2321/A(E) XXV. GP

Eingebracht am 04.10.2017
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Dringlicher Antrag

 

der Abgeordneten Harald Walser, Freundinnen und Freunde

 

betreffend Bildungsblockade durchbrechen mit OECD Länderprüfung

 

 

 

BEGRÜNDUNG

 

Gingen wir nur nach dem Bildungsabschluss von Menschen, müssten wir annehmen, dass Kinder von Frau Doktor Gruber und Herrn Ingenieur Huber klüger geboren werden als Kinder von Verkäufern, Straßenarbeitern, Pflegerinnen oder Friseurinnen ohne akademischen Titel. Denn ein Kind, dessen Eltern nach Hauptschule und Polytechnikum in den Arbeitsprozess gingen oder gehen mussten, schafft mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit keine Matura und schon gar kein Studium. Wir wissen jedoch, dass eine geglückte Bildungskarriere wesentlich damit zu tun hat, wie gut die Förderungen sind, die Kinder auf ihrem Lebensweg erhalten: Das beginnt im familiären Umfeld, bei der Möglichkeit auf eine gute Betreuung, wenn die Eltern berufstätig sind und setzt sich fort, wie gut Eltern ihre Kinder während der Schulzeit unterstützen können. Entscheidend ist zudem die Erwartungshaltung an Kinder, die auch das Vertrauen prägt, das Kinder in sich selbst haben. Kindern von AkademikerInnen wird viel eher zugetraut, auch selbst ein Studium zu schaffen, währenddessen es fast selbstverständlich ist, dass Kinder eines Hilfsarbeiters den Weg von der Volksschule in eine NMS nehmen und danach, wenn die Rahmenbedingungen gegeben sind, eine Lehre absolvieren. Der Bildungsaufstieg gleicht einem Glückspiel: Je nachdem, wo ein Kind hineingeboren wird, ist seine Bildungs- und damit vielfach auch Berufskarriere weitgehend vorbestimmt.

 

Nach dem ersten Schultag, den Kinder oft mit Vorfreude und Ungeduld erwarten, müssen sie schnell erfahren, dass wenig zählt, worin sie gut sind, wo sie ihre Stärken haben, sondern dass wichtig ist, was sie nicht können. Der Freude am Entdecken von Neuem und am Dazulernen, die alle Kinder mitbringen, weicht oft Langeweile, Angst, Enttäuschung oder Lustlosigkeit. Eltern und Lehrende, die Raum und Zeit bereitstellen wollen, damit sich Kinder unterschiedlich entwickeln können, sind schnell mit dem Druck konfrontiert, dass das Damoklesschwert der weitreichenden Entscheidung droht, nämlich, ob ein Kind ein Gymnasium besuchen kann oder in eine NMS geschickt wird.

 

Aber Eltern wollen das Beste für ihre Kinder und wünschen für sie die besten Rahmenbedingungen für ein geglücktes Leben. Das trifft besonders auf Bildung und Ausbildung zu. Die meisten Eltern bemühen sich daher um frühe Förderung, einen geeigneten Kindergartenplatz und eine gute Schule. Wer selbst gut gebildet ist, über ein ausreichendes Einkommen verfügt und das österreichische Bildungssystem kennt, dazu noch in einer größeren Stadt oder deren Umgebung wohnt, wird weitestgehend finden, wonach gesucht wird. Zusätzlich werden Großeltern, Au-pairs, Babysitter, Horte, Feriencamps und Nachhilfeinstitute in Anspruch genommen, um die Betreuung und den Bildungserfolg sicherzustellen. Für viele Eltern gleicht der Bildungsweg der Kinder aber einem Hürdenlauf. Die viel beschworene Wahlfreiheit ist großteils ein Konstrukt, das der Realität, mit der Eltern und Kinder im Alltag konfrontiert sind, nicht entspricht.

