9186/J XXIV. GP

Eingelangt am 11.07.2011
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ANFRAGE

 

 

des Abgeordneten Grünewald, Freundinnen und Freunde

 

an den Bundesminister für Gesundheit

 

betreffend Anerkennung von „Umweltkrankheiten[1]“  wie Multiple Chemikalien Sensibilität (MCS) oder Chronisches Erschöpfungssyndrom (CFS),  als eigenständige Erkrankung

 

"MCS, Erkrankung des 21. Jahrhunderts?"[2]

Laut MCS Initiative Austria[3] sind  weltweit fast 25% aller Krankheiten (davon knapp 10% MCS-Erkrankte) durch Umweltbedingungen verursacht. Vielen ist das nicht bekannt, selbst ein Großteil der ÄrztInnen hat kaum jemals von dieser Erkrankung gehört.

Seit Langem wird diskutiert, ob es sich bei der MCS um eine erworbene chronische Erkrankung handelt, die im Zusammenhang mit umweltbedingter Chemikalienbelastung entsteht. Dabei können nicht nur einmalige hohe Konzentrationen - wie etwa bei Chemieunfällen - zur Ausbildung der Krankheit führen, sondern auch bereits kleine Dosen, die über lange Zeiträume kontinuierlich wirken. Als klassische Beispiele gelten Wohnraumgifte wie Formaldehyd in Spanplatten, Lösungsmittel in Klebern und bestimmte Inhaltstoffe in Holzschutzmitteln, aber auch Zigarettenrauch oder Bestandteile von Nahrungsmitteln. Berufsgruppen, die über lange Zeiträume mit Chemikalien in Kontakt kommen, wie beispielsweise Laborpersonal oder Druckereiarbeiter, können ebenfalls gehäuft Symptome zeigen. Durch die erhöhte individuelle Empfindlichkeit auf diese Substanzen können Symptome in mehreren Organsystemen verursacht werden.

Von diesen PatientInnen werden, trotz meist normaler Laborbefunde, häufig extreme Kopfschmerzen, tränende Augen, Hautausschläge, schwere Asthma- oder asthmaähnliche Anfälle, Erschöpfungszustände, u.v.m, als Symptome genannt. Laut ExpertInnen dürften in Österreich bereits mehrere tausend Menschen von dieser in Europa noch verhältnismäßig unerforschten Krankheit betroffen sein[4]. Das Umweltministerium hat daher im November 2002 erstmals ein ExpertInnenforum zum Erfahrungsaustausch einberufen, um mögliche Maßnahmen und Strategien gegen die MCS zu beraten. Ziel der Veranstaltung war es, die unterschiedlichen Standpunkte zusammen zu führen, um dann in weiterführenden Fachdialogen zu einer gemeinsamen Vorgangsweise zu kommen. Im Gesundheitsministerium wird hingegen die Auffassung vertreten, es handle sich hier möglicherweise um eine psychische Erkrankung. Dass bei jahrelangen Leiden und mangelnden guten  therapeutischen Optionen auch psychische Symptome auftreten können, wäre allerdings verständlich, löst aber nur ein „Henne- Ei“ Problem aus.

MCS lässt viele Fragen offen, wie im auch „Forum Gesundheit“ der Österreichischen Sozialversicherung[5] nachzulesen ist: Die Krankheit ist in Österreich als eigenständige Erkrankung nicht anerkannt, wohl auch deswegen, weil ihre meist unspezifischen Symptome vielen Krankheitsbildern zugeordnet werden können. Der Internist und Arbeitsmediziner Universitätsprofessor Dr. Christian Wolf, Mitarbeiter der Arbeitsmedizinischen Ambulanzen an der Medizinischen Universität Wien, sagt[6]: „Aufgrund der unspezifischen Symptome ist die Diagnosestellung meist sehr schwierig. Sie erfolgt vorwiegend über den Ausschluss anderer Erkrankungen.“  Nicht nur die Diagnose, auch die Therapie der MCS erweise sich als schwierig: „Es gibt keine Therapie mit Medikamenten. Derzeit stehen nur alternativ-medizinische Verfahren wie Elektroakupunktur oder Bioresonanz zur Verfügung.“

 

Die Krankenkassen zahlen diese Therapien allerdings nicht.


