398 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXV. GP

 

Bericht

des Justizausschusses

über die Regierungsvorlage (353 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem das Bundesgesetz über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-JZG), das Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz (ARHG) und das Strafregistergesetz 1968 geändert werden (EU-JZG-ÄndG 2014)

Seit der Tagung des Europäischen Rates in Tampere (15./16.10.1999) erfolgt der Ausbau der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen innerhalb der Europäischen Union nach dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung (und Vollstreckung) gerichtlicher Entscheidungen.

Das vorliegende Gesetzesvorhaben dient zunächst der Umsetzung der Richtlinie 2011/99/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über die Europäische Schutzanordnung (RL-ESA), ABl. L 2011/338, 2, und steht im Einklang mit Entschließung Nr. 41 des Nationalrats vom 24.9.2014 („Gegen sexuelle Gewalt“), worin die Bundesregierung aufgefordert wird, im Rahmen ihrer budgetären Möglichkeiten auf nationaler und internationaler Ebene Maßnahmen und Projekte im Kampf gegen sexuelle Gewalt gegen Frauen, Jugendliche, Kinder, Männer und Behinderte voranzutreiben.

Die RL-ESA verfolgt das Ziel, dass Schutzmaßnahmen zum Schutz von Opfern vor gegen sie gerichteten strafbaren Handlungen (wie Betretungs-, Kontakt- oder Näherungsverbote) auch in einem anderen Mitgliedstaat Wirkungen haben als in jenem, in dem sie zunächst erlassen wurden; der Schutz soll also ein potentielles Opfer, das seinen Wohnsitz oder Aufenthalt in einen anderen Mitgliedstaat verlegt, dorthin begleiten. Sie zielt also auf folgende Konstellation:

             - eine Person („geschützte Person“) wird von einer anderen Person („gefährdende Person“) derart bedroht, dass eine Justizbehörde in dem Mitgliedstaat, in dem die geschützte Person wohnhaft oder aufhältig ist („Anordnungsstaat“), in einem Strafverfahren Schutzmaßnahmen angeordnet hat;

             - die geschützte Person will ihren Wohnsitz oder Aufenthalt in einen anderen Mitgliedstaat verlegen oder ist dort bereits wohnhaft oder aufhältig; und

             - die Bedrohungslage dauert in dem Mitgliedstaat, in den sich die geschützte Person begeben hat oder begeben will („Vollstreckungsstaat“), fort.

Unter diesen Voraussetzungen ist über Antrag der geschützten Person im Anordnungsstaat eine Europäische Schutzanordnung zu erlassen, die dann dem Vollstreckungsstaat übermittelt wird und von diesem anzuerkennen ist. Im Hinblick auf die Unterschiedlichkeit der nationalen Rechtssysteme der Mitgliedstaaten im betreffenden Bereich ist in der Folge – anders als in den Vorinstrumenten im Bereich der gegenseitigen Anerkennung – keine „Vollstreckung“ der ausländischen Schutzmaßnahme durch den Vollstreckungsstaat vorgesehen. Vielmehr ordnet dieser die nach seinem nationalen Recht in einem derartigen Fall zulässigen Maßnahmen zur Fortsetzung des Schutzes der geschützten Person an.

Zivilrechtliche Schutzmaßnahmen fallen nicht unter den Anwendungsbereich der RL, sondern unter jenen der VO (EU) 606/2013 vom 12.6.2013 über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen in Zivilsachen, ABl. L 2013/181, 4 (die zu deren Anwendung in Österreich erforderlichen Bestimmungen über Zuständigkeit und Verfahren wurden kürzlich durch die EO-Nov 2014, BGBl I Nr. 69/2014, geschaffen, vgl. §§ 86b und 86c EO).

Zur Umsetzung der RL-ESA wird die Einfügung eines neuen VI. Hauptstücks („Anerkennung Europäischer Schutzanordnungen in Strafsachen“) in das EU-JZG (§§ 122 bis 137) vorgeschlagen. Damit sollen die innerstaatlichen Voraussetzungen für die Anerkennung bestimmter, in der RL angeführter Schutzmaßnahmen, die in anderen Mitgliedstaaten in einem Strafverfahren ergangen sind, und die nachfolgende Erteilung nationaler Anordnungen nach den §§ 51 Abs. 2 StGB und 173 Abs. 5 Z 3 bis 5 StPO zur Fortsetzung des Schutzes der geschützten Person im Inland, sowie für die Erwirkung der Anerkennung derartiger Anordnungen, die von österreichischen Gerichten erteilt wurden, durch andere Mitgliedstaaten geschaffen werden.

