65/KOMM XXV. GP

 

Kommuniqué

der Enquete-Kommission zum Thema „Stärkung der Demokratie in Österreich“

Die Enquete-Kommission zum Thema „Stärkung der Demokratie in Österreich“ hat in der zweiten Sitzung am 22. Jänner 2015 auf Vorschlag des Obfraustellvertreters Karlheinz Kopf gemäß § 39 des Geschäftsordnungsgesetzes des Nationalrates einstimmig beschlossen, die auszugsweisen Darstellungen der öffentlichen Anhörungen als Kommuniqué zu veröffentlichen.

 

Am 22. Jänner 2015 fand die zweite öffentliche Anhörung statt, deren auszugsweise Darstellung angeschlossen ist.

 

Wien, 2015 01 22

                           Mag. Wolfgang Gerstl                                                            Karlheinz Kopf

                                     Schriftführer                                                                    Obfraustellvertreter


 

Parlament Österreich



Enquete-Kommission

 

„Stärkung der Demokratie in Österreich“

 

Bild des Parlamentsgebäudes

 

 

Auszugsweise Darstellung

(verfasst vom Stenographenbüro)

 

 

2. Sitzung

Donnerstag, 22. Jänner 2015

10.02 Uhr – 14.13 Uhr

NR-Saal

Referate

A. Einleitende Referate

 

Länder

 

Ass.-Prof. Mag. Dr. Michael Mayrhofer

3

Univ.-Prof. Dr. Peter Bußjäger

6

Dr. Wolfgang Steiner

8

FH-Prof. MMag. Dr. Florian Oppitz

11

Mag. Josef Hörmandinger

13

Gemeinden

 

Ass.-Prof. Mag. Dr. Karim Giese

15

Magistratsdirektor Dr. Martin Floss

18

Mag. Nicolaus Drimmel

20

Bürgerräte

 

Dr. Manfred Hellrigl

24

B. Diskussion

 

 


 

Beginn der Sitzung: 10.02 Uhr

Obfrau-Stellvertreter Präsident Karlheinz Kopf eröffnet die Sitzung der Enquete-Kommission betreffend „Stärkung der Demokratie in Österreich“, bei der es um das Thema Weiterentwicklung der Direkten Demokratie, Land – Recht – Praxis – Politische Positionen der Länder geht, und begrüßt die Mitglieder der Enquete-Kommission, die Bürgerinnen und Bürger, die mittels Auslosung ausgewählt wurden –Heinz Emhofer, Günther Liegl, Michelle Missbauer, Felix Ofner, Marlen Ondrejka, Harald Petz, Mag. Barbara Ruhsmann und Helga Schattauer –, die anwesenden Experten sowie die Zuseherinnen und Zuseher.

Nach Hinweisen auf die Redeordnung macht der Obfrau-Stellvertreter darauf aufmerksam, dass alle Bürgerinnen und Bürger weiterhin dazu aufgerufen sind, Stellungnahmen zum Themenbereich dieser Enquete-Kommission abzugeben beziehungsweise via Twitter unter dem Hashtag #EKDemokratie an den Debatten teilzunehmen.

Sodann leitet der Obfrau-Stellvertreter zum ersten Themenblock der einleitenden Referate über.

A. Einleitende Referate

Länder

Obfrau-Stellvertreter Präsident Karlheinz Kopf erteilt als erstem Referenten Herrn Dr. Mayrhofer das Wort.

Ass.-Prof. Mag. Dr. Michael Mayrhofer (Johannes Kepler Universität Linz): Die Landesverfassungen aller unserer Bundesländer regeln unterschiedliche Instrumente der direkten Demokratie, und alle Verfassungen sehen dabei die drei „klassischen“ Instrumente vor: das Volksbegehren, die Volksbefragung und die Volksabstimmung, wobei diese Instrumente in den verschiedenen Bundesländern zum Teil mit unterschiedlichen Bezeichnungen bedacht sind und in ihrer näheren Ausgestaltung durchaus divergieren.

Über diese drei Formen hinaus kennen die Landesverfassungen weitere Formen der Bürgerpartizipation, auf die ich dann im Folgenden eingehen werde. Vorab noch folgender Hinweis: Die Landesverfassungen regeln die direktdemokratischen Instrumente jeweils nicht abschließend, sondern überlassen es dann den einfachen Landesgesetzgebern, nähere Regelungen zu treffen. Zum Teil, auch das nur als Anmerkung, gibt es auch Regelungen über Bürgerpartizipation in Gemeinden, insbesondere über Befragungen und Volksabstimmungen im eigenen Wirkungsbereich der Gemeinden.

Zu den drei – unter Anführungszeichen – „Hauptformen“:

Zunächst zum Volksbegehren:

Das Volk ist in allen Bundesländern befugt, vom Landtag die Erlassung, Änderung oder Aufhebung eines Landesgesetzes zu verlangen, also eine entsprechende Initiative zu starten, wobei die Initiative entweder in Gestalt eines Gesetzentwurfes oder in manchen Bundesländern darüber hinaus zumindest in einer hinreichend konkreten Bezeichnung der geforderten oder der begehrten Legislativmaßnahmen zu bestehen hat.

Interessant ist, dass die Mindestzahlen der Personen, die als Unterstützer einer solchen Initiative auftreten müssen, einerseits divergieren und andererseits in aller Regel – mit Ausnahme Tirols – prozentuell über der für Volksbegehren auf Bundesebene vorgesehenen Unterstützerzahl liegen. Die größte Hürde hat Wien. In Wien sind 5 Prozent der Wahlberechtigten als Unterstützer gefordert. Die geringste Hürde hat Tirol. Es unterbietet mit den 1,4 Prozent die 1,6 Prozent, die auf Bundesebene erforderlich sind.

Eine weitere Abweichung zum Volksbegehren auf Bundesebene sieht Salzburg in interessanter Weise vor. In Salzburg muss jedes ausreichend unterstützte Volksbegehren zwingend einer Volksabstimmung unterzogen werden, und erst wenn diese Volksabstimmung eine Mehrheit für die Initiative ergibt, ist das Begehren dem Landtag vorzulegen. Das ist zwar einerseits eine Hürde, andererseits aber wird die faktische Wirkung des Volksbegehrens durch eine solche Volksabstimmung – für den Fall, dass die Volksabstimmung für das Begehren ausgeht – natürlich erheblich gesteigert.

Darüber hinaus sehen – und auch das ist ein Unterschied zu den Regelungen auf Bundesebene – manche Landesverfassungen für den Fall, dass der Landtag einer Initiative, einem Begehren nicht Rechnung trägt, Mechanismen vor, die insbesondere darin bestehen, dass dann eine Volksabstimmung stattzufinden hat, deren Ergebnis zwar nicht verbindlich ist, die also den Landtag dann nicht bindet, verfassungsrechtlich auch gar nicht binden dürfte, die aber ebenfalls die faktische Wirkung des Begehrens noch einmal unterstreicht.

Möglich ist es nach den Landesverfassungen nicht nur, einen Akt der Gesetzgebung zu begehren, sondern möglich ist es nach den Landesverfassungen auch, einen Akt der Verwaltung zu begehren. Die Verfassungen kennen also das Instrument der sogenannten Verwaltungsinitiative, wobei auch da regelmäßig eine bestimmte Mindestzahl von Unterstützern erforderlich ist, teilweise nicht jede Person als Initiator auftreten kann, sondern mitunter eine entsprechende Betroffenheit verlangt ist beziehungsweise eine regionale oder überregionale Bedeutung der begehrten Administrativmaßnahme gefordert ist.

Zum einheitlichen Instrument der Bürgerinitiative, wie sie in Oberösterreich vorgesehen ist, wird dann sicher Landtagsdirektor Dr. Steiner noch sprechen.

Zum zweiten Instrument, der Volksabstimmung:

Die Volksabstimmung, wie sie auch das Bundes-Verfassungsgesetz kennt, ist auch in allen Landesverfassungen etabliert. Ich möchte daher im Detail gar nicht so sehr auf das Instrument an sich eingehen. Es geht in diesem Fall darum, dass in verbindlicher Weise darüber abgestimmt werden kann, also von den Wahlberechtigten darüber abzustimmen ist, ob ein Gesetzesbeschluss des Landtages in Kraft treten soll oder nicht, insbesondere ob er überhaupt kundgemacht werden darf oder nicht.

Das Instrument der Volksabstimmung hat von seinen rechtlichen Folgen her die weitestgehenden Wirkungen, ist also ein Instrument, dessen Ergebnis mit Rechtsverbindlichkeit ausgestattet ist. Während auf Bundesebene die Volksabstimmung – so sie nicht überhaupt obligatorisch durchzuführen ist – nur jeweils vom Parlament beschlossen werden kann, sehen, und das ist eine Besonderheit, manche Landesverfassungen vor, dass auch eine ausreichende Zahl von Wahlberechtigten – also Bürgerinnen und Bürgern – eine solche Volksabstimmung verlangen kann beziehungsweise dass das Begehren nach einer Volksabstimmung rechtsverbindlich auch von einer bestimmten Zahl von Gemeinden ausgehen kann.

Hier stellt sich natürlich die Frage, ob das – jedenfalls was die Initiative von Gemeinden betrifft – leicht auf die Bundesebene übertragbar wäre. Was die Initiative der Bürgerinnen und Bürger betrifft, bin ich der Meinung, dass das wohl unproblematisch, denkbar und möglich wäre.

Ich habe es vorhin erwähnt und möchte nur noch darauf hinweisen, dass das Instrument der Volksabstimmung, zumindest in einigen Landesverfassungen, auch eingesetzt wird, um Volksbegehren, denen der Landtag nicht Rechnung getragen hat, dann noch einmal mit verstärkender Wirkung zu versehen. Das heißt also, dass einem Volksbegehren, dem nicht ausreichend Rechnung getragen wurde, eine Volksabstimmung nachfolgen kann und dann das Begehren, so die Volksabstimmung positiv ausgeht, nochmals dem Landtag vorzulegen ist.

Das dritte Instrument, die Volksbefragung, ist auch in allen Bundesländern – mit Ausnahme Wiens – auf Landesebene vorgesehen. Da geht es um die rechtsunverbindliche Erforschung des Willens der Bürgerinnen und Bürger, wobei bestimmte Fragen der Volksbefragung entzogen sind. – Personalfragen oder individuelle Entscheidungen etwa dürfen keiner Volksbefragung unterzogen werden.

Da ist es auch so, dass einerseits die Landesregierungen eine solche Volksbefragung anordnen können, darüber hinaus aber auch regelmäßig Bürgerinnen und Bürger eine Volksbefragung zu einem bestimmten Thema verlangen können, wobei Volksbefragungen nicht bloß landesweit stattfinden können, sondern auch auf bestimmte Regionen, mitunter sogar auf einzelne Bezirke oder einzelne Gemeinden beschränkt angeordnet werden können.

Interessant ist hier, dass zwar das Ergebnis der Volksbefragung rechtsunverbindlich ist, zum Teil allerdings vorgesehen ist, dass sich der Landtag oder die Landesregierung – je nachdem, wer an sich für die Umsetzung des Ergebnisses zuständig wäre – jedenfalls mit dem Ergebnis zu befassen hat und einen begründeten Beschluss zu fassen hat, was bedeutet, dass tatsächlich in einer transparenten Weise dargestellt werden muss, warum Landtag oder Landesregierung dem Ergebnis gefolgt sind oder nicht gefolgt sind.

Das sind zwar nur – darauf ist hinzuweisen – flankierende Mechanismen, die da eingesetzt werden, die aber in der Praxis dann durchaus erhebliche Wirkungen herbeiführen können. Also eine bloße Begründungspflicht mag schon eine zusätzlich durchaus erheblich verstärkende Wirkung herbeiführen.

Neben diesen drei „klassischen“ Instrumenten gibt es dann weitere Instrumente, die in ihrer Tragweite mitunter nicht so weitgehend erscheinen. Hinzuweisen ist insbesondere auf die Möglichkeit der Bürgerinnen- und Bürgerbegutachtung von Gesetzentwürfen. Ausgewählte Gesetzentwürfe können vor ihrer Beschlussfassung durch den Landtag der Begutachtung durch die Wahlberechtigten beziehungsweise insgesamt durch die Bürgerinnen und Bürger ausgesetzt werden. Darüber hinaus kennen die Verfassungen dann auch noch Auskunfts- und Beschwerderechte beziehungsweise Petitionsrechte, die letztlich aber schon auf das Staatsgrundgesetz aufbauen und durch die Landesverfassungen zum Teil mehr oder weniger nur mehr wiederholt werden.

Zwei abschließende Bemerkungen:

Zum Rechtsschutz:

Jedenfalls bei Volksabstimmungen, Volksbefragungen und Volksbegehren läuft der Rechtsschutz in letzter Konsequenz bis zum Verfassungsgerichtshof. Da ist die Praxis, die in den letzten Jahren ein wenig Platz gegriffen hat, mitunter problematisch, dass Länder oder Gemeinden abseits der verfassungsgesetzlich vorgesehenen Formen andere Formen gleichsam erfinden, die keine rechtlichen Rahmenbedingungen haben, und direktdemokratische Instrumente einsetzen, die dann aber nicht der nachprüfenden Kontrolle des Verfassungsgerichtshofes unterliegen.

Und zum Einsatz elektronischer Kommunikationsmittel bei direktdemokratischen Einrichtungen: Es ist bekannt, dass die Etablierung von E-Demokratie auf verfassungsrechtliche Hürden stößt, die mitunter auch die Zurückhaltung der Landesverfassungsgesetzgeber in diesem Bereich begründen mögen. Es gibt aber mit Sicherheit Instrumente – ich nenne nur das Instrument der Bürgerbegutachtung und verweise hier in positiver Form etwa auf Oberösterreich –, die sich durchaus dazu eignen, durch Einsatz elektronischer Kommunikationsmittel in ihrer Wirkung verstärkt zu werden. 

*****

Länderexperten zu Recht und Praxis in ausgewählten Bundesländern

Obfrau-Stellvertreter Präsident Karlheinz Kopf leitet zum nächsten Punkt über und erteilt als erstem Redner Herrn Professor Dr. Bußjäger das Wort.

Univ.-Prof. Dr. Peter Bußjäger (Länderexperte Vorarlberg): Ich bedanke mich für die Einladung und möchte Ihnen einige Informationen zu Theorie und Praxis der direkten Demokratie in Vorarlberg geben.

Sie werden – das gilt allerdings auch für die weiteren Beiträge – heute mit einer erheblichen föderalen Vielfalt von direktdemokratischen Instrumenten konfrontiert werden. Ich möchte aber Folgendes voranstellen: Diese sehr erfreuliche Vielfalt von direktdemokratischen Instrumenten, die wir auf Landes- und Gemeindeebene vorfinden, korreliert nicht immer mit einer praktischen Inanspruchnahme. Und das ist etwas, das ich Ihnen heute von meiner Seite aus schon mitgeben möchte: Wir müssen uns, glaube ich, auch Gedanken darüber machen, wie wir die Bürgerinnen und Bürger, so wir das wollen, überhaupt dazu bringen können, dass sie von diesem reichhaltigen Instrumentarium auch Gebrauch machen. – Dies vorweg. Die direktdemokratischen Instrumentarien in Vorarlberg unterscheiden sich nicht wesentlich von dem, was wir kennen. Wir haben gehört, dass es eine Volksabstimmung, ein Volksbegehren sowie eine Volksbefragung gibt. – Ich möchte nur auf die Dinge eingehen, in denen wir uns sozusagen etwas abheben.

Die Zugangsschwelle für die Volksbegehren liegt in Vorarlberg bei ungefähr 1,9 Prozent der Stimmberechtigten und damit ungefähr in der Mitte. Eine Besonderheit ist Artikel 33 Abs. 5 der Landesverfassung: „Lehnt es der Landtag ab, einem Volksbegehren, das von wenigstens 10 % der Stimmberechtigten gestellt wurde, Rechnung zu tragen, so ist es der Volksabstimmung zu unterziehen.“ Diese Volksabstimmung hat dann natürlich ein erhebliches Gewicht für den Landtag. Das ist die politische Wirkung dieses Instruments.

Die rechtliche Wirkung, nämlich dass der Landtag verpflichtet ist, dem Ergebnis der Volksabstimmung Rechnung zu tragen, wurde – das kann man, glaube ich, mittlerweile schon als bekannt voraussetzen – mit dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes 16 241/2001 als gesamtändernd und bundesverfassungswidrig betrachtet und daher aufgehoben. Das gibt es jetzt nicht mehr. Es gibt aber weiterhin – und das wurde als bundesverfassungskonform so vom Verfassungsgerichtshof stehen gelassen – die verpflichtende Volksabstimmung, und dann müsste der Landtag entscheiden, was er tatsächlich tut.

Interessant ist, dass das Volksbegehren einer Zulässigkeitsprüfung im Hinblick auf übergeordnetes Recht zu unterziehen ist. Die Landeswahlbehörde hätte also festzustellen, ob das Volksbegehren, so wie es intendiert ist, überhaupt bundesverfassungskonform ist. Es könnte ja kompetenzwidrig oder Ähnliches sein. – Das ist – wenn man das so bezeichnen will – eine Art präventive Normenkontrolle.

Erwähnenswert ist aus meiner Sicht eine Neuerung, die unlängst, im Jahr 2014, eingeführt wurde. Durch diese wird es ermöglicht, Unterstützungserklärungen auch außerhalb des Gemeindeamtes, sozusagen auf der Straße, zu sammeln, wie wir das von Liechtenstein und der Schweiz kennen. Die Leute müssen also, um ein Volksbegehren zu unterstützen, nicht mehr zum Gemeindeamt gehen.

Eine besondere Form eines Volksbegehrens ist übrigens auch die sogenannte Kontroll-Initiative: 5 000 Stimmberechtigte können verlangen, dass der Landesrechnungshof einen bestimmten Vorgang in der Landesverwaltung prüft.

Was die Volksbefragung betrifft, so ist diese für Angelegenheiten der Verwaltung vorgesehen. Auch in diesem Zusammenhang ist hervorzuheben, dass umgerechnet 1,9 Prozent der Stimmberechtigten oder ungefähr 10 Prozent der Gemeinden eine solche Volksbefragung verlangen können und diese dann durchzuführen ist, und zwar unabhängig davon, dass das der Landtag beschließt oder die Landesregierung anordnet.

Interessant ist das Instrument der Volksabstimmung, ausgeprägt als sogenanntes Vetoreferendum, wie es in der Literatur bezeichnet wird: Das heißt, es können innerhalb von acht Wochen nach Fassung des Gesetzesbeschlusses durch den Landtag insgesamt 10 000 Stimmberechtigte verlangen, dass eine Volksabstimmung abzuhalten ist, und diese ist dann durchzuführen.

Es hat bisher einen Anwendungsfall gegeben, der aber schon sehr weit zurückliegt. Dieser hat tatsächlich in der Praxis dazu geführt, dass das Volk das vom Landtag mit großer Mehrheit beschlossene Gesetz mit ebenso großer Mehrheit verworfen hat.

Ein solches Referendum können 10 000 Stimmberechtigte verlangen, aber auch zehn Gemeinden von insgesamt 96. Auch in diesem Zusammenhang besteht eine erhebliche Einflussmöglichkeit der Gemeinden. In der Praxis wirkt sich das so aus, dass die Gemeinden in politischer Hinsicht dadurch zu einer Art Vetoplayer gegenüber dem Landtag gemacht werden. Das heißt, sie haben im Gesetzgebungsverfahren großen Einfluss, weil, wie gesagt, zehn Gemeinden bereits verlangen können, dass eine Volksabstimmung über das Gesetz durchgeführt wird. Dabei darf es sich, wohlgemerkt, nicht um zehn Bürgermeister handeln, sondern das müssen zehn Gemeinden aufgrund von Gemeindevertretungsbeschlüssen verlangen. In der Praxis sind bisher mehrere solcher Verlangen von Gemeinden knapp an dieser Hürde gescheitert.

Man kann auch die verfassungsrechtliche Frage stellen, ob das Vetoreferendum in den Ländern, das wir in mehr oder weniger abgeänderter Form fast überall vorfinden, vor dem Hintergrund des bereits erwähnten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes aus dem Jahr 2001 auch tatsächlich bundesverfassungskonform ist. Diese Frage hat sich aber bisher noch nicht gestellt.

Zur direkten Demokratie auf Gemeindeebene: Da finden wir ganz ähnliche Instrumente, auf die ich jetzt aber nicht näher eingehen möchte. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass für die Inanspruchnahme dieser Instrumente abgestufte Schwellenwerte vorgesehen sind: In den größeren Gemeinden liegt diese Schwelle niedriger, weil der Gesetzgeber davon ausgeht, dass es in größeren Gemeinden erfahrungsgemäß schwieriger ist, die Bürgerinnen und Bürger zu mobilisieren, als in kleineren Gemeinden. In Gemeinden mit unter 1 500 Einwohnern liegt dieser Schwellenwert beispielsweise bei 20 Prozent der Stimmberechtigten, in den größeren Gemeinden geht er bis auf 10 Prozent der Stimmberechtigten hinunter.

Auch in diesem Zusammenhang finden wir all diese Instrumente, nämlich Volksbegehren, Volksabstimmung und Volksbefragung. Wichtig ist natürlich auf Gemeindeebene, dass sich die Volksbefragung oder die Volksabstimmung nicht auf individuelle Verwaltungsakte, etwa betreffend die Erteilung einer Baubewilligung, beziehen dürfen, sondern dass es sich sozusagen um einen generellen Verwaltungsakt handeln muss.

Betreffend die Inanspruchnahme dieser Instrumente haben wir in Vorarlberg auf Gemeindeebene durchaus reichhaltige Erfahrungen. Wir hatten in den letzten Jahrzehnten etwas mehr als 30 Volksabstimmungen und Volksbefragungen. Man kann darüber diskutieren, ob das viel oder nicht viel ist, es ist aber jedenfalls im Vergleich eine durchaus beachtliche Zahl.

Ich möchte zur Praxis darauf hinweisen, dass es sich keineswegs so verhält, dass die Bürgerinnen und Bürger eine bestimmte Angelegenheit immer verwerfen oder dazu immer negativ eingestellt sind, sondern es kommt praktisch alles vor. In einer Tourismusgemeinde wird beispielsweise – obwohl man das vielleicht nicht annehmen würde – der Zusammenschluss zweier Schigebiete von der deutlichen Bevölkerungsmehrheit abgelehnt. So etwas kommt durchaus vor! Die Leute wissen schon, wenn sie zum Beispiel die Wahl zwischen einer Investition in einen Gemeindesaal oder in andere Projekte haben, dass sie nicht beides haben können.

Meine Botschaft in diesem Zusammenhang lautet: Man darf den Bürgerinnen und Bürgern auch einiges zutrauen.

Es wurde schon angesprochen, ich möchte nur ganz kurz noch auf die sogenannten partizipatorischen Instrumente eingehen: Die Bürgerräte werde ich nicht erwähnen, weil sie von Dr. Hellrigl behandelt werden. Dafür erwähne ich jetzt zunächst die Bürger-Begutachtung von Gesetzen: Tatsächlich wird nach einer Verfassungsvorschrift über jede Regierungsvorlage eine sogenannte Bürgerbegutachtung durch die Einwohner Vorarlbergs durchgeführt, und zwar können natürlich nicht nur die Staatsbürgerinnen und Staatsbürger, sondern kann jeder dazu Stellung nehmen. Selbstverständlich – möchte ich sagen – ist das betreffende Gesetz online gestellt, die Stellungnahme kann also übers Internet abgegeben werden.

Außerdem ist in der Geschäftsordnung des Landtages noch verankert, dass die Landesregierung eine Zusammenfassung der nicht berücksichtigten Stellungnahmen der Bürgerinnen und Bürger dem Landtag vorzulegen hat, wenn sie den Gesetzesvorschlag dem Landtag übermittelt.

Betreffend Petitionen wurde schon gesagt, dass es da nichts wesentlich Neues zu berichten gibt.

*****

Dr. Wolfgang Steiner (Länderexperte Oberösterreich): Einleitend bedanke auch ich mich für die ehrenvolle Einladung und die damit verbundene Möglichkeit, Ihnen kurz und präzise die landesverfassungsrechtliche Situation in Oberösterreich zu skizzieren und im Rahmen dieser Enquete-Kommission insgesamt Ideen aufzugreifen und zu diskutieren, um aus guten Beispielen und der Erfahrung anderer lernen zu können, wobei ich gleich zu Beginn anmerken möchte, dass eine Übernahme von Instrumenten, die auf einer Ebene funktionieren, auf eine andere Ebene gut überlegt werden muss und nicht undifferenziert erfolgen darf, und zwar auch hinsichtlich der Themen, die ja auf Gemeinde-, Landes- und Bundesebene durchaus unterschiedlich sein können beziehungsweise sind.

Die in Oberösterreich auf Landesebene vorgesehenen Instrumente direkter Demokratie sind im 5. Hauptstück unseres Landes-Verfassungsgesetzes unter der Rubrik „Bürgerinnen- und Bürgerrechte“ zusammengefasst. Die näheren Regelungen enthält das Oberösterreichische Bürgerinnen- und Bürgerrechtegesetz. Die aktuelle Fassung dieser Bestimmungen geht im Wesentlichen auf eine Reform aus dem Jahr 2001 zurück, die damals auch unter dem Eindruck einer erstmals und einmalig stattgefunden habenden Landesvolksbefragung zur Frage der Errichtung eines Musiktheaters in Linz stand.

Unmittelbar vor Beschlussfassung im Landtag steht jetzt eine Reduzierung der Zahl der notwendigen Unterstützungsunterschriften und damit eine Erleichterung des Zugangs, die mit Beginn der nächsten Gesetzgebungsperiode des Landtags im Herbst dieses Jahres in Kraft treten wird.

Die Bürgerinnen- und Bürgerrechte sind jeweils sowohl in Richtung Gesetzgebung, also Landtag, als auch – und das ist auf Länderebene in gewisser Weise eine Besonderheit – in Richtung Vollziehung, nämlich Landesregierung, vorgesehen. Die einzelnen Bürgerinnen- und Bürgerrechte sind – in der Reihenfolge, wie sie auch in der Verfassung stehen –: die Bürgerinnen- und Bürgerbegutachtung, die Bürgerinnen- und Bürgerinitiative mit einer allenfalls nachfolgenden Bürgerinnen- und Bürgerbefragung, die Bürgerinnen- und Bürgerabstimmung und das Petitionsrecht.

Bei der Bürgerinnen- und Bürgerbegutachtung, die sowohl von der Landesregierung als auch vom Landtagsausschuss initiiert werden kann, werden die Bürgerinnen und Bürger in der Regel mittels Zeitungsinserat oder im Internet aktiv eingeladen, zu Entwürfen von Gesetzen und Verordnungen von grundsätzlicher Bedeutung Stellung zu nehmen. Die Stellungnahmen werden für die Beratung der Vorlagen aufbereitet und zum Beispiel in den Unterausschüssen des Landtags jeweils mit erwogen. – Eine solche Bürgerinnen- und Bürgerbegutachtung findet dieser Tage zu einer Änderung gerade der Bestimmungen hinsichtlich der Bürgerinnen- und Bürgerrechte statt.

Zur Bürgerinnen- und Bürgerabstimmung sowie zum Petitionsrecht sind aus meiner Sicht keine Besonderheiten hervorzuheben, abgesehen von dem Hinweis, dass sich die Behandlung von Petitionen im Landtag von der Behandlung im Nationalrat auf Geschäftsordnungsebene vor allem dadurch unterscheidet, dass im Oberösterreichischen Landtag vom zuständigen Ausschuss grundsätzlich alle Petitionen zu behandeln sind, unabhängig davon, von wem sie überreicht oder von wie vielen Personen sie unterstützt werden.

Besonderheiten bestehen allerdings beim Initiativrecht der Bürgerinnen und Bürger. Dazu hat sich der Oberösterreichische Landtag im Zeitraum vor der Änderung im Jahr 2001 sehr ausführlich mit den Möglichkeiten einer verstärkten Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger sowie mit den dafür gegebenen bundesverfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen einschließlich des auch in der ersten Sitzung und heute schon von Peter Bußjäger genannten Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes – Sammlungsnummer 16 241 – auseinandergesetzt.

Im Rahmen einer Bürgerinnen- und Bürgerinitiative können demnach – thematisch – die Erlassung, Änderung oder Aufhebung von Landesgesetzen einschließlich Landesverfassungsgesetzen, die Fassung sonstiger in den selbständigen Wirkungsbereich des Landes fallender Beschlüsse durch den Landtag sowie die Erlassung, Änderung oder Aufhebung von in den selbständigen Wirkungsbereich des Landes fallender Maßnahmen der Verwaltung verlangt werden.

Themenverbote betreffen lediglich Personalfragen, Wahlen und Angelegenheiten, die ausschließlich den Inhalt einer konkreten individuellen behördlichen Entscheidung betreffen. Diese können nicht Gegenstand einer solchen Initiative sein.

Die Initiative kann in Form einer einfachen Anregung oder als ausgearbeitete Vorlage gestellt werden. Sie muss in jedem Fall begründet sein.

Bürgerinnen- und Bürgerinitiativen, die diesen Erfordernissen nicht entsprechen, sind als einfache Eingaben an den Landtag oder die Landesregierung zu behandeln.

Im Übrigen hat die Landesregierung sicherzustellen, dass interessierte Landesbürgerinnen und Landesbürger über die Voraussetzungen und das Verfahren einer Bürgerinnen- und Bürgerinitiative kostenlos beraten werden.

