278/SPET XXIV. GP

Eingebracht am 17.04.2013
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Stellungnahme zu Petition

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

An die

Parlamentsdirektion

Ausschuss für Petitionen und Bürgerinitiativen

 

per Email an:

NR-AUS-PETBI.Stellungnahme@parlament.gv.at

 

 

 

 

 

 

 

GZ: BMASK-10007/0020-I/A/4/2013

 

Wien, 17.04.2013

 

 

 

Betreff:

Stellungnahme des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz zur Petition Nr. 185/PET betreffend mehr Gerechtigkeit bei der Verteilung aller Güter und die Schaffung einer wirklichen "Sozialen Marktwirtschaft"

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

 

Bezug nehmend auf das per Email versendete Schreiben vom 11.03.2013, GZ: 17010.0020/23-L1.3/2013, hinsichtlich der im Betreff näher bezeichneten Petition nimmt das Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz wie folgt Stellung:


Zur Forderung nach einer „Sozialen Marktwirtschaft“:

 

Ein aktiver, gut ausgebauter Wohlfahrtsstaat ist die Grundlage für eine gut funktionierende und nachhaltig wachsende Wirtschaft. Diese wiederum ist die Grundlage für die Aufrechterhaltung und Verbesserung des Lebensstandards der Menschen. Soziale Gerechtigkeit bzw. die gerechte Verteilung von Vermögen sind die wichtigste Voraussetzung für sozialen Frieden und die Sicherung des Gemeinwohls für alle Menschen. Und das muss letztlich das Ziel aller Politikbereiche sein: die Lebensumstände aller Bürgerinnen und Bürger abzusichern und zu verbessern. Wirtschaftswachstum muss nachhaltig sein, d.h. Wachstumsgewinne sollen gleichmäßig auf alle verteilt werden.

 

Um das Ziel eines möglichst hohen Lebensstandards für alle zu erreichen, müssen alle Politikfelder zusammenwirken. Dabei werden immer wieder schwierige Entscheidungen zu treffen sein, wofür die beschränkten öffentlichen Mittel verwendet werden sollen. Einige Dinge sollten aber – insbesondere angesichts der aktuellen Wirtschafts- und Finanzkrise – außer Streit stehen:

o  Die Märkte, insbesondere die Finanzmärkte, dürfen nicht sich selbst überlassen werden, da durch überbordende Spekulationen auch solide Realwirtschaften substanziell gefährdet werden können.

o  In den letzten Jahren kam es vermehrt dazu, dass Gewinne privatisiert- und Verluste sozialisiert wurden. Diesem Trend muss entsprechend entgegen getreten werden.

o  Die Sozialschutzsysteme und die damit verbundenen staatlichen Transferleistungen haben gerade in der Krise wieder ihre große Bedeutung unter Beweis gestellt. Sie haben als automatische Stabilisatoren einen wesentlichen Beitrag zur wirtschaftlichen und sozialen Abfederung der Krise geleistet. Es ist daher unbedingt erforderlich, den Sozialschutz aufrechtzuerhalten, den aktuellen Erfordernissen anzupassen bzw. dort, wo es erforderlich ist, ihn weiter auszubauen.

 

Ein gut organisiertes Sozialsystem ist ein produktiver Faktor. Einige wesentliche Zusammenhänge sind:

o  Staatliche Transferleistungen reduzieren die Armutsgefährdung signifikant und leisten damit einen wesentlichen Beitrag zur Absicherung des sozialen Friedens. Dieser wiederum ist die Grundlage für langfristige Investitionen und nachhaltiges Wachstum.

o  Die Transfers haben außerdem konjunkturstabilisierende Wirkung, da jene Personen, deren Einkommen zu einem großen Teil aus Sozialleistungen besteht, den Großteil ihres Einkommens für Konsumgüter ausgeben.


 

o  Maßnahmen der Bildungs-, Familien-, Gesundheits- und Arbeitsmarktpolitik schaffen die Rahmenbedingungen für die Teilnahme am Arbeitsmarkt und für die Erhöhung der Produktivität.

o  Durch den Ausbau des Sozial-, Gesundheits- und Bildungssystems werden auch direkt Arbeitsplätze geschaffen.

o  Ein umfassendes und inklusives Bildungssystem kann die Vererbung von Armut vermeiden helfen und trägt dazu bei, das Potential aller Menschen besser zu nützen.