Die nach der RL zulässigen Ablehnungsgründe sollen weitestgehend in das österreichische Recht übernommen werden.

Die Anerkennung erfolgt im Wesentlichen auf der Grundlage der Angaben, die in der Europäischen Schutzanordnung enthalten sind, die dem EU-JZG als Anhang angeschlossen werden soll.

Die Entscheidung über die Anerkennung und die Anordnung von Schutzmaßnahmen – die sich wie erwähnt nach nationalem Recht richtet – sind unter Berücksichtigung der Dringlichkeit der Angelegenheit und der Gefahrenlage der geschützten Person zu treffen.

Die mit der Anerkennung einer Europäischen Schutzanordnung und der Erteilung von Anordnungen im entstandenen Kosten sind grundsätzlich vom vollstreckenden Staat zu tragen.

Der Anordnungsstaat bleibt „Herr des Verfahrens“ und ist daher für sämtliche im Falle der Nichtentsprechung der Anordnung zu treffenden Folgeentscheidungen, wie etwa die Änderung der Schutzmaßnahme oder deren Widerruf und die Anordnung einer Freiheitsstrafe oder einer mit Freiheitsentziehung verbundenen vorbeugenden Maßnahme, zuständig.

 

Die Umsetzung der RL-ESA soll genutzt werden, im EU-JZG eine Reihe kleinerer Änderungen vorzuschlagen, die Nachschärfungen und Beseitigung von Redaktionsversehen der Novellen der letzten Jahre beinhalten.

 

Im Rahmen des Europarates wurde das Zweite Zusatzprotokoll zum Europäischen Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen vom 8. 11. 2001 (ETS Nr. 182; in der Folge: 2 ZP) erarbeitet, das die im Verhältnis zwischen den Mitgliedstaaten des Europarates bestehenden Übereinkommen auf dem Gebiet der Rechtshilfe in Strafsachen ergänzen bzw. teilweise ersetzen soll. Es stimmt weitgehend mit dem im Rahmen der Europäischen Union erarbeiteten Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 29.5.2000, ABl. C 2000/197, 1, BGBl. III Nr. 65/2000 (in der Folge: EU-RH-Übk), überein.

Das 2. ZP wurde von Österreich am 19.9.2012 unterzeichnet und soll nun ratifiziert werden. Die meisten Bestimmungen werden nach Ratifikation für Österreich unmittelbar anwendbar sein. Legistische Maßnahmen sind nur im Zusammenhang mit Art. 18 (kontrollierte Lieferung), 19 (verdeckte Ermittlungen) und 20 (gemeinsame Ermittlungsgruppen) erforderlich, soweit die betreffenden Bestimmungen nicht self-executing sind, was insbesondere hinsichtlich der Voraussetzungen für die Zulässigkeit solcher Rechtshilfehandlungen und das diesbezügliche Verfahren, soweit derartige Regelungen nicht im 2. ZP selbst enthalten sind, und der Festlegung von Zuständigkeitsregelungen gilt.

Zu diesem Zweck sollen Regelungen in das Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz (ARHG) aufgenommen werden (§§ 59b, 59c, 76a, 76b), die sich an den entsprechenden Regelungen im EU-JZG (§§ 71 bis 74, 60 bis 62 und 76) orientieren.

 

In das ARHG soll eine an § 11 Abs. 1 EU-JZG orientierte, mit der Rechtsprechung des EGMR und des OGH im Einklang stehende Regelung betreffend die Zulässigkeit der Auslieferung zur Vollstreckung einer in Abwesenheit verhängten Sanktion aufgenommen werden (§ 19a).

Schließlich soll in § 32 ARHG klargestellt werden, dass eine auszuliefernde Person generell das Recht hat, sich vor Erteilung der Zustimmung zur vereinfachten Auslieferung mit einem Verteidiger zu beraten, und entsprechend zu belehren ist.