Zu den Quoren: Eine Bürgerinnen- und Bürgerinitiative muss derzeit von mindestens 3 Prozent – vor Beschlussfassung steht hier, wie gesagt, eine Änderung auf 2 Prozent – der für die vorangegangene Wahl zum Landtag wahlberechtigten Landesbürgerinnen oder Landesbürger unterstützt sein. Man braucht daher – auf Basis der Wahlberechtigten 2009 – bei derzeitiger Rechtslage rund 32 650 beziehungsweise nach der Änderung rund 21 700 Unterstützungsunterschriften. Liegt die entsprechende Zahl von Unterstützungsunterschriften vor, ist die Initiative im Landtag beziehungsweise in der Landesregierung zu behandeln.

Eine darüber hinausgehende Konsequenz ist für Initiativen vorgesehen, die von einer qualifizierten Zahl von Wahlberechtigten unterstützt werden. Fassen nämlich der Landtag oder die Landesregierung über eine Bürgerinnen- und Bürgerinitiative, die wenigstens – bei derzeitiger Rechtslage – von 8 Prozent, in Hinkunft von 4 Prozent der für die vorangegangene Wahl zum Landtag wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger unterstützt wurde, innerhalb von sechs Monaten keinen der Initiative wenigstens den Grundzügen nach entsprechenden Beschluss, ist diese Initiative einer nachfolgenden Befragung der Bürgerinnen und Bürger zu unterziehen, jedenfalls dann, wenn dies von der zustellungsbevollmächtigten Person spätestens vier Wochen nach Ablauf der sechs Monate verlangt wird.

Sprechen sich die Landesbürgerinnen und Landesbürger in dieser Befragung mehrheitlich dafür aus, dass der Initiative Rechnung getragen werden soll, so haben sich der Landtag beziehungsweise die Landesregierung mit dem Anliegen neuerlich zu beschäftigen und innerhalb von sechs Monaten einen Beschluss zu fassen. Dieser ist zu begründen und in geeigneter Weise – nämlich in der „Amtlichen Linzer Zeitung“ – kundzumachen. Eine darüber hinausgehende Bindung des Landtags beziehungsweise der Landesregierung an das Ergebnis der Bürgerinnen- und Bürgerbefragung scheint vor dem Hintergrund der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes – Sie haben es ja schon gehört – verfassungsrechtlich nicht möglich.

Insgesamt hat Oberösterreich damit meines Erachtens ein aufgrund der Basis der genannten verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen sehr adäquates und offenes System der Mitbeteiligung der Bürgerinnen und Bürger an den politischen Prozessen auf Landesebene.

Abschließend noch ein Gedanke zur Weiterentwicklung: Bei der Beratung der jüngsten Novelle hat sich der Oberösterreichische Landtag natürlich auch sehr intensiv mit den Möglichkeiten der Initiierung und der Unterstützung der Bürgerinnen- und Bürgerrechte befasst, die sich durch die neuen elektronischen, vor allem internetgestützten Medien ergeben. Der Landtagsausschuss hat dazu uns in der Landtagsdirektion beauftragt, ein Projekt vorzubereiten, mit dem diese Möglichkeiten in einem nächsten, sehr zeitnahen Schritt noch weiter geöffnet werden sollen. Wir denken hier vor allem an einfache Einbringungsmöglichkeiten, aber auch in Richtung gesicherte Online-Unterstützungsmöglichkeiten und würden dabei ein möglichst einheitliches System für alle Ebenen – Bund, Länder und Gemeinden – bevorzugen. Insoweit bin ich auch an der hier geführten Diskussion dazu überaus interessiert.

*****

FH-Prof. MMag. Dr. Florian Oppitz (Länderexperte Kärnten): Ich darf Ihnen die Situation in Kärnten, was direkte Demokratie betrifft, vorstellen. In Kärnten gibt es direkte Demokratie ganz ähnlich wie auf Bundesebene. Kärnten war eines der ersten Bundesländer, die diese Formen – Volksbegehren, Volksbefragung, Volksabstimmung – eingeführt haben, und zwar durch eine Verfassungsnovelle im Jahr 1974. Die Ausgestaltung lehnt sich auch sehr eng an die Bundesrechtslage an.

In Kärnten gibt es Volksbegehren auf Landesebene mit einer Unterstützung von 3 000 Wahlberechtigten. Dazu braucht man beglaubigte, von der Gemeinde bestätigte Unterschriften. Diese 3 000 Unterschriften werden der Landeswahlbehörde vorgelegt, die dann über die Einleitung des Volksbegehrens entscheidet. Es wird eine Frist von einer Woche festgelegt, innerhalb derer das Volksbegehren auf den Gemeindeämtern unterstützt werden kann, ganz ähnlich wie auf Bundesebene. Kommen bei dieser Unterschriftensammlung auf den Gemeinden mindestens 15 000 Unterschriften zusammen – das sind ungefähr 3,5 Prozent der Wahlberechtigten –, dann war das Volksbegehren erfolgreich und wird von der Landeswahlbehörde an den Landtag weitergeleitet. Andere Folgen gibt es nicht; es gibt in der Landtagsgeschäftsordnung oder auf anderer gesetzlicher Ebene keine sonstigen Folgen eines erfolgreichen Volksbegehrens.

In Kärnten hat es bislang drei Volksbegehren auf Landesebene gegeben: 1984 wurde auf Initiative des Kärntner Heimatdienstes ein Volksbegehren durchgeführt; das Minderheiten-Schulgesetz sollte geändert werden, es sollte mehr getrennter Unterricht für slowenisch- beziehungsweise deutschsprachige Kinder erreicht werden. Dieses Volksbegehren wurde mit 34 000 Unterschriften unterstützt, das entspricht etwa 9 Prozent der Wahlberechtigten. Das zweite Volksbegehren in Kärnten, 1986, betreffend die Ausweitung der Bergbauernförderung, wurde von 21 000 Wahlberechtigten unterstützt; das sind etwa 5,5 Prozent der Wahlberechtigten. Das dritte und bislang letzte Volksbegehren betraf das Objektivierungsgesetz – auf Initiative der Freiheitlichen Partei sollte dieses Gesetz geändert werden – und wurde mit 27 000 Unterschriften unterstützt; das sind 7 Prozent der Wahlberechtigten.

Zum zweiten Instrument, der Volksbefragung: Volksbefragungen gibt es in Kärnten auf zwei Schienen, zum einen auf Anordnung durch die Landesregierung – die Landesregierung kann jederzeit eine Volksbefragung anordnen –, zum anderen können aber auch 15 000 Wahlberechtigte mit ihren – wiederum beglaubigten und bestätigten – Unterschriften eine solche Volksbefragung erzwingen. Wenn diese Unterschriften vorliegen, ordnet die Landesregierung die Volksbefragung an. Allerdings muss der Antrag auf Durchführung einer Volksbefragung, wenn er auf 15 000 oder mehr Unterschriften gestützt ist, bei der Landeswahlbehörde gestellt werden, die über die Zulässigkeit der Volksbefragung entscheidet. 15 000 Unterschriften entsprechen knapp 3,5 Prozent der Wahlberechtigten in Kärnten. Die Durchführung der Volksbefragung erfolgt dann wiederum nach den Regeln der Landtagswahlen, mit Landeswahlbehörden, die da eingesetzt werden – ganz ähnlich wie auf Bundesebene.

In Kärnten hat es bislang drei Volksbefragungen gegeben, alle wurden auf Grundlage einer Anordnung der Landesregierung durchgeführt, also ohne Unterschriftensammlung im Vorfeld. Die Volksbefragungen waren jene 1980 über das Naturschutzgebiet Nockberge – mit 21 Prozent Beteiligung und 94 Prozent Ja-Stimmen –, jene 1997 über die Durchführung der Olympischen Spiele gemeinsam mit Italien und Slowenien – 32 Prozent Beteiligung und 81 Prozent Ja-Stimmen – und jene 1999 über eine Müllverbrennungsanlage in Arnoldstein. Diese Volksbefragung wurde nur im Gemeindegebiet Arnoldstein durchgeführt; auch das ist in Kärnten möglich, dass man eine Volksbefragung nur in einem Teil des Landes durchführt. 78 Prozent der Bevölkerung in Arnoldstein haben sich beteiligt und 58 Prozent mit Ja gestimmt.

Über diese rechtlichen Instrumentarien haben sich in Kärnten in den letzten zehn Jahren einige andere Initiativen ergeben, über die ich auch berichten will, obwohl sie nicht direkt als Volksbefragungen zu bezeichnen sind.

2006 hat es eine Initiative für eine Ortstafelvolksbefragung gegeben. Ortstafeln spielen in allen Bereichen des Kärntner Lebens eine Rolle, auch bei Volksbefragungen. Diese Ortstafelvolksbefragung wurde von Jörg Haider – funktionell – als Privatperson eingeleitet, sie wurde mit über 15 000 Unterschriften unterstützt. Es wurde ein Antrag an die Landeswahlbehörde gestellt. Dieser Antrag wurde von der Landeswahlbehörde allerdings abgewiesen, die Volksbefragung wurde als unzulässig angesehen, weil die Ortstafelfrage keine Angelegenheit des Landes und deswegen eine Volksbefragung des Landes unzulässig sei.

Diese Entscheidung der Landeswahlbehörde wurde dann vor dem Verfassungsgerichtshof angefochten, und der Verfassungsgerichtshof hat die Beschwerde zurückgewiesen, weil sie vom falschen Organ eingebracht worden war – sie war nämlich von einer politischen Partei eingebracht worden, nicht von Jörg Haider selbst –; sie wurde also aus formellen Gründen zurückgewiesen. Daraufhin wurde in den betroffenen Gemeinden eine Abstimmung durchgeführt, keine Volksbefragung. Es wurden Briefe mit den Fragen der ursprünglich vorgesehenen Volksbefragung an die Wahlberechtigten der Gemeinden geschickt, diese konnten an die Landesregierung zurückgeschickt werden.

2008 gab es ein ähnliches Szenario: Wieder wollte Jörg Haider eine Volksbefragung initiieren, diesmal über den Vertrag von Lissabon. Wiederum wurden 15 000 und mehr Unterschriften gesammelt, diese 15 000 Unterschriften führten allerdings nicht zu einer Antragstellung bei der Landeswahlbehörde, weil in der Zwischenzeit der Vertrag von Lissabon durch den Nationalrat ratifiziert worden war; deswegen wurde dann auf die Einleitung eines Verfahrens über eine Volksbefragung verzichtet.

2011 gab es die jüngste Initiative in diese Richtung, wiederum betreffend die Ortstafeln: Die Bevölkerung in Kärnten sollte über den letztlich Verfassungsrecht gewordenen Kompromiss befragt werden. Es wurde von der Landesregierung damals nicht der Weg einer Volksbefragung nach dem Volksbefragungsgesetz beschritten; neben rechtlichen Problemen, so habe ich gehört, war einer der Gründe auch, dass man vermeiden wollte, dass aus den einzelnen Gemeinden komische Ergebnisse zurückkommen. Unangenehme Ergebnisse, unangenehme Gemeinde- oder Sprengelergebnisse wollte man vermeiden. Daher wurde wiederum der Weg der Brief-Urabstimmung gewählt. An alle Wahlberechtigten in Kärnten wurden Briefe mit der Ja-/Nein-Frage, ob der Kompromiss über die Ortstafeln akzeptiert werden soll, geschickt. Diese Briefe konnten an die Landesregierung zurückgeschickt werden, und dort ermittelte eine Kommission bestehend aus dem Landesamtsdirektor, dem Leiter der Wahlrechtsabteilung und dem früheren Präsidenten der Notariatskammer das Ergebnis. Ergebnis waren 33 Prozent Beteiligung und zwei Drittel für diesen Kompromiss.

Das waren drei Initiativen, die sich außerhalb des rechtlichen Rahmens mit dem Willen der Bevölkerung beschäftigten.

Nun zur Volksabstimmung: Auch das ist in Kärnten ganz ähnlich wie auf Bundesebene geregelt. Der Landtag kann nach jedem Gesetzesbeschluss auch beschließen, dass über diesen Gesetzesbeschluss eine Volksabstimmung stattfinden soll, die dann über das Schicksal dieses Gesetzes entscheidet. Eine solche Volksabstimmung hat es in Kärnten noch nie gegeben; zumindest nach dem Volksabstimmungsgesetz 1975 ist noch nie eine Volksabstimmung durchgeführt worden.

Allerdings – darauf möchte ich Sie abschließend hinweisen – hat es in Kärnten natürlich eine sehr bekannte und wichtige Volksabstimmung gegeben, nämlich jene vom 10. Oktober 1920. Als nach dem Ersten Weltkrieg das Südkärntner Gebiet – südlich der Drau, östlich von Villach – von der jugoslawischen Armee besetzt wurde, wurde im Friedensvertrag von Saint-Germain festgestellt, dass die Bevölkerung in diesem Gebiet die Wahl haben sollte, sich entweder an Jugoslawien anzuschließen oder bei Österreich zu bleiben. Die Volksabstimmung wurde, wie gesagt, am 10. Oktober 1920, dem Kärntner Landesfeiertag, durchgeführt, allerdings nicht von österreichischen Behörden, sondern unter der Leitung einer alliierten Kommission. Die alliierten Mächte, damals die USA, Großbritannien, Frankreich und Italien, zusätzlich je ein Vertreter aus Jugoslawien und Österreich, haben diese Volksabstimmung in Südkärnten durchgeführt, in einem Gebiet, das damals ungefähr zu 70 Prozent von slowenischsprachiger Bevölkerung besiedelt war. Diese Volksabstimmung ist, wie Sie wissen, zu 60 Prozent für das Verbleiben dieses Landesteils bei Kärnten, bei Österreich ausgegangen, sodass also dieses Gebiet nicht an Jugoslawien abgetreten werden musste.

Noch einmal zusammengefasst: Das direktdemokratische Bundespaket gibt es sozusagen auch in Kärnten, es wird allerdings – sagen wir so – etwas zurückhaltend genützt.

*****

Mag. Josef Hörmandinger (Länderexperte Salzburg): In Salzburg stehen wir aktuell inmitten zweier spannender Entwicklungen. Die eine betrifft die Einführung des sogenannten Salzburger Modells für mehr direkte Demokratie – Sie werden von Herrn Magistratsdirektor Dr. Floss dazu später noch mehr hören, aber auch von mir –, die andere eine breiter angelegte Demokratiereform, die zurzeit in einer Enquete-Kommission des Salzburger Landtages beraten wird. Hashtag ist übrigens #demokratie_sbg – für die, die da fleißig twittern.

Ich gebe Ihnen zunächst einen kurzen Überblick über die Arbeit der Enquete-Kommission zur Demokratiereform und gehe dann näher auf das sogenannte Salzburger Modell für mehr direkte Demokratie ein.

Die Enquete-Kommission wurde im Herbst 2013, also kurz nach der letzten Landtagswahl, mit dem Ziel eingesetzt, neue Mittel der Teilhabe, Mitbestimmung und direkten Demokratie für Salzburgs Bürgerinnen und Bürger zu entwickeln. Themen sind dort unter anderem die Reform des Vorzugsstimmensystems in Richtung einer Stärkung der Persönlichkeitswahl, die Frage, wie wir den Frauenanteil in politischen Funktionen in Salzburg erhöhen können, und die Einführung von Bürgerräten nach Vorarlberger Vorbild. Im Rahmen der Enquete-Kommission hat im vergangenen Herbst bereits ein erster solcher landesweiter Bürgerrat stattgefunden.

Neben diesen sehr vielversprechenden Ansätzen wird sich die Enquete-Kommission auch mit dem Ausbau der direkten Demokratie auf Ebene der Gemeinden und damit mit der Frage beschäftigen, ob und in welcher Form das für die Stadt Salzburg entwickelte dreistufige Modell für direkte Demokratie auch für andere Gemeinden des Landes infrage kommt.

Die Umsetzung dieses Modells für die Stadt Salzburg schien mit dem Arbeitsübereinkommen der neuen Landesregierung und einer entsprechenden Beschlusslage im Salzburger Gemeinderat und im Landtag im Herbst 2013 in trockenen Tüchern zu sein. Dass dieses Modell kommen soll, ist übereinstimmender Wille aller im Landtag vertretenen Parteien. Gut ein Jahr später gibt es noch immer keine landesgesetzliche Umsetzung, eine Regierungsvorlage ist im Landtag, die Verhandlungen sind zurzeit vertagt – auch darüber werden Sie von Herrn Magistratsdirektor Dr. Floss vielleicht mehr hören.

Ich beschreibe nun kurz das Modell, wie es die Regierungsvorlage vorsieht, und komme dann noch einmal darauf zurück, wie es aktuell mit der Umsetzung aussieht. Wenn Sie einen Blick auf die Grafik werfen – ich weiß nicht, ob Ihnen diese zur Verfügung steht –, sehen Sie die drei Stufen, denen das Modell seinen Namen verdankt, und Sie sehen den Ablauf auf jeder Stufe.

Eines vorweg: Die Stufen bauen zwar aufeinander auf, das Verfahren ist aber auf jeder Stufe von der antragstellenden Gruppe einleitbar. Das heißt, die antragstellende Gruppe muss nicht zuvor eine Bürgerinitiative eingebracht haben, um dann ein Bürgerbegehren stellen zu können. Das Verfahren kann auf jeder der drei Stufen begonnen werden.

Jede Stufe beginnt mit einem Antrag, der von mindestens 50 Wahlberechtigten unterstützt sein muss. Was kann beantragt werden? – Eine Handlung oder Unterlassung eines Organs der Stadt Salzburg im eigenen Wirkungsbereich; ausgenommen sind Abgaben, Tarife und Entgelte, Wahlen, Personalangelegenheiten und Verwaltungsorganisation sowie Bescheide und Verordnungen. Das sind drei Ausnahmetatbestände, die es jetzt schon bei den anderen Instrumentarien der direkten Demokratie in Salzburg gibt.

Bei der ersten Stufe hat die Initiativengruppe nach Antragstellung drei Monate Zeit, für ihren Antrag so viele Unterstützungserklärungen zu sammeln, wie bei der letzten Gemeinderatswahl Stimmen für ein Mandat im Gemeinderat notwendig waren; das sind nach der Wahlbeteiligung bei der letzten Wahl etwa 1 200 bis 1 300 Stimmen. Diese daraus resultierende Legitimierung verpflichtet die Stadt dann im Gegenzug dazu, mit der Initiativengruppe über die Umsetzung ihrer Forderung Verhandlungen zu führen.

Einigt man sich nicht spätestens nach drei Monaten, gilt die Initiative als abgelehnt und die Antragsgruppe kann auf die nächste Ebene gehen. Sie kann dann auf Stufe zwei ein gleichlautendes Bürgerbegehren stellen. Alle Unterstützungserklärungen aus dem Initiativenverfahren gelten weiter, diese können mitgenommen werden. Es bleiben der Gruppe nun weitere vier Monate, um Unterstützungserklärungen im Gegenwert von insgesamt zwei Gemeinderatsmandaten zu sammeln, also die Anzahl zu verdoppeln. Diese Legitimierung verpflichtet die Stadt dann zur Abhaltung einer öffentlichen Bürgerversammlung, die angekündigt sein muss, zu der alle Bürgerinnen und Bürger kommen können und bei der dann das Begehren einer Erörterung unterzogen wird. Danach folgt eine weitere Verhandlungsphase von sechs Monaten, die mit Einverständnis der Antragsgruppe auf ein Jahr verlängert werden kann. Erfolgt in dieser Zeit keine Einigung, hat der Bürgermeister das Begehren dem Gemeinderat vorzulegen. Wird dort kein entsprechender Beschluss gefasst, gilt das Bürgerbegehren als abgelehnt.

Die Antragsgruppe kann dann den Antrag auf eine Bürgerabstimmung – das wäre die dritte und letzte Stufe – stellen. Es bleiben ihr dann sechs Monate, um Unterstützungserklärungen im Gegenwert eines weiteren Gemeinderatsmandats – also insgesamt im Gegenwert von drei Gemeinderatsmandaten – zu sammeln. Bei einem direkten Einstieg auf dieser Stufe drei, also ohne vorher Bürgerinitiative und/oder Bürgerbegehren eingebracht zu haben, benötigt die Antragsgruppe Unterstützungen im Gegenwert von fünf Mandaten, und die Verhandlungsphase von Stufe zwei wird der Abstimmung noch vorgeschalten.

Liegen die Unterstützungserklärungen vor, hat der Bürgermeister über das Begehren eine Bürgerabstimmung durchzuführen, deren Ergebnis – und das ist jetzt eine Besonderheit – für den Gemeinderat bindend ist. Eine nicht entsprechende Beschlussfassung kann der Gemeinderat dann nur mehr mit qualifizierter Mehrheit fassen, und zwar auch nur dann, wenn entweder die Beteiligung unter 25 Prozent der Wahlberechtigten lag oder die Umsetzung des Begehrens Ausgaben von mehr als 15 Millionen € verursachen würde. – So weit das Modell von Salzburg.

*****

Gemeinden

Obfrau-Stellvertreter Präsident Karlheinz Kopf leitet zum nächsten Punkt über und erteilt als erstem Redner Herrn Dr. Giese das Wort.

Ass.-Prof. Mag. Dr. Karim Giese (Universität Salzburg): Die Landesgesetzgeber haben von der bundesverfassungsrechtlichen Ermächtigung zur Regelung der direkten Demokratie auf Landesebene in unterschiedlichem Umfang Gebrauch gemacht.

Bis heute ist nur die Volksbefragung in allen Bundesländern eingeführt worden. Volksabstimmungen können nur in sieben Bundesländern abgehalten werden, ein bestimmter Beschluss der Gemeindeorgane mittels Volksbegehren kann nur in sechs Bundesländern verlangt werden. Darüber hinaus finden sich verschiedene Mischformen. Nur im Salzburger Stadtrecht gibt es das Volksbegehren in Verbindung mit einer nicht bindenden Volksbefragung. Mehrere Bundesländer verbinden das Volksbegehren auch mit einer bindenden Volksabstimmung.

Ob und wie diese direktdemokratischen Instrumente in der Gemeindepraxis funktionieren, ist bisher nicht zureichend dokumentiert und analysiert worden. Das Datenmaterial des letzten Jahrzehnts lässt aber auf eine überragende Bedeutung der Volksbefragung schließen. Volksabstimmungen haben einzig in Vorarlberg Relevanz erlangt. Das Volksbegehren spielt bis heute auf Gemeindeebene faktisch keine Rolle.

Auffallend ist eine seit Jahrzehnten anhaltende Reformdynamik in diesem Rechtsbereich. Nahezu jedes Jahr werden in einem der Bundesländer die einschlägigen Bestimmungen der Gemeindeordnungen novelliert. Die Neuerungen zielen in aller Regel auf eine Erweiterung der direkten Demokratie sowie auf Verfahrensvereinfachungen ab.

Im Folgenden will ich einzelne Punkte herausgreifen, die im Vergleich auch für die Bundesebene von Interesse sein können.

Auf Gemeindeebene können nahezu alle Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereichs zum Gegenstand der direkten Demokratie gemacht werden. Expliziten Beschränkungen kommt überwiegend klarstellende Bedeutung zu. Als echte Tabus erhalten geblieben sind aber die althergebrachten Ausschlüsse von abgabenrechtlichen und personellen Angelegenheiten. Die bloße Finanzwirksamkeit von Beschlüssen stellt in der Regel keinen Ausschlussgrund dar. Neueren Datums sind materielle Zulässigkeitsvoraussetzungen, zum Beispiel dass sich die begehrten Maßnahmen im Rahmen der bestehenden Gesetze bewegen müssen oder jedenfalls Grund- und Freiheitsrechte nicht verletzt werden dürfen.

In den meisten Bundesländern müssen sich Initiativen nicht bloß auf Volksbegehren beschränken. In sieben Bundesländern können die Wahlberechtigten auch die Durchführung einer nicht bindenden Volksbefragung erwirken. In mehreren Bundesländern werden auch Formen der verfassungswidrigen Volksgesetzgebung ermöglicht. So können die Gemeindebürger im Burgenland über Beschlüsse der Gemeindevertretung eine bindende Volksabstimmung erzwingen. In Vorarlberg besteht eine solche Beschränkung auf Vetoreferenden nicht, daher kann dort jede Angelegenheit an der Gemeindevertretung vorbei zur Volksabstimmung gebracht werden. In mehreren Bundesländern können sich Volksbegehren auch potenziell zu Referendumsinitiativen auswachsen. In dem Fall, dass ein Volksbegehren eine ausreichende Unterstützung, zum Beispiel von 20 Prozent der Wahlberechtigten, erlangt, die Gemeindevertretung zur Umsetzung des Begehrens aber nicht bereit ist, muss eine bindende Volksabstimmung abgehalten werden. Kommt die Gemeindevertretung der Verpflichtung zur Umsetzung des Abstimmungsergebnisses nicht nach, hat im Fall der Stadt Innsbruck die Gemeindeaufsichtsbehörde die Gemeindevertretung sogar aufzulösen. Für die Stadt Salzburg ist dagegen geplant – wie wir gerade gehört haben –, dass sich die Gemeindevertretung bei einer Beteiligung von unter 25 Prozent der Wahlberechtigten oder bei Ausgaben der Stadt von über 15 Millionen € mit qualifizierter Mehrheit über das Ergebnis der Volksabstimmung hinwegsetzen kann.

Ob Initiativrechte in der Praxis erfolgreich in Anspruch genommen werden können, hängt wesentlich von den gesetzlichen Unterstützungs-, Zustimmungs- und Beteiligungsquoren ab. Quoren haben eine Filterfunktion, abhängig von ihrer Höhe kann durch sie zu Initiativen ermutigt werden, oder die werden geradezu abgeblockt. Bei Volksbegehren liegt die erforderliche Mindestunterstützung derzeit bei 2 bis 20 Prozent der Wahlberechtigten. Der Antrag auf Durchführung einer Volksbefragung erfordert eine Einleitungsunterstützung von 5 bis 25 Prozent. Volksabstimmungsinitiativen wie im Burgenland und in Vorarlberg müssen von 20 bis 25 Prozent der Wahlberechtigten unterstützt werden.

Allgemein gilt heute ein 10-Prozent-Quorum als ausreichender Filter für Initiativen, um ungeeignete Initiativen außen vor zu lassen. Alles darüber hinaus erweist sich in der Praxis als prohibitiv und frustriert die vom Gesetz her geweckten Erwartungen. Auch wenn 20-Prozent-Hürden im Einzelfall noch überwunden werden können – direktdemokratische Korrekturen des repräsentativen Systems werden in diesem Fall zu Notbremsen in außergewöhnlichen Krisensituationen reduziert.

Beteiligungs- und Zustimmungsquoren sind für Volksbefragungen wegen ihrer Unverbindlichkeit nicht erforderlich. Bei Volksabstimmungen finden sich derzeit nur vereinzelt Beteiligungsquoren. Diese betragen in Oberösterreich 25 Prozent, im Burgenland 40 Prozent und in Wien gar 50 Prozent der Wahlberechtigten. Zweck dieser hohen Quoren ist die Sicherstellung, dass eine Mehrheit beziehungsweise eine breite Mehrheit der Stimmberechtigten entscheidet. Angesichts generell sinkender Teilnahmen an Wahlen und Abstimmungen sind solch hohe Beteiligungsquoren heute aber nicht mehr erzielbar, am ehesten noch in kleinen Gemeinden, wie Zahlen aus Vorarlberg belegen. Beteiligungsquoren haben aber im Ablehnungsfall auch negative Auswirkungen auf die Motivation zur Teilnahme. Werden Quoren daher für erforderlich erachtet, sollten diese auf Zustimmungsquoren umgestellt werden beziehungsweise niedrige Beteiligungsquoren mit höheren Zustimmungsquoren kombiniert werden.

Neben den Quoren hat insbesondere der für die Sammlung von Unterstützungserklärungen zur Verfügung stehende Zeitraum Bedeutung. Zwischen der Höhe des Quorums und des Zeitraums muss sich ein angemessener Mobilisierungskoeffizient ergeben. Vier Wochen Zeit bei einem 25-Prozent-Quorum, wie in Oberösterreich der Fall, können nicht als angemessen gelten.

Von wesentlichem Einfluss auf den Erfolg von Initiativen scheint auch die Art zu sein, wie die Unterstützungserklärungen gesammelt werden können. Traditionell ist hierfür ein amtliches Eintragungsverfahren vorgesehen. Inzwischen sind zahlreiche Bundesländer aber dazu übergegangen, dass die Unterstützungserklärungen frei, also auf den Straßen, in Geschäften und an ähnlichen Orten, gesammelt werden können. In diesem Fall wird ein bereits abgeschlossener Antrag bei der Behörde eingebracht. Die Gültigkeit der Unterstützungserklärungen wird zusammen mit den übrigen Voraussetzungen geprüft.

Die freie Sammlung hat allerdings nicht nur Vorteile für die Initiativen. Zum einen ergeben sich in der Regel unliebsame Überraschungen bezüglich der Gültigkeit der Unterschriften. So konnte zum Beispiel jüngst in der Stadt Salzburg mit 4 100 vorgelegten Unterschriften die Hürde der erforderlichen 2 000 Unterstützungserklärungen nicht genommen werden. Außerdem zeigt sich in der Praxis, dass freie Sammlungen vor allem im städtischen Bereich die Chancen erhöhen, für den ländlichen Bereich gilt das dagegen weitaus weniger. Hier kann ein amtliches Eintragungsverfahren sogar zu einer Erhöhung der Publizität der Initiative beitragen.

Eine verfassungsrechtlich zulässige elektronische Sammlung wird derzeit in keinem Bundesland gestattet. Sie hat aber jüngst erstmals im Petitionsrecht Einzug gehalten, das ja mit dem Volksbegehren institutionell verwandt ist und zum Beispiel in Wien das klassische Volksbegehren zu ersetzen scheint. Nach dem Gesetz über Petitionen in Wien können die Petitionen auf eine beim Magistrat eingerichtete elektronische Plattform gestellt werden, und über einen Zeitraum von einem Jahr kann die Unterstützung online erklärt werden.

