2099/J XXV. GP

Eingelangt am 10.07.2014
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Anfrage

 

der Abgeordneten Barbara Rosenkranz

und weiterer Abgeordneter

an die Bundesministerin für Familien und Jugend

betreffend Risiken frühkindlicher Krippenbetreuung

 

Mit der nunmehr geänderten 15 a Vereinbarung betreffend den Ausbau des institutionellen Kinderbetreuungsangebots liegt der Schwerpunkt des geplanten Ausbaus der staatlichen Kinderbetreuung auf Krippenplätzen für unter Dreijährige. Damit soll das sogenannte Barcelona Ziel erreicht werden (Betreuungsquote von 33% bei Unter-Dreijährigen).

Zahlreiche wissenschaftliche Studien der jüngeren Zeit legen jedoch nahe, dass Ansätze, die aus politisch-ideologischen oder ökonomischen Gründen vorrangig auf die Befriedigung von frühkindlichen Betreuungsbedürfnissen durch Sekundärbindungspersonen setzen, erhebliche Risiken beinhalten.

In diesem Zusammenhang ist die größte Langzeitstudie in den Vereinigten Staaten zur frühkindlichen Fremdbetreuung von Kleinkindern zu nennen. Das überparteiliche staatliche "National Institute of Child Health und Human Development" (NICHD) beobachtete seit dem Jahr 1991 über 1.300 Kinder, hauptsächlich aus der Mittelschicht, von Geburt an in ihren Familien, ihren außerfamiliären Betreuungseinrichtungen und später in der Schule.

Die Studien-Ergebnisse zeigen: Ein Viertel der Vierjährigen, die schon nach wenigen Lebensmonaten ganztagsbetreut wurden, zeigte bereits ein krankhaftes Problemverhalten. Kinder im Alter bis 12 Jahren, die sich mindestens zehn Stunden pro Woche in Kinderkrippen aufgehalten hatten, legten in der Schule ein auffällig schwieriges Verhalten an den Tag. Je länger die Kinder in Krippen erzogen wurden, desto stärker die Verhaltensauffälligkeiten. Im Alter von 15 Jahren kamen schließlich vermehrt Straftaten wie Drogenmissbrauch, Vandalismus und Diebstahl hinzu. Bemerkenswert ist, dass es dabei gar nicht auf die Qualität der jeweiligen Kinderkrippe ankam. Auch Kinder, die sehr gute Betreuungseinrichtungen besucht hatten, verhielten sich stark verhaltensauffällig.

(Verweis: https://www.nichd.nih.gov/research/supported/Pages/seccyd.aspx)

 

 

Aber auch österreichische Studien kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Im Rahmen der „Wiener Kinderkrippenstudie“, haben Forscher den Wert des Stresshormons Cortisol im Speichel von Kleinkindern gemessen. Nachgewiesen wurde, dass vor allem unter zweijährige Kinder nach fünf Monaten Krippenaufenthalt unter sehr hohem Stress leiden. Die Cortisolwerte der Wiener Kinder waren vergleichbar mit denen, die bei gleichaltrigen Waisenkindern in rumänischen Heimen gemessen wurden.(Verweis:http://www.pdfk.de/KrippenTagung/Vortrag2_Ahnert_19.11.2009_Krippentagung.pdf)

 

