Erläuterungen

Allgemeiner Teil

Grundlagen des Gesetzesentwurfes:

Durch den Vertrag zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM-Vertrag), BGBl. III Nr. 138/2012, wurden 2013 in allen Mitgliedsstaaten des Euro-Währungsgebietes standardisierte Umschuldungsklauseln mit zweistufigem Mehrheitserfordernis (sog. Double Limb Collective Action Clause) für alle neuen (ab 1. Jänner 2013) Staatsschuldtitel des Euro-Währungsgebiets mit einer Ursprungslaufzeit von mehr als einem Jahr verbindlich eingeführt. Umschuldungsklauseln sind vertragliche Bestimmungen und gewährleisten dadurch eine geordnete Restrukturierung der Staatsschuld.

Grundlage für die Rechtswirkung dieser Umschuldungsklauseln in Österreich waren neben dem ESM-Vertrag die Allgemeinen Bedingungen für die Ausstattung von Bundesanleihen der Republik Österreich, deren ursprüngliche Tranche ab dem 1. Jänner 2013 begeben wurde. Umfasst eine Umschuldungsmaßnahme mehrere verschiedene Anleihen, so gilt ab 1. Jänner 2013 ein zweistufiges Mehrheitserfordernis, so dass eine Mehrheit der Gläubiger sowohl in Bezug auf jede einzelne betroffene Serie als auch eine Mehrheit in Bezug auf die Gesamtheit aller betroffenen Schuldverschreibungen der Maßnahme zustimmen muss. Die Einführung der Umschuldungsklauseln sollte im Interesse der Gläubigergleichbehandlung liegen und damit auch die Rechtstellung der in Staatsanleihen veranlagten Konsumenten verbessern. Privaten Gläubigern bzw. Kleinanlegern sollte dadurch eine gleichwertige Rechtsstellung wie den staatlichen und kommerziellen Großgläubigern eingeräumt werden. In der Vergangenheit zeigte sich im internationalen Kontext jedoch, dass einzelne Gläubiger (sog. Hold-out-Gläubiger) individuelle Ziele verfolgten und sich den erforderlichen Einigungen verweigerten. Das Ergebnis führte zu einer unfairen Verteilung der Lasten der Umschuldung unter den Gläubigern und zu einer geringeren Reduktion der Schuldenlast des Staates und war vielmehr dazu geeignet, eine tragfähige Restrukturierung der Staatsschuld, um die Krisensituation zu bewältigen, insgesamt zu gefährden.

Das zweistufige Mehrheitserfordernis bedeutet daher eine relativ hohe Hürde für den Erfolg entsprechender Umschuldungsmaßnahmen und einen geringeren Schutz der Kleinanleger gegenüber Großanlegern.

Im Zuge der im Jahr 2020 beschlossenen Reform des ESM-Vertrages wurde vereinbart, dass alle Staaten des Euro-Währungsgebiets ab 1. Jänner 2022 ihre neuen Schuldtitel mit Umschuldungsklauseln mit einstufigem Mehrheitserfordernis (Single Limb Collective Action Clause) ausstatten (das Übereinkommen zur Änderung des ESM-Vertrages ergänzt Artikel 12 Absatz 3 entsprechend). Dies soll künftig für die Staaten des Euro-Währungsgebiets eine Einigung zwischen dem jeweiligen Staat und seinen Gläubigern erleichtern bzw. beschleunigen sowie Hold-out-Risiken minimieren. Darüber hinaus wird dadurch auch die Gleichbehandlung der Gläubiger und somit auch die Position der Kleinanleger gestärkt. Ein weiteres Ziel der neuen Umschuldungsklausel ist es, Schuldenrestrukturierungen im Bedarfsfall zu erleichtern, um die Stabilisierung von Staatsschulden zu verbessern und die Verschuldung der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets so wieder auf ein nachhaltiges Niveau senken zu können.

Bei einem einstufigen Mehrheitserfordernis muss bei einer anleiheübergreifenden Änderung der Emissionsbedingungen für alle betroffenen Serien gemeinsam eine Mehrheit erreicht werden. Damit entfällt im Vergleich zu dem zweistufigen Mehrheitserfordernis das Erfordernis einer Mehrheit für jede Einzelanleihe.