Eine wesentliche Erleichterung der direktdemokratischen Mitwirkung stellt es aus der Sicht der Stimmberechtigten dar, wenn ihre Stimmabgabe nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort erfolgen muss. Im Wiener Volksbefragungsgesetz wird diesem Ansinnen seit 2010 dadurch Rechnung getragen, dass allen Stimmberechtigten amtswegig die Abstimmungsunterlagen auf dem Postweg übermittelt werden. Die Abstimmungsberechtigten haben die Wahl, den Stimmzettel direkt in den Annahmestellen abzugeben oder portofrei per Post zu retournieren. Auch wenn dieses Abstimmungsmodell im Widerspruch zu den allgemeinen Wahlrechtsprinzipien steht und daher als verfassungswidrig zu qualifizieren ist – die Präferenzen der Stimmberechtigten haben sich eindrucksvoll manifestiert. Bei den letzten beiden regulären Volksbefragungen haben 93 beziehungsweise 97,7 Prozent aller Teilnehmer per Brief abgestimmt.

Dass bei der Stimmabgabe ein rechtspolitischer Handlungsbedarf besteht, zeigen auch andere Entwicklungen in der Gemeindepraxis. Da die elektronische Stimmabgabe verfassungsrechtlich unzulässig ist, umgehen die Gemeinden immer öfter die gesetzlichen Schranken und führen informelle Volksbefragungen außerhalb der Rechtsinstitute der direkten Demokratie durch.

Die Bundesverfassung ermächtigt die Landesgesetzgeber nicht, den Teilnehmerkreis über die zum Gemeinderat Wahlberechtigten hinaus zu erweitern. Nur Österreichern und EU-Bürgern kommen derzeit direktdemokratische Rechte auf Gemeindeebene zu. Das Fehlen eines Ausländerstimmrechts wird in einzelnen Bundesländern als Demokratiedefizit wahrgenommen. Dabei handelt es sich nicht nur um regionalpolitische Präferenzen. 15 von 28 EU-Mitgliedstaaten kennen heute politische Rechte von Drittstaatsangehörigen, in sieben der 26 Kantone der Schweiz ist dies auch der Fall. Die Gemeindepraxis scheint im Einzelfall auf diese Problemlage zu reagieren. Bei unpolitischen Sachfragen, wie zum Beispiel im Bereich der Stadtplanung, die In- und Ausländer als Wohnbevölkerung gleichermaßen berührt, wird wie in Graz und Wien auf informelle Befragungen umgestellt.

Mein Fazit: Es lässt sich festhalten, dass die Rechtsentwicklungen in den Bundesländern ein permanentes Reformbemühen zur Stärkung der direkten Demokratie erkennen lassen. Der bundesverfassungsrechtliche Rahmen scheint inzwischen jedoch für die landespolitischen Anliegen zu eng geworden zu sein. Kann auf Reformwünsche aber nicht rechtzeitig reagiert werden, zeigen erste Tendenzen in der Praxis, dass sich direktdemokratisch gesinnte Gemeinden Lösungen im Schatten des Gemeindeorganisationsrechts suchen.

*****

Magistratsdirektor Dr. Martin Floss (Österreichischer Städtebund, Stadt Salzburg): Ich habe die Ehre, für den Österreichischen Städtebund einige Worte über das sogenannte Salzburger Modell, von dem bereits die Rede war, verlieren zu dürfen. Ich maße mir dabei nicht an, dafür Werbung zu machen, das steht mir nicht zu. Abgesehen davon befindet sich dieses Modell, wie wir bereits gehört haben, in der Phase der legistischen Umsetzung, wenn auch schon in der Endphase.

Es gibt im Wesentlichen noch eine offene Frage; Kollege Hörmandinger hat es angesprochen. Diese offene Frage bezieht sich auf Unternehmen der Stadt, sprich: ausgegliederte Unternehmen der Stadt oder solche Unternehmen, an denen die Stadt beteiligt ist. Die Frage ist, ob politisch gewünscht ist, dass die Instrumente der direkten Demokratie laut unserem dreistufigen Modell auch auf derartige Unternehmen anzuwenden sind oder nicht. Das ist eine viel mehr politische als rechtliche Frage. Es gibt dazu zumindest zwei politische Meinungen, die einander wie üblich ziemlich widerstreitend gegenüberstehen.

Das ist insofern politisch verständlich, als es sich dabei um wichtige Unternehmen handelt, die vor allem im gemeinsamen Eigentum von Stadt und Land stehen, wie der Flughafen, die Messe, die Parkgaragengesellschaft oder auch der Energieversorger. Das bedeutet, dass die laufenden Geschäfte und auch Großprojekte dieser Unternehmen natürlich politisch von höchstem Interesse sind. Ob diese Unternehmen in den Anwendungsbereich fallen oder nicht, ist eine ganz zentrale Frage, und deshalb hat sich die Umsetzung dieses Modells auch verzögert.

Da Kollege Hörmandinger bereits sehr profund auf die nähere Ausgestaltung dieses Modells eingegangen ist, musste ich meinen gesamten Vortrag – Sie haben mich vielleicht schreiben gesehen – in der letzten Stunde umwerfen und werde mich nun eher auf die Entwicklung des Salzburger Modells beziehen und dann noch einige ganz wesentliche rechtliche und demokratiepolitische Punkte herausgreifen.

In den sechziger Jahren war in ganz Österreich, auch in Salzburg, aufgrund des verstärkten Aufkommens von Bürgerinitiativen eine Strömung in Richtung mehr Partizipation zu verspüren. In der Stadtrechtsnovelle 1974 hat man nach zweijähriger Beratung, auch auf Vorschlag der Stadtgemeinde Salzburg, schließlich zwei Instrumente der direkten Demokratie eingeführt: die Volksabstimmung und die Volksbefragung. Diese Instrumente wurden im Jahr 1997 novelliert, man hat einerseits die Bezeichnungen geändert, von Volksabstimmung in Bürgerabstimmung und von Volksbefragung in Bürgerbefragung, und das Recht zur Anordnung einer Bürgerbefragung wurde auf den Bürgermeister erweitert. Das hängt zeitlich und inhaltlich mit der Direktwahl des Bürgermeisters zusammen.

Das Verfahren zur Einleitung der Bürgerbefragung und des Bürgerbegehrens aufgrund eines Bürgerantrages wurde wieder einstufig gestaltet, wobei es genügt, dass der Antrag von mindestens 2 000 Stimmberechtigten unterstützt wird.

In der jüngeren Vergangenheit, im Jahr 2008, kam es zu einer weiteren Novelle im Zusammenhang mit einem Bürgerbegehren, das „Rettet unser Grünland“ lautete. Anlässlich dieses erfolgreichen Bürgerbegehrens – ich spreche von 12 bis 13 Prozent Beteiligung – wurde eine obligatorische Bürgerabstimmung eingeführt, wenn es um die Veränderung von Stadtlandschaften, die das Stadtbild Salzburgs prägen, geht.

Das konkrete, nun vorliegende, in der logistischen Umsetzung befindliche Modell – das möchte ich betonen – ist das Ergebnis langwieriger und zum Teil sehr schwieriger Verhandlungen zwischen den Vertretern der Stadtpolitik und den Vertretern der Bürgerinitiativen. Bereits bei der Entwicklung dieses Salzburger Modells gab es eine intensive Bürgerbeteiligung. Die Verhandlungen dazu basierten auf einer Zusage der Politik zu Beginn der vergangenen Gemeinderatsperiode 2009. Man hat damals die seit Jahren sinkende Wahlbeteiligung zum Anlass genommen, das Interesse der Bürger an der Politik wieder stärken zu wollen, und versucht dies unter anderem mit der Einführung und Stärkung der direktdemokratischen Instrumente, weil die im Salzburger Stadtrecht derzeit bestehenden drei Instrumente als nicht mehr zeitgemäß angesehen werden.

Warum? – Erstens wurden in der jüngsten Vergangenheit, in den letzten 10 Jahren, diese Instrumente nur sechsmal in Anspruch genommen, und zweitens haben sich diese wenigen Anwendungsfälle durch eine besonders geringe Beteiligung ausgezeichnet. An den Abstimmungen haben sogar weniger Stimmberechtigte teilgenommen, als vorher die Abstimmung gefordert haben. Die höchste Teilnahme gab es bei der Abstimmung zur schlussendlich gescheiterten Olympia-Bewerbung 2014. Die Teilnahme an der Abstimmung betrug nicht einmal 22 Prozent, und das, obwohl das Thema sowohl medial als auch politisch omnipräsent und wirklich sehr, sehr umstritten war.

Jedenfalls haben die Politik und engagierte Bürger Handlungsbedarf gesehen und dann über zwei Jahre intensiv verhandelt. Wie bei allen Verhandlungen handelt es sich bei dem Ergebnis um einen Kompromiss. Das ist mir deshalb wichtig zu betonen, weil – Sie haben es gehört – dabei ein ziemlich komplexes, ineinander verwobenes und aufeinander aufbauendes dreistufiges Modell herausgekommen ist. Diese Komplexität ist einerseits diesem politischen Kompromiss geschuldet, andererseits der Tatsache, dass die Politik und die Bürgerinitiativen gegenseitig von ziemlichem Misstrauen beseelt waren und möglichst alles bis ins kleinste Detail regeln und besprechen wollten.

Aus juristischer Sicht war es oberste Priorität, unter den derzeitigen Rahmenbedingungen und der derzeitigen Rechtslage ein möglichst verfassungsfestes Modell zu entwickeln – ob uns dies gelungen ist, wird erst die Zukunft zeigen. Wichtig ist, dass das sogenannte Salzburger Modell auf dem Zusammenwirken mit den repräsentativ-demokratischen Einrichtungen beruht.

Ein weiterer besonderer Eckpfeiler ist die enge Verknüpfung zwischen der direkten und der repräsentativen Demokratie: Je höher die Wahlbeteiligung bei der vergangenen Gemeinderatswahl war, desto höher ist die Legitimation der gewählten Volksvertreter, und desto höher ist auch die Eingangshürde für die Bürgerinitiativen. Das heißt, je höher die Wahlbeteiligung, desto mehr Unterstützungserklärungen müssen die Bürgerinitiativen für das Ergreifen der einzelnen drei Instrumente vorlegen.

Ein weiterer Kernpunkt dieses Modells ist eine in jeder Stufe vorgesehene zwingende Verhandlungsphase zwischen Bürgervertretern und der Politik; auch die Dauer dieser Verhandlungsphase soll festgelegt werden. Das ganze Modell zielt darauf ab, dass im Zuge dieser Beratungen naturgemäß ein Konsens gefunden wird. Die Antragsteller erhalten erst durch die Vorlage der Unterstützungserklärungen ein Verhandlungsmandat, um mit den politischen Vertretern, mit den gewählten Volksvertretern, die durch Wahlen legitimiert sind, in Verhandlung zu treten.

Wenn ein Konsens in diesen Verhandlungen erreicht wird und der allenfalls notwendige Gemeinderatsbeschluss dazu gefasst wird, ist die Angelegenheit positiv erledigt, und das Verfahren ist beendet. Wenn kein Konsens erzielbar ist, haben die Antragsteller dem Stufenbau entsprechend nach Vorlage weiterer, zusätzlicher Unterstützungserklärungen die Möglichkeit, in die jeweils nächste Stufe dieses dreistufigen Modells aufzusteigen. Wie wir gehört haben, gibt es auch den Direkteinstieg in die unterschiedlichen Stufen – auch das ist wieder ein bemerkenswertes Detail –, wobei in diesem Fall aufgrund der Tatsache, dass diese lösungs- und kompromissorientierte Vorgangsweise gewählt wurde, der Direkteinstieg mit einer höheren Anzahl an Unterstützungserklärungen verbunden ist, als es beim Durchlaufen der einzelnen Stufen des Modells nötig wäre.

In der dritten beziehungsweise der letzten Stufe ist letztlich eine Bürgerabstimmung auszuschreiben, deren Ergebnis bei über 10-Prozent-Teilnahmequorum grundsätzlich bindend ist. Auch das ist eine Neuerung – Kollege Hörmandinger hat es gesagt –, ausgehend von der Überlegung, dass man der Bürgerschaft selbst Instrumente der direkten Demokratie in die Hand geben wollte, damit sie eben nicht auf jene angewiesen sind, die ihnen die politischen Gremien zur Verfügung stellen. Mit dem Salzburger Modell können entgegen der alten Bürgerabstimmung nun die Bürger von sich aus eine verbindliche Entscheidung herbeiführen, ohne dass der Gemeinderat zuvor aktiv beschließen muss, die Bürger über diese Sache, über diese Angelegenheit entscheiden zu lassen. Der Gemeinderat ist dann ex lege gezwungen, den entsprechenden, von den Bürgern selbst initiierten Beschluss zu fällen.

Es gibt die zwei Ausnahmen eines Wiederholungsbeschlusses – bei Übersteigen von 15 Millionen € Investitionsbudget und bei der Korridorlösung zwischen 10 und 25 Prozent –, bei denen der Gemeinderat noch einmal eingreifen kann. Bei einer Teilnahme von über 25 Prozent hat der Gemeinderat diese Möglichkeit nicht mehr.

Diese Wiederholungsbeschlüsse, und damit bin ich am Ende meiner Ausführungen, sind als Reißleine, als Ultima Ratio gedacht: Nur in diesen speziellen Fällen und tatsächlich – auch das haben wir bereits gehört – nur bei Anwesenheit von drei Viertel aller Gemeinderatsmitglieder und bei einer Dreiviertelmehrheit können diese gefasst werden.

*****

Mag. Nicolaus Drimmel (Österreichischer Gemeindebund): Ich versuche jetzt, diesen Kolorit, den Sie da gehört haben, noch um die Position der österreichischen Gemeinden zu ergänzen, besonders der kleinen und ländlichen Gemeinden. Nach mir spricht noch Herr Dr. Hellrigl, der natürlich auch sehr viele Praxisbeispiele liefern wird.

Ich werde jetzt, nachdem wir den rechtlichen Rahmen und auch de lege ferenda Wünsche gehört haben, ein bisschen etwas über den ideengeschichtlichen Hintergrund erzählen und vielleicht auch reflektieren, warum diese Enquete-Kommission betreffend Stärkung der Demokratie in Österreich überhaupt tagt.

Mein Vorredner hat bereits gesagt, wir sehen, dass die Möglichkeit der Beteiligung an Wahlen und andere Modelle der Beteiligung auf nationaler, Länder-, vielleicht auch auf Gemeindeebene nicht in dem Maße wahrgenommen werden, wie man es sich in einer funktionierenden Demokratie eigentlich vorstellt.

Aber was ist diese Demokratie eigentlich? – Die Republik Österreich hat ihre demokratische Prägung in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg erhalten. Und wir sprechen von einem repräsentativen Modell. Dieses Regelmodell gilt natürlich auch für die Landes- und die Gemeindeebene.

Der Österreichische Gemeindebund hat letztes Jahr gemeinsam mit dem Land Salzburg und auch mit dem Städtebund Enqueten zum Thema „Stärkung der direkten Demokratie auf Gemeindeebene“, aber auch zum Thema „Stärkung der Demokratie auf Gemeindeebene“ veranstaltet. Wir haben dazu auch eine Expertin aus Innsbruck, Professorin Anna Gamper, eingeladen, die etwas Wichtiges zu dieser Frage der Demokratie sagt:

Repräsentation ist das Modell in unserer Verfassung. Direkte Demokratie, diese Beteiligungselemente sind durchaus wünschenswert. Aber diese Beteiligungselemente dürfen die repräsentative Demokratie nicht vom Tisch wischen.

Das haben wir jetzt vorher gerade wieder gehört. Mit dem Salzburger Modell versucht man, da etwas in die Wege zu leiten, was durchaus konstruktiv wirken kann, denn damit wird ein Zusammenwirken der Wählerschaft mit den repräsentativen Organen zustande kommen, und das setzt auch wieder die Möglichkeit zu einem rechtskonformen Umsetzen von politischen Plänen voraus.

Also Repräsentation ist nicht passé. Wir haben auch in den Gemeinden die Erfahrung gemacht, dass gerade Persönlichkeitswahlen – wie in den meisten Bundesländern für die Bürgermeisterinnen und Bürgermeister der Fall – die Legitimation eines Amtsträgers durchaus stärken können. Wir suchen auch nach diesen Persönlichkeiten. Persönlichkeiten sind für das politische Leben in diesem Land gefragt. Und da sind Sie alle gefragt. Da sind alle Bürgerinnen und Bürger gefragt. Das Berufsbild eines Bürgermeisters oder einer Bürgermeisterin entspricht auch einer entscheidungsfreudigen und verantwortungsvollen Persönlichkeit.

Zum gegebenen Mandat: Das gegebene Mandat ist geschenktes Vertrauen, aber auch eine übernommene Verantwortung. Insofern ist es ein beiderseitiges Rechtsgeschäft. Der lateinische Rechtsbegriff „mandatum“, der Auftrag, ist auch ein konsensualer Vertrag.

Unsere Demokratie ist keine Einbahnstraße. Die Stimme gebe ich nicht alle paar Jahre wie einen Hut an der Garderobe ab, um mich dann vom Geschehen abzuwenden.

Auch durch den Auftrag an die Politiker entsteht eine vertrauensvolle Bindung. Und Sie werden fragen, was nun mit dem freien Mandat ist. Das freie Mandat entspricht dem Menschenbild der westlichen Kultur, die christlich-jüdisch geprägt ist. Letztlich ist der Verantwortungsträger nur seinem eigenen Gewissen verantwortlich. Aber es gibt auch Bindungen. Und ich spreche in diesem Fall nicht nur von der Partei. Hier geht es um Bindungen des/der gewählten Mandatars/Mandatarin zur Wählerschaft, aber auch dem ganzen Gemeinwesen gegenüber. Diese Bindung wirkt aber nicht nach außen, weil es eben kein imperatives Mandat ist, sondern ein freies.

Aber es gibt ein Innenverhältnis, und das ist dieses Weiche, das ich jetzt betonen will. Stellen Sie sich einmal einen Gemeindemandatar vor, der sich seinen Wählern gegenüber in einer strittigen Angelegenheit auf sein freies Mandat beruft! Unsere repräsentative Demokratie, unser Menschenbild verlangt das freie Mandat, verlangt die Verantwortung des Einzelnen. Aber es verlangt als Gegenleistung auch eine demokratiepolitisch wünschenswerte Kultur des Miteinanders und des Austausches, eine Kultur der Kooperation, der Beteiligung. Und das setzt auch Transparenz und Vertrauen voraus.

Gemeindeversammlungen, Transparenz – wir haben das alles schon sehr intensiv heute gehört. Diese Kultur von Kooperation und Transparenz gibt es in den österreichischen Gemeinden. Wir haben es auch gehört, das ist nicht nur formal. Manchmal muss man sich in den Schatten der Gemeindeorganisation begeben, hat Kollege Giese vorher gesagt. Diese österreichischen Gemeinden sind eben Verantwortungsträger und versuchen, diese Tradition des Miteinanders zu pflegen.

Es wird immer wieder gesagt, dass diese direktdemokratischen Instrumente in den Gemeinden wenig genutzt werden oder wir zu wenig Informationen darüber haben. Professor Dr. Poier könnte uns da einiges erzählen. Aber viele Bereiche der demokratischen Mitbestimmung in den Gemeinden haben – wie gesagt – einen nicht so formalen Charakter. Das hängt auch mit der Größe der Gemeinde zusammen und auch mit der Frage, mit welcher Legitimation die Gemeindemandatare in ihr Amt gewählt worden sind.

Das muss ich betonen, dass diese demokratische Gesinnung ja nicht nur in diesen formalen Elementen eingebracht und bewiesen wird, nicht nur bei Wahlen und Plebisziten. Hier gibt es nicht nur Rechte, sondern auch Bringschuld und Holschuld. Und das wird nicht nur von den Bürgerinnen und Bürgern, sondern auch von den Politikerinnen und Politikern eingefordert.

Es gibt auch negative Seiten von formaler und auch von informeller Partizipation. Sie ist zum Beispiel dort abzulehnen, wo sie als Feigenblatt oder zur Abwälzung der Verantwortung verwendet wird. Ich will nicht über gewisse missbräuchliche Aspekte des Vertrauens sprechen, wo man die Bevölkerung schnell abstimmen lässt und sich dann hinter den Voten versteckt. Das gibt es alles. Die Verantwortung für die Umsetzung durch Mandatare ist jedenfalls klar geregelt. Wir haben eben dieses repräsentative Modell.

Es gibt auch genügend positive Beispiele, von denen wir jetzt einige hören werden, zum Beispiel an informeller Beteiligung, die letztlich dann zu einer nachhaltigen Entwicklung in den Gemeinden geführt haben, zu mehr Lebensqualität, zu Standortsicherung. Schnell ist mir da die Ideenwerkstatt für die Umsetzung des Bildungscampus in Moosburg in Kärnten eingefallen. Es gibt aber noch zahllose andere Beispiele.

Der Bildungscampus ist aber für mich das Stichwort: Können wir Demokratie lernen? Bildung ist ein Thema: von der Bewusstseinsmachung über die Befähigung zur Beteiligung.

Im Werk „Österreich und seine Zukunft“ schreibt der Jurist Victor Franz von Andrian-Werburg 1843: „Vor allem das Gemeindewesen muss sich frei und kräftig entfalten ... das Volk sollte endlich durch Befassung mit konkreten örtlichen Angelegenheiten allmählich zur Selbstverwaltung erzogen werden.“

Sie sehen, das ist mein Zugang zur Demokratie: Jener der kommunalen Selbstverwaltung, denn ebenso wie die kommunale Selbstverwaltung ist auch die Demokratie ein Bildungsthema.

Oft hört man das Schlagwort: Gemeinden sind die Schulen der Demokratie. Meine Erfahrung bestätigt das: Die Gemeinden leben nicht nur von der aktiven Beteiligung, sie erziehen auch dazu, und die Partizipation ist die Voraussetzung, dass eine lokale Selbstverwaltung überhaupt existiert.

Man muss den Menschen daher auch etwas zumuten können, auch Verantwortung und Initiative erwarten und abverlangen. Bevormundung ist zwar der Tod von Demokratie, aber umgekehrt ist auch nur das ständige Abverlangen nicht die richtige Beteiligung. Sie ist vielmehr eine Bringschuld für das Gemeinwesen. Partizipation ist also nicht nur Rosinenpicken, sondern heißt anpacken.

Wir sehen, kommunale Demokratie – und nicht nur die – lebt vom Engagement der Bürgerinnen und Bürger und ihrer Möglichkeit aktiver demokratischer Partizipation.

Ich komme nur kurz auf einen Satz des finnischen Grundgesetzes zu sprechen: „Es ist Aufgabe der öffentlichen Gewalt, die Möglichkeiten des Einzelnen zu fördern, sich an gesellschaftlicher Tätigkeit zu beteiligen und auf die Beschlussfassung einzuwirken, die ihn selbst betrifft.“

Nochmals: Demokratiepolitik ist Befähigung. Vor Beteiligung kommt die Befähigung und davor die Bewusstseinsmachung. Der Einzelne ist da zu fordern und zu fördern.

Es geht daher um die Förderung der Eigenständigkeit des Menschen, damit er sich seines Platzes in der Gemeinschaft bewusst wird, sich am Gemeinwohl beteiligt und dazu motiviert wird.

Demokratiepolitik darf sich daher nicht damit genügen, den Menschen nur das Abgeben einer Stimme zu erleichtern oder formale Voraussetzungen zu schaffen, sondern sie muss den Menschen bei der Gestaltung seiner Lebensverhältnisse begleiten. Erinnern Sie sich an Andrian-Werburg! Citizens by Doing, nenne ich das auch. Wir wollen ein Wir-Gefühl erzeugen, eine Identifikation.

Bei all diesen Veranstaltungen und Diskussionen ist noch ein wichtiges Dokument zu nennen: das Zusatzprotokoll zur Europäischen Charta der lokalen Selbstverwaltung über das Recht zur Beteiligung an den Angelegenheiten der kommunalen Verwaltung des Europarates. Es wurde 2009 in Utrecht verabschiedet, und es geht darin um das Recht, sich an den Angelegenheiten der Wohnsitzgemeinden zu beteiligen. Das Zusatzprotokoll ist seit 2012 in Kraft. Österreich hat es bis heute nicht ratifiziert.

Leitsätze des Protokolls sind: Befähigung der Gebietskörperschaften zur Einbindung von Bürgervoten und Plattformen, Errichtung von Informationskanälen – ich erinnere an die Transparenz –, Nähe der kommunalen Entscheidungen zu den Bürgerinnen und Bürgern.

Ich bin von einem christlich geprägten Menschenbild ausgegangen. Der Mensch und seine konkreten Lebensverhältnisse sind es, an welchen die Befähigung zur Demokratie und in der Folge auch zu den staatlichen Einrichtungen Maß nehmen müssen. Lassen wir die positiven Folgen einer transparenten und der Partizipation verpflichteten Demokratie nicht ungenützt! Ihr Mehrwert sind: höhere Effizienz und Wirtschaftlichkeit, mehr Lebensqualität, Identifikation, sozialer Zusammenhalt und nicht zuletzt mehr Menschlichkeit und Demokratie.

*****

Bürgerräte

Obfrau-Stellvertreter Präsident Karlheinz Kopf leitet zum nächsten Punkt über und erteilt Herrn Dr. Hellrigl das Wort.

Dr. Manfred Hellrigl (Büro für Zukunftsfragen, Amt der Vorarlberger Landesregierung): Ich freue mich, dass ich Ihnen in diesem Rahmen etwas über die Bürger- und Bürgerinnenräte erzählen darf. Ich möchte es ähnlich machen wie mein Vorredner und nicht nur über die Bürgerräte sprechen, sondern Ihnen kurz ein paar einleitende Sätze sage, wie es überhaupt dazu gekommen ist, weil diese Vorgeschichte notwendig für das Verständnis der Bürgerräte ist.

Seit Jahrzehnten können wir beobachten, dass die Vielfalt der Meinungen und Interessen in der Gesellschaft zunimmt, und mit der Zunahme dieser Vielfalt nimmt die öffentliche Akzeptanz von politischen Beschlüssen ab. Die Vorarlberger Landesregierung hat das schon vor 20 Jahren beobachtet und das Büro für Zukunftsfragen beauftragt, nach Mitteln und Wegen zu suchen, wie man diese wachsende Kluft zwischen Regierenden und Regierten überbrücken kann.

Seit dieser Zeit experimentieren wir mit unterschiedlichsten Ansätzen. Als wir gemerkt haben, dass die üblichen Zugänge – Kampagnen, Informationen, Aufrufe, Appelle – nicht viel bringen, haben wir dann Ende der neunziger Jahre mit einem ganz neuen Ansatz begonnen, nämlich die Selbstorganisation in Gemeinden zu fördern. Wir haben damit in einzelnen Talschaften begonnen, im ländlichen Raum, kleinen Gemeinden, und haben dort Bürgerinnen und Bürger motiviert, selbst das Heft in die Hand zu nehmen und sich selbst zu engagieren, aktiv zu werden, und zwar nicht nur bei der Umsetzung von Lösungen, sondern auch bei der Definition von Problemen.

Die Ergebnisse waren äußerst erstaunlich. Wir haben diese Gemeinden in der Regel ein Jahr lang begleitet, und die sind bis heute aktiv und haben sehr viele nachweisbare Beiträge zur Sicherung der Lebensqualität und des Gemeinwohls geleistet. Wir waren dann durch diese Ansätze so ermutigt, dass wir es im Jahr 2004 gewagt haben, im Auftrag des Landeshauptmannes ein Bürgergutachten zur Kinderfreundlichkeit zu erstellen. Damals haben 75 zufällig ausgewählte Erwachsene und 50 Kinder und Jugendliche ein Konzept für die Landesregierung entwickelt, um Kinderfreundlichkeit im Land zu fördern. Dieses Konzept hat bis heute Gültigkeit, wird umgesetzt, und es wird auch regelmäßig von der Regierung Rechenschaft darüber abgelegt.

Das ist auch ein erfolgreiches Beispiel für Bürgerbeteiligung. Allerdings – Sie kennen die Vorarlberger Mentalität, wir versuchen, möglichst sparsam mit Mitteln umzugehen – waren uns diese Bürgergutachten zu teuer. Deswegen haben wir uns dann nach Alternativen umgesehen und sind in den USA fündig geworden. Wir haben dort das Modell der Wisdom Councils – oder auf Deutsch: Bürgerinnen-/Bürgerräte – entdeckt. Diese Bürgerräte funktionieren nach einem faszinierenden Prinzip: Man arbeitet mit einer kleinen Auswahl von Personen, 12 bis 16 sind das nur, das macht das Verfahren günstig. Schnell wird es dadurch, dass diese Personen nur für eineinhalb Tage einberufen werden, um zu einer Frage zu beraten. Das ganz Besondere: Diese Auswahl von Personen erfolgt auch wieder nach dem Zufallsprinzip. Das bedeutet, auf Basis des Melderegisters wählen wir Personen aus, die werden angeschrieben, und die können sich dann bereit erklären, da mitzumachen, oder nicht.

Der Vorteil dieses Verfahrens ist, dass die üblichen Verdächtigen, die sich sowieso immer zu Wort melden, einmal ausnahmsweise außen vor bleiben. Was sich gezeigt hat, ist, dass man durch diesen Zugang an die schweigende Mehrheit herankommt, an diese große Mehrheit von Personen, die zwar durchaus eine Meinung haben, sich in der Regel aber nicht artikulieren.

