1565/A XXV. GP

Eingebracht am 24.02.2016
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ANTRAG

der Abgeordneten Birgit Schatz, Eva Glawischnig Piesczek, Freundinnen und Freunde

 

 

betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch, zuletzt geändert durch BGBl. 87/2015, geändert wird (Mindestlohngesetz)

 

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch, zuletzt geändert durch BGBl. 87/2015, geändert wird

 

Der Nationalrat hat beschlossen:

 

Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch, zuletzt geändert durch BGBl. 87/2015, geändert wird

 

 

1. In §1152 wird folgender Satz angefügt:
„Das Entgelt darf € 9,80 für die Arbeitsstunde nicht unterschreiten. §1154 Abs. 1a und 1b gelten entsprechend.“

 

2. In §1154 Abs. 1 wird angefügt:

„Das Entgelt darf € 9,80 für die Arbeitsstunde nicht unterschreiten. Kollektivvertragliche Regelungen, gesetzliche Bestimmungen oder Arbeitsverträge, die ein höheres Entgelt vorsehen, bleiben von dieser Bestimmung unberührt.“

 

3. Nach §1154 Abs.1 werden folgende Absätze eingefügt:

„(1a) Die Höhe des Mindestlohns nach §1154 Abs. 1 verändert sich mit 1. Jänner eines jeden Jahres in jenem Maße, in dem sich der von der Statistik Austria verlautbarte Generalindex des Tariflohnindex im Zeitraum zwischen 1. Juli des der Verlautbarung vorhergehenden Jahres und 30. Juni des Jahres, in dem die Änderung verlautbart wird, verändert hat. Eine Verringerung des Mindestlohns ist nicht möglich.

(1b) Die Anpassung des Mindestlohns für das folgende Jahr gemäß §1154 Abs. 1a ist vom Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz zu ermitteln und bis 30. November eines jeden Jahres durch Verordnung kundzumachen.“


4. In § 1154 werden nach Abs. 3 folgende Abs. 4 bis 7 angefügt:

„(4) Personen, die einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgehen, gebührt unabhängig der Form der unselbständigen Erwerbstätigkeit spätestens am 1. Dezember jeden Jahres eine Weihnachtsremuneration sowie spätestens am 30. Juni jeden Jahres eine Urlaubsbeihilfe in der Höhe von jeweils 100% des jeweils zur Auszahlung gelangenden Lohnes oder Gehalts.

(5) Den während des Jahres ein- oder austretenden Erwerbstätigen gebührt der aliquote Teil; bei austretenden Erwerbstätigen berechnet nach dem letzten Monatsgehalt oder Monatslohn.

(6) Bei unselbständig Erwerbstätigen mit unterschiedlichem Ausmaß der Beschäftigung berechnet sich die Weihnachtsremuneration und die Urlaubsbeihilfe nach dem Durchschnitt der letzten 13 Wochen vor der Fälligkeit. Der Anspruch auf Weihnachtsremuneration und Urlaubsentschädigung wird durch Zeiten, in denen kein oder ein gekürzter Anspruch auf Entgelt im Krankheits- oder Unglücksfall besteht, nicht gekürzt.

(7) Ist auf Grund eines Arbeitsvertrages, eines Kollektivvertrages oder einer Betriebsvereinbarung eine höhere Weihnachtsremuneration oder eine höhere Urlaubsentschädigung vereinbart, so wird diese durch dieses Gesetz nicht gekürzt.“

 

5. Nach §1503 wird folgender §1504 eingefügt:

„§1504. Inkrafttreten und Übergangsbestimmungen

(1) § 1152 und §1154 in der Fassung dieses Gesetzes treten mit 1. Juli 2016 in Kraft.

(2) Verordnungen zur Durchführung dieses Bundesgesetzes können ab dem auf die Kundmachung im Bundesgesetzblatt folgenden Tag an erlassen werden; sie treten frühestens mit 1. Juli 2016 in Kraft.

 

 

 

 

Begründung:

 

Österreich zählt zu jenen Ländern der Europäischen Union, die keinen gesetzlichen Mindestlohn kennen. An dessen Stelle tretende Kollektivvertragsvereinbarungen haben in vielen Bereichen durchaus vertretbare Lohnhöhen hervorgebracht. Dennoch muss festgestellt werden, dass knapp 15% der österreichischen ArbeitnehmerInnen weniger als 60% des Medians der Bruttostundenentgelte unselbständig Erwerbstätiger verdienen (siehe etwa die Eurofoundstudie: Enrique Fernández-Macías/Carlos Vacas-Soriano: A coordinated EU minimum wage policy?, Eurofound, November 2013). Etwa 540.000 Menschen verdienten 2013 in Österreich weniger 60% des Medians des Bruttostundenlohns. An diesem Befund verändern auch positive Entwicklungen im Kollektivvertragsabschluss des Handels für 2014 und 2015 nicht sehr viel. Betroffen sind insbesondere Frauen, Teilzeitbeschäftigte sowie Menschen mit geringer Ausbildung.