 

So übersteigt die Nachfrage nach Kinderbetreuungsplätzen das Angebot bei weitem. Eltern müssen sich frühzeitig, oft schon während der Schwangerschaft, um einen Platz in einer Krippe umschauen. Wer sein Kind mehr als nur das verpflichtende letzte Jahr in den Kindergarten geben möchte, muss mitunter hohe Kosten in Kauf nehmen und bekommt den Platz vielleicht nur, wenn beide Eltern berufstätig sind. Und dann müssen Eltern oft schmerzhafte Kompromisse eingehen, denn die Qualität der Kindergärten ist nicht garantiert. Phasenweise werden bis zu 21 Kinder von einer Pädagogin (die überwiegende Mehrheit sind Frauen) betreut, es fehlen Freiflächen, Gärten, Bewegungsräume und vor allem zusätzliches Personal, das speziell ausgebildet ist, z.B. im Bereich der sprachlichen Frühförderung. Die Vereinbarkeit von Familie und Berufstätigkeit wird nicht erleichtert, wenn Kindergärten wie in Tirol  an bis zu 44 Werktagen im Jahr geschlossen haben oder wochentags schon um 14:00 schließen. Immerhin ein Vorgeschmack auf die Schule.

 

Denn auch in der Schule ist der Vormittagsunterricht noch immer die Regel und einen Rechtsanspruch auf ganztägige Betreuung gibt es nicht. Viele Eltern fühlen sich überfordert, wenn sie ihren Kindern bei den Hausaufgaben helfen wollen. Klassenwiederholungen gibt es nicht mehr, aber auch keine Anpassung an das Lerntempo der Kinder. Wer Nachhilfe braucht, muss sich meist selber darum kümmern und häufig auch dafür zahlen, denn der Unterricht verlangt, dass die Kinder mithalten. Fördermaßnahmen gibt es in den Volksschulen nämlich viel zu wenig. Eine Lehrkraft steht die meiste Zeit allein in der Klasse. Zusätzliche Lehrkräfte für Teamteaching, ausgebildete FremdsprachassistenInnen, Deutsch als Zweitsprache-Lehrkräfte, SozialarbeiterInnen, SchulpsycholgInnen, SonderpädagogInnen u.a. gibt es immer noch viel zu wenig. Spätestens in der vierten Volksschulklasse setzt der Notendruck ein, denn die Familien stehen vor der wohl wichtigsten Entscheidung und größten Hürde auf dem Bildungsweg, nämlich der Frage Gymnasium oder Neue Mittelschule. Wobei sich glücklich schätzt, wer sich diese Frage stellen kann, gibt es doch in manchen Gebieten gar keine AHS-Langformen und damit auch keine durchgängigen Bildungswege bis zur Matura.

 

SchülerInnen mit Behinderungen haben es im selektiven Schulsystem doppelt schwer. Sie haben zwar eine angebliche Wahlfreiheit, das bedeutet aber auch, dass sie keinen Rechtsanspruch haben, weder auf den Besuch eines Kindergartens vor Schuleintritt, noch auf einen Platz in der nächstgelegenen Volksschule oder Neuen Mittelschule. Für sie bleibt oft nur eine Sonderschule, die zwar alles an Betreuung und Pflege bietet, was nötig ist, aber keine soziale Inklusion und keinen gleichberechtigten Zugang zu Bildung.

 

Kein Wunder also, dass sich viele Eltern große Sorgen machen, ob und wie ihre Kinder den Bildungsweg bewältigen. Bereits jetzt suchen jene, die es sich leisten können, den Weg über private Bildungseinrichtungen oder nehmen hohe Ausgaben für Nachhilfe in Kauf. Diese Privatisierung der Bildung und der Umstand, dass Schulerfolg stark vom Elternhaus abhängig ist, führt dazu, dass viele Kinder und Jugendliche in Österreich ihre Potentiale nicht ausschöpfen und Österreich sich in internationalen Bildungsrankings im Mittelfeld wiederfindet. Nachzulesen ist das in einer mittlerweile großen Zahl wissenschaftlicher Untersuchungen, die diese Erfahrungen aus dem schulischen Alltag bestätigen.

 

Die OECD hat mit ihrer diesjährigen Publikation „Bildung auf einen Blick 2017“ wieder einmal deutlich gemacht, wie schlecht es um Chancengerechtigkeit im österreichischen Bildungssystem bestellt ist. Die Bildungserfolge hängen noch immer stark vom Elternhaus ab, dem Bildungswesen gelingt es nur unzureichend, SchülerInnen aus bildungsfernen, armutsgefährdeten oder anderweitig benachteiligten Familien so zu fördern, dass sie sich entsprechend ihren Möglichkeiten entwickeln.