Es gibt dann zwei verschiedene Ansätze: Man kann ein Thema vorgeben oder es auch den Menschen selbst überlassen. Der zweite Zugang hat den Vorteil, dass wir erfahren, was die Menschen wirklich bewegt, was ihnen wirklich unter den Nägeln brennt. Im ersten Fall können wir diese Bürger mit Fragen ganz unterschiedlicher Art und Weise beschäftigen, das können allgemeine Fragen zur Gemeinde- und Landesentwicklung sein, das können aber auch Fragen zu ganz konkreten Problemen sein wie zum Beispiel: Sollen wir das Hallenbad im Ort zusperren oder sollen wir es weiterbetreiben? Oder: Wie schaut ein zukunftsfähiges Bildungssystem aus? Wie schaffen wir es, dass unsere Region auch für künftige Generationen attraktiv bleibt?

Das Wichtige ist jetzt: Der Bürger-/Bürgerinnenrat trifft keine Entscheidungen, sondern ist ein Entscheidungsvorbereitungsgremium. Das heißt, diese Vielfalt von Personen, die da zusammenkommen, unterhalten sich, und das ganz Besondere, das Wertvollste daran, finde ich, ist, dass dort eine Meinungsbildung stattfindet. Sie haben dort die Gelegenheit, mit ganz unterschiedlichen Personen zu reden, und das Verfahren gewährleistet, dass da ein wertschätzender Umgang miteinander stattfindet.

Am Schluss des Bürgerrates steht eine gemeinsame Erklärung, und diese gemeinsame Erklärung wird dann öffentlich kundgetan. Aber damit ist es noch nicht getan, sondern jetzt folgt eine öffentliche Auseinandersetzung; wir nennen das das Bürgercafé, das in Form von einem World Café organisiert wird. Niederschwellig sitzen die Menschen an kleinen Tischen zusammen und diskutieren jetzt, was herausgekommen ist, ob das, was der Bürgerrat herausgefunden hat, wirklich relevant ist oder nicht. In weiterer Folge kann dann eine politische Entscheidung getroffen werden.

Wir experimentieren mit diesem Verfahren seit 2006. In der Zwischenzeit hat es insgesamt rund 55 solche Bürgerräte gegeben, und zwar nicht nur in Vorarlberg, sondern mittlerweile fast in ganz Österreich. 35 davon haben in Vorarlberg selbst stattgefunden, unter anderem auch in Zusammenarbeit mit dem Landtag. Wir haben da auch schon Landtags-Enqueten organisiert. Die Bürgerräte können auf kommunaler Ebene durchgeführt werden. Wir haben auch schon regionale durchgeführt, in Talschaften, landesweite Bürgerräte, es hat sogar schon bundesweite Bürgerräte gegeben, auch grenzüberschreitende, wobei ich gestehen muss, dass, gerade wenn es auf Bundesebene geht, ich mir nicht so sicher bin, ob man das einfach eins zu eins umsetzen kann.

Generell möchte ich sagen, dass wir noch ganz am Anfang stehen, trotz dieser jahrelangen Erfahrung. Ich glaube, da ist noch sehr viel Entwicklungspotenzial drinnen. Beispielsweise konzentriert man sich in Oberösterreich darauf, Jugendräte zu organisieren, wo speziell junge Menschen angesprochen werden. Auch Salzburg hat bisher gute Erfahrungen mit landesweiten Bürgerräten gemacht. Aber, wie gesagt, auf Bundesebene ist die Frage, ob man das einfach so skalieren kann oder ob man dann in jedem Bundesland einen Bürgerrat macht. Da sind also noch viele Fragen offen.

Im Jahr 2013 hat dann die Vorarlberger Landesregierung eine Verfassungsänderung beschlossen, um diesen neuen partizipativen Ansätzen Rechnung zu tragen. Es gibt beispielsweise eine Richtlinie, wonach ein Bürgerrat auch von Bürgern selbst initiiert werden kann. Es braucht nur 1 000 Unterschriften, um auf Landesebene so ein Verfahren einzuleiten.

Wie schon mein Vorredner gesagt hat, finde auch ich es wichtig, dass man direkte, repräsentative und partizipative Demokratie nicht gegeneinander ausspielt. Diese Verfahren ergänzen sich ganz hervorragend. Das sind – in der Medizin würde man vielleicht sagen – komplementäre Ansätze, die sich gegenseitig sehr gut ergänzen.

Das Wichtige ist die Haltung dahinter. Die Verfahren sind so gut wie der Wille, sich wirklich auf ergebnisoffene Prozesse einzulassen, zuzuhören, hinzuhören und Meinungsbildung zu begünstigen. Das ist eigentlich die Grundvoraussetzung. Wir haben auch sehr gute Erfahrungen mit informellen Verfahren gemacht, bei denen es darum geht, diese Kultur des Miteinanders zu pflegen und zu stärken. Wenn Sie noch genauere Informationen haben wollen, finden Sie auf unserer Website www.vorarlberg.at/zukunft ausführliche Dokumentationen über alle Bürgerräte, die bisher in Vorarlberg stattgefunden haben. Dort können Sie dann auch nachlesen, zu welchen Ergebnissen die Bürgerräte führten und wie diese Ergebnisse umgesetzt wurden.

*****

B. Diskussion

Obfrau-Stellvertreter Präsident Karlheinz Kopf leitet nun zur Diskussion über und erteilt Herrn Dr. Poier das Wort.

Ass.-Prof. Dr. Klaus Poier (Karl-Franzens-Universität Graz): Wie die Ausführungen der Experten gezeigt haben, gibt es auf Länder- und Gemeindeebene einen großen Reichtum und eine Vielfalt an Instrumenten der direkten Demokratie. Man kann durchaus sagen, dass die Länder die Vorreiter der direkten Demokratie und der Bürgerpartizipation in Österreich sind. Vor allem in den siebziger und achtziger Jahren hat es hier einen sehr starken Ausbau und auch einen sehr befruchtenden Wettbewerb um die Bürgerfreundlichkeit im positiven Sinne gegeben – mit gewissen Nachahmeffekten.

Man kann auch festhalten, dass es keine Einbahnstraße war. Es wurden durchaus Instrumente eingeführt und dann wieder abgeschafft. Wir haben das auch in der Schweiz so gehabt. Daher ist die Sorge, wenn man diese Büchse jetzt öffnet, dass die repräsentative Demokratie irgendwann enden wird, unbegründet.

Ein Wermutstropfen, der auch mehrfach angesprochen wurde, ist, dass sich dieser Reichtum und diese Vielfalt ganz besonders auf die Rechtsebene beziehen und in der Praxis nicht so stark zu sehen sind. Wir hatten – mir liegen die Zahlen bis 2010 vor – auf Länderebene vier Volksabstimmungen, 16 Volksbefragungen und zehn Volksbegehren. Das sind in Summe weniger als die durchgeführten Volksbegehren auf Bundesebene.

Für die Gemeindeebene gibt es kaum Daten, aber ich versuche seit einigen Jahren, diese zu sammeln. Meiner Schätzung nach hat es in Österreich auf Gemeindeebene zwischen 500 und 1 000 Volksabstimmungen und Volksbefragungen gegeben. Das ist für die große Zahl an Gemeinden nicht besonders viel. Direkte Demokratie auf Länder- und Gemeindeebene ist damit jedenfalls kein totes Recht; es wird gelebt. Was aber besonders auffällt, ist, dass es in den meisten Fällen direkte Demokratie von oben nach unten ist. Die Möglichkeiten, von unten mitzubestimmen – etwa Volksbefragungen durch die Bürgerinnen und Bürger einzuleiten –, deren Nutzung wir uns eigentlich erwarten würden, werden bisher praktisch nicht wahrgenommen. Es gibt mehrere Erklärungsmuster, warum das so ist; auf Landesebene ist es unter anderem die Kompetenzlage – die Länder sind nicht für so viel zuständig –, und auf Gemeindeebene ersetzen sicher auch die zahlreichen informellen Kontakte einen Teil der direkten Demokratie.

Was sollen wir für unsere Diskussion in der Enquete-Kommission mitnehmen? – Zum einen denke ich, man kann nicht alles eins zu eins übertragen, aber ich denke auch, dass das Hauptinstrument auf Länder- und Gemeindeebene, die Volksbefragung, durchaus auch auf Bundesebene das Instrument sein könnte, das stärker genutzt wird. Vor allem die Verknüpfung des Volksbegehrens, das auf Bundesebene bis jetzt das Hauptinstrument ist, mit der Volksbefragung, die auf Länder- und Gemeindeebene das wichtigste Instrument ist, scheint für mich vielversprechend zu sein.

Für mich ist der zweite wichtige Punkt der zu kleine Gestaltungsspielraum für die Länder und Gemeinden. Meiner Ansicht nach ist nicht einzusehen, dass Länder mit Verfassungsmehrheit entscheiden dürfen, ob die Bürgermeister direkt gewählt werden und ob die Landesregierung mit Proporz- oder Majorzwahl gewählt wird, aber nicht entscheiden dürfen, ob die Bürgerinnen und Bürger mehr als auf Bundesebene an direkter Demokratie beteiligt werden. Ich denke, das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes von 2001 ist in die falsche Richtung gegangen; man hat rechtsdogmatisch die eine oder andere Auffassung vertreten. Ich denke, dass das in der Bundesverfassung – wohl dann auch mit einer Volksabstimmung – geändert werden sollte.

Ein schwieriger Punkt sind die Befragungen und Abstimmungen, die im rechtsfreien Raum stattfinden. Wir haben es in Wien im Zusammenhang mit der Mariahilfer Straße und in Graz und in Kärnten mit dieser Briefumfrage erlebt. Der Vorwurf der Rechtswidrigkeit schafft Misstrauen, und es wird auch ein Rechtsschutzdefizit und in gewisser Weise ein Datenschutzproblem geschaffen. Auf der anderen Seite zeigt es den Bedarf an mehr Möglichkeiten, den Kreis der Beteiligten und auch die Themen besser definieren zu können, und auch an mehr Methoden, was Briefwahl und E-Voting betrifft. Ich glaube, auch hier sollte jedenfalls auf Länderebene der Freiraum größer werden, aber ich könnte mir das durchaus auch für die einzelnen Gemeinden vorstellen.

Abschließend ein letzter Punkt: Auf Länder- und Gemeindeebene ist die Beteiligung höher, als wir es bisher auf Bundesebene spürten, und ich denke, dass dieser Wandel an politischer Kultur sehr wichtig wäre. Wenn man die Kluft zwischen den Repräsentanten und Repräsentierten wieder enger machen will, dann muss man auf die Bürgerinnen und Bürger zugehen, aber selbstverständlich sind auch diese gefordert, ihrerseits auf das System zuzukommen und die Instrumente, die es gibt, stärker wahrzunehmen.

*****

Harald Petz: Verzeihen Sie, dass ich nicht auf das heutige Thema, die Länder und Gemeinden, eingehe, sondern über die Stärkung der direkten Demokratie im Allgemeinen sprechen möchte.

„Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“ – So steht es schon in der Verfassung, aber das Gefühl, dass das wirklich geschieht – in Bezug auf Mitbestimmung bei politischen Prozessen und Abstimmungen –, das habe ich, das haben Bürger und Bürgerinnen nicht.

Ich habe seit der letzten Sitzung mit vielen Kollegen, Bekannten, Freunden und Verwandten über das Thema direkte Demokratie gesprochen. Der allgemeine Tenor war: Wir würden gerne mitentscheiden, aber die Politiker machen ja eh, was sie wollen. Es ist eine Kluft zwischen Volk und Politik entstanden, die scheinbar immer größer wird. Diese Kluft muss beseitigt werden, denn Sie, meine sehr verehrten Damen und Herren, wurden durch das Volk gewählt, um für das Volk Ihre hoch geschätzte Arbeit zu tun und vor allem auch mit dem Volk Ihre Entscheidungen zu treffen. Durch das Volk für das Volk mit dem Volk, das haben auch große Männer schon gesagt.

Es hat sehr lange gedauert, um diese Enquete Wirklichkeit werden zu lassen, und ich hoffe, sie wurde nicht nur dazu ins Leben gerufen, um kosmetische Reparaturen an bestehenden Instrumentarien wie Bürgerinitiativen und Volksbegehren durchzuführen, auch wenn es ein Schritt in die richtige Richtung ist. Ich stehe natürlich auch dazu, aber ich, wir, die Wählerinnen und Wähler, wollen mehr Mitbestimmung. Weiter weg von der repräsentativen Demokratie, näher hin zur direkten Demokratie. Eine Mischform wäre, denke ich – wie auch die Experten schon gesagt haben –, das Ideal. Wir alle, Sie eingeschlossen, stellen dem Staat, der Regierung sehr viel Geld in Form von Steuern zur sinnvollen Verwendung zur Verfügung. Es sollen damit Projekte zur Beibehaltung und Verbesserung der Lebensqualität gefördert sowie laufende Staatsausgaben beglichen werden.

Doch bei der Auswahl dieser Projekte und bei vielen Ausgaben wollen wir als Hauptsponsor mitentscheiden dürfen. (Beifall.) Es kann nicht sein, dass Pleitebanken mit Milliardenbeträgen zugrunde saniert werden, ohne dass wir befragt werden. Auch in laufende Themen wie das Rauchergesetz, die Schuldendebatte oder den Schutz gegen Terror können Sie uns gerne einbeziehen.

Damit sind wir auch schon wieder bei der direkten Demokratie. Das Modell, das mir vorschwebt, habe ich bei der letzten Sitzung bereits skizziert: Wege verkürzen und die Stimmabgabe erleichtern, wie auch Herr Dr. Steiner, glaube ich, gemeint hat. Ich stehe für die Modernisierung des Ablaufes durch die Möglichkeit der elektronischen Wahl, für die Erstellung einer Internet-Plattform, auf der jeder Wahlberechtigte mithilfe eines persönlichen Zugangscodes seine Stimme abgeben kann – aber nicht nur bei Wahlen, sondern auch bei wichtigen Abstimmungen des Nationalrates. Wenn die Bürgerinnen und Bürger anders als der Nationalrat stimmen – das soll ja vorkommen –, soll ein Vetorecht greifen, was eine Neuauflage der Debatte und in letzter Konsequenz eine bindende Volksabstimmung zur Folge hat. Diese Art der Stimmabgabe kommt sicher auch den vielen jungen Wählern, die seit Einführung des Wahlrechts ab 16 Jahren gewonnen wurden, entgegen.

Wenn Sie wirklich direkte Demokratie leben wollen, meine sehr verehrten Damen und Herren, und Mitbestimmung durch das Volk wünschen, dann geben Sie uns das Werkzeug dazu. (Beifall.)

*****

Michelle Missbauer: Ich kann mich ein bisschen der Meinung von Herrn Harald Petz anschließen. Ich befürworte auch, dass das Volk viel mehr einbezogen werden sollte, vor allem was das Thema Volksabstimmung angeht.

Ich sage es einmal so: Die Schweiz ist ein sehr großes Vorbild, weil es dort regelmäßig Volksabstimmungen gibt. Darauf könnten wir in Österreich sicher aufbauen. Wenn ich mich recht erinnere, war die letzte bundesweite Volksabstimmung im Jahr 1994, als die Österreicher über den EU-Beitritt befragt wurden. Davor gab es noch eine Volksabstimmung im Jahr 1978 bezüglich des AKW Zwentendorf, und die hat wirklich eingeschlagen. Es ist abgewendet worden.

Man könnte das Volk zum Beispiel auch miteinbeziehen, wenn es um Geldangelegenheiten geht, um die Mehrwertsteuer zum Beispiel oder um Politikergehälter. Warum soll das Volk bei Politikergehältern nicht mitentscheiden? – Man muss bedenken, dass der kollektivvertragliche Mindestlohn bei etwa 1 300 € brutto liegt; da bleibt einem zum Leben nicht immer viel übrig, wenn man auch noch eine Familie zu ernähren hat.

Auch die Mieten sind für mich ein sehr relevantes Thema, dessen sich die Arbeiterkammer auch schon angenommen hat. Warum soll das Volk nicht über den angemessenen, zulässigen Mietpreis abstimmen dürfen? – Ich gebe ein kleines Beispiel aus meinem Privatbereich: Ich wohne in einer 63-Quadratmeter-Wohnung und zahle fast 552 € Miete. Die Wohnung ist im Jahr 1989 erbaut worden, im Jahr 1990 sind die ersten Mieter eingezogen, und ich bin jetzt die dritte Mieterin.

Wir könnten zum Beispiel neue Arbeitsplätze, neue Jobs schaffen und die Bürger miteinbeziehen, wenn wir zum Beispiel neue Berufsgruppen in Österreich etablieren. Ich denke da zum Beispiel an Deutschland, dort gibt es ein Ordnungsamt. Das könnten wir in Österreich einführen, um die Polizei ein bisschen zu entlasten. Möglich wäre auch eine eigene Tierschutzpolizei, wie sie in den Niederlanden geschaffen wurde.

Ich halte es für eine gute Idee, wenn man das Volk bei sehr vielen Angelegenheiten und bei sehr vielen Themen miteinbezieht und dass die Volksabstimmung in der Verfassung festgeschrieben ist, weil das ist direkte Demokratie. Herr Petz sagte schon, dass Demokratie Volksherrschaft ist. Die Herrschaft geht vom Volk aus. Und wenn wir vielleicht alle zwei Jahre oder einmal jährlich eine gute Volksabstimmung machen, denke ich, wäre die Bürgerbeteiligung auch hoch.

Die erste Volksabstimmung, die ich in Österreich am liebsten durchbringen würde, wäre die über die Legalisierung der gleichgeschlechtlichen Ehe. Ich habe aus der Zeitung erfahren, dass das Fortpflanzungsmedizinrechts-Änderungsgesetz gestern im Parlament beschlossen wurde. Das ist wirklich ein sehr großer Schritt in die richtige Richtung, weil wir im Jahr 2015 leben und man sich nicht mehr verstecken müssen sollte, weil man lesbisch, schwul oder transsexuell ist. Man sollte es offen leben und auch dazu stehen dürfen, ohne dass man diskriminiert wird. Ich glaube, dass die Österreicher diesen Themen mittlerweile positiv gegenüberstehen. Deswegen würde ich auch eine Volksabstimmung für die Öffnung der Ehe für gleichgeschlechtliche Partner befürworten.

Meine zweite Idee wäre, wenn es die Bürgerinnen und Bürger wollen, dass die eingetragene Partnerschaft auch beibehalten wird und dass man das Modell für alle offenhält, sowohl für heterosexuelle als auch für homosexuelle Paare. Die Menschen sollen entscheiden, welche Form der Lebenspartnerschaft sie wählen – ob mit oder ohne Trauschein.

Zum Schluss spreche ich noch kurz das Tierschutzhaus Vösendorf an. Diesbezüglich könnte man auch eine Volksabstimmung starten, um zu entscheiden, ob es saniert werden soll. Ich bin selbst oft dort, und ich kann Ihnen sagen, dass dieses Gebäude langsam auseinanderfällt. Das wäre zum Beispiel auch eine Möglichkeit, das Volk miteinzubeziehen, wenn es um Geldangelegenheiten geht, und das würde sicher auch dazu beitragen, die direkte Demokratie in Österreich aktiv zu stärken. (Beifall.)

*****

Heinz Emhofer: Ich bin der Meinung von Herrn Petz, dass sich in der Demokratie sehr viel ändern sollte. Vorausschicken möchte ich, dass ich von Beruf Servicetechniker war und mein ganzes Arbeitsleben mit Problemen und Lösungen zu tun gehabt habe. Das heißt, ich habe Probleme und deren Lösungen in kürzester Zeit finden müssen.

Mir fällt auf, dass das Lösen von Problemen in unserer Demokratie oft jahrzehntelang aufgeschoben wird. Die Demokratie besteht bei uns aus Wahlen und Gesetzen. Das Volk wählt aber nicht die Abgeordneten, sondern die Partei. Die Partei bestimmt, welche Abgeordneten hier in diesem Haus sitzen. Ich bin der Meinung, dass diese Abgeordneten befangen sind. Sie müssen der Partei dienen, sie müssen dem Parlamentsklub dienen und nicht dem Volk.

Meine Illusion hinsichtlich des Ziels dieser Enquete-Kommission ist, dass wir ein Gesetz – das Demokratiegesetz – finden, das für Bund, Länder und Gemeinden bezüglich Volksbegehren und so weiter gleich ist. Ich verstehe nicht, warum ein Oberösterreicher kein Österreicher ist, ein Niederösterreicher kein Österreicher ist, ein Tiroler kein Österreicher ist, ein Linzer kein Österreicher ist und ein Salzburger kein Österreicher ist. Wir sind doch alle gleich – warum müssen wir in jedem Bundesland und in jeder Gemeinde andere Gesetze haben?!

Wir haben jetzt neun Sachverständige gehört. Das normale Volk versteht das nicht, was da alles vorgetragen worden ist, weil es so viele Unterschiede gibt. Warum kann man nicht ein Gesetz über gewisse Abstimmungsbelange machen, die überall gleich gelten? Das heißt, 10 Prozent der Wahlberechtigten im Bund sind immer noch 10 Prozent der Wahlberechtigten eines Bundeslandes und 10 Prozent einer Stadt oder einer Gemeinde.

Wenn dies durchgeht, dann sind meiner Meinung nach die Personen, das Volk, leichter eingebunden, können leichter mitarbeiten.

Folgendes Beispiel will ich als Oberösterreicher anführen: Wir haben in der letzten Zeit vom Land erfahren, dass wir ein neues Demokratiegesetz bekommen. Wir haben heute von den Sachverständigen auch gehört, dass wir in Oberösterreich einmal eine Abstimmung gehabt haben, sie ist negativ für die Landesregierung ausgegangen. Der Erfolg – ich weiß nicht, ob der bekannt ist – war, dass das Gesetz geändert wurde und die Zugangsbestimmungen, also die Hürden, um 100 Prozent erhöht wurden. Und jetzt wird groß von Demokratieerleichterung gesprochen, das heißt: Jetzt gehen wir wieder auf den Zustand von 2001 zurück.

Zusätzlich wird in Oberösterreich in Zukunft ein Perger, wie ich es bin, für einen demokratischen Zugang eine andere Stimmenanzahl brauchen als ein Linzer, ein Welser oder jemand aus einem Dorf mit 1 000 Einwohnern. Das heißt: Was wird da vereinfacht? – Das wird meiner Meinung nach immer schwieriger!

Ich habe hier ein ganzes Bündel von Zeitungsausschnitten (der Redner zeigt das Bündel), die von mir in den letzten drei Wochen gesammelt wurden. Wenn man diese Artikel liest, dann weiß man, warum das Volk, wie es so schön heißt, nicht interessiert ist an solchen, wie soll ich es sagen, demokratischen Regeln: weil innerhalb der politischen Parteien ein Hickhack besteht, wie es größer nicht geht.

Wenn ich mir zum Beispiel vorstelle: Wir reden über Rauchergesetze. Wir haben im Gesetz das Wahlalter für Bürger auf 16 Jahre herabgesetzt, und jetzt bestimmen wir vom Gesetzgeber her, ob diese Person rauchen darf oder nicht. Wir haben die Diskussion über öffentliche Räume, wo nicht geraucht werden darf. Ich glaube – ich bin Nichtraucher, meine Gattin ist Raucherin –, dass das Rauchergesetz davon ausgehen sollte, dass die Personen ja frei bestimmen können, wo sie hingehen. Ich bin ein erwachsener Mensch, ich brauche niemanden, der mich schützt, wenn ich beim Essen den Rauch von anderen einatme. Warum gehe ich hin?

Aber – jetzt kommt meine Meinung –: Ich höre nie, was mit Kindern passiert, die in einem Auto sitzen, in welchem die Eltern rauchen. Es gibt keinen Arzt oder Politiker, der sagt, dass das Rauchen im Auto neben Kindern verboten ist. (Beifall.)

*****

Mag. Barbara Ruhsmann: Ich lebe in Wien, einer Stadt, die sich sehr partizipationsfreudig gibt und auch geben muss: auf vergleichsweise engem Raum leben hier immer mehr Menschen, deren unterschiedliche persönliche, soziale und kulturelle Bedürfnisse und Interessen sich aneinander reiben. Wien ist eine Stadt von durchaus wehrhaften Bürgerinnen und Bürgern und eine Stadt zahlreicher Bürgerinitiativen. Man regt sich hier schnell auf und wird auch gehört, von den Medien und auch von der Politik, von beiden mit eigenen Interessen und von Letzterer mit doch auch zwiespältigen Gefühlen.

Seit 1973 wurden in Wien bislang sieben Volksbefragungen durchgeführt. Nur zwei davon wurden aufgrund der Initiative von BürgerInnen abgehalten, also basierend auf einem wirklichen zivilgesellschaftlichen Begehren, die anderen wurden per Beschluss des Gemeinderates verordnet.

Ich möchte kurz auf die Volksbefragungen von 2010 und 2013 eingehen, die meiner Ansicht nach sehr gut illustrieren, wie missbräuchlich man bislang mit dem Instrument der direkten Demokratie hierzulande umgeht. Bei der Volksbefragung 2010, die übrigens in einem Wahljahr abgehalten wurde, stellte man den Wienerinnen und Wienern folgende Fragen:

„Sind Sie dafür, dass in Wien die Möglichkeit geschaffen wird, neue Hausbesorgerinnen und Hausbesorger (mit neuem Berufsbild) einzustellen?“, „Sind Sie für ein flächendeckendes Angebot an Ganztagsschulen in Wien?“, „Soll in Wien eine Citymaut eingeführt werden?“, „Sind Sie dafür, dass die U-Bahn am Wochenende auch in der Nacht fährt?“, „Sind Sie dafür, dass es in Wien für sogenannte ‚Kampfhunde‘ einen verpflichtenden Hundeführerschein geben soll?“

Es sind dies Fragen von doch sehr unterschiedlicher Relevanz und eine Zusammenstellung, bei der man sich des Eindrucks von politischem Kalkül und einer gewissen Manipulation schwer erwehren kann.

Der Ausgang der Befragung – Ja für alle Punkte außer der City-Maut – wurde folgerichtig von der im Wesentlichen betreibenden Partei als politischer Erfolg verbucht und verkauft.

Glaubt man, mit einem derart doch paternalistisch wirkenden Vorgehen einen Beitrag zur demokratischen Bildung der Bevölkerung zu leisten? – Es drängt sich der Verdacht auf, dass man dieselbe eher verhindern will, indem man ihr sozusagen zuvorkommt.

Noch befremdlicher wirkt der Fragenkatalog der Volksbefragung 2013. Es ging dabei um Parkraumbewirtschaftung, eine allfällige Bewerbung Wiens für Olympia 2028, den Schutz vor der Privatisierung kommunaler Betriebe und ein Ja oder Nein zur Entwicklung weiterer Projekte zu erneuerbarer Energie.

Ich bin eine durchaus mitbestimmungsfreudige Bürgerin, aber als dieser Brief ins Haus flatterte, fühlte ich mich doch unangenehm berührt. Kann man noch mehr Parteipolitik in eine Volksbefragung hineinpressen? Hat irgendjemand aus dem Volk diese Befragung in dieser Zusammenstellung verlangt? – Nein, die Wiener Stadtregierung glaubt zu wissen, was uns beschäftigen soll. Sie wählt Fragen und Formulierungen aus. Ich halte das für ein sehr fragwürdiges Vorgehen und denke, dass es mit direkter Demokratie wenig zu tun hat, obwohl ein Instrument der direkten Demokratie verwendet wurde. Formal wirkt es wie direkte Demokratie, inhaltlich ist es nichts anderes als ein partei- und machtpolitisches strategisches Spiel.

Was ich sehr wichtig finde: PolitikerInnen sollten sich in der Ausübung ihrer Funktion nicht mit den BürgerInnen verwechseln, auch wenn sie natürlich in ihrem sonstigen Leben Bürger sind. Die gewählten Vertreter in der repräsentativen Demokratie sind eben Vertreter und nicht das Volk selbst.

Ich wünsche und erwarte mir, dass mehr Respekt, mehr Sensibilität für den Freiraum zwischen den Repräsentanten und ihrem Wahlvolk gezeigt wird. Nur in diesem Raum dazwischen kann sich echte direkte Demokratie entfalten. Ich fordere vor allem weniger Vereinnahmung direktdemokratischer Instrumente durch parteipolitisches Kalkül, denn es ist im Grunde müßig, darüber zu diskutieren, ab wie vielen Unterstützungserklärungen eine Initiative oder ein Volksbegehren einer verpflichtenden Abstimmung oder Befragung zugeführt wird, wenn es den politisch Verantwortlichen von Anfang an an Achtung vor diesen Instrumenten fehlt.

Die größte Gefahr für die Demokratie ist nicht die Politikverdrossenheit, sondern mangelnder Respekt vor der Meinungsfreiheit, mangelnde Achtung vor der Agora, dem Platz der Meinungsbildung. Das führt zu Politikverdrossenheit. Gerade in Wien wird es aufgrund des Bevölkerungswachstums und der damit einhergehenden Notwendigkeit, zum Beispiel neuen Wohnraum zu schaffen, in den nächsten Jahren immer wieder zu Interessenkonflikten kommen, Bürgerinitiativen werden noch zahlreicher als bisher in Erscheinung treten. Aufgaben der Politik sind meiner Ansicht nach Zuhören, Ernstnehmen, Lernen von den BürgerInnen, Zurverfügungstellen des eigenen Wissens, eventuell auch Moderation, und vor allem das klare Kommunizieren eigener Positionen, kurzum: In-Dialog-Treten.

Aber Aufgabe der Politik ist es sicher nicht, Instrumente der direkten Demokratie als Marketingmaschinerie für eigene Zwecke zu missbrauchen, und es ist nicht ihre Aufgabe, diese Instrumente zu verwenden, um bei schwierigen Entscheidungen die eigenen Hände in Unschuld zu waschen.

Es ist sehr interessant, dass Skeptiker der direkten Demokratie gern ins Treffen führen, die österreichische Bevölkerung sei dafür nicht reif genug. Ich denke, dass auch die österreichische Politik und ihre Vertreter dafür nicht überall reif genug sind. Es wäre schön, wenn diese Enquete-Kommission zum gemeinsamen Reifen aller Beteiligten beitragen würde. (Beifall.)