 

Tatsache ist:

• Der Anteil der Löhne am Bruttoinlandsprodukt ist in den letzten zwei Jahrzehnten stark gefallen (von ca. 58% auf unter 50% des BIP), obwohl heute deutlich mehr Menschen am Arbeitsmarkt aktiv sind.

• Der Anteil des untersten Einkommenszehntels an den Löhnen hat sich mehr als halbiert (von 4,8% auf 2% aller Löhne).

• 172.000 sind trotz Erwerbsarbeit armutsgefährdet, 90.000 Menschen leben trotz Arbeit in manifester Armut.


Oder anders gesagt: Jene, die den gesellschaftlichen Reichtum erarbeiten, kriegen einen immer kleiner werdenden Anteil dieses Reichtums. Nicht zuletzt auch deshalb hat selbst der IWF – nicht gerade als besonders menschenfreundliche, fortschrittliche oder auf Gerechtigkeit achtende Einrichtung bekannt geworden – Österreich dringlichst aufgefordert, seine Löhne zu erhöhen.

 

Tatsache ist auch:

Die Republik Österreich hat sich in mehreren internationalen Übereinkommen – darunter etwa durch Ratifikation der Europäischen Sozialcharta (Art. 4) - dazu verpflichtet, gegen Ausbeutung vorzugehen und für gerechte Arbeitsentgelte zu sorgen. Haushaltsangestellte, Kanzleikräfte von RechtsanwältInnen, aber auch ServiererInnen oder Ordinationshilfen, aber auch eine ganze Reihe anderer Beschäftigter, kommen selbst bei Vollzeiterwerbstätigkeit auf Einkommen unterhalb der Armutsgefährdungsschwelle.

 

Derart niedrige Löhne für Arbeit zu bezahlen, ist unmoralisch, aber auch volkswirtschaftlich kontraproduktiv. Die Anhebung von Niedrigstlöhnen auf das Niveau von zumindest 60% des Medians der Bruttostundenentgelte der unselbständig Erwerbstätigen (für das Jahr 2016 also etwa € 9,80 brutto pro Stunde) erhöht den privaten Konsum in Österreich um € 603 Mio. pro Jahr. Aus der Bezahlung eines gerechten und existenzsichernden Mindestlohns von € 9,80 brutto in der Stunde entstehen weiters um € 164 Mio. höhere Einnahmen in der Lohnsteuer, € 208 Mio. an Mehreinnahmen (und damit 1:1 reduzierten Ausgaben im Budget) für die Pensionsversicherung, € 70 Mio. an Mehreinnahmen für die Krankenversicherung (und damit Kostenreduktionen für die Länder von ca. € 25 Mio. pro Jahr).

 

Die Ankurbelung des Konsums durch höhere Haushaltseinkommen schafft im Übrigen 12.200 neue Arbeitsplätze, die abermals zu höheren Steuer- und Beitragseinnahmen (von insgesamt etwa € 160 Mio.) führen sowie die Arbeitslosenversicherung im Ausmaß von etwa € 130 Mio. entlasten.

 

Die Schaffung einer gesetzlichen Untergrenze ohne Eingriff in die Kollektivvertragsfreiheit der Sozialpartner ist nicht allein eine moralische Verpflichtung, sondern auch volkswirtschaftlich zielführend.

 

Nicht zufällig steht daher nicht allein die bundesdeutsche Dienstleistungsgewerkschaft ver.di , sondern auch die SPD zu einem gesetzlichen Mindestlohn in Deutschland, wie er im Regierungsübereinkommen mit der CDU/CSU vereinbart wurde. Ebenso wenig zufällig vertritt auch Jean-Claude Juncker von der europäischen Volkspartei den Standpunkt, „dass es in allen Ländern einen Mindestlohn geben muss". Und erläutert: „Dass jeder, der arbeitet, von seiner Arbeit leben können muss, muss in Europa nicht nur in Worten verankert werden. Ich bin dagegen, dass Menschen hinzuverdienen müssen, nur weil das, was sie in 40 Stunden geleistet haben, nicht zum Leben reicht."

Dies muss zukünftig auch für ArbeitnehmerInnen in Österreich gelten.

 

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales vorgeschlagen.