613/AB XXV. GP

Eingelangt am 10.04.2014
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BM für Justiz

Anfragebeantwortung

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BMJ-Pr7000/0029-Pr 1/2014


Republik Österreich
der bundesminister für justiz

 

 

Museumstraße 7

1070 Wien

 

Tel.: +43 1 52152 0

E-Mail: team.pr@bmj.gv.at

 

 

 

Frau
Präsidentin des Nationalrates

 

 

Zur Zahl 621/J-NR/2014

Die Abgeordneten zum Nationalrat Dr. Rainer Hable, Kolleginnen und Kollegen haben an mich eine schriftliche Anfrage betreffend „Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention“ gerichtet.

Ich beantworte diese Anfrage wie folgt:

Zu 1 bis 6 und 18 bis 24:

Österreichische Behindertenpolitik – und damit auch die Umsetzung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK) – ist eine Querschnittsmaterie, an der neben sämtlichen Bundesministerien auch die Länder und Gemeinden teilhaben und Verantwortung tragen. Anlauf- und Koordinierungsstelle des Bundes gemäß Art. 33 Abs. 1 UN-BRK ist der Herr Bundesminister für Soziales, Arbeit und Konsumentenschutz, dem für diese Aufgaben auch ein Behindertenbeirat zugeordnet ist. Das Bundesministerium für Arbeit Soziales, und Konsumentenschutz (BMASK) koordiniert insbesondere die Strategie der österreichischen Bundesregierung zur Umsetzung der Konvention, die in einem Nationalen Aktionsplan Behinderung 2012–2020 festgelegt und am 24. Juli 2012 im Ministerrat beschlossen worden ist.


Demzufolge hat das BMASK auch die Vorbereitungsarbeiten der in der Anfrageeinleitung erwähnten Staatenprüfung Österreichs zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention Anfang September 2013 ressortübergreifend koordiniert.

Die in den abschließenden Bemerkungen zur Staatenprüfung enthaltenen 23 Empfehlungen berühren (nur) zum Teil den Wirkungsbereich des Bundesministers für Justiz. Ich ersuche daher um Verständnis, wenn ich im Rahmen der parlamentarischen Interpellation als Bundesminister für Justiz nur zu den justiziellen Aspekten dieser Empfehlungen Stellung nehmen kann.

Zu 7:

Das in diesem Fragepunkt angesprochene Thema wird derzeit in der noch von meiner Amtsvorgängerin eingesetzten Expertengruppe StGB 2015 beraten; entsprechende Forderungen wurden auch in der von dieser Expertengruppe durchgeführten Enquete zum StGB 2015 erhoben. Die Arbeitsgruppe soll den Bericht über ihre Beratungen und Vorschläge zur Änderung des StGB mit Ende des ersten Halbjahres 2015 vorlegen. Ich bitte um Verständnis, dass ich den Ergebnissen der Beratungen nicht vorgreifen möchte, weil ich die Zusage erneuert habe, dieser Arbeitsgruppe keine politischen Vorgaben zu machen.

Zu 8:

Bereits in der richterlichen Ausbildung wird Augenmerk auf die besonderen prozessrechtlichen Bestimmungen gelegt, die Menschen mit Beeinträchtigungen unterstützen sollen; im Bereich der Fortbildung gibt es vor allem im Rahmen des Sachwalterrechts sowie im Arbeits- und Sozialrecht laufend Schulungsmaßnahmen, die den Kernbereich der Anfrage betreffen.

Die Wahrung der Menschenrechte ist im Bereich des Straf- und Maßnahmenvollzugs ein besonders wichtiges Thema. Im Jahr 2010 wurden im Rahmen der Fortbildung Strafvollzugsbedienstete zu Menschenrechtstrainerinnen und -trainern ausgebildet. Seit 2011 werden eintägige Menschenrechtstrainings mit dem Ziel durchgeführt, alle Strafvollzugsbediensteten zu schulen und das Thema verstärkt ins Bewusstsein zu rücken.

Justizwachebeamtinnen und -beamte absolvieren im Lauf der Grundausbildung acht Unterrichtseinheiten „Menschenrechtstraining“ im Rahmen des Verfassungsrechtsblocks und sechs Unterrichtseinheiten zu Menschenrechten bei „Anwendung einsatzbezogener Körpergewalt“. Höhere Justizwachebeamtinnen und -beamte erhalten ferner acht Unterrichtseinheiten zu Menschenwürde und Menschenrechte in der Fächergruppe „Recht und Kriminologie“.