*****

LAbg Gudrun Mosler-Törnström, BSc (Zweite Präsidentin des Salzburger Landtags): Es ist sehr interessant, heute hier zu sein. Als Zweite Landtagspräsidentin und auch als Präsidentin der Regionalkammer des Kongresses der Gemeinden und Regionen des Europarates befasse ich mich sehr intensiv und sehr viel mit dem Instrument Demokratieentwicklung, direkte Demokratie. In Salzburg haben wir, wie wir schon gehört haben, auch eine Enquete-Kommission im Landtag eingerichtet, wo wir uns sehr intensiv mit diesen Dingen beschäftigen und fragen: Wie können wir praktisch etwas erreichen?

Ich habe jetzt sehr interessiert den neun Vorträgen zugehört, und mir ist eines durch den Kopf gegangen: Was ist denn das Ziel dieser Direkten-Demokratie-Mission? – Und es ist eine Art Mission! Ein Ziel ist es, der Politikverdrossenheit entgegenzuwirken und das Interesse der Beteiligten, der Bevölkerung an Politik wieder zu erwecken. Und jetzt hören wir hier neun Referenten, es gibt so viele Instrumente, und es ist uns nicht gelungen, die Menschen mehr für Politik zu interessieren! Ich möchte noch Folgendes betonen, weil ein Redner hier angesprochen hat, er will, dass auf unterschiedlichen Ebenen – Landespolitik, Gemeindepolitik, Bundespolitik – ein Gesetz gemeißelt wird. Ich sage Ihnen: Das geht im Augenblick nicht, das ist einfach nicht möglich, denn auf verschiedenen Ebenen sind auch unterschiedliche Erwartungen und Voraussetzungen gegeben.

So sind zum Beispiel Änderungen in der Gemeindewahlordnung leichter durchzuführen als solche auf Länderebene, weil die Bundesverfassung nicht auf die Gemeinden durchgreift. Hier haben wir also einen völlig anderen Spielraum.

Während dieser letzten eineinhalb Stunden ist mir auch Folgendes durch den Kopf gegangen: Um direkte Demokratie wirklich zum Leben zu erwecken, müssen wir das Interesse bereits bei den Schülern steigern. Wir haben in vielen Schulen die politische Bildung abgeschafft. Viele SchülerInnen, aber auch Mitbürgerinnen und Mitbürger kennen die Architektur unserer Demokratie nicht. Die Frage, wie hängen Dinge zusammen, ist einmal das Erste.

Das Zweite ist, Interesse kann man am besten immer auf der untersten Ebene erwecken, also auf Gemeindeebene, dort, wo die Bürgerinnen und Bürger mit den Problemen und Projekten am unmittelbarsten vertraut sind.

Darum haben wir in Salzburg gesagt: Es gibt zwei Wege, die wir gehen müssen. Der erste Weg ist, zu schauen: Wie können wir die Instrumente, die es bereits gibt, vereinfachen? Es gibt viele Instrumente, wie wir heute gehört haben, die direkte Demokratie zulassen, die aber nicht in Anspruch genommen werden. – Warum? Können wir Hürden abbauen? Können wir zum Beispiel eine stärkere Verbindlichkeit für Volksabstimmungen schaffen? Wie sind die Einstiegshürden? Können wir fixe Abstimmungstage zum Beispiel für Volksbegehren einrichten und so weiter? Hier gibt es eine ganze Palette an Möglichkeiten. – Das ist der eine Weg.

Der andere Weg, den wir in Salzburg gewählt haben, ist folgender: Wir sagten, gut, wir müssen weiter unten ansetzen, und haben den landesweiten BürgerInnenrat einberufen, was ein sehr interessantes Erlebnis für mich war. Ich selbst habe bei einer BürgerInnensitzung mitgemacht und erfahren: Wenn man es selbst probiert, wenn man selbst dabei ist, dann ist das Interesse geweckt. Teilnehmerinnen und Teilnehmer, mit denen ich gesprochen habe, haben das übereinstimmend bestätigt: Zwei Tage lang zu sehen, welche Probleme bestehen, wo die Hürden liegen, worauf man Rücksicht nehmen muss, hat mir mehr Interesse für die Politik gegeben.

Ich denke einfach, es wäre wichtig, hier anzusetzen und das Interesse der Bürgerinnen und Bürger zu wecken, BürgerInnenräte, wo sie praktisch mitmachen können, miteinzubeziehen, dann die Fragen im Landtag zu behandeln und auch eine Rückmeldung an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu geben. Denn eines ist sicher: Die Menschen, die bei BürgerInnenräten mitmachen, sind MultiplikatorInnen, das wissen wir. Diese Multiplikatoren brauchen wir, um das Interesse für die Politik zu wecken.

Also gehen wir zwei verschiedene Wege. Dann kommen wir, glaube ich, ein großes Stück weiter. – Danke.

*****

Landesparteiobmann Stadtrat Mag. Manfred Juraczka: Als Wiener Landespolitiker kann man nur mit großer Begeisterung, aber auch etwas neidvoll auf diese Enquete-Kommission blicken, weil hier wirklich professionell und transparent, unter direkter Einbeziehung der Bevölkerung etwas versucht wird, von dem ich hoffe, dass es auch erfolgreich sein wird, nämlich Partizipation, Bürgerbeteiligung und direkte Demokratie weiterzuentwickeln. Wir brauchen eine Weiterentwicklung dieser Tools, wir brauchen vor allem klarere Spielregeln. Gerade Wien hat in den letzten Jahren gezeigt, dass das Fehlen solcher Spielregeln ganz massive Probleme bereitet.

Die Experten haben schon einige Problemstellungen angesprochen, beispielsweise die Frage: Wann werden Instrumente der direkten Demokratie überhaupt angewandt? Da ging es sehr viel um Prozentsätze, sehr viel um Quoren. Ich möchte aber hier noch ein anderes Problem ansprechen: Wien hat beispielsweise die Regelung, dass 5 Prozent der Wahlberechtigten mit ihrer Unterschrift eine Volksbefragung initiieren können. Das kann ja bei wichtigen Themen wie der Parkraumbewirtschaftung auch gelingen, auch wenn dann aus anderen Gründen nicht abgestimmt wurde.

Ich halte es aber – in Kenntnis des Umstandes, dass viele Bürgerinitiativen nicht mit rechtlich normierten Texten agieren, sondern einfach ihr Missfallen ausdrücken – für problematisch, dass beispielsweise bei 70 000 Unterschriften, wie wir sie jetzt bei der Verbauung der Steinhof-Gründe/Otto Wagner Spital vorliegen haben, gar keine direkte Demokratie zur Anwendung kommt, weil nicht explizit gefordert wird, dass hier ein Mechanismus in Gang zu kommen hat.

Ein weiteres wichtiges Thema – eine Vorrednerin hat es schon angesprochen – bezieht sich auf die Fragestellung. Ja, es ist sicher kein guter Dienst für die direkte Demokratie, wenn Fragen suggestiv oder bewusst verwirrend gestellt sind. Es braucht also auch klare Regelungen hinsichtlich der Fragestellungen.

Das Dritte, etwas, was eigentlich lapidar klingt, aber sehr, sehr schwierig ist, betrifft die Frage: Wer darf denn mitentscheiden? Wir hatten in Wien bei der Umgestaltung der Mariahilfer Straße, die heute schon angesprochen wurde, die Situation, dass man eigentlich keine rechtliche Grundlage hatte, wer denn hier zu befragen wäre. Es sind schließlich zwei Bezirke ausgewählt worden, mitstimmen zu dürfen, darüber hinaus noch die dort ansässigen EU-Bürger. Die Geschäftsleute dieser Straße beispielsweise wurden nicht miteinbezogen, auf Geheiß einer Stadträtin für Bürgerbeteiligung, die beim gleichen Anlassfall noch wenige Monate vorher – ganz konkret bei einer Befragung zu einem Garagenbau – veranlasst hat beziehungsweise initiieren wollte, dass die Schüler einer benachbarten Schule als Anrainer auch miteinzubeziehen wären.

Ich weiß schon, man wird es nie jedem recht machen können, aber wir brauchen klare Regeln, und wir haben leider auf Landesebene noch keine Initiativen gesetzt. Darum freue ich mich über diese Enquete-Kommission auf Bundesebene und hoffe, dass von hier ein Impuls ausgeht, der uns ein Demokratiepaket auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene beschert, das diesen Namen auch verdient, denn, wie heute schon gesagt wurde: Das Recht geht vom Volk aus. Wir müssen diese Initiativen weiterentwickeln, und wir sollen keine Furcht zeigen. (Beifall.)

*****

Abgeordneter Mag. Harald Stefan (FPÖ): Für mich war das heute sehr interessant. Ich bin ein Abgeordneter zum Nationalrat, und daher begegnen mir die direktdemokratischen Instrumente der Länder und Gemeinden nur in der Theorie. Es ist sehr interessant, was es für Möglichkeiten gibt, die auf Bundesebene oft geradezu in Abrede gestellt werden, indem gesagt wird, dass vieles nicht denkbar oder nur mit ganz großen Schwierigkeiten umzusetzen wäre.

Es ist also interessant, dass es solche Instrumente in so großem Ausmaß gibt. Ich habe heute auch wieder etwas Neues gelernt: Kontrollinitiative – ein interessanter Ansatz, den wir noch nicht einmal gefordert haben, aber das finde ich sehr gut.

Wenn man allerdings dann weiter schaut, wie die Realität aussieht, ist man wieder ernüchtert. Es wurde schon angesprochen: Der eine Punkt ist das Ausweichen in die informellen Abstimmungen, weil der rechtliche Rahmen nicht passt oder man ihn einfach nicht einhalten will. Wenn es andererseits doch zu Abstimmungen auch im rechtlichen Rahmen kommt und diese dann nicht ernst genommen werden, ist es meines Erachtens die noch größere Katastrophe in Bezug auf die Politikverdrossenheit. Denn: Wie groß wird die Politikverdrossenheit erst, wenn ich zwar die Möglichkeit habe, an einer Volksbefragung oder sogar an einer Abstimmung teilzunehmen, dann aber das Engagement nicht ernst genommen wird?!

Als Beispiel – das wurde auch schon erwähnt – sei auf Oberösterreich verwiesen, wo es aufgrund einer Initiative eine Volksbefragung gegeben hat, und dann wurde das Ergebnis aber nicht umgesetzt, obwohl diese Volksbefragung – zum Musiktheater – eine sehr große Abneigung gezeigt hat. Es wurde – im Gegenteil – als Reaktion das Quorum angehoben, mit dem man eine Volksbefragung initiieren kann.

In der Steiermark gab es beispielsweise die Problematik der Gemeindezusammenlegungen. Auch diesbezüglich gab es zum Teil Abstimmungen in den Gemeinden, die schlicht und einfach negiert wurden. Das führt dann zu einer noch viel größeren Frustration, daher müssen wir uns auf jeden Fall damit beschäftigen, welche Rahmenbedingungen wir setzen.

Es wurde völlig richtig auch jetzt gerade angesprochen, dass es sehr wichtig ist, dass es Regeln gibt, die man kennt, an die man sich halten kann, damit es nicht dieses Ausweichen ins Informelle gibt. Und dann muss offensichtlich neuerlich oder noch eindeutiger geklärt werden, was das Ergebnis einer derartigen direktdemokratischen Entscheidung ist.

Es scheint ja zumindest in den Ländern doch immer wieder – auch in Salzburg, wenigstens im Gesetz – die Möglichkeit zu geben, dass eine Volksabstimmung, die von der Bevölkerung initiiert wurde, sehr wohl verbindlich ist und vom Landtag – oder in dem Fall, glaube ich, vom Gemeinderat – nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen abgeändert werden kann. Das heißt also – das ist doch ziemlich interessant –, dass man sich sehr wohl auf diese Ebene begibt, dass man sagt, eine Volksabstimmung, auch wenn sie aus einer Initiative der Bevölkerung heraus stattfindet, muss so verbindlich sein, dass der Nationalrat nicht oder zumindest nur unter ganz bestimmten Voraussetzungen etwas dagegen tun kann.

Also wir sind an sich wieder bei den Punkten angelangt, die wir natürlich schon bei der ersten Sitzung hatten: Was sind die entscheidenden Möglichkeiten, wo muss direkte Demokratie ansetzen? – Und da ist wiederum der Punkt: Sie muss von unten kommen. Wenn sie von oben verordnet wird, dann haben wir irgendwelche Fragestellungen, die höchst problematisch sind, die dann natürlich für jeweils den, der sie macht, nützlich – parteipolitisch oder wie auch immer – und natürlich entsprechend initiiert sind. Das heißt also, wichtig ist: Die direkte Demokratie muss von unten kommen, damit es bereits beginnend bei der Fragestellung die Möglichkeit gibt, mitzubestimmen.

Vielleicht noch ein paar Punkte, die hier angesprochen wurden: Die Online-Abstimmung, Herr Petz, klingt sehr verlockend, wir sind allerdings aus verschiedensten Gründen dagegen. Der wesentlichste ist, dass einfach immer Datenmissbrauch stattfindet. Und wenn ich – gerade in so einem sensiblen Bereich wie bei einer Wahl – dann letztlich die Möglichkeit habe, zu eruieren, wer wie abgestimmt hat, dann wäre das ein ganz problematischer Vorgang. Außerdem wäre, wenn man online abstimmt, schon vorher die Frage, ob man wirklich frei abstimmt oder ob jemand hinter einem steht, der einem hilft oder auf den Knopf drückt und so weiter.

Also es sind sehr viele Dinge, die da mitspielen, und deswegen – bis jetzt – diese Zurückhaltung. Das ist also, glaube ich, keine Blockierung, dass man der Bevölkerung den Zugang erschweren möchte, sondern das sind ernsthafte Bedenken, dass der Missbrauch größer wäre.

Wir müssen uns dazu finden, dass der Bundesgesetzgeber hier einen weiteren Rahmen schafft – zunächst einmal für die Länder und Gemeinden, weil da offenbar wirklich Fehler bestehen. Wir müssen uns aber auch mit der Frage auseinandersetzen, wo direkte Demokratie besonders wichtig ist – das ist offenbar die kleinste Ebene, die Gemeinde; auch die Länder, aber vor allem die kleinste Ebene –, und uns dann natürlich mit der Frage auseinandersetzen, was da zusammenhängt: direkte Demokratie, Föderalismus, Abgabenhoheit? – Das sind in Wirklichkeit Begriffsbestimmungen, Begriffe, die unmittelbar zusammengehören, und es hat sich dann in der Vergangenheit oder auch in anderen Ländern gezeigt, dass sich, wenn das funktioniert, dann auch die Bevölkerung an den Entscheidungen besonders intensiv mit beteiligt fühlt und außerdem auch die Mittel besonders gut eingesetzt werden.

Da müssten wir einmal ansetzen, dann hätten wir auch, so meine ich, ein sehr gutes Beispiel, dass man auch auf Bundesebene dazu übergeht und sich einmal traut, diesbezüglich weitere Schritte zu setzen.

Die Initiative hier ist gut. Wie gesagt, die Realität hat in den letzten Jahren leider gezeigt, dass das nicht ausreichend ernst genommen wird, aber wir können ja immer noch gescheiter werden. (Beifall.)

*****

LAbg. Peter Samt (Landtag Steiermark): Auch ich bedanke mich, dass ich heute hier bei diesem sehr wichtigen Thema und bei dieser, wie schon gesagt wurde, sehr wichtigen Bewegung in die richtige Richtung dabei sein darf. Ich darf Ihnen aus meiner steirischen Sicht – Kollege Stefan hat es ja schon kurz angedeutet – die Erkenntnisse und die Fortschritte betreffend die direkte Demokratie in unserem Bundesland näherbringen.

Vorweg vielleicht ein ganz interessantes Zitat eines amerikanischen Schriftstellers, Autors und Dichters, der Folgendes gesagt hat: Demokratie ist die wiederholt auftretende Vermutung, dass mehr als die Hälfte der Leute in mehr als der Hälfte der Fälle recht haben.

Wenn wir das jetzt auf das politische Wirken insbesondere in Österreich umlegen und sehen, wie stark und wie massiv die Wählerbeteiligung zurückgeht, wird man wahrscheinlich bald darüber nachdenken müssen, ob das mit der Hälfte, was die Beteiligung der Bürger betrifft, überhaupt noch Realität ist.

Wir in der Steiermark haben in den letzten Jahren eine sogenannte Gemeindestrukturreform erlebt, die schlussendlich dazu geführt hat, dass es innerhalb der Wohnsitzbevölkerung, wenn man sie so nennen will, der betroffenen Gemeinden natürlich Unzufriedenheit gegeben hat. Konkret ist es so, dass in mehr als 100 der Gemeinden, die betroffen waren, Volksbefragungen, Bürgerbefragungen und Abstimmungen gemacht wurden. Und interessant für uns ist, dass dann doch in 64 Gemeinden bei den Abstimmungsergebnissen die Eigenständigkeit der Bevölkerung gewünscht und auch sehr deutlich reklamiert wurde. Trotzdem wurden aber diese Abstimmungsergebnisse von den Regierenden im Land nicht nur negiert, sondern auch ignoriert und die gesetzlichen Regelungen der Zusammenlegung getroffen.

Was für uns dann im Zuge dieser Gemeindezusammenlegungen natürlich sehr, sehr kompliziert und schwierig war, war, dass in 18 Gemeinden – und das war für mich doch sehr bewegend – eine Volksabstimmung beziehungsweise Volksbefragungen nach dem Steiermärkischen Volksrechtegesetz gemacht wurden, in denen sich die Bevölkerung mit klarer Mehrheit für eine Eigenständigkeit der Gemeinde entschieden hat, aber die dortige Gemeindevertretung gegen die eigene Bevölkerung gestimmt und in ihrem Gremium, im Gemeinderat, eine sogenannte freiwillige Fusion mit anderen Gemeinden beschlossen hat.

Meine Damen und Herren, vielleicht ist das der Punkt, wo ich das Selbstverständnis eines Gemeindevertreters, eines Gemeinderates, aber natürlich auch eines Landtagsabgeordneten – ich habe diese Funktionen – klarlegen möchte: Es ist nicht so, dass nur das Gewissen des Abgeordneten, des Gemeinderates, entscheidend ist, auch nicht nur seine Zugehörigkeit zu einer Partei, sondern – und das sollte man vielleicht immer wieder erwähnen und einigen politischen Vertretern in Erinnerung rufen – wir leisten bei Antritt unseres Dienstes an der Bevölkerung einen Eid, in dem wir uns dem Volk verpflichten, und daran sollte man sich doch hin und wieder erinnern, wenn es um solche Dinge geht.

Ich persönlich kann nur feststellen, dass in keinem anderen Bundesland Österreichs mehr zur Politikverdrossenheit und zur Frustration beigetragen wurde als in der Steiermark, die der Wohnsitzbevölkerung, den Menschen, die in den Gemeinden leben, in dieser Menge sozusagen negative Volksabstimmungen beschert hat.

Die Frage, die sich jetzt natürlich der Politik, dem Gesetzgeber stellt – wir haben ja heute sehr viele Meinungen und sehr viele Berichte über Vorgänge gehört –, ist meiner Meinung nach nicht unbedingt die, wie ich die Rahmenbedingungen schaffe, denn die wären ja schon in vielen Bereichen durchaus da, wenn natürlich auch verbesserungswürdig, sondern was genau die Politik damit macht und wie genau sie damit umgeht, das ist die entscheidende Frage.

Es hilft nichts, wenn wir als Politiker in Verbindung mit dem Gesetzgeber Rahmenmöglichkeiten schaffen, die dann von regionalen Politikern, von regionalen Regierungen nicht eingehalten oder nicht akzeptiert werden. Ich sehe es vor allem auf der Gemeindeebene, die ja, wie wir schon gehört haben, die kleinste Zelle ist, als sehr, sehr problematisch an, wenn die Politik einfach sagt: Nein, es ist uns schlussendlich wurscht, was die Leute da draußen denken, wir ziehen unser Ding durch.

Das wollte ich Ihnen hier in dieser Enquete als Botschaft mitgeben. (Beifall.)

*****

Dr. Susanne Fürst (Rechtsanwältin): Ich möchte noch einmal spezifisch auf die oberösterreichische Situation, jene meines Heimatbundeslandes, eingehen. Derzeit bedarf es dort ja noch einer dreiprozentigen Unterstützung, damit ein Volksbegehren im Landtag behandelt wird, und einer achtprozentigen Unterstützung – das sind zirka 90 000 Unterschriften –, damit es einer zwingenden, also automatischen, Volksbefragung unterzogen wird, wenn eben der Landtag dem Volksbegehren nicht Folge leistet. Wie bereits erwähnt, kommt es im Herbst dieses Jahres zu einer Änderung dieser Hürden. Sie werden zurückgeschraubt auf 2 Prozent für die Behandlung im Landtag und auf 4 Prozent, damit eine zwingende Volksbefragung stattfinden muss, wenn der Landtag dem Volksbegehren nicht entspricht.

Herr Landtagsdirektor Steiner hat schon ganz dezent und neutral darauf Bezug genommen, dass die jetzt noch geltenden höheren Hürden 2002 eingeführt worden sind. Das geschah im Zusammenhang mit dem Linzer Musiktheater.

Was war passiert, was ist der genaue Hintergrund? – Es gab eine jahrelange Diskussion in Oberösterreich, ob ein Musiktheater gebaut wird, und wenn ja, an welchem Standort. Im November 2000 kam es zu einem relativ erfolgreichen Volksbegehren gegen den Bau des Linzer Musiktheaters, und dies führte zur Abhaltung einer zwingenden Volksbefragung.

Die war sehr gut besucht, über 50 Prozent haben teilgenommen, und zirka 59 Prozent haben sich gegen den Bau des Linzer Musiktheaters im Berg – unter dem Schlossberg – ausgesprochen: Ungefähr 300 000 Bürger waren dagegen, ungefähr 200 000 dafür.

Das Projekt Theater im Berg war damit gestorben. Die Bürger sind da instinktiv wieder sehr richtig gelegen. Sie haben das richtige Bauchgefühl gehabt, denn es hat sich später herausgestellt – zumindest gab es ein Gutachten in diese Richtung –, dass das Linzer Schloss, das sich oben am Berg befindet, heruntergerutscht wäre, wenn man im Berg darunter das Linzer Musiktheater gebaut hätte. – Wir haben jetzt ein wunderschönes Musiktheater am Volksgarten.

Was war die Reaktion auf diese Volksbefragung, die für viele Politiker nicht wunschgemäß ausgegangen ist? – Als eine Art Bestrafung hat man eben dann die Höhe der Hürden für die Abhaltung einer solchen automatischen Volksbefragung verdoppelt, man ist auf 8 Prozent hinaufgegangen statt der vorherigen 4 Prozent – und jetzt geht man wieder zurück auf diese 4 Prozent.

Vergleichbar ist das Ganze mit der Situation auf Bundesebene gut 30 Jahre vorher. Da gab es eine einzige freiwillige Volksabstimmung, und zwar im Zusammenhang mit Zwentendorf. Die damals alleinregierende SPÖ hat dem Volk die Frage vorgelegt: Ja oder Nein zu Zwentendorf? – Die Volksabstimmung ist dann bekanntermaßen negativ ausgegangen. An das Gesicht des grantigen „Sonnenkönigs“ können sich, glaube ich, viele von uns noch erinnern. Ich war schon auf der Welt, das ist eine bleibende Kindheitserinnerung von mir. Es war so in der Art: Euch werde ich noch einmal fragen! – Aber was war auch hier, auf Bundesebene, die Konsequenz? Es hat keine freiwillige Volksabstimmung mehr gegeben.

Nun, jetzt sind wir weiser, viele Jahre sind vergangen. Es geht wieder in die richtige Richtung, und zwar in Oberösterreich, aber, wie ich denke, auch auf Bundesebene. Die Bürger sind selbstbewusster geworden, die Politiker einsichtiger. Wer den Protest nicht letztlich auf der Straße haben will, wird sich die Rückendeckung der Bürger holen wollen und auf deren Bedürfnisse und Wünsche eingehen. Eine intensivere Einbindung der Bevölkerung bietet sich gerade auch auf Landes- und Gemeindeebene an, wo ja die Themen die Menschen wirklich unmittelbar bewegen.

Niederlagen sind letztlich auch von Politikern sportlich zu nehmen. Das hat ja auch Bruno Kreisky wiederum vorgezeigt, der nach der für ihn sicher schmerzlichen Niederlage noch einmal eine Wahl fulminant gewonnen hat. Es hat seiner ungeheuren Popularität keinen Abbruch getan, dass er da den Wünschen der Bevölkerung Folge geleistet hat.

Insofern brauchen sich auch Politiker vor mehr direkter Demokratie nicht zu fürchten. Das Recht geht ja immer noch vom Volk aus, wie in unserer Bundesverfassung steht und wie auch die Bürger wissen.

Zu den Grenzen, die jetzt noch einmal angesprochen worden sind. – Ja, der VfGH hat sich gegen die Volksgesetzgebung ausgesprochen, auch gegen eine punktuelle. Er meint also, Gesetze dürfen nur vom Parlament beschlossen werden, es darf hier nicht vorbei am Parlament regiert werden. Die Frage ist: Ist da wirklich schon das letzte Wort gesprochen? – Das Erkenntnis stammt aus dem Jahr 2001. Es hat viel Kritik, meines Erachtens auch profunde Kritik, daran gegeben. Ich denke, dass sich das noch ändern kann.

Das Erkenntnis soll jedenfalls nicht als Rechtfertigung für die Politiker dienen, dass man den Wünschen der Bevölkerung nicht Folge leisten soll, denn die Meinung der Bürger ist letztlich verbindlich für die Vertreter dieser Bürger. (Beifall.)

*****

Abgeordnete Mag. Daniela Musiol (Grüne): Vorweg möchte ich einmal den Herren Experten danken für ihre sehr spannenden und wichtigen Inputs, wenn es mich auch schmerzt, dass ich nicht „ExpertInnen“ sagen darf, aber dafür können Sie nichts, sondern vielleicht stellt sich sozusagen eher die Frage, wie sich das ExpertInnentum in Österreich in der öffentlichen Wahrnehmung dadurch niederschlägt. – Aber nur so viel dazu.

Ich möchte Ihre Anwesenheit nutzen, um Fragen zu stellen. Das ist ein bisschen ein komisches Setting, weil ich in diese Richtung (die Rednerin zeigt in Richtung Plenum) sprechen muss, aber Sie meine (die Rednerin weist auf die auf der Regierungsbank sitzenden Experten). Meine Position ist hier in diesem Saal ohnedies überwiegend bekannt, ich habe auch noch viel Gelegenheit, sie so wie in der Vergangenheit auch weiterhin kundzutun, und vor diesem Hintergrund möchte ich Ihre Anwesenheit eher dazu nützen, um Ihnen Fragen zu stellen.

Sie haben hier sehr klar die Vielfalt, die es auf Gemeinde- und Länderebene gibt, dargestellt, und ich glaube, zuallererst von Professor Bußjäger, aber dann noch von anderen aufgeworfen wurde die Frage: Wie kann man diese Instrumente, die es gibt, auch mit Leben füllen? – Diese Frage würde ich gerne zurückgeben: Haben Sie diesbezüglich schon eine Ahnung, haben Sie Ideen? – Einiges wurde ja schon angesprochen: die Quoten, die Beteiligungsquoren, auch die Frage, wie lange man Zeit hat zu informieren, zu mobilisieren; von den BürgerInnen ist auch diese amtliche oder neutrale Information angedeutet worden.

Von Frau Mag. Ruhsmann ist auch erwähnt worden, ob man, wenn man dann sozusagen angesprochen wird, den Eindruck hat, dass man nur zum Instrument von parteipolitischen Interessen werden soll, oder ob man sich wirklich gemeint fühlt. – Ich würde sagen, das ist auch ein Hinweis auf die Frage, wie das mit Leben gefüllt werden kann.

Aber noch einmal die Frage an Sie, aber auch an alle anderen, die sich dazu berufen fühlen, zu antworten: Woran liegt es? Was kann man daraus auf Gemeinde- und Landesebene lernen, und was kann man vielleicht auch verhindern, wenn wir auf Bundesebene Instrumente schaffen?

Es stellt sich natürlich auch die Frage, was Gemeinden und Länder brauchen – das ist wieder eine Frage an Sie –, um auch die Möglichkeiten des Bundesverfassungsgesetzgebers ausweiten zu können. Es wurde ja schon gesagt, die Bundesverfassung hat sehr enge Grenzen, die manches verunmöglichen – Stichwort: Wer sind überhaupt die Beteiligten?

Diesbezüglich wissen wir Folgendes: Wir Grüne gehen ja von dem Grundsatz aus, alle sollen dort mitbestimmen können, wo sie leben. Das gilt aber nicht. Wir haben nicht die Möglichkeit, dass EU-BürgerInnen auf allen Ebenen mitentscheiden können, ungeachtet dessen, ob sie hier leben oder nicht. Wir haben auch nicht die Möglichkeit, dass nichtösterreichische StaatsbürgerInnen hier mitentscheiden können, ungeachtet dessen, ob sie hier leben oder nicht. Mich interessiert nun, was die Landesverfassungsgesetzgeber, die Gemeinden über diese Frage der Beteiligten hinaus brauchen, damit auch sie ihre Instrumente weiterentwickeln können.

Dann ist das Instrument des Vetoreferendums angedeutet worden, aber es ist noch nicht sehr konkret darauf eingegangen worden. Sofern ich das richtig verstanden habe und auch in meinen Unterlagen aus der Übersicht des Rechts- und Legislativdienstes gelesen habe – an dieser Stelle auch danke an diejenigen, die die Zusammenstellung gemacht haben –, gibt es das ja schon in einigen Bundesländern, und in manchen wird es vielleicht gerade diskutiert. Was sind denn da die Erfahrungen? Was sind denn da auch die Empfehlungen von Ihnen seitens der ExpertInnen?