 

Nach derzeitiger ö Rechtslage (§ 10 Strafregistergesetz 1968) kommt die Übermittlung einer Strafregisterbescheinigung, die auch gekennzeichnete Verurteilungen und Tätigkeitsverbote wegen Sexualstraftaten an Kindern enthält, zum Zwecke der Vorlage an einen potenziellen Dienstgeber anlässlich der Bewerbung um eine Tätigkeit, die hauptsächlich die Betreuung von Minderjährigen umfasst, über entsprechendes Ersuchen des in einem anderen Mitgliedstaat wohnhaften oder aufhältigen Betroffenen nur auf dem Postweg in Betracht, weil dem Ersuchen eine Bestätigung des Dienstgebers nach Abs. 1b leg. cit. anzuschließen ist. Dies stellt nach Ansicht der Europäischen Kommission keine mit von Art. 10 Abs. 2 und 3 der RL 2011/93/EU vom 17.12.2011 zur Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs und der sexuellen Ausbeutung von Kindern sowie der Kinderpornographie sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2004/68/JI, ABl. L 2011/335, 1, berichtigt ABl. L 2012/18, 7, konforme Umsetzung dar, weil die Informationsübermittlung im Wege des elektronischen Austauschs aus dem Strafregister zu erfolgen habe; daher wurde die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen Österreich in Aussicht gestellt.

Im Hinblick darauf soll im Verhältnis zu den übrigen Mitgliedstaaten auf das Erfordernis des Anschlusses der erwähnten Bestätigung des Dienstgebers verzichtet werden; es wird davon ausgegangen, dass das Vorliegen der Voraussetzungen (Bewerbung um eine Tätigkeit, die hauptsächlich den Umgang mit Minderjährigen umfasst) von der ersuchenden ausländischen Behörde vor Stellung des Ersuchens geprüft wurde. Aufgrund dessen wird die Übermittlung der angeführten Informationen nach erfolgter Novellierung auf elektronischem Weg erfolgen.

Weiters soll klargestellt werden (entsprechend der Umsetzung durch die überwiegende Mehrzahl der übrigen Mitgliedstaaten), dass die Befassung anderer Mitgliedstaaten zwecks Erhalts der angeführten Informationen und die Entsprechung derartiger Ersuchen anderer Mitgliedstaaten nur mit Zustimmung des Betroffenen in Betracht kommt.

 

Der Justizausschuss hat die gegenständliche Regierungsvorlage in seiner Sitzung am 2. Dezember 2014 in Verhandlung genommen. An der Debatte beteiligten sich außer der Berichterstatterin Abgeordneten Mag. Dr. Beatrix Karl die Abgeordneten Dr. Harald Troch, Mag. Gisela Wurm, Mag. Gernot Darmann, Mag. Albert Steinhauser, Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES und Dr. Johannes Jarolim sowie der Bundesminister für Justiz Dr. Wolfgang Brandstetter.

Im Zuge der Debatte haben die Abgeordneten Mag. Michaela Steinacker und Dr. Johannes Jarolim einen Abänderungsantrag eingebracht, der wie folgt begründet war:

Zu Z 1 und 3 (Art. 1 Z 15a und 19):

Nach Art. 3 Abs. 1 des EU-Rechtshilfeübereinkommens, BGBl. III Nr. 65/2005, wird Rechtshilfe auch in Verfahren wegen Handlungen geleistet, die nach dem innerstaatlichen Recht des ersuchenden oder des ersuchten Mitgliedstaats oder beider als Zuwiderhandlungen gegen Rechtsvorschriften durch Verwaltungsbehörden geahndet werden, gegen deren Entscheidung ein auch in Strafsachen zuständiges Gericht angerufen werden kann.

Diese Bestimmung ist derzeit lediglich durch §§ 56 Abs. 1 Z 2 iVm 57 Abs. 2 EU-JZG mit der Konsequenz umgesetzt, dass an Österreich gerichtete derartige Ersuchen von den Justizbehörden zu erledigen sind.

