96/SBI XXIV. GP

Eingebracht am 26.03.2013
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Stellungnahme zu Bürgerinitiative

 

 

Betr.:     Bürgerinitiative Nr. 61 vom 27. Februar 2013 betreffend Absenkung des Mindestalters von 21 Jahren auf 18 Jahre bei der Familienzusammenführung von EhegattInnen und eingetragenen PartnerInnen unter Beteiligung von Drittstaatsangehörigen

Sehr geehrte Frau Vorsitzende!

Die Volksanwaltschaft bestätigt den Erhalt der Bürgerinitiative Nr. 61 betreffend „Absenkung des Mindestalters von 21 Jahren auf 18 Jahre bei der Familienzusammenführung von EhegattInnen und eingetragenen PartnerInnen unter Beteiligung von Drittstaatsangehörigen“.

Die Volksanwaltschaft hat die Problematik bereits in ihrem 34. Bericht an den Nationalrat und Bundesrat über das Jahr 2010 (S. 90) aufgegriffen.


Die mit 1. Jänner 2010 in Kraft getretene Änderung des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), mit der das Alterslimit für Familienzusammenführungen unter Ehepaaren auf 21 Jahre angehoben wurde, führte damals zu mehreren Anfragen bzw. Beschwerden. Laut RV zum FRÄG 2009 soll das Alterslimit von 21 Jahren  ̶  statt wie bisher 18 Jahren  ̶  im Einklang mit Art. 4 Abs. 5


der Familienzusammenführungsrichtlinie 2003/86/EG als verstärkte Schutzmaßnahme vor arran­gierten (Kinder)Ehen und Zwangsehen dienen. Die Richtlinie lässt allerdings einen Spielraum für die Mitgliedsstaaten dahingehend offen, ob Art. 4 Abs. 5 überhaupt umgesetzt bzw. welche Al­tersgrenze festgesetzt wird. Der österreichische Gesetzgeber hat das in der Richtlinie vorgesehe­ne Maximum von 21 Jahren ausgeschöpft.

Die Volksanwaltschaft hielt in ihrem Bericht fest, dass diese Regelung Härten mit sich bringt und bei Betroffenen auf Unverständnis stößt. Begründet von Seiten der Gesetzgebung wurde und wird diese Maßnahme mit der Verhinderung von Zwangsehen. Die Volksanwaltschaft möchte sich die­sem Argument keineswegs verschließen, da insbesondere Frauen aus bestimmten Kulturkreisen durch arrangierte Ehen schon im Kinder- oder Jugendalter unter Druck der Familie die Selbstbe­stimmung genommen oder erheblich erschwert wird.

Relativiert wurde die Regelung allerdings durch die Rechtsprechung des EuGH im Fall Dereci (C- 256/11 vom 15. November 2011) und in der Folge des VwGH. Dementsprechend gelten für in Erwerbsabsicht zuwandernde türkische Staatsangehörige gewisse Voraussetzungen des NAG nicht, da es sich um Verschärfungen der Zuwanderungserfordernisse seit dem EU-Beitritt Öster­reichs mit 1. Jänner 1995 handelt, so auch die Altersgrenze von 21 Jahren für Familienzusam­menführungen. Der Volksanwaltschaft ist aus Prüfungsverfahren bekannt, dass türkische Staats­angehörige vor dieser Entscheidung des EuGH in mehreren Fällen ihre Geburtsdaten sogar ge­richtlich ändern ließen, um die Altersgrenze zu umgehen. Für diese Personengruppe sind derarti­ge Handlungen zwar nicht mehr erforderlich, für Angehörige anderer Drittstaaten gilt die Alters­grenze aber nach wie vor.

Wie die Volksanwaltschaft in ihrem 35. Bericht an den Nationalrat und Bundesrat über das Jahr 2011 (S. 145 f.) festhielt, stellte sowohl der VfGH (B 711/10) als auch der VwGH (2010/22/0087) fest, dass die Regelung mit der Familienzusammenführungsrichtlinie in Einklang steht und nicht unsachlich ist. Eine Verfassungswidrigkeit wurde somit nicht festgestellt.

Zu hinterfragen ist aber aus rechtspolitischen Überlegungen doch, ob die Regelung auch den an­gestrebten Zweck, nämlich arrangierte (Kinder)Ehen oder Zwangsehen durch diese Altersgrenze zu verhindern oder zu minimieren, erfüllen kann. Menschen mit 18 Jahren muss grundsätzlich die volle Entscheidungsfähigkeit über ihre Lebensplanung zugebilligt werden.  Auch ist zu akzeptie­ren, dass in anderen Kulturkreisen Ehen in jüngerem Alter geschlossen und Familien gegründet werden. In den dargelegten Fällen türkischer Staatsangehöriger führte die Regelung sogar dazu, dass aufwändige Umgehungshandlungen von den Betroffenen selbst gesetzt wurden, um früher eine Familienzusammenführung zu erreichen.

 

Die Vorsitzende:

Volksanwältin Mag.a Terezija Stoisits  e.h.