Das ist eine ganz konkrete Frage an Oberösterreich, wo es ja so ist, dass es dann, wenn einer Bürgerinitiative binnen einer bestimmten Frist – sechs Monate, glaube ich, sind es – nicht entsprochen wird, die Möglichkeit gibt, eine Bürgerbefragung zu verlangen. Die Formulierung dazu lautet, wenn der Landtag „keinen Beschluss gefasst hat, der der Bürgerinnen- und Bürger-Initiative wenigstens den Grundsätzen nach entspricht“. – Da hat uns auch auf Bundesebene in unseren Verhandlungen die Frage beschäftigt: Wer entscheidet, ob umgesetzt wurde oder nicht? Wie lautet da die Antwort aus Oberösterreich? Was ist da der Diskussionsstand in Oberösterreich? Vielleicht können wir ja auch daraus etwas lernen.

Jetzt noch eine Frage zu den BürgerInnenräten: So wie ich die BürgerInnenräte verstanden habe – und ich halte sehr viel von diesem Instrument –, sind das Einrichtungen, die immer dann Sitzungen abhalten, wenn eine entscheidungstragende Körperschaft diese einberuft. Da wäre meine Frage: Gibt es für BürgerInnen auch die Möglichkeit, zu sagen: Wir hätten gerne einen BürgerInnenrat? Und: Wie wird das angenommen, wie wird das beworben, wie wird das unterstützt? Denn Sie haben ja ganz richtig gesagt, da geht es nicht nur darum, Lösungen zu finden, sondern auch um Problemdefinitionen, und gerade da ist wahrscheinlich das größere ExpertInnentum für die Probleme bei den BürgerInnen und nicht bei den PolitikerInnen angesiedelt.

Ein Allerletztes zu Ihnen, Herr Petz: Sie haben gemeint, dass diese Enquete-Kommission nicht zu einer kosmetischen Einrichtung verkommen soll. – Da bin ich völlig Ihrer Meinung. Ich halte schon die Abschminktücher bereit und, wenn viel Kosmetik aufgetragen werden muss, die Spachtel, aber nicht für mich, sondern für diese Enquete-Kommission. Ich freue mich total über alle, die das genau so sehen und mithelfen, dass es eben nicht möglich ist, hier nur kosmetische Diskussionen abzuhalten und kosmetische Beschlüsse zu fassen. – Danke. (Beifall.)

*****

Claudine Nierth (Bundesvorstandssprecherin von Mehr Demokratie Deutschland): Lassen Sie mich durch meinen Beitrag das zuvor Gesagte vielleicht dadurch ergänzen, dass wir einen charmanten Blick über die Landesgrenze werfen und schauen, wie es in Deutschland ausschaut.

Wenn wir aufhören, die Demokratie zu entwickeln, fängt die Demokratie an, aufzuhören. – Unter diesem Motto hat vor 20 Jahren in Deutschland eine Demokratisierungsbewegung begonnen, eine Demokratisierungswelle, die bis heute „weiterwellt“ und nicht aufhört, die sowohl die Reformbegeisterung in den Parlamenten angeheizt hat, aber vor allem aus der Initiative der Bürgerschaft kam.

So stehen wir heute vor 16 Bundesländern, die alle die dreistufige Volksgesetzgebung kennen: Volksinitiative, Volksbegehren, Volksentscheid, und auf kommunaler Ebene die zweistufige: Bürgerbegehren, Bürgerentscheid. Ein Volksentscheid ist ergänzend, ersetzend, zumindest gleichwertig einem Parlamentsbeschluss. Ein Bürgerentscheid ist ergänzend, ersetzend und gleichwertig einem Gemeinderats- oder Stadtratsbeschluss.

Wir haben in Deutschland das Glück, auf der kommunalen Ebene inzwischen auf 6 500 Verfahren blicken und diese durchaus auswerten zu können. Es ist interessant, zu sehen, dass davon 1 000 Begehren durch Stadträte und Gemeinderäte initiiert wurden, aber dass von diesen 6 500 Verfahren, die initiiert wurden, tatsächlich nur zirka 3 500 bis zur Entscheidung kamen. Das heißt, entweder wurden die Hürden nicht erreicht, man hat sich im Vorfeld mit der Gemeinde geeinigt, oder das Thema war unzulässig.

Die Beteiligung liegt im Durchschnitt bei 52 Prozent. Interessant ist aber, zu schauen, und zwar gerade bei den mehr als 2 500 Entscheiden in Bayern: Wer sind die Initiatoren, und wie geht das ganze Spiel aus? – Die Hälfte der Initiatoren ist von diesen Begehren selber gar nicht betroffen. Es geht auch nur die Hälfte der Abstimmungen im Sinne der Initiatoren aus, die andere Hälfte geht im Sinne der Gemeinderäte aus. Die Hälfte der Initiatoren hat sich vorher politisch noch nie engagiert. Davon wiederum die Hälfte bleibt hinterher politisch aktiv, sei es in Verbänden, in Initiativen, im Gemeinderat oder in Parteien.

Was sind bei uns die Themen auf kommunaler Ebene? – Das sind Bauvorhaben, Schwimmbäder, Museen, Windkrafträder, Biogasanlagen, Kindergärten, Bildungsfragen, also die klassischen Fragen.

Die größten Ängste kamen seinerzeit aus der CSU: Das Land wird unregierbar, die Staatlichkeit wird geschwächt! Heute muss die CSU das revidieren und sagen, die Staatlichkeit ist eher stabilisiert, der Parlamentarismus hat dadurch gewonnen, vor allem wurde durch das Instrument des Miteinanders ermöglicht, ein Mehr an Demokratie zu gewinnen, denn jede Initiative hat die Möglichkeit, mit einem Gemeinderat einen Kompromiss auszuhandeln, oder der Gemeinderat kann einen Alternativvorschlag zur Abstimmung stellen.

Ein Blick auf die Landesebene: Dort hatten wir in 16 Bundesländern erst 300 Verfahren. Von diesen 300 Verfahren sind 85 bis in die zweite Stufe gekommen, nämlich zum Volksbegehren, die anderen nicht, weil die Hürde zu hoch war, weil das Thema unzulässig war oder weil man sich im Vorfeld geeinigt hat. Von diesen 85 Volksbegehren kamen tatsächlich nur 22 zur Abstimmung.

Auch diese Themen sind bekannt. Das sind durchaus Themen, über die das Parlament auch entscheidet: Bildungsfragen, Infrastrukturprojekte, und, und, und. Die Bürger entscheiden in dem Sinne auch nicht klüger, aber auch nicht dümmer und schlechter als ihre Parlamente, aber spannend ist: Was hat sich dadurch in Deutschland geändert?

Es ist ein Interesse des Miteinanders zwischen Bürgerschaft und Parlament entstanden. Das Parlament erlebt auch eine Stärkung durch die Möglichkeit, bestimmte Themen aus der Initiative der Bürger aufzugreifen, es erlebt auch eine Stärkung dadurch, sich auf eine Initiative einzulassen, Kompromisse auszuarbeiten oder gegebenenfalls zwei oder drei Vorschläge zur Abstimmung zu stellen. Die Verbindlichkeit der Abstimmung bringt so eine Ernsthaftigkeit in die Debatte.

Natürlich werden auch Volksentscheide bei uns in Deutschland missachtet, natürlich werden sie auch hinterher wieder geändert, auch durchaus wieder revidiert. Dieses Spannungsfeld haben wir, aber die Ernsthaftigkeit kommt daher, dass das Parlament den Blick zu den Bürgern richtet und sagt: Jeder Bürger hat das Recht, initiativ zu werden und das Gemeinwohl durch einen guten Vorschlag, der natürlich verfassungskonform sein muss, zu beleben und zu stärken!

Fazit: Die direkte Demokratie macht in Deutschland die repräsentative Demokratie immer repräsentativer. Wir entwickeln sie stetig weiter, und sie ist natürlich unterschiedlich, denn jedes Bundesland, jede Gemeinschaft gestaltet ihre Demokratieansprüche anders aus. Dort, wo die Regeln angemessen sind, führen sie tatsächlich zu einer Ergänzung des Parlamentarismus, aber dort, wo sie restriktiv angelegt sind, führen sie zu einer hohen Frustration und zu einer seltenen Beteiligung. – Herzlichen Dank. (Beifall.)

*****

Otmar Hiebaum (Steirische Gemeindeinitiative): Ich darf Sie alle recht herzlich begrüßen und mich vorerst einmal sehr herzlich für die Einladung bedanken, durch die ich die Möglichkeit habe, über meine Erfahrungen und über die Erfahrungen von 127 Gemeinden in der Steiermark und von Zigtausenden steirischen Bürgerinnen und Bürgern mit den Instrumenten der direkten Demokratie in der Steiermark zu berichten.

Ich möchte vorausschicken: In der Steiermark bietet das Volksrechtegesetz in etwa jene Möglichkeiten, wie sie von den Experten skizziert wurden. Es gibt Volksbefragungen, Volksabstimmungen und auch die Möglichkeit einer Gemeindeinitiative.

Ich möchte mit der Gemeindeinitiative beginnen. Diese hat ja zumindest teilweise durchaus mediales Interesse erweckt, und ich möchte fast behaupten, dass das Zustandekommen dieser Gemeindeinitiative mit direkter Demokratie zu tun hatte und eigentlich auch der Inhalt sehr direktdemokratisch angelegt war.

Es sind viele steirische Gemeinden, nachdem das Thema Gemeindestrukturreform publik gemacht wurde, an das Forum St. Lambrecht – das ist ein Institut für Regionalentwicklung in der Steiermark – mit der Bitte um Unterstützung herangetreten, da die Gemeinden das Gefühl hatten, dass etwas passiert, was nicht unbedingt in ihrem Sinne ist.

Das Forum St. Lambrecht hat daraufhin bei allen steirischen Gemeinden angefragt, ob und in welcher Form sie unterstützt werden wollen. Es kamen in kürzester Zeit über 200 Rückmeldungen mit der Bitte um Unterstützung. Danach hat sich jedoch auch der direkte Einfluss der Politik bemerkbar gemacht. Innerhalb von sechs Wochen hat die steirische Gemeindeinitiative 127 gleichlautende Gemeinderatsbeschlüsse erwirkt. Die restlichen der 200 Gemeinden, die sich zuvor gemeldet hatten, haben sich jedoch wieder zurückgezogen, weil eben gewisse Einflüsse aus Graz diese Entscheidung bewirkt haben.

Inhalt dieser Gemeindeinitiative war es nicht, die Gemeindestrukturreform zu verhindern, wie es in den – ich sage es jetzt einmal sehr frech – kleinformatigen steirischen Printmedien dargestellt wurde. Ziel der Initiative war es vielmehr, angelehnt an das niederösterreichische Verfassungsgesetz, aus dem § 8 der steiermärkischen Gemeindeordnung den Passus der Zwangsfusion zu entfernen und die Bestimmungen so zu gestalten, dass Gemeindefusionen eines Beschlusses im Gemeinderat mit Zweidrittelmehrheit bedürfen und dass dann diese Entscheidung des Gemeindesrates in den betroffenen Gemeinden einer verbindlichen Volksabstimmung unterzogen werden sollte.

Diese Gemeindeinitiative wurde der steirischen Landesregierung übergeben. Sie wurde auch innerhalb von, glaube ich, nicht einmal vier Wochen per Bescheid als rechtmäßig anerkannt und ist dann in den unterschiedlichen Ausschüssen behandelt worden – mit dem Ergebnis, dass die Gemeindeinitiative dann eigentlich ohne Begründung abgelehnt wurde. Das heißt also, die steirische Politik war nicht gewillt, hier direktdemokratische Regeln anzulegen.

Daraufhin hat es in etwa 100 Gemeinden, die von dieser Fusion betroffen waren – der Landtagsabgeordnete Peter Samt hat es schon gesagt –, Volksbefragungen und Volksabstimmungen gegeben. In der überwiegenden Zahl der Fälle haben sich die Gemeindebürger dabei für die Eigenständigkeit entschieden. Doch all das wurde, wie wir wissen, von der steirischen Politik ignoriert: Es wurde ein Fusionsgesetz beschlossen, mit dem dann über die Gemeinden und über die Bürger drübergefahren wurde.

Ich denke, diese Kommission muss sich darüber Gedanken machen, wie man mit der direkten Demokratie umgeht! Das Volk wurde zum Bundesheer befragt, also zu einem Thema, das von der Bevölkerung relativ weit weg ist. Auf der anderen Seite wird bei Fragen, bei denen die Bürger mitbestimmen können und sollen – nämlich bei Fragen, bei denen es um ihren direkten Lebensraum geht! –, die Meinung der Bürger negiert und außer Acht gelassen.

Infolgedessen glaube ich: Wenn man die Regeln, die es für die direkte Demokratie ja schon gibt, einmal im Sinne der direkten Demokratie nützen würde, wären wir schon sehr weit! Wünschenswert wäre es, Regeln zu schaffen, damit sich die Politik nicht über die Meinungen der Gemeinden und der Bevölkerung hinwegsetzen kann, so wie es in der Steiermark geschehen ist.

*****

Klubobmann Dr. Christoph Starzer (Salzburger Gemeinderat): Zunächst möchte ich Ihnen, Herr Mag. Hörmandinger, dazu gratulieren, was in Salzburg in den letzten Jahren geschaffen wurde, bis hin zu einem fertigen Entwurf für das Salzburger Demokratiemodell. Wir NEOS werden alles daransetzen, diesen Entwurf zu unterstützen und zu leben. Wir sehen hoffnungsvoll in die letzten Verhandlungen, bevor dieses Gesetz im Landtag beschlossen werden soll.

„Österreich ist eine demokratische Republik. Ihr Recht geht vom Volk aus.“ – Sie sagten das heute schon, Herr Petz.

70 Jahre Frieden in Österreich und eine entwickelte Demokratie – eine demokratische Gesellschaft, wie wir es heute sind – qualifizieren uns Österreicher unseres Erachtens zu einem größeren Maß an direkter Demokratie, als wir es bisher haben. Es ist allerhöchste Zeit, den Bürgern Teilhabe an der Macht zuzubilligen, denn immerhin sind es die Bürger – und immer nur die Bürger! –, die die Zeche zahlen und niemand anderer!

Die Mühsal der Diskussion über mehr direkte Demokratie – wir haben heute reichlich davon gehört, wie anstrengend und wie intensiv die Diskussion verläuft – erweckt bei mir den Eindruck einer Angst, und zwar der Angst der Politik, den Bürgern Entscheidungen einzuräumen, für die letztlich sie und nur sie die Zeche zahlen.

Kurz zu den Erfahrungen: 2006 gab es im Auftrag der Stadt Salzburg eine Bürgerbefragung zur Olympia-Bewerbung. Die Salzburger haben mit 60 Prozent „Nein, danke!“ gesagt – aus ganz verschiedenen Gründen, aber die Absage war klipp und klar. Unser Bürgermeister hat diese Bewerbung trotzdem durchgezogen. Gott sei Dank, in meinen Augen, kam es nicht dazu. Aber: Was blieb? – Ein ungeklärtes Fragezeichen über einem zweistelligen Millionenbetrag. Wenn das die Erfahrungen mit direkter Demokratie waren, dann ist es auch höchste Zeit, hier einen großen qualitativen Sprung zu machen.

Lassen Sie mich noch kurz zum Stand der Dinge in Salzburg etwas sagen, nämlich warum wir im Landtag im Dezember das Dreistufenmodell direkte Demokratie noch nicht beschlossen haben: Es hapert noch an den ausgelagerten Gesellschaften, die zumindest alle größeren Kommunen haben. Dazu nur so viel: Auslagerung darf nie zu demokratischem Kontrollverlust führen. Wenn das doch der Fall ist, dann muss man über das Instrument der Auslagerung nachdenken. Die Auslagerung hatte nie den Sinn, die Gesellschaften oder die Geschäftsführung der demokratischen Kontrolle zu entziehen, sondern entstand aus ganz anderen Überlegungen heraus. Man muss sich daher auf die ursprünglichen Motive besinnen! Wenn die Auslagerung zum Kontrollentzug missbraucht wird, dann muss man darüber nachdenken, sie rückabzuwickeln. (Beifall.)

*****

LAbg. Dr. Christian Dörfel (Oberösterreichischer Landtag): Oberösterreich wurde ja einige Male erwähnt. Ich möchte daher in einer Vorbemerkung auf das eingehen, was bereits gesagt wurde.

Die Anhebung der Erfordernisse für Volksbefragungen war keineswegs eine Bestrafung der Bürger! Vielmehr hat es – Jahre nach der Abstimmung über das Musiktheater! – eine generelle Diskussion über die Bürgerrechte gegeben, und es wurde ein neues System eingeführt, nämlich ein System der Bürgerinitiativen und der Durchlässigkeit einer ab einem gewissen Quorum zwingenden Volksbefragung. Das war der eigentliche Grund, warum man andere Prozentsätze gewählt hat.

Derzeit schnürt der Oberösterreichische Landtag gerade ein neues Demokratiepaket, wobei man die Prozentsätze wieder auf die damaligen zurückstellt, aber das neue System beibehält. Also gibt es insgesamt eine schrittweise Verbesserung der Bürgerrechte auf Landesebene. Daher kann ich es nicht gelten lassen, wenn hier gesagt wird, die Bürger würden dadurch bestraft, dass die Quoren erhöht werden. Bitte das auch so zur Kenntnis zu nehmen!

Das Zweite: Einer der Experten hat erwähnt, dass in Oberösterreich Volksbefragungen auf Gemeindeebene wegen der hohen erforderlichen Quoren nicht durchgeführt wurden. Ich möchte jedoch darauf hinweisen, dass es in meinem Bezirk, dem Bezirk Kirchdorf an der Krems, im Süden von Oberösterreich, in den letzten eineinhalb Jahren zwei Bürgerbefragungen gegeben hat, eine in einer Gemeinde mit 240 Wahlberechtigten und eine in einer Gemeinde mit ungefähr 4 500 Wahlberechtigen – ausgelöst durch Bürger dieser Gemeinden. Dem vorausgegangen war ein rechtskräftiger Gemeinderatsbeschluss, der mit Mehrheit gefasst wurde, aber nicht die Zustimmung weiter Teile der Bevölkerung hatte. Daraufhin hat man eine erfolgreiche Initiative gestartet, obwohl nur vier Wochen zur Verfügung standen, Unterschriften zu sammeln, und eine 25-Prozent-Hürde zu überwinden war. In der kleinen Gemeinde wurden innerhalb von zwei Tagen die notwendigen Unterschriften eingeholt, in der großen Gemeinde hat es etwas länger gebraucht, innerhalb von zwei Wochen waren zwei Drittel aller Unterschriften da – und dann wurde es eng.

Jetzt könnte man sagen: Okay, es passt ohnehin alles!, noch dazu, wo beide Bürgerinitiativen von Erfolg gekrönt waren. Bei der anschließenden Bürgerbefragung gab es eine Beteiligung von über 80 Prozent mit einer jeweiligen Zustimmung von über 65 Prozent zu den Anliegen der Bürger, und zwar entgegen den vorher mit Mehrheit gefassten Gemeinderatsbeschlüssen.

Trotzdem hat der Oberösterreichische Landtag heuer ein neues Demokratiepaket geschnürt, das ab nächster Woche einer Bürgerbegutachtung unterzogen wird. Das heißt, die Beratungen sind fertig, aber wir geben der oberösterreichischen Bevölkerung auch noch die Möglichkeit, in das Bürgerrechtegesetz Ideen einzubringen. Eine Beschlussfassung ist nach diesen sechs Wochen der Bürgerbegutachtung etwa im April geplant.

Die gesamte Diskussion dreht sich, bei allem Bekenntnis zum Ausbau der Bürgerrechte, immer – ich kann das jetzt nur aus der Erfahrung seit 2001 berichten  um vier Teilbereiche, die untrennbar zusammenhängen. Das ist zunächst der Prozentsatz an notwendigen Beteiligungen, die viel gerühmte Hürde, um einen Volksentscheid herbeizuführen. Das Zweite ist das Thema, das Dritte ist die Form der Unterstützungsmöglichkeiten, und das Vierte ist die Bindungswirkung. – Und das gehört zusammen.

Ich möchte nur kurz den abgestuften Prozentsatz erwähnen, weil Herr Emhofer gesagt hat, ihm sei das egal, es müsse in jeder Gemeinde der gleiche Prozentsatz gelten. Das war Teil der Diskussion, wir haben uns aber im Oberösterreichischen Landtag mit breiter politischer Mehrheit darauf verständigt, abgestuft vorzugehen und zwischen Linz und der kleinsten Gemeinde in Oberösterreich, also zwischen 200 000 Einwohnern und 289 Einwohnern, unterschiedliche Prozentsätze festzulegen. Die Bandbreite liegt zwischen 4 und 18 Prozent, also auch in der kleinsten Gemeinde haben wir deutlich niedrigere Prozentsätze festgelegt.

Der Grund dafür war nicht die fehlende Mobilisierung in den großen Gemeinden und in den Städten, sondern dass ein einheitlicher Prozentsatz in einer Kleingemeinde eher dazu führen würde, dass acht Personen, das heißt eine Familie, eine Bürgerbefragung herbeiführen könnten. Das wollte man nicht, und diese Staffelung ist politischer Konsens.

Das Zweite ist die Frage des Themas. Ich glaube nicht, dass fixe Abstimmungstage, seien es zwei oder vier pro Jahr, gut sind, weil ein Thema für eine Volksbefragung und eine Einbindung der Bürger aktuell sein soll. Wir haben das bei den Gemeindebefragungen gesehen, einmal geht es um die Gemeindewasserversorgung, dann um ein Nahversorgungszentrum am Ortsrand.

Beim Thema einer Volksbefragung stellt sich auch die Frage: Was darf überhaupt einer Befragung unterzogen werden? Und ich kann Ihnen nur sagen: Jedes Thema ist für eine Einbindung der Bürger geeignet, es sei denn, wir stoßen dabei an die Grenzen des Rechtsstaates. Also immer dort, wo Rechtsansprüche Einzelner betroffen sind, sollte man Abstand davon nehmen – diese Regelung hat Oberösterreich –, also bei Wahlen, personalrechtlichen Entscheidungen und individuellen behördlichen Entscheidungen.

Die Weiterentwicklung des oberösterreichischen Bürgerrechts mit Online-Unterstützungsmöglichkeiten hat Landtagsdirektor Dr. Steiner bereits entschieden.

Die Bindungswirkung erfordert einen breiten Diskussionsprozess, weil sie letztlich nur mit einer Gesamtänderung der Bundesverfassung möglich sein wird. Aber die Richtung ist klar. Jemand hat gesagt, die Zukunft der Demokratie liegt in der verstärkten Einbindung der Bürger.  Das können wir in Oberösterreich nur unterstreichen. (Beifall.)

*****

LAbg. Dr. Kurt Stürzenbecher (Wiener Gemeinderat): Unser heutiges Thema ist die Stärkung der Demokratie, und dazu gehört sicher die Forderung nach mehr direkter Demokratie, aber nicht nur.

Frau Dr. Fürst aus Linz hat heute schon Bruno Kreisky erwähnt. Er hat den schönen Satz geprägt: Wir müssen die Gesellschaft mit Demokratie durchfluten. Das heißt, dass zum Ja-Nein-Abstimmen oder zum Stimmen für gewisse Parteien auch die Mitbestimmung von Schülern, von Studenten, von Lehrlingen oder von Arbeitnehmervertreterinnen und -vertretern in Betrieben gehört. Es gehört auch die Mietermitbestimmung dazu, wie wir sie in Wien bei immerhin 2 000 Gemeindebauten für eine halbe Million Leute haben, die es aber sonst nirgendwo gibt. All das gehört genauso dazu.

Mehr Demokratie würde auch bedeuten, dass Drittstaatsangehörige auf kommunaler Ebene mitbestimmen können. Ich glaube, es war Professor Giese, der gefordert hat, dass dies verwirklicht wird, in 15 von 28 Ländern der Europäischen Union ist es ja schon der Fall. Da brauchen wir die Zustimmung des Bundesverfassungsgesetzgebers, der könnte die Länder ermächtigen, dass sie in ihrer Landesgesetzgebung entsprechende Regelungen einführen, beispielsweise für Wien auf Bezirksebene Drittstaatsangehörige wählen lassen und, nur nebenbei erwähnt, auf Gemeinderatsebene in Wien auch die EU-Bürger, da es nicht sachlich ist, dass die das derzeit nicht dürfen.

Das sind ganz wichtige zusätzliche demokratiepolitische Forderungen, die über die direkte Demokratie hinausgehen. Bei der direkten Demokratie selbst würde ich zwei Prämissen voraussetzen. Zum einen: Es ist sinnvoll, das von unten nach oben wachsen zu lassen, wie es schon mehrere Vorrednerinnen und Vorredner gesagt haben. In Deutschland ist es so, dass die direkte Demokratie auf Gemeindeebene sehr ausgeprägt ist, auf Landesebene weniger, und auf Bundesebene gibt es sie überhaupt nicht. Das streben wir nicht an. Wir wollen das auch auf Bundesebene ausbauen, aber auch unter der zweiten Prämisse, die ich noch hinzufüge: Es ist sinnvoll, und auch das wurde schon gesagt, bestehende Instrumentarien, wie beispielsweise das Volksbegehren auf Bundesebene, weiterzuentwickeln, bevor man vollkommen neue Dinge einführt.

Die direkte Demokratie sollte dort ihre Grenze haben, wo der Nationalrat als Gesetzgeber sozusagen overruled und ausgeschaltet werden würde. Das wäre meiner Ansicht nach nicht wünschenswert, auch nicht über Volksbefragungen, die vielleicht formal nicht verbindlich sind, aber de facto natürlich politisch verbindlich sind.

Damit bin ich auch schon beim Thema Wien. Von einer Vorrednerin wurden bereits die Volksbefragungen angesprochen. Ich bin durchaus der Auffassung, dass diese Volksbefragungen in Wien seriös waren und sind. Es sind auch immer wieder Dinge abgelehnt worden, wie beispielsweise die Bewerbung für Olympia oder die Weltausstellung Budapest-Wien. Das sind Sachen, die abgelehnt wurden, weil Wählerinnen und Wähler anders entschieden haben, als die Parteien, die sie vorgeschlagen haben, es wollten, und das ist gut und richtig.

Ich glaube, bei der direkten Demokratie ist es besonders wichtig, dass man von diesem Sieg-Niederlage-Denken etwas wegkommt, dass man nicht immer glaubt, dass es Verlierer geben muss, wie das medial auch immer gesagt wird, wenn eine Volksbefragung anders ausgeht, als man vielleicht gedacht hätte. Sieger ist immer die Demokratie, und damit wir alle. So gesehen bin ich durchaus dafür, dass man Volksbefragungen auch auf Gemeindeebene wie in Wien weiter betreibt.

Wir haben auch mit dem Petitionsrecht in Wien sehr gute Erfahrungen gemacht, aber auch da muss man wissen, dass 500 Unterschriften kein Freibrief dafür sind, etwas unbedingt umzusetzen.

In diesem Sinne meine ich abschließend: Wir brauchen auf jeden Fall mehr Demokratie, wir brauchen auch mehr direkte Demokratie, aber im Sinne von Max Weber: mit Verantwortungsbewusstsein, mit Leidenschaft und mit Augenmaß. – Danke. (Beifall.)

*****

Marlen Ondrejka: Ich verweise einleitend auf das Land Schweiz. Wir haben heute schon vieles gehört, und es wurde auch schon vieles von dem erwähnt, was auf meiner Liste steht, aber ich glaube, man kann es nicht oft genug sagen. Mein Wunsch wäre es, mehr Volksabstimmungen durchzuführen – die Betonung liegt auf Volksabstimmungen – betreffend Gemeindebudget, Wahlbudget, Steuern, Sicherheitspolitik, Gemeinde- und Landesebenen oder Politikergehälter; denn ich kann mein Gehalt auch nicht selber bestimmen.

Der nächste Punkt wäre die Verlängerung der Frist bei Volksabstimmungen und die Herabsetzung der Mindestbeteiligungszahlen; nicht dass es heißt, das Volk wird damit belästigt. Sie werden von mir, von uns, gewählt, weswegen Sie auch mit uns, dem Volk, bestimmen sollten; zum Beispiel durch Unterschriften im Internet, wie mein Kollege, Herr Petz, bereits gesagt hat. Es wurde dann der Missbrauch angesprochen: Missbrauch kann, glaube ich, überall stattfinden, nicht nur im Internet. Missbrauch gab es schon einmal bei Wahlen, bei Gemeinderatswahlen, und zwar bei den Wahlkarten, also nicht im Internet. – So viel zum Thema Missbrauch und Internet.

Mehr Bürgerräte in Land, Bund und Gemeinde! – Das Volk soll eben, wie gesagt, entscheiden, denn es entscheidet ja auch bei der Wahl, also sollten wir mitentscheiden können, wir sollten dazu auch befragt werden und abstimmen können. Und man sollte uns – wie es auch auf der Twitterwall schon ein paar Mal zu lesen war – mehr zutrauen.

Das ist meine Meinung zu dem heutigen Thema, und ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit. (Beifall.)

*****

Abgeordneter Dr. Nikolaus Scherak (NEOS): Professor Poier hat vor ungefähr zwei Stunden schon die Frage in den Raum gestellt, wieso von der Bevölkerung so wenige Volksbefragungen initiiert werden. Ich würde die Frage gerne noch ein wenig ausweiten: Wieso ist auch ein gewisser Missmut da, was die direktdemokratischen Mittel betrifft? Und wieso werden diese von der Bevölkerung nicht so angenommen, wie wir uns das teilweise vorstellen würden?

