174/SPET XXIV. GP

Eingebracht am 11.01.2012
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Stellungnahme zu Petition

 

 

Präsidentin des Nationalrates

Mag. Barbara PRAMMER

Parlament

1017 Wien

 

 

                                                                                            Wien, am 9. Jänner 2012

 

                                                                                            Geschäftszahl:

                                                                          BMWFJ-10.107/0030-IK/1a/2011

 

 

Sehr geehrte Frau Präsidentin!

 

 

 

In der Beilage übermittle ich Ihnen die Stellungnahme meines Hauses zur
Petition Nr. 125 betreffend "110-kV ade!" mit dem höflichen Ersuchen um entsprechende weitere Veranlassung.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

 

 

 

 

 

Beilage


 

 

 

 

Stellungnahme des Bundesministeriums für
Wirtschaft, Familie und Jugend

 

 

Zu Punkt 1:

 

Das Starkstromwegegesetz (StWG), das Starkstromwegegrundsatzgesetz (StWGG) und die auf dessen Grundlage erlassenen Starkstromwegegesetze der Länder schreiben nicht vor, dass elektrische Leitungsanlagen nur als Freileitungen errichtet werden dürfen. Vielmehr stellt das geltende Starkstromwegerecht auf die "elektrische Leitungsanlage" ab, welcher Begriff sowohl Freileitungen als auch Erdkabel umfasst. Es steht daher jedem Antragsteller offen, eine dieser beiden Ausführungsvarianten zum Bewilligungsverfahren einzureichen.

 

Welche Ausführungsvariante zu bevorzugen ist, muss im jeweiligen Einzelfall beurteilt werden, wobei Aspekte der Netzsicherheit, der Netzkonfiguration, der Leitungsverfügbarkeit und natürlich auch der absehbaren Projektauswirkungen einschließlich der zu erwartenden Einschränkung der sonstigen Grundstücksnutzung in die Betrachtung einfließen müssen. Allgemeine gesetzliche Festlegungen, wann jedenfalls eine bestimmte Ausführungsform eingesetzt werden muss, sind aufgrund der Vielschichtigkeit der im Einzelfall für eine zutreffende Entscheidung anzustellenden Überlegungen nicht sinnvoll.

 

Die Frage, welche Mehrkosten durch eine Verkabelung auftreten würden, kann nicht allgemein beantwortet werden, da die tatsächlichen Kosten von einer Vielzahl von Faktoren (etwa Spannungsebene, Anzahl der eingesetzten Systeme, Topografie, Netzkonfiguration, Art und Umfang der erforderlichen Nebenanlagen) abhängen.


Mehrkosten durch Verkabelungen werden im Endeffekt nicht von den Netzbetreibern, sondern von der Gemeinschaft der Stromkonsumenten getragen. Es wäre äußerst problematisch, die Allgemeinheit ohne Einzelfallprüfung mit den Kosten für eine generelle Verkabelungspflicht "bis zum 2,75-fachen der Freileitungskosten" zu belasten.

 

Die Kabeltechnik ist in etlichen Bereichen (z.B. Niederspannungsleitungen in der Flächenversorgung) fast schon Standard, in anderen Bereichen (bis 110 kV, Seekabel) technisch hinreichend erprobt, im Überland-Höchstspannungsbereich (220 kV und 380 kV) aber noch nicht weit verbreitet. Hinreichende Langzeiterfahrungen mit langen Überland-Höchstspannungskabeln fehlen bisher zur Gänze. Es kann folglich auch noch nicht zuverlässig beurteilt werden, ob lange Verkabelungen etwa im Österreichischen Übertragungsnetz die an sie gestellten Anforderungen erfüllen könnten. Derzeit laufen in Deutschland mehrere Verkabelungs-Pilotprojekte im Höchstspannungsbereich. Die dabei gewonnenen Erfahrungen werden zweifellos auch für mögliche österreichische Anwendungsfälle wertvolle Erkenntnisse liefern.

 

Das starkstromwegerechtliche Bewilligungsverfahren sieht eine umfassende Abstimmung des jeweils eingereichten Projekts mit allen betroffenen öffentlichen Interessen vor. So erfolgt etwa gemäß § 7 StWG eine Abstimmung mit den bereits vorhandenen oder bewilligten anderen Energieversorgungseinrichtungen und mit den Erfordernissen der Landeskultur, des Forstwesens, der Wildbach- und Lawinenverbauung, der Raumplanung, des Natur- und Denkmalschutzes, der Wasserwirtschaft und des Wasserrechtes, des öffentlichen Verkehrs, der sonstigen öffentlichen Versorgung, der Landesverteidigung, der Sicherheit des Luftraumes und des Dienstnehmerschutzes. Ebenso berücksichtigt es die berechtigten Interessen der betroffenen Bevölkerung, insbesondere Leben, Gesundheit oder Eigentum, vollumfänglich. Im Zusammenwirken mit den sonst auf eine elektrische Leitungsanlage anzuwendenden Materiengesetzen besteht nach geltender Rechtslage ein Prüfungsrahmen, der allen Aspekten des jeweiligen Projekts Rechnung trägt.


