum auch in sprachlicher Hinsicht eine Überforderung für StaatsbürgerschaftswerberInnen darstellt.
Viele Passagen enthalten „sowohl Wörter und Wendungen als auch grammatische Strukturen, die weit über dem Niveau A2 (...) liegen und teilweise sogar (...) bis in die Niveaustufe C2 (die höchste Niveaustufe des GER [Gemeinsamer Europäischer Referenzrahmen für Sprachen, Anm. d. AutorIn], oft definiert als „beinahe muttersprachig“!) reichen.“ (http://www.oedaf.at/content/site/oedaf/stellungnahmen/index.html)
Diese Gutachten wurden in einer Stellungnahme des Österreichischen Verbandes für Deutsch als Fremdsprache/Zweitsprache dem BM.I. zur Kenntnis gebracht (8.2.2010). Mit März 2011 ist nun nach 13 Monaten eine überarbeitete Neuauflage der Lernunterlage online gestellt worden. Die 2010 angemerkten Defizite und Mängel, was den inhaltlichen und didaktischen Ansatz und das sprachliche Niveau betrifft, sind bei der Überarbeitung völlig unberücksichtigt geblieben, der Teil zur demokratischen Grundordnung Österreichs weist zudem nach wie vor inhaltliche Fehler auf.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
ANFRAGE:
1. In der o.g.
Anfragebeantwortung schreibt Frau BM. Dr. Fekter: „An
eine Adaptierung der Lernunterlage mit dem Fokus auf die
Integrationsförderung ist derzeit nicht gedacht, jedoch wird die
Lernunterlage unter anderen Gesichtspunkten derzeit einer Evaluierung und
Überarbeitung unterzogen.“ Unter welchen Gesichtspunkten wurde die
Lernunterlage evaluiert? Wer hat die Evaluierung durchgeführt und was sind
deren Resultate?
2. Wurden diesmal für die Überarbeitung ExpertInnen hinzugezogen?
a) Falls nein, weshalb nicht?
b) Falls ja, wer sind die ExpertInnen, wobei wir
um eine konkretere Nennung ersuchen, als es in der Lernunterlage der Fall ist:
- Experten aus dem Bereich der Bundesländer: Welcher
Bereich ist hier gemeint?
- Experten aus Lehre und Forschung: von welchen Institutionen/Universitätsinstituten?
- Historiker und Erwachsenenbildner: von welchen Institutionen/Universitätsinstituten?
- Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung: von welcher Abteilung?
- Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur: von welcher Abteilung?
- Bundesministerium für Inneres: von welcher Abteilung?
3. Wurden und werden die dem BM.I. übermittelten Gutachten der oben genannten ExpertInnen (Univ.Prof. Dr. Helmut Kramer, Dr. Manuela Glaboniat, Österreichischer Verband Deutsch als Fremdsprache/Zweitsprache) bei der Überarbeitung berücksichtigt?
a) Falls nein, weshalb nicht?
b) Falls ja, welche konkreten Ergebnisse resultieren daraus?
4. Frau BM Fekter schreibt, dass an „eine Adaptierung der Lernunterlage mit dem Fokus auf die Integrationsförderung derzeit nicht gedacht“ ist. Gleichzeitig wird in der Lernunterlage argumentiert, dass „der Erwerb der österreichischen Staatsbürgerschaft das Endprodukt einer erfolgreichen Integration“ (Lernunterlage, S. 2) sei.
Welche Ziele
verfolgt das BM.I. mit Lernunterlage und Test? Wo liegt der Fokus, wenn nicht
auf Integrationsförderung?
5. Können
Sie ExpertInnen nennen, die die Sinnhaftigkeit dieses
Staatsbürgerschaftstests in der derzeitigen Form ganz oder wenigstens in
Teilen bestätigen?
a) Falls nein, welche Schlüsse ziehen Sie daraus?
b) Falls ja, welche ExpertInnen aus welchen Institutionen
sind das konkret?
6. Können
Sie – etwa durch eine Evaluierung der
Staatsbürgerschaftsprüfung – AbsolventInnen der
Staatsbürgerschaftsprüfung nennen, die das in der Einleitung zur
Lernunterlage genannte Ziel, „dass vieles davon (...) in Zukunft nützlich
sein wird“ (Lernunterlage S. 2), bestätigen und nachweisen
können, dass sie dieses Ziel wenigstens teilweise erreicht haben?
a) Falls nein, warum nicht?
b)
Falls ja, welche sind das konkret?
7. In der Website des Landes Tirol findet sich folgende Formulierung:
„Die
Unterlagen des Bundes werden auf Grund einer Dienstanweisung des
Bundesministeriums für Inneres den Prüflingen nur in Papierformat
übergeben.“ (http://www.tirol.gv.at/themen/gesellschaft-und-soziales/staatsbuergerschaft/antworten-verleihung/geschichtskenntnisse/)
Ist es korrekt, dass die oben zitierte Dienstanweisung gegeben wurde?
Falls ja, was ist die Begründung dafür, dass die
Lernunterlage nicht mehr allgemein zugänglich sein soll?
8. Wenn die Kenntnisse des in der Lernunterlage abgebildeten Wissenskanons als grundlegend für den Erwerb der Staatsbürgerschaft angesehen werden, wie ist es dann zu rechtfertigen, dass diese Gebiete betreffen, in denen alle vom Innenministerium hinzugezogenen ExpertInnen nur bruchstückhaft Expertise vorweisen können, und dass sich auch noch in der 8. Auflage der Lernunterlage zahlreiche Fehler finden, obwohl es darauf mehrere Hinweise seitens der ExpertInnen (siehe oben) gegeben hat?
9.
a) Welchen konkreten Nutzen haben StaatsbürgerschaftswerberInnen, wenn sich nun in der überarbeiteten Auflage Passagen wie diese (aus Wikipedia übernommen!) finden?: „ Der Begriff „Ehrenmord“ bezeichnet die vorsätzliche Tötung bzw. Ermordung eines meist - aber nicht zwingend - weiblichen Mitglieds der Familie des Täters zur Abwendung einer ihm oder seiner Familie drohenden oder bereits zugefügten (vermeintlichen) gesellschaftlichen Herabsetzung durch Verletzung geschlechtsbezogener Verhaltensregeln.“ (S. 34)
b) Wie viele Ehrenmorde sind in Österreich passiert, sodass das BM.I. die Definition des Ehrenmordes und auch eine Frage dazu („Ist der "Ehrenmord" in Österreich verboten und strafbar?“) in den zu erlernenden Wissenskanon aufnimmt?
10. Der
ehemalige Leiter der Abt. Staatsbürgerschaftswesen in Ihrem Ressort, Mag.
Johann Bezdeka, räumte in Interviews mit Medien Fehler in der
Lernunterlage ein und meinte in einem Fernsehinterview (Hohes Haus, 17.1.2010),
dass man „gescheiter“ würde. Wurden aus diesem
Eingeständnis konkrete Konsequenzen gezogen?
a) Falls nein, warum nicht?
b) Falls ja, welche Konsequenzen sind das konkret?