Ich glaube, dafür gibt es drei ganz wesentliche Gründe, und wir haben sie heute alle schon gehört, dennoch möchte ich sie wiederholen.

Der erste Grund ist, dass die Entscheidungen, die mit direktdemokratischen Mitteln getroffen wurden, teilweise gar nicht umgesetzt werden. Da wundert es mich natürlich nicht, dass die Bevölkerung fragt, wieso sie eine Volksbefragung initiieren solle, wenn am Schluss das Ergebnis doch nicht umgesetzt werde. Das ist ein ganz wichtiger Grund.

Den zweiten Grund haben wir von Frau Mag. Ruhsmann gehört, nämlich dass direktdemokratische Mittel, wenn sie von Politikern beziehungsweise von politischen Parteien initiiert werden, sehr oft mit dem Stellen von irgendwelchen Suggestivfragen enden. Sie haben das sehr schön dargestellt. Die Frage bei der letzten Wiener Volksbefragung – hier muss ich ebenso ganz klar widersprechen –, ob Wien Olympische Spiele durchführen soll, halte ich persönlich für nicht seriös. Diese Frage wäre nur dann seriös, wenn gleichzeitig – und das sieht man in der Schweiz – auch entsprechende Konsequenzen aufgezählt werden, also wenn geklärt wird, was das kostet, was das für die Stadt Wien bedeutet, wie das Gemeindebudget ausgeweitet werden muss und so weiter. Die Frage, ob Wien Olympische Spiele durchführen darf oder soll, halte ich persönlich für nicht seriös.

Der dritte Grund, der von Herrn Dr. Floss schon angesprochen wurde, ist, dass es im Wesentlichen darum geht, dass direktdemokratische Mittel in der Regel nicht von den Bürgern selbst initiiert werden können, sondern sie einen Vertreter brauchen, der sie bei diesem oder jenem Thema mitentscheiden lässt, teilweise eben nur mittels Volksbefragung, die dann eben wieder nicht umgesetzt wird.

Das heißt, der wesentliche Punkt, den wir, glaube ich, ändern müssen und der über die Sache mit den Volksbefragungen hinausgeht, ist, der Bevölkerung viel mehr Möglichkeiten zu geben, selbst direktdemokratische Prozesse zu initiieren. Und wo, wenn nicht gerade auf der Gemeindeebene? Das ist schließlich die politische Struktur, die am kleinsten ist und bei der die Bürger der Politik am nächsten sind. Wo, wenn nicht dort, muss man den Bürgern diese direktdemokratischen Mittel, diese Möglichkeiten der Initiative in die Hand geben? – Es gibt hier viele Möglichkeiten, zum Beispiel Bürgerräte, was in Vorarlberg sehr gut funktioniert. Aber auch das muss man flächendeckend in Österreich diskutieren, in allen Gemeinden, das Recht der Bevölkerung, zu diesem oder jenem Thema selbst einen Bürgerrat einzusetzen.

Das Gleiche betrifft die Frage, wie Bürger in Gemeinderatssitzungen Themen einbringen können. In vielen Gemeinden funktioniert das schon, aber dort muss es natürlich auch die Möglichkeit geben, dass Bürger konkret vor Ort sind und ein umfassendes Rederecht haben und wirklich mitdiskutieren können, und nicht dass nur Anliegen in den Gemeinderat kommen, wenn sie entsprechende Unterstützungserklärungen haben.

Das Gleiche betrifft eine verpflichtende Volksabstimmung ab einer gewissen Anzahl von Unterstützungserklärungen in den Gemeinden. Ich glaube, über die Anzahl der Unterstützungserklärungen kann man ohne Weiteres diskutieren, aber was kommen muss, ist, der Bevölkerung die Möglichkeit zu geben, am Schluss das, was sie initiiert hat, auch umzusetzen.

Ganz wichtig in diesem Zusammenhang ist, glaube ich – und das ist ein wesentlicher Punkt in der gesamten Frage der Bürgerbeteiligung –, die Frage der Transparenz und der Information. Ich kann mir als Politiker – und wir hatten ja gestern ein sehr schönes Beispiel im Parlament, wo auch wir nicht die Informationen bekamen beziehungsweise nicht genügend Zeit hatten, sie zu studieren – nur dann ein ausreichendes Bild machen, wenn die entsprechenden Informationen vorhanden sind, und dazu braucht es die entsprechende Transparenz in Gemeinden, auf Landes- und auf Bundesebene, um sich mit einem Thema auseinanderzusetzen.

Das heißt, die wesentliche Voraussetzung für die Stärkung und den Ausbau der Bürgerbeteiligung ist, dass die Bürger alle diese Möglichkeiten haben und die Informationen bekommen, die sie zu einem Thema brauchen, weil nur dann auch die Möglichkeit besteht, dass man sich umfassend mit dem Thema auseinandersetzt, sich eine Meinung bildet und darüber entscheiden kann. (Beifall.)

*****

Abgeordneter Dieter Brosz, MSc (Grüne:) Ich möchte zunächst Herrn Emhofer recht geben bei der Feststellung, dass diese wunderbare Formenvielfalt, die hier präsentiert wurde, auch zu massiven Problemen führt. Wenn nämlich Regelungen von Ebene zu Ebene – Gemeinde, Land und Bund – völlig unterschiedlich sind, dann ist das bei der direkten Demokratie ein Problem, weil man einfach nicht voraussetzen kann, dass sich alle Bürgerinnen und Bürger so intensiv damit auseinandersetzen.

Beim Wahlrecht gibt es übrigens dasselbe Problem. Wenn man sich ansieht, was im Moment in Niederösterreich geschieht, wo bewusst Werbung damit gemacht wird, zu sagen, man muss sowieso keine Partei wählen, sondern nur eine Person – und wenn man die Person wählt, wählt man automatisch die Partei –, dann muss man sagen, dass bewusst Missbrauch mit demokratiepolitischen Instrumenten betrieben wird, und das sollte weder bei der direkten Demokratie noch bei der repräsentativen Demokratie der Fall sein.

Ich verstehe allerdings sehr, dass in den Ländern viele gute Initiativen gemacht werden, weil wir momentan wenige Möglichkeiten zur Vereinheitlichung haben. Würde man im Land darauf warten, dass etwas vom Bund kommt, dann würde nichts passieren. Das ist auch keine Lösung, aber in Summe betrachtet sollte, glaube ich, der Zugang so einfach wie möglich gestaltet werden.

Ich möchte noch auf ein zweites Argument eingehen, das von Frau Mag. Ruhsmann angesprochen worden ist, dieser parteipolitische Missbrauch – wenn man es so bezeichnen will – bei Volksbefragungen. Das stimmt natürlich bei vielen Fragestellungen. Ich habe mittlerweile die Erfahrung gemacht – ich habe es das letzte Mal schon erzählt, wir hatten bei uns im Ort eine Volksbefragung zu Windrädern –, dass die Betreiber von Initiativen es auch gut können, Fragestellungen so zu formulieren, dass bewusst andere Ergebnisse herbeigeführt werden. Dann wird es aber problematisch, in Gut und Böse zu unterteilen.

Es ist daher schwierig, immer zu sagen, die Politik ist diejenige, die das mit ihren Spielregeln anders gestalten will, und dann kommt eine Initiative – was übrigens auch sehr unterschiedlich ist, es gibt wirklich Initiativen, die von einzelnen BürgerInnen getragen werden –, wenn es irgendwo eine Windkraftanlage gibt, kann man mittlerweile sicher sein, dass es eine Plattform gibt, die flächendeckend dagegen vorgeht.

Ich kann nur kurz beschreiben, was dann der Fall ist, nämlich dass sich viele Probleme auch für die Gemeindeführung auftun, wie man die Fragen formuliert. Die erste Frage ist, ob man wartet, bis die Unterschriften da sind, und wenn man eine Konfrontation hat, ob man die Abstimmung erst dann macht, wenn genügend Unterschriften vorliegen. Wenn man darauf wartet, bis sie vorliegen, ist das immer die Auseinandersetzung, man kann auch sagen, gut, es ist ein Bedürfnis da, man macht es aktiv. – Das halte ich grundsätzlich für legitim.

Die zweite Frage ist: Wie schauen die Fragestellungen aus? Da war das auch ein klarer Fall davon, dass die anderen auch überlegt haben, wie sie die Frage stellen sollen. Wenn man gesagt hätte, man sei generell gegen erneuerbare Energie, hätte das nicht so gut funktioniert, also hat man es nicht als Frage formuliert, sondern Bedingungen gestellt, die dazu geführt hätten, dass das Projekt nicht verwirklichbar ist, durch Abstände beispielsweise, die weit über die gesetzlichen Abstände hinausgegangen wären, was aber nicht in die Fragestellung aufgenommen worden wäre.

Es hat im Vorfeld die Auseinandersetzung gegeben, dass die Gemeindeführung gesagt hat: Okay, wir gehen auf die Bedenken ein, es gibt weniger Windräder, es gibt niedrigere Windräder und sie sind weit voneinander entfernt. Dann ist die Frage aufgetaucht: Darf man das in der Fragestellung schon erwähnen? – Die Gegner haben das nämlich ignoriert und haben gesagt, es bleibt so, wie es ist. Es ist ein äußerst spannender Prozess, wie man das machen kann, dass man sozusagen zu einer fairen Abstimmung kommt. Ich finde, die Zielsetzung ist: Wie kann die Fragestellung so formuliert werden, dass die Menschen wirklich wissen, worüber sie abstimmen?

Dazu war ein gutes Beispiel auch die Frage Steuern. Ich würde nicht gerne darüber abstimmen, ob die Mehrwertsteuer um 5 Prozent gesenkt werden soll, ohne zu wissen, was dann geschieht. 1 Prozent Mehrwertsteuer sind in etwa eine Milliarde an Einnahmen, 5 Prozent Senkung – 5 Milliarden € fehlen im Budget. Wenn man diese Frage formulieren will, dann muss man genau wissen, was die Konsequenz daraus ist. Es wäre ein relativ schwieriges Spiel, zu sagen, okay, finden wir „leiwand“, weniger Steuern zu zahlen, aber wer die Konsequenzen trägt, das soll dann die Politik ausmachen. Oder nachher würde man sagen: Ja, hätte ich gewusst, dass ich nun Studiengebühren zahlen muss, die viel höher sind, oder dass ich Schulgeld zahlen muss, oder dass die Gesundheitsbeiträge erhöht werden, hätte ich das alles vorher gewusst, hätte ich anders abgestimmt!

Daher noch eine Frage an die Experten, wie diese Form der Formulierung der Frage angedacht ist, auch in den Ländern: Gibt es einen Ausgleich? Gibt es irgendwelche Schiedsstellen, die versuchen, dass eine faire Abstimmung ermöglicht wird? Gibt es Modelle dafür, dass man sagt: Okay, wie kommt man zwischen dem Anliegen und der tatsächlichen Abstimmung dazu, einen Ausgleich zu schaffen? – Ich finde das momentan noch ziemlich unbefriedigend. (Beifall.)

*****

Dr. Jennifer Kickert (Wiener Gemeinderat): Ich möchte ganz kurz auf zwei Aspekte eingehen, die neben vielen anderen in der heutigen Diskussion vielleicht ein wenig zu kurz gekommen sind, jedenfalls aus meiner Sicht.

Der eine ist Mut zum Experiment. Wir haben viele Möglichkeiten, viele Instrumente der direkten Demokratie kennengelernt. Wir kennen viele Methoden der Partizipation. Ich würde mir wünschen, dass sowohl die Bürgerinnen und Bürger als auch die Politik nicht die partizipativen Instrumente gegen die direktdemokratischen oder die eine Methode gegen die andere ausspielen, sondern den Mut haben, in Entscheidungsprozessen möglichst viele Formen der Mitbestimmung anzuwenden und zu erproben und auch zu experimentieren. Manfred Hellrigl hat die seit 2006 bestehende Initiierung der Bevölkerung als andauerndes Experiment bezeichnet. Ich würde mir das sowohl im Bund, aber auch in vielen Ländern und Gemeinden wünschen.

Der zweite wesentliche Aspekt, den ich hervorheben möchte, ist die Frage nach dem Ziel. Der Begriff Politikverdrossenheit ist heute genannt worden. Wenn ich mich frage, was das Ziel des Einsatzes von direktdemokratischen Instrumenten und Partizipation ist, dann sage ich: Nein, die Politikverdrossenheit ist ein Nebenaspekt. Der für mich wesentlichste Aspekt und das wichtigste Ziel ist eigentlich, durch all diese Methoden zu besser begründeten und allenfalls auch in einem stärkeren Interessenausgleich stattgefunden habenden Entscheidungen zu kommen. Ich glaube tatsächlich daran, dass wir mit diesen Instrumenten einer Stärkung der Demokratie näherkommen und diesem Ziel, nämlich zu besseren Entscheidungen zu kommen, auch näherkommen.

Diesen Aspekt wollte ich heute hervorheben, weil er bisher meiner Meinung nach zu kurz gekommen ist. – Danke. (Beifall.)

*****

Bundesrat Werner Herbert (FPÖ, Niederösterreich): Ich darf hier noch einen Aspekt darlegen, der zwar am Rande schon angesprochen wurde, aber noch nicht in der von mir gewünschten Breite.

Herr Magistratsdirektor Dr. Floss hat eingangs in seinem Statement gemeint: die Bürgerbeteiligung als Motivation für mehr Interesse an der Politik. – Das ist ein guter Ansatz, wie ich meine, ein wichtiger Ansatz. Alles, was hilft, das Interesse an der Politik generell zu fördern, zu steigern, sollte tatsächlich wahrgenommen werden, weil dieses oftmals zu gering ausgeprägt ist. Gerade, wenn es durch den Zugang zur direkten Demokratie machbar und durchführbar ist, nämlich dieses Interesse zu steigern, dann ist das ein besonders guter und auch zielführender Ansatz.

Mit diesem Ansatz verbunden ist, wenn ich sage: Du als Interessent, als Wählerin, als Wähler kannst jetzt mit deiner Beteiligung an den Entscheidungen der Politik teilhaben, partizipieren. Das ist aber auch eine dargelegte Erwartungshaltung, nämlich nicht bei der Politik, sondern beim Adressaten, beim Wähler.

Die Frage ist jetzt: Wie gehe ich mit dieser Erwartungshaltung um? Oder: Wie erfülle ich diese Erwartungshaltung? Erfülle ich diese nicht – es wurden im Rahmen dieser Diskussion ja schon einige Beispiele wie Steiermark und Oberösterreich erwähnt –, dann erziele ich ja gerade das Gegenteil, dann erzeuge ich kein Interesse, ich erzeuge Desinteresse, ich erzeuge im schlimmsten Fall sogar Ablehnung. Das ist genau das, was es ja nicht sein soll, nämlich den Wähler vor den Kopf zu stoßen, ihm vorher zu sagen, seine Meinung sei gefragt, seine Stimme sei den Politikern eine Umsetzung des Gewünschten – oder was auch immer – wert. Wenn man dann sagt, wir haben doch anders entschieden, noch dazu vielleicht mit dem Ansatz: Wir sind ja die berufenen Vertreter, wir brauchen auf die Stimme des Volkes nicht zu hören, denn ihr habt uns ja gewählt!, so ist das quasi eine Duplizierung der Ignoranz gegenüber dem Wahlvolk, darum ist das wohl der schlechteste Ansatz und der geringste Dienst, den man der Politik erweisen kann.

Daher sind für mich in diesem Forum folgende Fragen spannend: Wie kann man diese Erwartungshaltung gerade mit dieser Diskussion erfüllen? Wie müssen die Rahmenbedingungen dazu ausschauen – nämlich ganz konkret? Wie müssen jene transparenten und auch nachvollziehbaren Regeln für die vielen einfachen Wählerinnen und Wähler, für die Bürgerinnen und Bürger draußen ausschauen, die gerade mit den internen Politikabläufen, wie wir alle sie als Politiker in den gesetzgebenden Körperschaften gewohnt sind und wie wir sie ja auch kennen, nicht so vertraut sind?

Das gilt auch für die unterschiedlichen Zugänge in den Bundesländern, auf Bundes- und Landesebene – wie es ja heute schon angesprochen wurde –, das ist auch ein interessanter Parameter. Also: Wie schauen diese Rahmenbedingungen aus? Wie können diese fixen und klaren Rahmenbedingungen ausschauen? Und: Wie transportiert man den Ansatz, ob jetzt eine gewisse Anzahl von Stimmen, die abgegeben wurden, tatsächlich für alle sprechen können oder auch nicht?

In diesem Sinne freue ich mich in Bezug auf diesen von mir dargelegten Ansatz auf eine spannenden Diskussion in diesem Forum. (Beifall.

*****

Claudine Nierth (Bundesvorstandssprecherin von Mehr Demokratie Deutschland): Ich wollte nochmals kurz ein Schlusswort sprechen: Demokratie basiert, wie wir wissen, auf dem Wahlrecht, auf dem Abstimmungsrecht, und auf Transparenz und Information. Warum wir bei uns in Deutschland gerade die Entwicklung haben, dass sich in der Demokratie immer mehr tut: deshalb, weil wir zunehmend als Bürger selber daran beteiligt sind, die demokratischen Spielregeln zu verbessern. Wir machen Volksinitiativen zum Wahlrecht, wir machen Volksinitiativen zu Transparenz und Information, wir machen Volksinitiativen zu den Spielregeln für Abstimmungen.

Wie demokratisch eine Gesellschaft ist, hängt davon ab, wie sie ihre eigenen Regeln demokratisch entwickelt. Ich denke, je mehr Sie hier den Geist versprühen und Ihren Bürgern und Bürgerinnen den Gedanken vermitteln, die BürgerInnen vor sich selber schützen zu müssen, desto mehr werden Ihre BürgerInnen Ihnen entgegnen: Und wer schützt uns vor dem Parlament? – Sie reißen den Graben eigentlich nur noch weiter auf.

Ich würde Sie auffordern oder ermuntern, den Blick viel lieber einmal zu wenden und nicht die Befürchtungen anzuschauen, sondern zu gucken: Was können wir als Parlament, was können wir als Parlamentarier eigentlich durch die Ergänzung durch die direkte Demokratie tatsächlich gewinnen?

Unterschätzen Sie nicht die Chance, was es heißt, einen neuen Raum aufzumachen, in dem Sie auch unabhängig von den Wahlen Ihre politische Position in einer Sachfrage kundtun dürfen und durch den die Debatte plötzlich vom Parlament wieder ins Herz der Gesellschaft rutscht, weil am Tag X eine Abstimmung ist. Das ist ein Gewinn für den Parlamentarismus!

Was kann eine Partei mehr erfreuen, als außerhalb der Wahl noch einmal in einem ganz anderen Lichte Gehör zu finden für die eigene Position, um Bürger auch hinter sich zu bringen? Was ist das für eine Chance, eine wirkliche Sachdebatte unabhängig von der Personendebatte vor einer Wahl im Zentrum der Gesellschaft zu erleben? – Sie haben es hier vor eineinhalb Jahren, glaube ich, selber erfahren. Das ist durchaus eine Chance!

Unterschätzen Sie nicht, wie Sie in der Gunst der Wähler und Wählerinnen klein werden durch Ängste, durch Befürchtungen! Wissen Sie, wie sich ein/e BürgerIn fühlt, der/die wie ein/e AnalphabetIn beschränkt wird auf ein Kreuz alle vier Jahre, weil man ihm/ihr nicht mehr zutraut? – Das sind Befürchtungen, die in uns BürgerInnen tatsächlich etwas auslösen, was uns nicht gerade dazu ermuntert, uns zu engagieren.

Viel lieber hören wir den Gedanken: Überlassen wir es doch dem Souverän! Überlassen wir es doch der Bürgerschaft selbst, wie sie ihre Regeln tatsächlich ausgestalten oder einschränken möchte! Überlassen wir es doch bei dem Salzburger Modell den Bürgern selbst, ob sie die Entscheidung über ihr öffentliches Eigentum demnächst dem Verwalter überlassen wollen oder ob sie selber noch mitreden wollen, ob sie zukünftig die Steuern erhöhen oder senken wollen!

In Deutschland haben wir die Erfahrung gemacht, dass letztendlich Bürgerentscheide kostensenkend sind. Und warum? – Weil jede Initiative entweder einen Kostendeckungsvorschlag einbringen oder von der Verwaltung eine Kostenschätzung vorbringen muss. Sofort haben Sie nämlich die Gelddebatte wie wir in Lübeck genau mitten im Zentrum der Politik: Schließen wir den Flughafen oder nicht? Muss dafür eine Kita-Stelle reduziert werden oder nicht? – Alle Fragen müssen in der Diskussion auf den Tisch.

Ich möchte Sie ermuntern: Gewinnen Sie an Rückgrat! Gewinnen Sie an Rückgrat im Parlament durch mehr Demokratie und durch ein Mehr an wirklichem, echtem Interesse an Ihren Bürgerinnen und Bürgern. – Fertig. (Heiterkeit und Beifall.)

*****

Abgeordneter Rouven Ertlschweiger, MSc (Team Stronach): Heute ist schon sehr viel Richtiges und Wichtiges gesagt worden. Das alles kann man eigentlich nur dick und fett unterstreichen. Auch was meine Vorrednerin soeben gesagt hat, kann ich nur unterstreichen. Ich glaube, dass es auch von den Parlamentariern viel mehr Mut braucht, dieses – unter Anführungszeichen – „freie Mandat“ wirklich zu leben.

Es hat mir gestern sehr gut gefallen, als auch kontroversiell abgestimmt worden ist, gegen den Klubzwang, vonseiten der ÖVP zum Beispiel, wo es Abgeordnete gegeben hat, die ihrer eigenen Meinung oder ihrer eigenen Überzeugung gefolgt sind. Ich glaube, das verdienen sich auch die Menschen draußen. Das verdienen sich die Menschen, die hier von den Politikern vertreten werden.

Was man nicht machen darf – das ist, glaube ich, gefährlich –, ist: Man darf nicht den Parlamentarismus gegen die Menschen ausspielen! Es muss ein Miteinander sein. Ich glaube, da ist ein offener Dialog notwendig, dass man auch wirklich auf die Menschen eingeht.

Die Instrumente der direkten Demokratie – wir haben heute schon gehört, welche es sind – müssen mit Leben erfüllt und ernst genommen werden. Es reicht nicht, wenn man den Menschen die Möglichkeit gibt, eine Volksabstimmung, eine Volksbefragung zu machen, sondern es muss in weiterer Folge auch etwas geschehen. Es muss etwas umgesetzt werden, weil sich sonst jeder Bürger, auf gut Deutsch gesagt, gehäkelt fühlt. Er denkt sich: Warum stimmen wir eigentlich ab, wenn sich am Schluss dann doch nichts ändert?

Weil ich aus dem Burgenland komme und wir gerade eine große Verfassungsreform hinter uns haben: Im Burgenland ist der Proporz abgeschafft worden, und das ist gefeiert worden als die modernste Landesverfassung des Burgenlandes seit Jahren. Das mag schon stimmen. Es kommt immer auf das Auge des Betrachters an. SPÖ und ÖVP, die Regierungsparteien, haben diesen Prozess aufgesetzt und haben im Vorfeld auch eine Enquete mit Verfassungsjuristen gemacht.

Für mich ist aber trotzdem ein Wermutstropfen dabei. Ich sage, wenn man so etwas Wichtiges für ein Land macht, für das Burgenland oder für ein anderes Bundesland, dann fällt einem doch kein Zacken aus der Krone, wenn man das Volk befragt und sagt: Okay, wie wollen wir uns aufstellen? Was brauchen wir, um in Zukunft konkurrenzfähig zu bleiben? Wie soll eine moderne Landesverfassung ausschauen?

Jetzt sieht es so aus, dass der Klubstatus von derzeit zwei Abgeordneten auf drei angehoben worden ist – was für Kleinstparteien natürlich ein Wahnsinn ist, denn jetzt ist es schwieriger, Klubstatus zu erreichen. Das ist wichtig fürs Personal, für die Landtagsarbeit. Dringliche Anträge können nicht eingebracht werden, wenn man keinen Klubstatus hat. Das heißt, die Tagesordnung kann quasi nicht aktiv mitgestaltet werden.

Das Nächste ist: Die Regierung wird erst ab 2020 verkleinert. Da fragt sich jeder normale Bürger: Warum nicht gleich? Was spricht dagegen? – Na ja, in weiterer Folge haben dann 2020 die derzeit Regierenden das Pensionsalter erreicht, okay.

Meine Damen und Herren, das ist genau das, was ich meine. Wenn man diesen Prozess wirklich aufsetzt, dann muss man ihn ehrlich aufsetzen, ihn in weiterer Folge auch ehrlich leben und die Menschen auch wirklich einbinden bei Fragen, wo es Sinn macht und wo man sagt: Okay, wenn es um etwas so Wichtiges wie eine Landesverfassung geht, kann man, glaube ich, das Burgenland mit seinen 285 000 Einwohnern durchaus befragen, dieses Ergebnis nachher hernehmen und darauf aufbauen, denn das ist ein solides Fundament, das man erklären kann, egal, ob jetzt Konsens darüber herrscht oder nicht. Aber dann hat man eine demokratisch legitimierte Mehrheit dahinter, und das ist nachher auch umzusetzen.

Das ist mein Zugang. (Beifall.)

*****

Abgeordneter Mag. Wolfgang Gerstl (ÖVP): Ich wollte aufgrund der vorgeschrittenen Zeit eigentlich nur ganz kurz ein paar Fragen stellen, aber zur Kollegin aus Deutschland möchte ich schon ein paar Worte sagen.

Ich glaube, das beste Beispiel dafür, dass es in Österreich genug Rückgrat gibt, ist, dass wir hier diese Diskussion haben. Haben Sie diese Diskussion im Deutschen Bundestag schon einmal gehabt? – Wahrscheinlich nicht.

Ich glaube, allein das zeigt schon, dass es in diesem Saal niemanden gibt, der nicht Interesse an der direkten Demokratie hat. Ich bin dankbar dafür, dass wir hier zum ersten Mal Bürger eingeladen haben, die auch mitreden. Das haben Sie im Deutschen Bundestag wahrscheinlich auch noch nie gehabt. Ich schätze Deutschland sehr, und in vielen Bereichen ist es uns auch ein Vorbild, aber in diesem Bereich sind wir, glaube ich, ein Vorbild für Deutschland, was die direkte Demokratie betrifft.

Jetzt möchte ich zu meinen konkreten Fragen an die Experten kommen, bei denen ich mich ganz herzlich bedanken möchte für ihre Expertise, die sie hier eingebracht haben, und die Zeit, die sie sich genommen haben.

Ich habe drei konkrete Fragen.

Die erste Frage richtet sich an Dr. Hellrigl. Das Modell der Bürgerräte gefällt mir sehr gut. Meine Frage dazu ist: Inwiefern können Sie sich vorstellen, dass man dieses Modell der Bürgerräte nicht nur auf Gemeindeebene, nicht nur auf Landesebene, sondern auch auf Bundesebene einsetzen könnte? Können Sie sich zum Beispiel vorstellen, dass man über das Modell der Bürgerräte auch – ich nenne nur einmal irgendein Beispiel – eine Heeresreform diskutieren könnte?

Die zweite Frage bezieht sich auf das Modell aus Salzburg, das ein sehr starkes deliberatives Element hat. Mehrere Redner sind auf Salzburg eingegangen. Da bekommt eine kleine Menge von Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, ganz viel Einfluss zu nehmen, vielleicht auch zu 90 Prozent auf andere Bürger. Kann es Sinn machen, das Modell von Salzburg mit dem Modell von Vorarlberg, nämlich dem der Bürgerräte mit der per Zufallsprinzip vorgesehenen Auswahl der Bürger, zu vermengen? – Da hätte ich gerne von Ihrer Seite, bitte, auch eine Antwort.

Die dritte und letzte Frage ist: Frau Mag. Ruhsmann hat erzählt, wie sie persönlich frustriert war von Elementen der direkten Demokratie, die sie in Wien in den letzten drei, vier Jahren erlebt hat. Frage an die Experten: Was ist aus Ihrer Sicht dafür notwendig, damit eine solche Frustration wie bei Frau Mag. Ruhsmann nicht mehr entstehen kann? (Beifall.)

*****

Heinz Emhofer: Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich möchte noch zu meinem Beitrag von vorhin eine kurze Anmerkung machen. Hinsichtlich eines gemeinsamen Gesetzes für Bund, Länder und Gemeinden ist mir wohl bewusst, dass ein solches Gesetz nicht möglich ist. Aber ich meinte, dass die Zugangshürden vereinfacht werden und dass die Modalität gleich ist. – Punkt eins.

Punkt zwei zu Herrn Mag. Stefan, betreffend den Zugang zu elektronischen Abstimmungen: 87 Prozent der Österreicher haben eine e-card in der Tasche. Diese e-card kann als Bürgerkarte und als Ausweis verwendet werden. Wenn ich in FinanzOnline arbeite, ist sie sicher. Wenn ich mich beim Parlament registriere, ist sie sicher. Warum kann diese Karte nicht sicher sein in einer Abstimmung? – Das würde nämlich meiner Meinung nach die Abstimmungsergebnisse verbreitern.

Dann die Frage, die wir schon gehört haben: Warum sind so wenige Entscheidungen Volksentscheidungen? Die Frage ist ganz einfach und muss geklärt werden: Warum? – Zum Warum möchte ich kurz noch einmal nach Oberösterreich zurückkommen: Ehrlichkeit, Transparenz. In Oberösterreich wurde vom Landeshauptmann eine Aussendung gemacht betreffend eine Bürgerbefragung, wo man klassifizieren kann, wo man über Bundessachen und EU-Sachen abstimmen kann. Dann steht da: Landeshauptmann und Landesamtsdirektor präsentieren die Bürgerbefragung zur Deregulierung.