Der Nationale Bildungsbericht 2015 kommt zu einem ähnlichen Ergebnis: „Die familiäre und soziale Herkunft von Kindern ist ein wesentlicher Kontextfaktor der Schule. In Österreich besteht ein starker Zusammenhang zwischen Herkunft und Schulerfolg. Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund, niedrigem sozioökonomischem Status oder Bildungsniveau haben häufig eine schlechtere Ausgangslage, um in der Schule erfolgreich zu sein. Ihre Familien sind oft weniger mit dem schulischen System und dessen Inhalten vertraut und weniger in der Lage Schulwegsentscheidungen zu unterstützen. Insbesondere sind Schwächen in der Unterrichtssprache ein Risiko für den Schulerfolg.“[1]

Die Fehlentwicklung beginnt im Kindergarten. Zwar hat der verpflichtende Kindergartenbesuch im letzten Jahr vor der Schulpflicht dazu geführt, dass zumindest bei den 5- bis 6-Jährigen nahezu alle Kinder eine vorschulische Bildungseinrichtung besuchen, dennoch bekommen immer noch jene Kinder, die besondere Aufmerksamkeit und zusätzliche Förderung benötigen, nicht die ausreichende Bildung vor Schuleintritt. So sind Kinder mit Behinderungen von der Kindergartenpflicht ausgenommen, und haben daher gar keinen Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz. Mehrere Studien weisen darauf hin, dass ein Kindergartenjahr vor Schuleintritt nicht ausreicht, um die Kinder ausreichend auf die Schule vorzubereiten. Dennoch konnte sich die Regierung, trotz gegenteiliger Versprechen im Regierungsprogramm 2013, bisher nicht auf eine Verlängerung der Kindergartenpflicht auf zwei Jahre verständigen. Sehr zum Nachteil von Kindern, die in sozial benachteiligten Familien heranwachsen. Denn Kindergartenplätze werden nach Bedarf vergeben. Wenn beide Eltern berufstätig sind haben die Kinder daher mehr Chancen auf einen Kindergartenplatz, als wenn ein oder gar beide Elternteile keiner Erwerbsarbeit nachgehen. Der Anteil der Kinder in Kindertagesheimen mit berufstätiger Mutter ist nach vorherigen Rückgängen in den letzten Jahren wieder im Steigen begriffen – in Krippen und Kleinkindbetreuungseinrichtungen beträgt er aktuell 72,7 Prozent (2006: 70,7%), in Horten 76,5 Prozent (2006: 78,7%) und in Kindergärten (inkl. altersgemischter Betreuungseinrichtungen) 63,4 Prozent (2006: 57,8%).

Dazu kommt, dass die Qualität der Kinderbetreuungseinrichtungen stark schwankt, angefangen bei den Öffnungszeiten und Schließtagen. Kindergärten kommen im Durchschnitt auf 27,8 geschlossene Tage, Horte auf 26,3. Im Bundesländervergleich verzeichnet das Burgenland die meisten geschlossenen Betriebstage pro Jahr (37,5), Wien die wenigsten (4,4). Bei den Kindergärten sperrt mehr als ein Fünftel vor 14.00 Uhr zu, während nur jeder dritte bis mindestens 17.00 Uhr geöffnet hat.

Obwohl im Regierungsprogramm 2013 die Einführung eines nationalen Qualitätsrahmens für Kindergärten beschlossen wurde, gab es bislang nicht einmal ernsthafte Verhandlungen darüber. Gruppengrößen, Betreuungsschlüssel und Ausstattung der Kinderkrippen, Kindergärten und Horte bleiben daher weiter stark unterschiedlich je nach Bundesland.

Gleiches gilt für die Ausbildung der KindergartenpädagogInnen. Die erfolgt weiterhin nur auf der Sekundarstufe 2 (Berufsbildende höhere Schule) und nicht wie in allen anderen europäischen Ländern auf tertiärer Ebene. Dies hat auch Auswirkungen auf die Bezahlung der ElementarpädagogInnen, die weit unter dem akademischen Niveau liegt.