Der im Begutachtungsverfahren eingebrachte Hinweis des Rechnungshofs, dass das Bundesfinanzierungsgesetz (BFinG) bislang lediglich die Aufgaben und die Organisation der Österreichischen Bundesfinanzierungsagentur (ÖBFA) regelt und deshalb materiellrechtliche Regelungen über Umschuldungsklauseln aus rechtssystematischen und sachlichen Gründen in das Bundeshaushaltsgesetz 2013 (BHG 2013) verankert werden sollte, wurde geprüft. Die Prüfung ergab, dass die zivilrechtlichen Komponenten in beiden Gesetzen sachfremd sind. Bei der Durchführung der Umschuldung werden jedoch der ÖBFA operative Aufgaben zugewiesen, weshalb die Verankerung der Umschuldungsklauseln im BFinG wie im Begutachtungsentwurf beibehalten wurde.

Hauptgesichtspunkte des Gesetzesentwurfes:

Es werden Umschuldungsklauseln mit einstufigem Mehrheitserfordernis für die Emissionsbedingungen der vom Bund begebenen Bundesanleihen eingeführt. Damit wird in Übereinstimmung mit dem im Gesetzesrang stehenden ESM-Vertrag auch eine nationale Rechtsgrundlage und somit verschiedenen Klarstellungen geschaffen, beispielsweise betreffend die im Verfahren notwendige Berechnungsstelle und das Verfahren. Die ÖBFA benennt nach Aufforderung des Bundesministers für Finanzen eine Berechnungsstelle.

Bezüglich den Bestimmungen u.a. über die Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger, deren Stimmrechte, die Einberufung der Gläubigerversammlungen, die Bestimmungen zum Vorsitz, der Vertretungsmöglichkeit, der Möglichkeit von schriftlicher Abstimmung und die Beschlussfähigkeit wird auf die Common Terms of Reference (ToR, vgl. https://europa.eu/efc/efc-sub-committee-eu-sovereign-debt-markets/collective-action-clauses-euro-area_en) verwiesen sowie die „Explanatory Note“ des EFC Sub-Committee on EU Sovereign Debt Markets zur 2022 Collective Action Clause (vgl. den vorherigen Link).

Inkrafttreten:

Die gesetzlichen Bestimmungen sollen mit 1. Jänner 2022 in Kraft treten.

Kompetenzgrundlage:

Der vorliegende Entwurf stützt sich auf Art. 10 Abs. 1 Z 4 und Z 6 B-VG (Bundesfinanzen und Zivilrechtswesen).

Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (Änderung des Bundesfinanzierungsgesetzes – BFinG)

Zu Z 1 (§ 2c Abs. 1 bis 3):

Abs. 1: Gemäß den ToR können Gläubiger Umschuldungsmaßnahmen über wesentliche und nicht-wesentliche Angelegenheiten („reserved matters“ und „non-reserved matters“) mit unterschiedlichen Mehrheiten für jeweils einzelne Bundesanleihen, Schuldverschreibungen und Bundesobligationen (im Folgenden „Schuldverschreibungen“) oder emissionsübergreifend beschließen. Die Gläubiger beschließen entweder in einer Gläubigerversammlung oder im Wege einer schriftlichen Abstimmung. Bei Änderungen über wesentliche und nicht-wesentliche Angelegenheiten wird zudem differenziert, ob eine einzelne Schuldverschreibung oder mehrere Schuldverschreibungen (emissionsübergreifende Änderung) Gegenstand der Umschuldungsmaßnahme sind. Je nachdem welcher Fall vorliegt und ob die Beschlussfassung in einer Gläubigerversammlung oder im Wege der schriftlichen Abstimmung durchgeführt wird, gelten jeweils unterschiedliche Beschlussmehrheiten. Die getroffenen Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger sind für alle Gläubiger derselben Schuldverschreibung und bei einer emissionsübergreifenden Änderung für alle Gläubiger gleichermaßen verbindlich. Mehrheitsbeschlüsse der Gläubiger sind vom Emittenten unverzüglich bekannt zu machen und bedürfen stets der Zustimmung des Emittenten.

Gemäß den Explanatory Notes des EFC Sub-Committee on EU Souvereign Debt Markets werden unter einem „single limb“ - Abstimmungsmechanismus alle Gläubiger jener „Serien von Schuldverschreibungen“ („series of debt obligations“) in einer emissionsübergreifenden vorgeschlagenen Änderung gebunden, die in einer Abstimmungsgruppe zusammengefasst sind, wenn diese Änderung in dieser Abstimmungsgruppe einheitlich („uniformly applicable“) beschlossen wird.