 

Diese Überlegungen müssen sowohl auf nationaler als auch auf europäischer Ebene die Grundlage für kommende Politikmaßnahmen und Reformen sein. Die Tatsache, dass durch die Krise nun große öffentliche Schulden und Defizite angehäuft wurden, darf nicht dazu verleiten, den Sparstift bei den Sozialausgaben anzusetzen, die den größten Teil der öffentlichen Ausgaben ausmachen. Es muss deutlich gemacht werden, dass die Sozialausgaben Investitionen in eine nachhaltige, sozial gerechte und wettbewerbsfähige Gesellschaft sind.

 

Weitere Maßnahmen und Reformen sind unbestritten notwendig:

 

1.  Mindesterwerbseinkommen und Beschäftigung sind weiter zu erhöhen

o   Ausreichende Mindesterwerbseinkommen schützen vor Armut und reduzieren so auch die Ausgaben der Sozialsysteme. Es braucht politische Initiativen auf EU-Ebene, die von Österreich unterstützt werden, um angemessene nationale Mindestlöhne in den Mitgliedsstaaten zu etablieren.

o   Schwerpunktsetzung auf Jugendliche: Trotz Spitzenposition in der EU müssen die bereits begonnenen und laufenden Initiativen fortgesetzt werden. Diese sind:

- Projekt „Aktion Zukunft Jugend“, eine Arbeitsplatz- oder Ausbildungsgarantie für Jugendliche zwischen 19 und 24 Jahren;

- Projekt „Ausbildungsgarantie“ (für Jugendliche bis 18 Jahre, die keine Lehrstelle gefunden haben);

- Projekt „Coaching für Lehrlinge und Jugendliche“: Das Jugendcoaching stellt eine präventive Maßnahme dar, durch die Schüler/innen an ein engmaschiges Netz individueller Unterstützungsleistungen und Förderprogramme herangeführt werden sollen, um die Perspektiven am Arbeitsmarkt und die langfristige Laufbahn jedes/r Jugendlichen zu verbessern.

o   Die Beschäftigungsquoten älterer Arbeitnehmer/innen müssen erhöht werden – dies trägt zur Anhebung des faktischen Pensionsantrittsalters ebenso bei wie zur Sicherung des Lebensunterhalts im Ruhestand.


2.  Die Arbeitsbedingungen sind zu verbessern

o   Präventive Maßnahmen für Gesundheit am Arbeitsplatz, nicht nur für ältere Arbeitnehmer/innen, vor dem Grundsatz „Reha vor Pension“ – Weiterführung der Programme „Gesundheitsstraße“ und „Fit2Work“.

 

3.  Weiterer Ausbau der Pflege und Verbesserungen der Situation pflegender Angehöriger und effiziente finanzielle Absicherung der notwendigen Reformen.

 

4.  Damit hängt ein genereller Reformbedarf bei der Finanzierung des Sozialstaates zusammen:

o   In Österreich sind die Lohnnebenkosten, die die Sozialleistungen mehrheitlich finanzieren, sehr hoch; Arbeit wird höher belastet als Vermögen: hier sollte über eine Umschichtung auf steuerliche Finanzierung nachgedacht werden.

o   Dies würde einerseits die Arbeitsmarktchancen für bestimmte Bevölkerungsgruppen erhöhen.

o   Andererseits ist eine solche Finanzierung auch aus einer Gerechtigkeitsperspektive sinnvoller.

 

5.  Geschlechtergerechtigkeit in allen angesprochenen Bereichen erhöhen:

o   Am Arbeitsmarkt – beim Zugang zu männerdominierten Bereichen ebenso wie bei Einkommen.

o   Das heißt auch, dass über Kollektivverträge und höhere Mindestlöhne nachgedacht werden muss.

o   Vereinbarkeit von Familie, Pflege- und Betreuungspflichten und Beruf für Frauen und Männer weiter verbessern.

 

Das Ziel aller Politikbereiche muss es sein, den sozialen Frieden aufrecht zu erhalten und das Klima einer Neid- und Hassgesellschaft hintanzuhalten. Dies funktioniert nur auf Basis einer gerechten Sozial-, Einkommens- und Verteilungspolitik, wofür sich das Bundesministerium für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz weiterhin aktiv einsetzen wird.

 

 

Zur Forderung nach Eindämmung von prekären Arbeitsverhältnissen:

 

Prekäre Beschäftigung ist von der Unsicherheit des Beschäftigungsverhältnisses, geringem Einkommen und Fremdbestimmtheit durch externe Faktoren geprägt. Prekär Beschäftigte werden oft nach Art von Werkvertragnehmer/n/innen nur für einen bestimmten Arbeitserfolg entlohnt, was der tatsächlichen Beschaffenheit des Vertragsverhältnisses mit ihrem/ihrer Auftraggeber/in widerspricht.