Gute Kenntnisse der Unterrichtssprache Deutsch sind eine wesentliche Voraussetzung für schulischen Erfolg. Zehntausende Kinder und Jugendliche haben allerdings Defizite und damit Nachteile im Bildungssystem. Die angebotenen Fördermaßnahmen in den Kindergärten und Schulen erfolgen oft konzeptlos und durch nicht genügend ausgebildetes Personal. Zudem können SchülerInnen maximal zwei Jahre Deutschförderunterricht erhalten, was zu wenig ist. Sprachförderung muss während der gesamten Schulzeit angeboten werden.

 

Kinder werden in Österreich mit sechs Jahren schulpflichtig, bringen aber unterschiedlichste Vorkenntnisse in die Schule mit. Abhängig von der Bildung der Eltern, der sozialen Situation der Familie, der Dauer des vorangegangenen Kindergartenbesuchs und der individuellen Entwicklung des Kindes liegen die Entwicklungsstände bis zu zwei Lernjahre auseinander. Während einige SchülerInnen kaum mit Schreibutensilien, Klebstoff und Schere umgehen können, beherrschen andere schon die Grundrechnungsarten oder können fließend lesen und schreiben.

 

Die Kinder brauchen also in dieser Phase Zeit, um die Grundkompetenzen zu entwickeln. Aus diesem Grund ist die Grundstufe 1 (1. und 2. Schulstufe) im Lehrplan flexibel gestaltet. Es gibt aber keine Flexibilität bei der Dauer, die für die Grundstufe 1 benötigt wird. Stattdessen wurde das Sitzenbleiben nahezu abgeschafft. LehrerInnen stehen vor dem Problem, dass es kaum möglich ist, Kindern die nötige Zeit zu geben, sicher Schreiben, Lesen und Rechnen zu lernen. Dies wäre aber Voraussetzung, damit der Einstieg in die Grundstufe 2 (3. und 4. Schulstufe) gelingt, in der das Tempo in der Vermittlung von Wissen deutlich ansteigt und die Kinder stärker darauf angewiesen sind, Inhalte selbst zu erarbeiten.

Besonders betroffen sind Kinder, bei denen mehrere Risikofaktoren aufeinandertreffen, so die AutorInnen des Nationalen Bildungsberichtes 2015: “Ein Drittel der Volksschulkinder gehört zu mindestens einer der drei sozialen Gruppen mit erhöhtem Risiko, Bildungspotenziale nicht zu realisieren: nichtdeutsche Alltagssprache, bildungsferner Haushalt und/oder niedriger Berufsstatus der Eltern. Kinder, die mehreren potenziell benachteiligten Gruppen gleichzeitig angehören, sind stärker von den Folgen der Bildungsungleichheit bedroht. 7 % der Schüler/innen weisen zwei oder mehr Herkunftsrisiken auf, 2 % gehören allen drei Risikogruppen an. Mehrfachzugehörigkeit zu Risikogruppen ist im dünn besiedelten ländlichen Raum wesentlich seltener als im dicht besiedelten Umfeld, wo 12 % der Kinder mehrere Bildungsrisiken tragen.”

Umso schwerer wiegt das Fehlen von Unterstützungspersonal und Sprachlehrkräften. Diese müssten in der Volksschule massiv eingesetzt werden, um wirklich jedes Kind fördern zu können. Die Bildungsreform für mehr Autonomie gibt den Schulen zwar den rechtlichen Handlungsspielraum, um individuelle Förderung, Teamteaching und Kleingruppenunterricht zu realisieren, hat aber nicht die nötigen zusätzlichen Ressourcen dafür bereitgestellt. Vor allem im urbanen Bereich fehlen die Mittel. Die Mittelzuteilung an die Pflichtschulen bemisst sich an der Zahl der Köpfe pro Bundesland, statt am tatsächlichen Bedarf, der zusätzlich auf den Bildungsstand der Eltern, die Organisationshöhe der Schulen, die Gruppengröße, den Anteil an Kindern mit Defiziten in der Unterrichtssprache oder mit Behinderungen bezogen werden müsste.