Nunmehr soll mit dem Bundesgesetz über die Zusammenarbeit in Finanzstrafsachen mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU-FinStrZG), das im Rahmen des 2. Abgabenänderungsgesetzes 2014 geschaffen werden soll (RV: 360 BlgNR XXV. GP), eine Rechtsgrundlage dafür vorgesehen werden, dass die Finanzstrafbehörden in ihrem Zuständigkeitsbereich Rechtshilfeersuchen erledigen können.

Um künftig eine konkurrierende Zuständigkeit der Justizbehörden einerseits und der Finanzstrafbehörden andererseits zu vermeiden, soll die bisher bestehende Zuständigkeit der Justizbehörden für Rechtshilfeersuchen insoweit aufgegeben werden, als es um ein nach österreichischem Recht in die Zuständigkeit der Finanzstrafbehörden fallendes Finanzvergehen geht; damit wird die bisher bestehende Asymmetrie zumindest für einen Teilbereich beseitigt.

Rechtshilfeersuchen betreffend in die Zuständigkeit der Finanzstrafbehörden fallende Finanzvergehen sollen daher künftig den Finanzstrafbehörden abgetreten werden, die dieses nach dem neuen EU-FinStrZG zu behandeln haben werden.

Für Rechtshilfeersuchen, die in die Zuständigkeit der Gerichte fallende Finanzvergehen betreffen, bleibt es selbstverständlich bei der Zuständigkeit der Justizbehörden. Gleiches gilt bis auf weiteres auch für Rechtshilfeersuchen, die sich auf Taten beziehen, die in Österreich in die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden fallen würden.

Zu Z 2 (Art. 1 Z 19 – § 140 Abs. 13 EU-JZG)

Nach Art. 10 Abs. 4 des Protokolls (Nr. 36) über die Übergangsbestimmungen zum Vertrag von Lissabon kann das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland – mit Wirkung zum 1.12.2014 – erklären, an die vor dem Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon angenommenen Rechtsakte der polizeilichen Zusammenarbeit und der justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen (soweit sie inzwischen nicht geändert worden sind) nicht gebunden zu sein („block-pull-out“).

Eine derartige Erklärung hat das Vereinigte Königreich am 24.7.2013 abgegeben.

Nach Art. 10 Abs. 5 des Protokolls (Nr. 36) kann das Vereinigte Königreich in der Folge jederzeit mitteilen, dass es sich an einzelnen dieser Rechtsakte (wieder) beteiligen möchte („re-opt-in“).

Eine derartige Erklärung hat das Vereinigte Königreich am 20.11.2014 in Bezug auf 35 Rechtsakte abgegeben. Unter diesen 35 Rechtsakten finden sich die meisten, die die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (im engeren Sinn) betreffen und die in Österreich im EU-JZG umgesetzt sind, jedoch mit Ausnahme folgender beiden:

             - Rahmenbeschluss 2008/947/JI vom 27.11.20108 über die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung auf Urteile und Bewährungsentscheidungen im Hinblick auf die Überwachung von Bewährungsmaßnahmen und alternativen Sanktionen, ABl. L 2008/337, 102, in Österreich umgesetzt in den §§ 81 bis 99 EU-JZG, und

             - Rahmenbeschluss 2009/948/JI vom 30.11.2009 zur Vermeidung und Beilegung von Kompetenzkonflikten in Strafverfahren, ABl. L 2009/328, 42, in Österreich umgesetzt in den §§ 59a bis 59c EU-JZG.

Der vorgeschlagene neue Absatz (§ 140 Abs. 13 EU-JZG) soll daher anordnen, dass die erwähnten Be-stimmungen des EU-JZG im Verhältnis zum Vereinigten Königreich nicht anzuwenden sind.“

 

Bei der Abstimmung wurde der in der Regierungsvorlage enthaltene Gesetzentwurf unter Berücksichtigung des oben erwähnten Abänderungsantrages der Abgeordneten Mag. Michaela Steinacker und Dr. Johannes Jarolim einstimmig beschlossen.

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Justizausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle dem angeschlossenen Gesetzentwurf die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen.

Wien, 2014 12 02

                           Mag. Dr. Beatrix Karl                                                  Mag. Michaela Steinacker

                                 Berichterstatterin                                                                           Obfrau