Zu 9:

Alle Menschen sollen freien Zugang zu den Gerichten haben und möglichst ohne Hilfe anderer die Leistungen der Justiz in Anspruch nehmen können. Deshalb wurde mit der sukzessiven Errichtung von Service-Zentren begonnen, in denen „Front-Office“-Leistungen der Justiz angeboten werden (z.B. Beglaubigungen, Auskünfte allgemein aus Grundbuch, Firmenbuch und Registern) sowie Einzahlungen getätigt werden können. Zudem ist zumindest ein Verhandlungssaal barrierefrei erreichbar und erschlossen.

Zugleich wird die barrierefreie Erreichbarkeit und Erschließung aller Gerichtsgebäude überprüft und je nach Dringlichkeit der Adaptierungsmaßnahmen ein detaillierter Etappen- samt Umsetzungsplan bis 2015 ausgearbeitet. Die in den letzten Jahren neu errichteten oder generalsanierten Gerichtsgebäude sind bereits barrierefrei gestaltet.

Im Rahmen von Sanierungen und Adaptierungen einzelner Justizanstalten wurden Verbesserungen in der Barrierefreiheit geschaffen. Oberste Priorität genießen barrierefreie Zutrittsmöglichkeiten, das Nachrüsten von Aufzügen, die Errichtung mobiler Rampen und die Adaptierung von sanitären Einrichtungen. Bei Neubauten oder Generalsanierungen ist die Schaffung von barrierefreien Zugängen für Parteien und Insassen ohnedies obligatorisch.

In Zukunft soll es in allen Justizanstalten barrierefreie Zugangsmöglichkeiten zu den Verwaltungsbereichen und den Besucher- und Vernehmungsbereichen sowie behindertengerechte Hafträume geben.

Sämtliche Maßnahmen zur Herstellung der Barrierefreiheit sind nicht abhängig von Mindestgrößen oder Mindestkapazitäten.

Zu 10:

Seit Anfang 2013 hat das Bundesministerium für Justiz umfangreiche Bemühungen unternommen, um den Anforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention, aber auch den Bedürfnissen der betroffenen Personen nachzukommen.

In drei breit angelegten Arbeitsgruppensitzungen unter der Beteiligung von SelbstvertreterInnen (also den behinderten Personen selbst) und Behindertenorganisationen wurden die Möglichkeiten und die Wünsche der betroffenen Personen erörtert. Anfang Dezember 2013 fand eine große Fachtagung zum Thema Sachwalterrecht in Salzburg unter Einbeziehung aller involvierten Stellen, Personen und Organisationen statt.

Mit März 2014 hat nun beim umfangreich geplanten Modellprojekt „Unterstützung zur Selbstbestimmung“ die operative Phase begonnen. Beim Modellprojekt soll es darum gehen, an bereits bestehende Unterstützungsangebote anzuknüpfen und zu erproben, inwieweit diese helfen können, Sachwalterschaften zu vermeiden. Diese „Schnittstellenfunktion“ sollen die Sachwaltervereine in Weiterentwicklung des bereits jetzt gehandhabten „Clearings“ übernehmen. Dabei soll der jeweils zuständige Sachwalterverein im Rahmen des Clearings vorerst die Lebenssituation der betroffenen Person erheben und eine Empfehlung dahingehend abgeben, ob das Verfahren eingestellt bzw. fortgeführt werden soll. Wenn (nach jetzigem Stand des Sachwalterrechts) das Sachwalterbestellungsverfahren fortgeführt werden müsste, soll nun geprüft werden, ob die betroffene Person an einer selbstbestimmten Entscheidungsfindung überhaupt teilnehmen kann und gegebenenfalls einen längeren Zeitraum (in der Regel drei Monate) begleitet werden, damit ihre Ressourcen, Interessen und Bedürfnisse untersucht werden können. Ein wesentlicher Fokus liegt auf dem Empowerment bzw. der Selbstbefähigung der Person. In Absprache mit der betroffenen Person sollen das private Umfeld und mögliche UnterstützerInnen aus dem Gemeinwesen planerisch eingebunden werden. Bei der Durchführung des Modellprojektes geht es vor allem um die Ressourcenaktivierung der betroffenen Person und um die Zuweisung zu subsidiären Hilfen und alternativen Unterstützungsangeboten. Es sollen Informationen vermittelt und der Zugang zu bestimmten Leistungen eröffnet werden.

Neben dem Modellprojekt „Unterstützung zur Selbstbestimmung“ soll aber auch das Sachwalterrecht allgemein reformiert werden und das Hauptaugenmerk auf die Selbstbestimmung von betroffenen Personen gelegt werden. Vorrangig soll auch hier das Zurückdrängen der Sachwalterschaft sein.