 

Defizite, die bereits vor Schuleintritt entstanden sind, können so nicht ausreichend behoben werden. Kinder, die an ganztägig geführten Schulen die Möglichkeit haben, die Hausaufgaben unter Aufsicht von Lehrkräften zu erledigen, bekommen in der Schule die nötige Unterstützung bei der Bewältigung ihrer Aufgaben. Lehrkräfte sehen sofort, wenn etwas nicht ausreichend verstanden wurde und können helfen. Auch bei der Tagesbetreuung an Schulen gilt, was schon für das zweite und weitere Kindergartenjahre gilt: Kinder berufstätiger Eltern haben höhere Chancen, einen Platz in einer Tagesbetreuung zu bekommen, als solche, die keine Arbeit haben. Besonders Kinder, deren Eltern im Asylverfahren sind, und die besondere Unterstützung durch die Schule bräuchten, haben in der Praxis keinen Zugang zu Tagesbetreuung an Schulen. Das vertieft die Kluft weiter.

Wir hoch der Bedarf an Unterstützungsleistungen bei Volksschulkindern ist, zeigt die jährlich von der Arbeiterkammer erhobene Studie zur Nachhilfe: „Ein Viertel aller Schulkinder benötigt fast täglich eine Lernaufsicht seitens der Eltern. Bei insgesamt rund vier von zehn Schülerinnen und Schülern ist dies zumindest zwei bis drei Mal in der Woche nötig.“ Abgesehen von der zeitlichen Belastung, dem häufig auftretenden Stress und Konflikten über die Hausaufgaben und dem Umstand, dass viele Eltern selbst von Aufgabenstellungen überfordert sind, kommen auch noch hohe Kosten für externe Nachhilfe ins Spiel. Der Gesamtbedarf an Nachhilfe beläuft sich auf 23 Prozent der Schülerinnen und Schüler. Nur 18 Prozent erhalten tatsächlich Nachhilfe, für die anderen ist es schlicht nicht leistbar. Betroffene Eltern zahlen durchschnittlich 710  Euro im Jahr, was für viele Familien eine starke Belastung darstellt. Die Arbeiterkammer hält fest: „Die aktuelle Studie zeigt auch, dass vor allem Schulkinder von Eltern benachteiligt sind, die selbst nur einen Pflichtschulabschluss haben. Bei diesen Familien ist der Nachhilfebedarf besonders hoch. Dies trifft bereits für die Volksschule zu, in besonderem Maße aber auch für Schüler/innen, die eine Neue Mittelschule oder eine AHS-Unterstufe besuchen.“

Tatsache ist, dass ein Staat, der nicht oder zu wenig in Bildung investiert oder, so wie Österreich, ein veraltetes Bildungssystem krampfhaft aufrecht erhält, über kurz oder lang auch als Wirtschaftsstandort Probleme bekommt. Die Dank PISA, TIMSS, PIRLS und den Bildungsstandrads oder anderen Leistungserhebungen vorliegenden Daten weisen deutlich darauf hin.

Tatsache ist ebenfalls, dass in Österreich Bildung vererbt wird und eine Selektion weitgehend vom Kontostand und der Bildung der Eltern abhängig ist. Um es überspitzt auszudrücken: Die Reichen kommen öfter ins Gymnasium und auf die Uni.

“Für Österreich können 25 % der Leistungsunterschiede im Lesen zwischen 15­/16­Jährigen durch deren Herkunft erklärt werden. Es zeigt sich damit für Österreich ein starker Zusammenhang, der im internationalen Vergleich im oberen Mittelfeld der Länder liegt.”[2] Diese Analyse des Nationalen Berichts 2015 zeigt deutlich, dass es noch großen Aufholbedarf in Sachen Chancengerechtigkeit im Bildungswesen gibt.

Angesichts all dieser Hürden ist es nicht verwunderlich, dass die OECD für Österreich eine starke Vererbung von Bildung und einen Mangel an Chancengerechtigkeit attestiert. In der OECD-Studie „Bildung auf einen Blick 2017“ heißt es: In Austria, upward educational mobility is low. About 10% of 30-44 year-olds whose parents did not attain tertiary education have attained a tertiary qualification themselves (tertiary-type A or an advanced research programme degree). In contrast, across OECD countries and economies, upward mobility is much higher: on average 20% of 30-44 year-olds whose parents did not attain tertiary education completed this level.” [3]

Im Vorjahr war die Analyse nicht besser. Die Tageszeitung „Die Presse“ fasst die Ergebnisse des OECD-Berichts „Bildung auf einen Blick 2016“ wie folgt zusammen: "Tatsächlich schaffen es nur wenige Erwachsene, deren Eltern höchstens einen Pflichtschulabschluss haben, in Österreich bis zur Universität oder Fachhochschule. Das gelingt laut OECD zwölf Prozent derjenigen mit inländischen Eltern. Der OECD-Durchschnitt liegt mit 23 Prozent fast doppelt so hoch.