Das sind Sachen, wo ich mich dann frage: Was bringt das? – Positiv daran ist, dass in drei Wochen 18 000 Vorschläge der Bürger gekommen sind. In drei Wochen! Das heißt, die Bürger sind nicht faul und nehmen an der Demokratie teil. Aber was es hier nützt, ist mir rätselhaft.

Zum Schluss noch: Man hört sehr viel Zustimmung zu dieser Enquete-Kommission von allen Parteien, von verschiedensten Personen. Jetzt möchte ich zwei Sachen sagen, eine positive und eine negative.

Eine negative Sache ist es, wenn ein Politiker sagt – da muss ich leider Gottes kurz ein Zitat vorlesen –: Wir haben es nicht geschafft, uns gegenüber den Populisten in Österreich durchzusetzen. Sachpolitik zählt öffentlich nicht mehr.

Wenn das in einer Zeitung steht, dann sagt er: Aha, mehr als die Hälfte der Österreicher sind Populisten! Da ist er betrübt.

Der Vorsitzende der Landeshauptleutekonferenz sagt: Wir wissen, wie es geht; mit Galopp zur Reform, Nägel mit Köpfen machen! – Das ist wieder positiv.

Zum Schluss habe ich ein ganz persönliches Anliegen. Ich habe Angst vor dem Versagen dieser Enquete-Kommission. Das will ich nicht. Werte Abgeordnete, ich richte an Sie und Ihre Parteien die Bitte: Springt über euren Schatten und macht ein Demokratiegesetz für die Zukunft! Macht keine Nägel mit Köpfen, sondern einen Nagel mit einem Kopf! – Danke. (Beifall.)

*****

Obfrau-Stellvertreter Präsident Karlheinz Kopf dankt den Diskussionsteilnehmerinnen und -teilnehmern für ihre Beiträge und leitet zu einer Schlussrunde über.

Dr. Manfred Hellrigl (Büro für Zukunftsfragen, Amt der Vorarlberger Landesregierung): Ich finde, Ihre Frage (in Richtung des Abg. Gerstl) ist ein recht gutes Vehikel, um dieses wesentliche Thema vielleicht noch einmal auf den Punkt zu bringen. Ich muss ehrlich sagen, dass mir die Diskussion ein bisschen zu kurz greift, wenn es um die Frage geht: Soll man jetzt den Bürgern mehr Möglichkeiten und Rechte geben, sich an der politischen Diskussion zu beteiligen? – Gerade das Beispiel Heeresreform macht das sehr schön sichtbar.

Es gibt das klassische Selbstverständnis von Politik und von Führung; das ist übrigens nicht auf den politischen Sektor beschränkt, das gleiche Problem haben Sie eigentlich in jedem Unternehmen. Ist Führung heute noch zeitgemäß, die von oben herab die Lösungen vorgibt und an sich selbst den Anspruch stellt, gute Lösungen zu entwickeln, die dann von allen akzeptiert werden? Oder leben wir heute nicht in einer Zeit, in der wir so eine Meinungsvielfalt haben, so eine Vielfalt von Standpunkten, dass wir uns tatsächlich dieser Auseinandersetzung mehr widmen müssen?

Die Bürgerräte sind da wirklich nur ein Beispiel. Ich vertrete nicht den Ansatz, dass die Bürgerräte das Allheilmittel für alle Probleme sind. Das ist nur ein Ansatz von vielen. Das große Kunststück und die Führungsverantwortung von heute sehe ich nicht darin, Lösungen praktisch beschlussfähig vorzugeben – das kann auch ein Bürgerrat nicht leisten, dass er eine komplexe Frage praktisch bis zur Entscheidung bringt –, sondern die große Herausforderung ist heute: Wie können wir diese Vielfalt von Meinungen und Standpunkten gut handlen?

Ich hätte sehr wohl die Überzeugung, dass Bürgerräte in diesem Fall etwas bringen könnten. Ich würde mir vorstellen, dass man in jedem Bundesland einen Bürgerrat zu diesem Thema macht. Der große Vorteil der Zufallsauswahl ist, dass man die Lobbyisten draußen hat. Die bleiben einmal außen vor, und jetzt kann eine differenzierte Auseinandersetzung stattfinden. Das wäre ein hochinteressantes Experiment, damit müsste man wirklich experimentieren. Ich glaube, dass es auch für die Medien interessant wäre, herauszufinden: Wie sind die Standpunkte dazu in den einzelnen Bundesländern? Was sind die Argumente dafür und dagegen?

Die politische Auseinandersetzung im Parlament müsste sich eigentlich an diesen Vorgaben der Bürger messen. Ich glaube, dass das ein guter Maßstab wäre, das ganze Niveau der Auseinandersetzung zu heben, dass das nicht zu populistisch wird, sondern dass man durchaus differenziert diskutieren kann.

Sie merken schon, wo in dem Ganzen der Hund begraben ist: Das würde voraussetzen, dass man sich auf eine ergebnisoffene Auseinandersetzung einlässt. Das ist die Gretchenfrage bei all diesen Beteiligungsverfahren: Sind wir wirklich so offen, dass wir so eine Diskussion zulassen? Oder sind die Meinungen schon verfestigt, sind die Entscheidungen eigentlich schon gefallen? – Dann braucht es auch keine Bürgerbeteiligung!

Im Wesentlichen ist die Frage meiner Ansicht nach nicht jene, ob wir mehr Demokratie zulassen oder nicht, sondern es ist eine Frage, ob wir uns von einer Kultur der Bevormundung verabschieden wollen und in allen Lebensbereichen, nicht nur im Politischen, mehr eine Kultur des Miteinanders und der Zusammenarbeit weiterbringen. Da gibt es, muss man sagen, eine Vielzahl von neuen Verfahren und Instrumenten, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten entwickelt wurden und eigentlich nur darauf warten, dass sie auch entsprechend angewendet werden.

*****

Mag. Nicolaus Drimmel (Österreichischer Gemeindebund): Ganz kurz: Die Transparenz habe ich kurz erwähnt. Die Transparenz der Inhalte, für die man als Politiker steht, beziehungsweise auch die Transparenz der Inhalte, die man als mündiger Bürger oder mündige Bürgerin vertritt, ist ein wichtiger Punkt. Wir stellen unseren Gemeinden immer auch vor, welche Möglichkeiten es hier in der Praxis gibt.

Transparenz heißt aber auch Klarheit der Zuständigkeiten, der Entscheidungswege, die gegangen werden müssen. Das bedeutet nicht, dass jemand von der Erarbeitung der Willensbildung und von der Entscheidung ausgeschlossen ist, aber diese Transparenz der Zuständigkeit ist ebenfalls klar.

Was auch wichtig und vielleicht zu wenig herausgekommen ist, ist aus meiner Sicht, dass die Repräsentationsdichte in den kleinen Gemeinden natürlich eine ganz andere ist als die Repräsentationsdichte in den Landtagen und im Nationalrat. Hier ergeben sich ganz andere Möglichkeiten der Interaktion und der Kommunikation. So ist es auch möglich, dass man in den kleinen Gemeinden einfach gewisse Krisen vermeidet, nämlich durch relativ frühes Einlenken oder durch frühes Aufhorchen und Zuhören, was eben tatsächlich gewünscht wird. Dann könnten konstruktive Möglichkeiten auch ausgeschöpft werden.

Ich wollte darauf hinweisen, dass partizipative oder direktdemokratische Elemente nicht immer nur als Notbremse zu sehen sind, sondern auch als Möglichkeit, kooperative und organische Wege zu gehen, die für unsere Gemeinden, für unser Land, für unseren Bundesstaat wichtig und positiv sind. Ich erinnere da an die Möglichkeiten, Gemeindeleitbilder zu machen, mit denen sich dann alle identifizieren und die dann Stück für Stück umgesetzt werden. Das sind positive Beispiele, die man nicht vergessen soll bei den Möglichkeiten, die eine partizipative Demokratie auch hat.

*****

Magistratsdirektor Dr. Martin Floss (Österreichischer Städtebund, Stadt Salzburg): Aus meiner Sicht hat die heutige Sitzung sehr eindrucksvoll bewiesen, dass die Bestrebungen auf Landes- und Gemeindeebene sehr vielfältig sind. Allerdings stoßen diese ehrlichen Bestrebungen an ihre Grenzen, nämlich an diverse verfassungsrechtliche Grenzfragen. Das ist aus meiner Sicht heute etwas zu wenig beleuchtet worden. Deswegen möchte ich in meinem Schlusswort darauf noch einmal kurz eingehen.

Im Zuge unserer wirklich mehrjährigen Modellentwicklung haben wir zahlreiche, unterschiedlichste verfassungsrechtliche Gutachten eingeholt. Einer der Gutachter hat heute schon gesprochen. Ich möchte nur beispielhaft zwei Zitate aus zwei verschiedenen Gutachten zur selben Frage wiedergeben.

Erstes Zitat: Es darf keinen Zwang zu Maßnahmen gegen den Mehrheitswillen des Gemeinderates geben. – Zitatende.

Zweites Zitat: Direktdemokratische Entscheidungen sind auch gegen den Willen des Gemeinderates zulässig. – Zitatende.

Das nur als Beispiele.

Mein Resümee verbinde ich – ich hoffe, ich darf das als Provinzler, der einmal die Gelegenheit hat, in diesem Haus zu sprechen – mit der Hoffnung, dass die entsprechenden verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden, nämlich eindeutige verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen, damit die Länder und die Gemeinden mit Rechtssicherheit entsprechende Instrumente schaffen können.

Auf Ihre konkrete Frage, Herr Abgeordneter Mag. Gerstl, nämlich in Bezug auf die eventuelle Verknüpfung unseres Modells mit jenem der Vorarlberger Bürgerräte: Ich könnte mir das im Rahmen der Verhandlungen, die zwischen der Politik und den Vertretern der Initiativen geführt werden, vorstellen.

Die Bürgerräte hätten in diesem Fall eventuell den Charme, einen repräsentativen Querschnitt aus der Bevölkerung darzustellen und sozusagen nicht nur isoliert Politik und Bürgerinitiativen – mit manchmal divergenten Meinungen und Standpunkten, manchmal auch lobbyistisch oder parteipolitisch geprägt – aufeinandertreffen zu lassen. Das würde möglicherweise, und deshalb danke ich für die Anregung, die Auseinandersetzung durchaus etwas differenzieren.

*****

Ass.-Prof. Mag. Dr. Karim Giese (Universität Salzburg): Ich habe das so verstanden, dass ich hier in meiner Eigenschaft als Verfassungsjurist eingeladen bin. Daher habe ich vor allem diese verfassungsrechtlichen Grenzen angesprochen und darf in diesem Zusammenhang vielleicht noch auf Folgendes hinweisen: Direkte Demokratie ist in Österreich vor allem von unten nach oben entwickelt worden. Das heißt, wesentliche und wichtige Impulse sind immer von der Landesebene gekommen und erst auf Bundesebene nachvollzogen worden.

Wir sehen bedeutende Signale, dass es hier Anpassungsbedarf auf Bundesebene gibt. Die Länder erzeugen verfassungswidrige Gesetze. So ist zum Beispiel dieses berühmte Salzburger Modell meiner Ansicht nach nach den derzeitigen Regeln verfassungswidrig, und alle anderen Länder, die sich dieser Frage nicht stellen oder das nicht überschreiten wollen, weichen in den informellen Bereich aus, nämlich, wie ich gesagt habe, in den Schattenbereich der Gemeindeorganisationsgesetzgeber.

Meine rechtspolitische Sicht auf die Dinge ist: Der Bund sollte hier Spielräume ermöglichen, insbesondere auf der Gemeindeebene. Es geht dort letztlich um die Selbstverwaltung. Das ist ein besonderer Teil der Verwaltung, der ja an sich für die Bürger bereits geöffnet ist. Die Gemeindevertretung soll die Sachen der Verwaltung selbst vertreten. Daher finde ich es gerade in diesem Bereich rechtspolitisch wenig problematisch, wenn die direkte Demokratie in einem größeren Ausmaß geöffnet wird, als das vielleicht auf Landes- oder Bundesebene sinnvoll erscheint oder, wie Sie sagen, man den Mut hat, dort Öffnungen vorzunehmen.

*****

Mag. Josef Hörmandinger (Salzburg): Kurz ein Dankeschön an den Herrn Gemeinderat Dr. Starzer. Ihre Gratulation muss ich an den Leiter des landeslegistischen Dienstes in Salzburg, Dr. Paul Sieberer weitergeben. Er und sein Team haben im Wesentlichen diese Regierungsvorlage inhaltlich bestimmt. Es ist richtig, es gibt eine Stellungnahme des Verfassungsdienstes des Bundeskanzleramtes, dass das Modell unter den derzeitigen Vorgaben möglicherweise verfassungswidrig ist.

Wir in Salzburg hoffen, dass wir es so gestaltet haben, dass es möglicherweise halten wird. Aber das sind Dinge, die in den Sternen stehen, solange es kein Erkenntnis gibt.

Zu Ihrer Frage, Herr Nationalratsabgeordneter: Sie haben vollkommen recht. Dort, wo in Deutschland, vor allem in Hamburg, dieses Modell bis jetzt in Gebrauch ist, muss man beobachten, dass es in erster Linie relativ kleine Gruppen sind, die gut vernetzt, gut informiert sind, Möglichkeiten des Zugangs zum System haben, Möglichkeiten haben, solche Initiativen zu starten.

Das kann gute Ergebnisse zeitigen, wie im Beispiel des Hamburger Transparenzgesetzes. Da waren es der Chaos Computer Club, der europaweit eigentlich die besten Experten in diesem Bereich hat, zusammen mit der Piratenpartei und mehr-demokratie.de, die diese Initiative damals gestartet haben und unter Zuhilfenahme von pensionierten Verfassungsrechtlern dort auch das Gesetz geschrieben haben.

Es kann natürlich Auswirkungen haben, die wahrscheinlich nicht gewollt sind. Schauen Sie sich etwa die Hamburger Grundschuldebatte an, wo eine politisch von allen Parteien getragene Grundschullösung, nämlich eine sechsjährige gemeinsame Schule im Grundschulbereich, dann letztendlich durch so eine Bürgerinitiative zu Fall gebracht worden ist.

Das Ganze mit dem Modell der Vorarlberger Bürgerräte zu verknüpfen? Im Verfahren der Bürgerabstimmung würde ich davon abraten. Was können die Bürgerräte? – Dort sprechen Menschen in einer sehr verwundbaren Art und Weise über das, was sie wirklich wollen. Um diese Atmosphäre herzustellen, brauchen Sie sowieso schon einmal eine sehr, sehr gute Moderation, die das kann. Und bei diesen direktdemokratischen Modellen geht es ans Eingemachte, das sind wirkliche politische, teilweise parteipolitisch getragene Auseinandersetzungen, wo man nach kampagnisierbaren Themen sucht, wo man kampagnisierbare Effekte und Argumentationslinien sucht, um dann bei der Bürgerabstimmung auch dementsprechend durchzukommen.

Sie haben bei diesen Bürgerabstimmungen natürlich durch die Bank eine relativ geringe Beteiligung, deshalb die Quorenfrage. Natürlich, auf der einen Seite verhindern Quoren das Instrument teilweise, wie gesagt wurde, aber auf der anderen Seite ist die Legitimität des Ergebnisses zu hinterfragen, wenn die Beteiligung irgendwo zwischen 10 und 20 Prozent dahingrundelt.

Es hat keinen Sinn, gut vernetzten Personenkreisen zu ermöglichen, gegen die schweigende Mehrheit Kampagnen zu fahren. Das kann auch nicht Sinn von direktdemokratischer Beteiligung sein. Das Hamburger Grundschulmodell ist aber ein Hinweis darauf, dass es das auch gibt. Also dieses Modell hat Wohl und Wehe.

Vielleicht noch ein Wort darüber, warum man mit der Bürgerkarte keine elektronischen Abstimmungen machen sollte: Da ist europaweit der Tenor der Hackerexperten folgender: Sie können die Identifikation der abstimmenden Person technisch nicht vom Abstimmungsverhalten trennen, jedenfalls nicht endgültig und zuverlässig. Das heißt, Sie können nicht darstellen, wie Sie in einer Fernabstimmung das Wahlverhalten anonymisieren wollen.

Das gelingt bei Papierabstimmungen wesentlich besser, nämlich so zuverlässig, dass man heute davon ausgehen kann, dass wir tatsächlich geheim abstimmen, wenn wir zur Wahl schreiten. Das könnten Sie bei einer elektronischen Wahl nach den derzeitigen technischen Möglichkeiten nicht endgültig gewährleisten, und es ist auch noch nie so gemacht worden, dass das gewährleistet war.

*****

FH-Prof. MMag. Dr. Florian Oppitz (Länderexperte Kärnten): Kurz zu drei Punkten, die erwähnt wurden, wobei ich auch auf die Fragen eingehen will, die ans Podium gestellt worden sind.

Erstens hat es mich immer schon gestört, dass die Sammlung von Unterschriften für die verschiedenen direktdemokratischen Instrumente so kompliziert ist. Warum braucht man beglaubigte Unterschriften? Warum muss man aufs Gemeindeamt gehen? Ich glaube, das ist nicht notwendig. Das könnte man freier gestalten, sowohl verfassungsrechtlich als auch verfassungspolitisch könnte man das ändern.

Dann zum Instrument der Volksbefragung: Es ist interessant, dass das heute als Hauptinstrument der direkten Demokratie angesprochen wurde. Das war mir nicht so bewusst. Bei der Volksbefragung haben wir ja einerseits den Nachteil, dass sie nicht rechtsverbindlich ist; andererseits ist das aber auch ein Vorteil, denn dort haben wir einen größeren Spielraum zur Ausgestaltung.

Ich denke, diesen Spielraum könnten wir bei der Durchführung des Abstimmungsverfahrens nutzen. Man muss bei der Volksbefragung nicht unbedingt das gesamte Instrumentarium der Volksabstimmung oder der Wahl mit den Landeswahlbehörden, Gemeindewahlbehörden einsetzen. Man könnte bei der Volksbefragung briefliche, elektronische oder andere Formen einsetzen, und das nach meiner Ansicht ohne größere Probleme.

Meine abschließende Bemerkung zur Volksbefragung: Auch vor dem Kärntner Hintergrund hat es sich bewährt, dass im Vorfeld einer Volksbefragung eine gerichtliche oder teilweise gerichtsförmige Institution – in dem Fall die Landeswahlbehörde, vielleicht werden die Verwaltungsgerichte da auch eine interessante Alternative dazu –, also ein Gericht über die Zulässigkeit der Volksbefragung entscheiden kann. Damit würde sich auch die mögliche Frustration über eigenartige Fragestellungen eventuell in den Griff bekommen lassen. 

*****

Obfrau-Stellvertreter Präsident Karlheinz Kopf: Herr Oppitz, wenn ich eine Zwischenbemerkung zu Ihrer Aussage machen darf: Es ist zum Beispiel bei dem Antrag von Grünen, SPÖ und ÖVP, der im Haus jetzt aufliegt, vorgesehen, dass Volksbegehren online unterstützt werden können – unterstützt; ich spreche nicht von der Stimmabgabe bei der Volksbefragung, aber die Online-Unterstützung soll möglich sein.

*****

Dr. Wolfgang Steiner (Länderexperte Oberösterreich): Herr Präsident! Es ist ja mehrmals mehr oder weniger direkt angesprochen worden. Vielleicht zwei Bemerkungen zum Herrn Emhofer: Ich persönlich bin gegen Vereinheitlichung, ich bin für Vielfalt und Wettbewerb. Ich glaube auch, dass uns das in diesem Bereich guttut.

Zur Deregulierungsumfrage: das war keine Bürgerinitiative oder Volksbefragung in irgendeinem Sinn, da haben Sie ja selbst die Antwort gegeben. Es gibt 18 000 Vorschläge, die da zurückgekommen sind. Mit denen wird sehr ernsthaft umgegangen. Sie werden dann, wenn es Richtung Bund geht, der Aufgabenreform- und Deregulierungskommission übergeben werden, wenn es Richtung EU geht, dem Präsidenten der Kommission übergeben werden, und wenn es Richtung Land geht, natürlich von uns selbst bearbeitet. Ich lade Sie gerne ein, zu mir persönlich ins Landhaus nach Linz zu kommen. Dann können wir uns das anschauen oder dann näher diskutieren.

Der Frau Abgeordneten Musiol hätte ich einfach ganz kurz geantwortet – Sie haben gefragt, was das Zukunftsthema ist –: Ich glaube schon, dass die elektronische Partizipation, wie immer man das gestaltet, ein Zukunftsthema sein kann. Schauen Sie sich einfach an, wie wir alle heute kommunizieren und wie unsere Jugend kommuniziert. Daran sieht man schon, in welche Richtung das wahrscheinlich gehen kann. Bei allen technischen und sonstigen Problemen, aber da müssen wir uns öffnen.

Die Grenzen wurden, glaube ich, schon beim letzten Mal diskutiert. Es ist das, was der Verfassungsgerichtshof mit dem bekannten Erkenntnis sozusagen abgesteckt hat. Alles, was darüber hinausgeht – obligatorische Volksabstimmung. Der erste Schritt dazu liegt dann zunächst einmal in diesem Haus.

Wer entscheidet, was eine den Grundsätzen entsprechende Beschlussfassung ist? – Ich glaube, grundsätzlich sollte das zunächst einmal keine Streitfrage sein, letztlich entscheidet das jedenfalls die Landesregierung mit der Ausschreibung einer Befragung.

Herr Abgeordneter Brosz, zum Thema Frageform: In Oberösterreich gibt es da keine Besonderheiten, keine Einschränkungen. Ich kann das persönlich auch nicht wirklich empfehlen, denn ich denke, dass das letztlich auch nicht machbar ist, weil wir da sofort wieder bei der Frage sind: Wer entscheidet denn darüber, ob diese Frage zugelassen ist oder nicht? Und was die Einbeziehung von Gerichten in dieses Verfahren anlangt, haben wir das bei der ersten Sitzung zur Frage des Themenverbotes schon diskutiert.

Und ganz zum Schluss, Wolfgang Gerstl: Alles, was hier gesagt wurde – Transparenz, Kommunikation, und zwar ergebnisoffene Kommunikation und Information –, ich glaube, das ist das Wesentliche, um die Menschen sozusagen mitzunehmen.

*****

Univ.-Prof. Dr. Peter Bußjäger (Länderexperte Vorarlberg): Nur eine kurze Bemerkung: Ich glaube, es war im Podium weitgehende Einigkeit darüber, dass die Spielräume der Länder im Bereich der direkten Demokratie erweitert werden müssen. Daraus ergibt sich aber auch automatisch, dass diese nicht gerade überall gleich sein werden.

Zum Thema Volksbefragung: Ich halte es für schwierig, zwischen guten und schlechten Fragen zu unterscheiden. Wenn es das Instrument gibt, dann wird es auch einmal vorkommen, dass eine Fragestellung etwas seltsam und die andere vielleicht passender ist.

Was ich in diesem Zusammenhang als wichtig erachte, ist, dass es Abstimmungsbroschüren gibt, das kennen wir aus dem benachbarten Ausland, und die sind auch relativ leicht herzustellen. In der Schweiz und in Liechtenstein gelingt das, warum sollen wir das also nicht auch herbringen?

Dann war noch eine Frage, zu der ich Stellung nehmen möchte, nämlich zum Vetoreferendum: Wie gesagt, als Instrument gibt es das. Es ist den Leuten eben nicht bewusst, das ist den Bürgerinnen und Bürgern so nicht bekannt. Da haben wir einfach die Schwachstelle im politischen System auf der Landesebene und auf der Gemeindeebene – auf der Bundesebene gibt es dieses Instrument sowieso nicht –, dass die Instrumente der direkten Demokratie eigentlich noch zu wenig bekannt sind. Da müssen wir eine politische Kultur leben und entwickeln.

Das ist nicht so einfach, wir können nicht eins zu eins eine andere Kultur aus der Schweiz oder woher auch immer importieren, das werden wir selber entwickeln müssen. Und da sind alle neun Länder für sich gefordert, der Bund ist gefordert, und die 2 300 Gemeinden – wie viele es seit dem 1. Jänner sind, weiß ich nicht genau – sind gefordert. Das wäre meine Auffassung.

*****

Ass.-Prof. Mag. Dr. Michael Mayrhofer (Johannes Kepler Universität Linz): Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man aus verfassungsrechtlicher Sicht über direktdemokratische Elemente spricht, dann stellt sich zunächst trotzdem die Frage: Warum werden die jetzt bestehenden sehr wenig eingesetzt?

Diese Frage ist zunächst eine politische, die von mir nicht zu beantworten ist. Diese Frage ist mitunter aber auch eine, die an den Mechanismen und an der konkreten Ausgestaltung der Mechanismen selbst hängt. Damit gibt es in Wirklichkeit drei Komponenten, wo man ansetzen kann und wo man vor allem aus dem Topf der Ideen der Länder, aus dem Topf der Landesverfassungen einiges auch für den Bund gewinnen kann.

Der erste Punkt ist: Von wem kann die Initiative zu einem direktdemokratischen Instrument ausgehen? Da sehen die Länder vor, dass es insbesondere die Bürger sein können. Das ist etwas, das man übernehmen und überlegen kann, nicht nur für das Volksbegehren. Es könnten aber auch etwa Bundesländer sein, von denen die Initiative für eine bundesweite direktdemokratische Initiative ausgeht.

Das zweite Element ist die Frage des Wirkungsmodus, also die Frage, wie das Ergebnis eines direktdemokratischen Instrumentes wirkt. Auch da kann man drehen.

Der dritte Punkt sind flankierende Maßnahmen. Diese wurden vielfach angesprochen, und ich möchte das ganz besonders unterstützen. Begriffe wie Transparenz, Verantwortungsklarheit im politischen Prozess sind aus meiner Sicht ganz wesentliche Voraussetzungen für das Funktionieren direktdemokratischer Prozesse und direktdemokratischer Instrumente. Diese sicherzustellen ist eine Vorbedingung, damit das Instrument selbst funktioniert.

Dazu kommt, das wurde mehrfach und aus meiner Sicht ganz zu Recht betont, dass der Zugang zu direktdemokratischen Instrumenten vereinfacht werden müsste, erleichtert werden soll. Das kann ganz besonders auch über den intelligenten und auch technisch wohl durchdachten Einsatz elektronischer Kommunikationsmittel funktionieren.

Dass das nicht einfach funktioniert, hat auch der Verfassungsgerichtshof bereits festgehalten, aber dass es gerade etwa bei Elementen wie einer Volksbefragung funktionieren kann, davon bin ich fest überzeugt. Herr Präsident Kopf hat gerade dieses Beispiel genannt, das offensichtlich im Werden ist, nämlich die Beteiligung bei Begehren, die auch online möglich ist. Das funktioniert ja auch auf europäischer Ebene. Warum soll das bei uns bundesweit nicht funktionieren?

Ein Punkt, den ich für ganz wesentlich halte, wurde schon vorweggenommen, nämlich die präventive Kontrolle von derartigen Instrumenten. Ich glaube, da liegt ein ganz wesentlicher Unterschied zu Wahlen, wo mitunter eine Nachprüfung für die Kontrolle genügen kann. Man muss einfach die erhebliche faktische Wirkung von Ergebnissen von direktdemokratischen Instrumenten im Blick haben. Deswegen ist es da ganz besonders notwendig, dass gefragt wird, ob Themen zulässigerweise einem Instrument unterworfen werden, dass das vorab kontrolliert werden kann.

Schließlich gilt es bei jeglicher Ausgestaltung von direktdemokratischen Instrumenten Folgendes zu bedenken: Es braucht ganz klare Spielregeln für diese Instrumente. Es geht nicht darum, dass hier bloß die Öffentlichkeit aktiviert wird, sondern es geht hier um einen Anteil an der Staatswillensbildung. Und das muss, damit das auch ordentlich abläuft, damit es zu keinen Frustrationen kommt, im klaren, rechtlich wohlgeordneten Rahmen laufen.

*****

Obfrau-Stellvertreter Präsident Karlheinz Kopf dankt den Expertinnen und Experten, den teilnehmenden Abgeordneten zum Nationalrat, den eingeladenen Bürgerinnen und Bürgern sowie all jenen, die über Livestream der Diskussion gefolgt sind und sich auch mit Tweets daran beteiligt haben.

Der Obfrau-Stellvertreter verleiht seiner Meinung Ausdruck, dass die Enquete-Kommission genau deshalb stattfinde, weil im Haus ein entsprechender Antrag vorliege, über den im Laufe des Jahres zu entscheiden sein werde, und weil man bei der Begutachtung dieses Antrages schon mit einer Vielzahl von abweichenden, ergänzenden und auch zustimmenden Meinungen konfrontiert worden sei. Die Enquete-Kommission solle das Spektrum der Möglichkeiten einer Weiterentwicklung der Demokratie erweitern und das, was derzeit vorliege, nochmals einer kritischen Prüfung unterziehen.

Frau Nierth habe mit Blick auf Deutschland die These aufgestellt, dass die direkte Demokratie die repräsentative Demokratie noch repräsentativer gemacht habe. Dies sei eine schöne Formulierung des Ziels der Entscheidung, die letzten Endes hier im Haus zu treffen sein werde.

*****

Der Obfrau-Stellvertreter gibt bekannt, dass die nächste Sitzung der Enquete-Kommission für Mittwoch, 18. Februar 2015, 10 Uhr, zur Themenstellung „Direkte Demokratie in anderen Staaten“ in Aussicht genommen sei.

Mit nochmaligem Dank für die Teilnahme erklärt der Obfrau-Stellvertreter die Sitzung für geschlossen.

 

14.13.09Schluss der Sitzung: 14.13 Uhr