Ein vollständiger Ersatz von Vertretungsmodellen durch „Unterstützte Entscheidungsfindung“ wird jedoch nicht umsetzbar sein.

Soweit überblickbar gibt es keinen Staat, der das Institut der Vertretung gänzlich abgeschafft und an seiner Stelle eine bloße Unterstützung eingeführt hat.

Tatsächlich muss man auch Fälle zugestehen, in denen die betroffene Person – trotz aller Unterstützungsangebote – nicht mehr in Lage ist, selbst zu entscheiden (etwa bei fehlender Äußerungsmöglichkeit). Eine Vertretungsregelung ist hier weiterhin unverzichtbar.

Zu 11:

Art 14 Abs. 1 lit. b der UN-Behindertenrechtskonvention verbietet Freiheitsbeschränkungen an Menschen mit Behinderungen nicht generell, sondern sieht vor, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen die Freiheit nicht rechtswidrig oder willkürlich entzogen wird, dass jede Freiheitsentziehung im Einklang mit dem Gesetz erfolgt und dass das Vorliegen einer Behinderung in keinem Fall eine Freiheitsentziehung rechtfertigt.

Außerdem haben die Vertragsstaaten zu gewährleisten, dass Menschen mit Behinderungen, denen aufgrund eines Verfahrens ihre Freiheit entzogen wird, gleichberechtigten Anspruch auf die in den internationalen Menschenrechtsnormen vorgesehenen Garantien haben und im Einklang mit den Zielen und Grundsätzen dieses Übereinkommens behandelt werden, einschließlich durch die Bereitstellung angemessener Vorkehrungen.

Es gibt außerhalb von Unterbringungsgesetz (UbG) und Heimaufenthaltsgesetz (HeimAufG) kein zivilrechtliches Regelungsregime, das Freiheitsbeschränkungen an psychisch kranken oder geistig behinderten Menschen zulässt. Ein Sachwalter etwa kann einer Freiheitsbeschränkung nicht zustimmen. UbG und HeimAufG lassen Freiheitsbeschränkungen nur als ultima ratio zu, wenn ein Mensch sich oder andere aufgrund seiner psychischen Krankheit oder – im Fall des HeimAufG – aufgrund seiner geistigen Behinderung ernstlich und erheblich gefährdet und andere gelindere Mittel nicht ausreichen, dieser Gefahr zu begegnen. Das heißt zunächst einmal insbesondere, dass es natürlich unzulässig ist, jemanden allein deshalb in seiner Freiheit zu beschränken, weil er „behindert“ ist.

Beide Gesetze entsprechen aber auch sonst vollinhaltlich den grundrechtlichen Vorgaben:

Art. 5 Abs. 1 lit. e MRK sieht vor, dass Freiheitsentziehungen zulässig sind, wenn jemand „geisteskrank“ ist. Art. 2 Abs. 1 Z 5 PersFrG bindet die Zulässigkeit von Freiheitsbeschränkungen daran, dass „Grund zur Annahme besteht“, dass jemand „wegen psychischer Erkrankung sich oder andere gefährdet“. Es gilt eine Abwägung verschiedener Grundrechte vorzunehmen. Das Grundrecht eines jeden, nicht in seiner persönlichen Freiheit beschränkt zu werden, steht einerseits dem Grundrecht anderer gegenüber, nicht in ihrer körperlichen Unversehrtheit beeinträchtigt zu werden. Andererseits wird man wohl auch psychisch beeinträchtigten Menschen gegenüber eine gewisse Fürsorge angedeihen lassen müssen.

UbG und HeimAufG sehen sehr engmaschige Kontrollsysteme von Freiheitsbeschränkungen vor. Jede Unterbringung bzw. Freiheitsbeschränkung ist im Fall der Unterbringung der Patientenanwaltschaft bzw. im Fall der Freiheitsbeschränkung in Heimen und ähnlichen Einrichtungen der Bewohnervertretung zu melden. Im UbG ist stets ein gerichtliches Kontrollverfahren vorgesehen. Im HeimAufG ist ein solches auf Antrag der Bewohnervertretung einzuleiten. Das Gericht muss jeweils innerhalb von sieben Tagen eine Erstentscheidung über die Zulässigkeit der Unterbringung bzw. Freiheitsbeschränkung und innerhalb weiterer 14 Tagen die Endentscheidung treffen.

Die Patientenanwaltschaft bzw. Bewohnervertretung hat die Wünsche der betroffenen Personen zu ermitteln und diesen zu entsprechen, soweit dies das Wohl der betroffenen Person nicht gefährdet. Die Patientenanwaltschaft bzw. Bewohnervertretung nimmt der betroffenen Person nicht das Recht, für sich selbst zu handeln. Sie stellen nur einen ergänzenden Schutz dar.