Für jene, deren Eltern im Ausland geboren wurden, ist ein solcher Aufstieg besonders schwierig: Nur sechs Prozent der Erwachsenen mit Migrationshintergrund, die aus einer Familie mit geringer Bildung kommen, erreichen einen tertiären Abschluss. Im OECD-Schnitt schaffen das 22 Prozent dieser Gruppe. „Immigranten haben es schwer, hohe Bildungsabschlüsse zu erzielen“, heißt es daher auch in dem aktuellen Österreich-Bericht. Auch weiter unten ist der Unterschied groß: 50 Prozent der Erwachsenen mit wenig gebildeten ausländischen Eltern bleiben selbst beim Pflichtschulabschluss stehen. Bei denen mit österreichischen Eltern schaffen laut OECD nur 16 Prozent keinen besseren Abschluss. Beim Sprung von geringer Bildung zu Hochschulabschluss „ist Österreich wirklich schlecht“, sagt auch der liberale Bildungsexperte Feller. „Für Kinder aus bildungsfernen Haushalten muss viel mehr getan werden – und zwar sowohl für jene aus Migrantenfamilien als auch für jene ohne Migrationshintergrund.“[4]

Aber nicht nur die Herkunft entscheidet über Chancen und den Zugang zu höherer Bildung, auch der Wohnort hat maßgeblichen Einfluss darauf, welche Bildungswege eingeschlagen werden (können). So stehen in Wien für 53 Prozent der Schülerinnen und Schüler zwischen 10- und 14-Jahren Plätze an AHS-Unterstufen zu Verfügung. In Vorarlberg liegt die Quote bei 24 Prozent. Die Konkurrenz um die wenigen Plätze an AHS ist entsprechend hoch. Bei Notengleichstand entscheiden andere Faktoren wie die Entfernung zum Wohnort oder der Umstand, dass bereits ältere Geschwister die Schule besuchen. Kein Wunder also, dass in Vorarlberg der Ruf nach einer Gemeinsamen Schule besonders laut ist. Aber auch in anderen Gebieten, wo keine durchgehende Bildung bis zur Matura möglich ist, fordern Eltern Zugang zu höherer Bildung für ihre Kinder, wie z.B. im Bezirk Hermagor.

Trotz aller nationalen und internationalen Belege, dass das österreichische Bildungssystem nicht in der Lage ist, die Potentiale der Kinder und Jugendlichen voll auszuschöpfen, sondern dass es immer noch nur durchschnittliche Ergebnisse liefert, während die pro Kopf-Ausgaben im Spitzenfeld liegen, gibt es keinen politischen Konsens, die Probleme an der Wurzel zu packen und das Bildungssystem grundlegend und evidenzbasiert zu reformieren.

Bildungswissenschafter Prof. Dr. Karlheinz Gruber hält daher nicht umsonst im Standard fest: Dass das ‚Erfolgsmodell Gymnasium‘ als ‚unerwünschte Nebenwirkung‘ eine alarmierende Zahl von Schulabgängern mit unzureichenden Lese- und Rechenfertigkeiten produziert, ist weithin bekannt und wird alle drei Jahre durch OECD-Pisa-Resultate bestätigt. Dass das Schulsystem trotz Fokussierung auf Selektion am oberen (‚gymnasialen‘) Ende der schulischen Leistungsskala international relativ wenige Spitzenleistungen hervorbringt, ist weniger bekannt, aber nicht weniger beunruhigend.“ Und weiter: “Angesichts der Lernunfähigkeit und Wirklichkeitsverweigerung der ÖVP und des Verlusts des bildungspolitischen Klassenbewusstseins der SPÖ, die das Kunststück fertigbringt, die Gesamtschule, seit hundert Jahren Kernstück sozialdemokratischer Bildungspolitik, weder im Plan A noch im Wahlprogramm zu erwähnen, hat eine Gesamtschulreform in Österreich bis auf weiteres ´a snowball's chance in hell´.”[5]  