Der renommierte Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Leiter des Sozialpädiatrischen Zentrums Bielefeld-Bethel, Dr. Rainer Böhm, erklärte in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (4. April 2012, S. 7): „Derzeit fällt es vielen noch schwer, das Bild anzunehmen, das diese neuen, objektiven Messdaten zu erkennen geben. Aber es führt kein Weg um die Einsicht herum, dass die Mehrheit ganztagsbetreuter Krippenkinder, selbst wenn sie in schönen Räumen mit anregendem Spielzeug von engagierten Erziehern oder Erzieherinnen betreut wird, den Tag in ängstlicher Anspannung verbringt, dass sich dies bei einem Teil der Kinder in anhaltenden Verhaltensauffälligkeiten niederschlägt und dass mit dieser Form der Betreuung Risiken für die langfristige seelische und körperliche Gesundheit einhergehen.“ Böhm fasst die Erkenntnisse wie folgt zusammen: „Kleinkinder dauerhaftem Stress auszusetzen ist unethisch, verstößt gegen Menschenrecht, macht akut und chronisch krank. Ein freiheitlicher Staat, der frühkindliche Betreuung in großem Umfang fördert, ist verpflichtet nachzuweisen, dass Kleinkinder keine chronischen Stressbelastungen erleiden. Das staatliche Wächteramt gebietet, eine Gefährdung des Kindeswohls gerade in öffentlichen Institutionen auszuschließen. Der Gesetzgeber sollte daher von seinen derzeitigen Plänen Abstand nehmen, ein Recht auf außerfamiliäre Betreuung ab dem ersten Geburtstag einzuführen“.

 

Aus der NICHD-Studie sind konkrete Empfehlungen für die außerfamiliäre Betreuung von Kleinkindern zusammengefasst worden. Im deutschen Sprachraum wurden diese Vorschläge auf dem Pädiatrie­Kongress 2011 in Bielefeld in den sogenannten Bielefelder Empfehlungen wie folgt formuliert:

1. Gruppentagesbetreuung für unter Dreijährige muss hohe Qualitätsanforderungen erfüllen.

2. Folgende Alters- und Mengenbegrenzungen werden empfohlen:

·     Keine Gruppentagesbetreuung bei unter Zweijährigen.

·     Zwischen dem zweiten und dritten Geburtstag maximal halbtägige Gruppentagesbetreuung (bis 20 Std./Woche).

·     Ab drei Jahren bis zu ganztägige Gruppentagesbetreuung möglich, je nach individueller Disposition.

3. Elterliche Betreuung sollte insbesondere in den ersten drei Lebensjahren gezielt unterstützt und gefördert werden.

 

 

In diesem Zusammenhang richten die unterfertigten Abgeordneten an die Bundesministerin für Familien und Jugend folgende

 

Anfrage

 

1.  Sind dem Bundesministerium für Familien und Jugend die genannten Studien, respektive die dort erwähnten Risiken der frühkindlichen Gruppenbetreuung, bekannt?

 

2.  Wenn ja, in welcher Weise hat das Bundesministerium für Familien und Jugend die Erkenntnisse der Studien in ihre Planung des Ausbaus der frühkindlichen Gruppentagesbetreuung miteinbezogen?

 

3.  Hält das sich das Bundesministerium für Familien und Jugend die einzelnen Punkte der "Bielefelder Empfehlungen" (s.o.) für berücksichtigungswert?

 

4.  Wenn ja, welche Maßnahmen planen Sie, um die elterliche Betreuung in den drei ersten Lebensjahren der Kinder zu unterstützen und zu fördern?

 

5.  Hält das Bundesministerium für Familien und Jugend das sogenannte "Barcelona-Ziel" (Steigerung der U3-Betreuungsquote) mit den in den "Bielefelder Empfehlungen" formulierten Maßnahmen zum Schutz des Kindeswohls für vereinbar?

 

6.  Wenn nein, werden Sie zu Gunsten des Kindeswohls von den im Barcelona-Ziel angestrebten Maßnahmen abrücken?

 

7.  Plant das Bundesministerium für Familien und Jugend, die Krippenbetreuung für unter Dreijährige unter pädiatrischen Gesichtspunkten wissenschaftlich zu begleiten und durch Langzeitstudien zu evaluieren?

 

8.  Wenn ja, behält sich das Bundesministerium für Familien und Jugend bei entsprechendem Studienergebnis vor, das Barcelona-Ziel der Europäischen Union zu verwerfen?

 

9.  Wenn nein, mit welcher Begründung verzichtet das Bundesministerium für Familien und Jugend, trotz der genannten Risiken für Kleinkinder auf eine wissenschaftliche Langzeit-Begleitung?