Zu den prekären Beschäftigungen werden vor allem geringfügige Beschäftigung, unechte Werkverträge sowie zum Teil freie Dienstverhältnisse gezählt. Als Gemeinsamkeit liegt den prekären Beschäftigungen zugrunde, dass sie zwar im Rahmen der Privatautonomie und der grundsätzlichen Vertragsfreiheit eingegangen werden, dass prekär Beschäftigte jedoch bei Vertragsschluss und -erfüllung der typischen faktisch-wirtschaftlichen Drucksituation ausgesetzt sind, die vom anderen Vertragsteil zum gänzlichen oder teilweisen Verzicht auf den Schutz durch das Arbeitsrecht ausgenützt wird. Insoweit und unter dieser Voraussetzung können zum Teil auch die „atypischen“ Beschäftigungsformen wie Teilzeitbeschäftigung, befristete Beschäftigungsverhältnisse sowie Leih- und Zeitarbeit prekär sein.

 

Quantitativ ist die prekäre Beschäftigung – seit 2004 auf hohem Niveau in Österreich, wenn man die gesamte Teilzeitbeschäftigung und befristete Beschäftigungsverhältnisse einrechnet (26,1% aller unselbständig Beschäftigten im Jahr 2004) – tatsächlich tendenziell im Steigen begriffen, wobei Frauen wesentlich stärker betroffen sind als Männer.

 

Dieser Einschätzung zufolge und insoweit prekäre Beschäftigung als ein Phänomen der Umgehung des Arbeitsrechts anzusehen ist, ist es ein selbstverständliches Anliegen, prekäre Beschäftigung einzudämmen und zugunsten regulärer Beschäftigungsverhältnisse zu verhindern.

 

Als Instrument der Eindämmung von Verträgen, die zu prekärer Beschäftigung führen, hat die arbeitsrechtliche Rechtsprechung die Beurteilung anhand des wahren wirtschaftlichen Gehalts des Vertrags bzw. der gelebten Vertragspraxis entwickelt. Die Anwendung bestimmter Kriterien, welcher Vertragstyp tatsächlich vorliegt, kann im Zuge eines arbeitsgerichtlichen Verfahrens ergeben, dass in Wahrheit kein freier Dienstvertrag oder Werkvertrag vorliegt, sondern ein Arbeitsvertrag.

 

Die öffentliche Hand, die Verwaltung und Gesetzgebung sind bemüht bzw. sollten in Zukunft bemüht sein, prekärer Beschäftigung in ihren verschiedenen und jeweils aktuellen faktischen Auswirkungen zu begegnen.

 

Als Beispiele für solche Bemühungen in der laufenden Legislaturperiode können die Verabschiedung des Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetzes (LSDB-G), BGBl. I Nr. 24/2011, und die jüngste Novelle zum Arbeitskräfteüberlassungsgesetz, BGBl. I Nr. 98/2012, angeführt werden.

 

 

Zur Ablehnung einer Verlängerung der Öffnungszeiten an Sonn- und Feiertagen im Handel:

 

Eingangs ist festzuhalten, dass die legistische Zuständigkeit für das Öffnungszeitengesetz beim Bundesministerium für Wirtschaft, Familie und Jugend liegt.


Nichtsdestotrotz wird eine Ausweitung der Öffnungszeiten an Sonn- und Feiertagen abgelehnt, da damit in aller Regel auch ein Eingriff in den Grundsatz der Wochenend- und Feiertagsruhe von Arbeitnehmer/inne/n verbunden ist. Ein solcher Eingriff wird seitens des Bundesministeriums für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz (und zwar nicht nur im Handel, sondern ganz generell) insbesondere dann abgelehnt, wenn dieser nicht auf einem sachlich gerechtfertigten Grund (wie etwa der Aufrechterhaltung des öffentlichen Verkehrs, der Infrastruktur oder der medizinischen Versorgung) beruht, sondern primär aus wirtschaftlichen Überlegungen erfolgt.

 

In jedem Fall ist aber ein sozialpartnerschaftlicher Konsens unabdingbar.

 

 

Mit freundlichen Grüßen

Für den Bundesminister:

i.V. Alfred Koglbauer

Elektronisch gefertigt.