 

Obwohl also die Datenlage hinsichtlich der Leistungen der SchülerInnen und der Chancengerechtigkeit in Österreich mittlerweile durch nationale und internationale Erhebung sehr gut ist, kann sich die Politik nicht auf eine gemeinsame Strategie einigen. Die Ergebnisse und Empfehlungen werden unterschiedlich interpretiert und das führt zum Reformstillstand, während auf Grund der Einsparungsbedürfnisse im Budget auch noch Kürzungen bei der Bildungsfinanzierung vorgenommen werden.

 

Um aus diesem bildungspolitischen Patt herauszukommen und eine Grundlage für die notwendigen Reformen zu schaffen, soll eine externe Prüfung der Rechtsgrundlagen, der Verwaltung, der Organisation und der Finanzierung des österreichischen Bildungssystems durch die OECD erfolgen. Ziel einer solchen Länderprüfung wäre es, klare Empfehlungen und Handlungsanleitungen für eine Verbesserung des Bildungswesens in Österreich zu erhalten.

 

Eine solche Länderprüfung zum Thema „Bildung und Migration“ hat die OECD bereits 2009 durchgeführt und darin eine Reihe strategischer Handlungsempfehlungen für Österreich abgegeben, die mehr Chancengerechtigkeit und vor allem ein höheres Bildungsniveau und eine stärkere Deutschkompetenz von SchülerInnen mit Migrationshintergrund zum Ziel haben. Von diesen Empfehlungen wurde seit 2009 keine voll umgesetzt. Einige wenige Empfehlungen, vor allem im Bereich der Ausbildung neuer Lehrkräfte konnten aber bereits gesetzlich verankert werden. Nicht umgesetzt bzw. vor allem von der ÖVP aber auch der FPÖ abgelehnt werden Maßnahmen zum integrativen und langfristigen Deutschförderunterricht. Beide Parteien setzen in ihren bildungspolitischen Zielen stärker auf Separation, statt auf Integration.

 

Um einen nationalen Schulterschluss in Fragen der Bildungsreform zu ermöglichen bedarf es daher eines gemeinsamen Bekenntnisses, Empfehlungen der OECD umzusetzen. Diese Empfehlungen sollen sich nicht nur auf die Frage von Migration und Bildung, sondern allgemein auf die Chancengerechtigkeit im österreichischen Bildungssystem beziehen. Damit wollen wir erreichen, dass es einen nationalen Konsens hinsichtlich der zu setzenden Maßnahmen und der zu beschließenden Reformen gibt.

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgenden

 

 

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, ehestmöglich bei der OECD eine Länderprüfung des österreichischen Bildungswesens zu beantragen mit dem Ziel, faktenbasierte Empfehlungen für die Verbesserung der Chancengerechtigkeit und Hebung des allgemeinen Bildungsniveaus in Österreich zu erhalten und diese in der Folge politisch umzusetzen. Besonderer Fokus ist dabei auf die Sekundarstufe 1 und die Polytechnische Schule zu legen sowie auf die Schnittstellen davor und danach.“

 

 

 

 

In formeller Hinsicht wird die dringliche Behandlung gemäß § 74a iVm § 93 Abs. 2 GOG verlangt.

 



[1] https://www.bifie.at/wp-content/uploads/2017/05/NBB_2015_Band1_Indikator_A.pdf

[2] https://www.bifie.at/wp-content/uploads/2017/05/NBB_2015_Band1_Indikator_D.pdf

[3] http://www.oecd-ilibrary.org/docserver/download/9617041ec039.pdf?expires=1506941124&id=id&accname=guest&checksum=F4BFF7558E938422CA88DDF5F678C8EC

[4] http://diepresse.com/home/bildung/schule/5088653/Bildungsaufstieg_Doch-nicht-auf-dem-letzten-Platz 

[5] derstandard.at/2000064302141/Bildungspolitische-Watschn-fuer-die-Regierung