In Amerika wird der Krankheit ein deutlich höherer Aufmerksamkeitsgrad entgegengebracht als in Europa – wohl auch deshalb, weil Zehntausende von Veteranen des letzten Irak-Kriegs schwere MCS-artige Symptome zeigen. Europaweit ist MCS dagegen ein in weiten Kreisen unbekanntes Krankheitsbild. EU-weit sind derzeit allerdings geschätzte 50.000 bis 60.000 verschiedene Chemikalien in unterschiedlichsten Anwendungen am Markt. Bei vielen dieser Verbindungen ist deren langfristige Wirkung auf den menschlichen Organismus unzureichend erforscht und dokumentiert.

Noch gibt es keine befriedigende wissenschaftliche Erklärung für die MCS. Neuere  molekularbiologische und biochemische Forschungen könnten allenfalls eine naturwissenschaftliche, biologische Erklärung des Krankheitsbildes bieten: Die sogenannten TRP-Kanäle[7] (englisch transient receptor potential channels), eine Familie von zellulären Ionenkanälen, wird derzeit von einzelnen ForscherInnengruppen (auch in Österreich) auf ihre Rolle bei der Entstehung von  MCS untersucht.

Ähnlich schwierig ist die Situation von PatientInnen, die am Chronischen Erschöpfungssyndrom[8] (CFS – Chronic fatigue syndrome) leiden. Diese Erkrankung ist durch eine lähmende geistige und körperliche Erschöpfung sowie durch eine spezifische Kombination weiterer Symptome charakterisiert. Dazu gehören neben der Erschöpfbarkeit unter anderem Kopf-, Hals-, Gelenk- und Muskelschmerzen, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, nicht erholsamer Schlaf, Empfindlichkeiten der Lymphknoten sowie eine anhaltende Verschlechterung des Zustands nach Anstrengungen. Auch hier sind die genauen Ursachen und Krankheitsmechanismen noch nicht geklärt. Als mögliche Ursachen werden von auf diesem Gebiet Forschenden eine Schwächung bzw. chronische Aktivierung des Immunsystems angenommen, neuere Forschungen stufen CFS als neuroimmunologische Regulationsstörung ein.

Da viele der Betroffenen lange und frustrierende Leidenswege hinter sich haben, wurde auch der Bürgeranwalt des ORF[9] eingeschaltet. Dabei forderte auch Volksanwalt Kostelka, dass diese Krankheit endlich auch von der Pensionsversicherung anerkannt wird und Betroffenen nach Prüfung der einzelnen Fälle auch eine unbefristete Berufsunfähigkeitspension zuerkannt werden kann.

 

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

 

ANFRAGE:

 

  1.  Welche Rolle spielen MCS und CFS in Österreich und in der gegenwärtigen Gesundheitspolitik? Sind MCS und CFS PatientInnen (schwer) erkrankt oder gelten sie als "Hypochonder"?

 

  1.  Sollten hier Lebens-und Gesundheitsministerium nicht zusammen arbeiten und versuchen, gemeinsam zu patientInnengerechteren Schlüssen zu kommen?

 

  1.  Ist daran gedacht MCS bzw. CFS als eigenes Krankheitsbild anzuerkennen? Wird MCS bzw. CFS in absehbarer Zeit als Berufskrankheit anerkannt werden? Wenn ja, bis wann? Wenn nein, warum nicht?

 

  1.  In wie fern wird die medizinische und psychotherapeutische Versorgung von MCS und CFS PatientInnen  bzw. anderen „umwelterkrankten“ Personen, finanziell unterstützt?

 

  1. Gibt es Informationen über die Zahl der betroffenen Menschen (MCS, CFS) in Österreich? Wenn ja, bitte um Aufschlüsselung nach politischen Bezirken. Wenn nein, warum nicht?