Das UbG rechtfertigt keine Unterbringung geistig Behinderter (wenn sie nicht auch psychisch krank sind).

Zu 12 und 13:

Das Bundesministerium für Justiz finanziert gemäß § 8 Vereinssachwalter-, Patientenanwalts- und Bewohnervertretergesetz (VSPBG) Vereine, deren Eignung, gemäß § 279 Abs. 3 und 4 ABGB zum Sachwalter bestellt zu werden, gemäß § 13 Abs. 1 UbG Patientenanwälte oder gemäß § 8 Abs. 3 HeimAufG Bewohnervertreter namhaft zu machen, mit Verordnung festgestellt worden ist.

Ob für die Aufgabenerfüllung durch diese Vereine im Interesse von Personen mit psychischen Erkrankungen bzw. geistigen Behinderungen in dieser Legislaturperiode mehr Mittel zur Verfügung gestellt werden können, wird von den Bundesfinanzgesetzen 2014 ff. abhängen.

Zu 14:

Das Bundesministerium für Justiz setzt sich grundsätzlich für die Abschaffung von Netzbetten und vergleichbar invasiven Maßnahmen ein. Eine solche Abschaffung muss aber unter dem Vorbehalt stehen, dass die Alternativen (Fixierung, Medikation) sachgerecht und standardgemäß, also unter ärztlicher/pflegerischer Verantwortung und mit Begleitung bei Fixierung, vorgenommen werden. Nur dann nämlich stellt die Punktefixierung – so jedenfalls die Meinung anerkannter Experten – eine menschenrechtlich weniger invasive Maßnahme als das Netzbett dar. Derzeit werden zu diesem Thema intensive Gespräche mit dem Bundesministerium für Gesundheit sowie mit NGOs wie Amnesty geführt. Im März 2014 wurde die Expertise von Experten aus der Schweiz eingeholt , um die weitere Vorgangsweise sinnvoll auszurichten.

In den Justizanstalten werden Netzbetten oder ähnliches (Metallgitterbetten, Gurtenbetten, Fixierliegen mit und ohne Zwangsjacke) jedenfalls nicht eingesetzt. Hand- und Fußfesseln für Ausführungen und Überstellungen sowie teilweise auch Gefangenentransportgurte sind allerdings vorhanden. Der Einsatz solcher besonderen Sicherungsmaßnahmen gründet sich auf § 103 Abs. 2 Z 5 Strafvollzugsgesetz (StVG) und erfordert – unabhängig von intellektuellen, psychischen und/oder psychosozialen Behinderungen – Flucht- bzw. eine besondere Eigen- und/oder Fremdgefährlichkeit. Werden solche besondere Sicherungsmaßnahmen angeordnet, hat über deren Aufrechterhaltung über einen Zeitraum von 48 Stunden hinaus das Vollzugsgericht zu entscheiden (§ 103 Abs. 6 StVG). Insassen, hinsichtlich derer eine solche besondere Sicherungsmaßnahme angeordnet wird, sind überdies binnen 24 Stunden von einem Arzt aufzusuchen (§ 103 Abs. 3 StVG).

Zu 15 und 16:

Nachdem erst mit dem Sexualstrafrechtsänderungsgesetz 2013 die Bestimmung des § 205 StGB reformiert wurde und im Bereich der Strafdrohungen jener des § 201 StGB angeglichen wurde, bestehen im Bereich des strafrechtlichen Schutzes von Personen mit Behinderung keine aktuellen Vorhaben. Ansonsten darf ich auf die Darstellungen zu den Fragepunkten 10, 11 und 17 verweisen.

 


Zu 17:

Das Bundesministerium für Justiz hat zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention ein Modellprojekt zur Unterstützten Entscheidungsfindung initiiert, das dazu beitragen soll, Menschen mit psychischen bzw. geistigen Beeinträchtigungen ein selbstbestimmtes Leben (ohne Bestellung eines Sachwalters) zu ermöglichen. Eine wesentliche Rolle in diesem Modellprojekt kommt den vom Bundesministerium für Justiz finanzierten Vereinen im Sinne des § 1 VSPBG zu.

 

Welcher Finanzierungsbeitrag den Vereinen für diese zusätzliche Aufgabe zur Verfügung gestellt werden kann, wird  von den Bundesfinanzgesetzen 2014 ff. abhängen.

 

Wien,      . April 2014

 

 

Dr. Wolfgang Brandstetter