Es zählt zum Wesen von Mehrparteienverfahren, dass unterschiedlichste Interessen aufeinandertreffen. Aufgabe der jeweiligen Bewilligungsbehörde ist es, die konkret zwischen den verschiedenen betroffenen Interessen auftretenden Konflikte sorgfältig zu bewerten und entsprechend den durch die Rechtsordnung vorgegebenen Kriterien zu lösen. Das Starkstromwegerecht des Bundes stellt diesbezüglich im Zusammenhalt mit den anderen auf elektrische Leitungsanlagen anzuwendenden Gesetzesmaterien klare Kriterien auf, die sich bewährt haben und auch in Zukunft einen geeigneten Rahmen bilden, um der Allgemeinheit eine leistungsfähige, zuverlässige Elektrizitäts-Infrastruktur zur Verfügung zu stellen und gleichzeitig unvertretbare nachteilige Auswirkungen zu vermeiden.

 

Ein Bedarf für eine "Neufassung des Starkstromwegegesetzes" besteht daher nicht.

 

Die Netzbetreiber sind zur Errichtung und Erhaltung einer für die inländische Elektrizitätsversorgung oder für die Erfüllung völkerrechtlicher Verpflichtungen ausreichenden Netzinfrastruktur verpflichtet, um der österreichischen Bevölkerung und Wirtschaft kostengünstige Elektrizität in hoher Qualität zur Verfügung zu stellen (§§ 4, 5 ElWOG 2010). Zudem sieht das ElWOG 2010 in §§ 37 ff vor, dass die Übertragungsnetzbetreiber der Regulierungsbehörde jedes Jahr einen zehnjährigen Netzentwicklungsplan für das Übertragungsnetz zur Genehmigung vorlegen, der sich auf die aktuelle Lage und die Prognosen im Bereich von Angebot und Nachfrage stützt.

 

Zu Punkt 2:

 

Wurden alle für ein konkretes Projekt erforderlichen Bewilligungen erteilt, hat der Bewilligungsinhaber einen Rechtsanspruch auf Bewilligungsausübung. Zudem verbietet es das geltende Aktienrecht dem (Mit-)Eigentümer, auf konkrete Unternehmensentscheidungen Einfluss zu nehmen.


Zu Punkt 3:

 

Wenn alle gesetzlich vorgesehenen Genehmigungsvoraussetzungen für ein konkretes Projekt erfüllt sind, besteht ein Rechtsanspruch auf Bewilligung. Die Behörde hat im Verfahren Beweise aufzunehmen und zu prüfen, ob ihr diese Beweise die erforderliche Überzeugung vom Vorliegen oder Nichtvorliegen des maßgeblichen Sachverhalts vermitteln. Die Behörde hat gemäß § 45 Abs. 2 AVG "unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht". Wesen der in Punkt 3 der Petition angesprochenen, durch § 45 AVG normierten "freien Beweiswürdigung" ist es, dass die Behörde an keine festen Beweisregeln gebunden ist. Eine Verpflichtung, den Ermessensspielraum bei der freien Beweiswürdigung immer in einer bestimmten Weise auszuüben, wäre mit den geltenden rechtsstaatlichen Anforderungen nicht vereinbar.

 

Zu Punkt 4:

 

Der Ständige Ausschuss des Europarates forderte in seiner Resolution 1815 (2011) "The potential dangers of electromagnetic fields and their effect on the environment" vom 27.5.2011 eine europaweite Wende in der Mobilfunkpolitik. Die in der Resolution formulierten Forderungen an die Mitgliedstaaten des Europarates beschäftigen sich überwiegend mit dem Hochfrequenzbereich (z.B. Mobilfunk, Mikrowellen), zu einem geringen Teil aber auch mit niedrigfrequenten Feldern, wie sie von Elektrogeräten und elektrischen Leitungen ausgehen.

 

Die die Hochspannungsleitungen betreffenden Forderungen stehen in keinem Widerspruch zu der in Österreich gängigen, der geltenden Rechtslage entsprechenden Praxis, alle erwartbaren Auswirkungen eines konkreten Projekts im Bewilligungsverfahren zu erheben und zu bewerten, wobei, soweit sich nicht etwa aus dem Vorsorgeprinzip des UVP-G 2000 anderes ergibt, jeweils der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis zugrundezulegen ist.


Stellt sich trotz bewilligungsgemäßer Ausführung und bestimmungsgemäßen Betriebs einer Leitung heraus, dass dem Gesundheitsschutz nicht oder nicht mehr im erforderlichen Umfang Rechnung getragen wird, ist die erteilte Bewilligung entsprechend zu ändern.