 

  1. Werden Studien/Forschungsprojekte über MCS bzw. CFS  oder  andere „Umweltkrankheiten“ SBS (Sick Building Syndrome) von Ihrem Ressort in Auftrag gegeben und/oder finanziell unterstützt? Wenn ja, welche? Wenn nein, warum nicht?
  2.  Dem Obersten Sanitätsrat obliegt insbesondere die Bewertung medizinischer Fragestellungen, inwieweit sie dem 'Stand der medizinischen Wissenschaft' entsprechen. Planen Sie, hier eine Arbeitsgruppe einzurichten, die sich mit „Umweltkrankheiten“, speziell MCS und CFS, befasst? Wenn ja, bis wann ist mit einem ersten Ergebnis zu rechnen? Wenn nein, warum nicht?

 

  1. In welchen EU-Ländern ist MCS als eigenes Krankheitsbild anerkannt? In welchen EU-Ländern ist CFS als eigenes Krankheitsbild anerkannt?  Mit welcher Begründung ist es bei uns nicht so?

 

  1. Gibt es neben (meist privat organisierten) Selbsthilfegruppen Anlaufstellen für MCS und andere „Umweltkrankheiten“? An wen können sich Betroffene und/oder Interessierte in Ihrem Ressort wenden? Gibt es Anlaufstellen für MCS/CFS-Betroffene in allen Bundesländern? Bitte um Auflistung.

 

  1.  Gibt es entsprechende Leitlinien für die ärztliche Gutachtertätigkeit? Wenn ja, wo sind diese zu finden? Wenn nein, warum nicht?  

 

  1.  Wird es Informationen und Schulungen der ÄrztInnenschaft geben, damit diese sgn. „Umweltkrankheiten“ erkennen können, es dadurch auch zu einem Beenden der Diskriminierung von Betroffenen kommt? Wenn ja, bis wann sollen diese Informationen weiter gegeben sein? Falls nein: Warum nicht?

 

  1. In einer von uns gestellten parlamentarischen Anfrage aus dem Jahr 2006 wurde von einer Ihrer VorgängerInnen die folgende Antwort gegeben (4627/AB XXII. GP): „…ist die Ursache von CFS nicht bekannt. Es ist somit weder eine Prävention, noch eine ursächliche Therapie der Erkrankung möglich. Es gibt daher keine ausreichende Basis, auf die sich öffentliche Aufklärungsmaßnahmen stützen könnten. Allfällige Aktivitäten würden deshalb eher zu einer Verunsicherung von Personen, die eine oder mehrere der sehr unspezifischen Beschwerden aufweisen, führen.“  Wie stehen Sie zu dieser Aussage?

 

  1. Wird in Krankenhäusern nach Ihrem Wissen auf die Bedürfnisse von MCS/CFS- PatientInnen Rücksicht genommen (z.B. duftstofffreie Bettwäsche, duftstofffreie Räume und Putzmittel)?

 



[1] Krankheiten, die durch krankmachende Umwelteinflüsse entstehen (Chemikalien und andere Umweltgifte, Feinstaub, Lärm, u.v.m)

 

[2] http://www.mcs-info.at/MCS-Fakten/mcs-informationen.html

 

[3] http://www.mcs-info.at/

 

[4] 14.11.2002, http://presse.lebensministerium.at/article/articleview/23340/1/6662/

 

[5] www.forumgesundheit.at

 

[6]http://www.forumgesundheit.at/portal27/portal/forumgesundheitportal/channel_content/cmsWindow?p_tabid=4&p_menuid=63347&action=2&p_pubid=643401

 

[7] http://de.wikipedia.org/wiki/TRP-Kanäle

 

[8] http://de.wikipedia.org/wiki/Chronisches_Erschöpfungssyndrom

 

[9] http://presse.ORF.at, OTS0067 5 KI 0226 NRF0006 Fr, 18.Apr 2008, Bürgeranwalt vom 19.4.2008