Die neu eingeführten Umschuldungsklauseln sollen für alle Schuldverschreibungen mir einer ursprünglichen Laufzeit von über einem Jahr, die am oder ab dem 1. Jänner 2022 begeben werden, gelten. Auf alle anderen Schuldverschreibungen, deren ursprüngliche Tranche zwischen dem 1. Jänner 2013 und dem 31. Dezember 2021 begeben wurde oder noch begeben werden, gelten die vertraglich auf Grund der Allgemeinen Bedingungen für die Ausstattung von Bundesanleihen der Republik Österreich vereinbarten Umschuldungsklauseln, die auf Basis des ESM-Vertrages, BGBl. III Nr. 138/2012, eingeführt wurden. Diese sehen die ursprünglich eingeführte „double limb“ – Umschuldungsklausel vor (vgl. insbesondere § 13 der Allgemeinen Bedingungen - Änderung der Allgemeinen Bedingungen für die Ausstattung von Bundesanleihen (Collective Action Klausel)).

In Abs. 1 wird der Begriff „Schuldverschreibungen“ als Oberbegriff für Bundesanleihen, Bundesobligationen und alle anderen Schuldverschreibungen festgelegt.

Abs. 2 verweist auf die Bestimmungen des ESM-Vertrages.

Abs. 3 verweist auf die Bestimmungen der Allgemeinen Bedingungen für die Ausstattung von Bundesanleihen der Republik Österreich, darin werden konkret die Voraussetzungen für die Emissionsbedingungen sowie weitere Bestimmungen zu Mehrheitsbeschlüssen der Gläubiger, deren Stimmrechte, Voraussetzungen für die Einberufung der Gläubigerversammlung und weitere Bestimmungen in diesem Zusammenhang geregelt.

Zu Z 2 (§ 2d Abs. 1 bis 7):

Die Republik Österreich (Bund) wird durch die ÖBFA gemäß § 2 Abs. 1 Z 3 vertreten. Im Falle eines Restrukturierungsverfahrens benennt die ÖBFA, nach Aufforderung durch den Bundesminister für Finanzen (vgl. auch § 2 Abs. 2 und 4), eine Berechnungsstelle. Die Berechnungsstelle hat einerseits frei von Interessenskonflikten zu sein (sie soll vom Ergebnis des Restrukturierungsverfahrens nicht profitieren, weil sie selbst zB. Bundesanleihen der Republik Österreich in erheblichen Ausmaß hält und ihre Berechnungen im Hinblick darauf erfolgen und sie soll auch sonst keine wirtschaftlichen Verbindungen zu Anleihegläubigern haben bzw. wenn dies der Fall sein sollte, haben entsprechende „Chinese Walls“ zu bestehen) und andererseits ihre Aufgaben gemäß den Allgemeinen Bedingungen für die Ausstattung von Bundesanleihen der Republik Österreich und den ToR (insbesondere Punkt 3.1.) weisungsfrei zu erfüllen. Die Weisungsfreiheit hat sowohl im Hinblick auf Emittenten als auch im Hinblick auf die Anleihegläubiger zu bestehen. Die Berechnungsstelle hat somit die Aufgaben, die ihr auf Grund der Allgemeinen Bedingungen für die Ausstattung von Bundesanleihen der Republik Österreich und der ToR zugewiesen werden, frei von Einflüssen anderer Personen oder Stellen zu erfüllen.

Die Berechnungsstelle hat sämtliche Berechnungen auf Grund der Umschuldungsklauseln vorzunehmen, insbesondere die Berechnung der Stimmrechte. Dabei muss sie Erfahrung im Umgang mit Fixzinsanleihen, Zero Coupon Bonds, Index-linked Anleihen sowie trust and agency haben, um ihre Funktion bestmöglich auszuüben. Neben der Feststellung der erforderlichen Mehrheit der Gläubiger für die Beschlussfassung gibt sie auch u.a. Stellungnahmen, Auskünfte und Empfehlungen ab, die sowohl für den Bund als auch für die Gläubiger verbindlich sind, solange sie nicht offensichtlich unrichtig erscheinen.

Das Anforderungsprofil ergibt sich aus bisherigen Umschuldungsfällen in denen die Funktion der Berechnungsstelle von etablierten Investmentbanken ausgeübt wurde.

In Abs. 5 wird einerseits klargestellt, welcher Rechtsträger als vom Bund beherrscht anzusehen ist (vgl. 2.7.(c) der ToR) und zusätzlich werden Kriterien für jene Fälle festgelegt, in denen Rechtsträger des Bundes ihr Stimmrecht bei Restrukturierungen nicht ausüben dürfen (sog. „Disenfranchisement“). Anleihen, die von Zentralbanken des Eurosystems gehalten werden, sind in den Explanatory Notes des EFC Sub-Committee on EU Souvereign Debt Markets ausgenommen.

Zur Definition „Stichtag“ vgl. 1.(j) der ToR.

Abs. 7 setzt 3.5. der ToR um.

Zu Z 3 (§ 2e Abs. 1 und 2):

Gegen die Beschlüsse der Gläubiger kann binnen eines Monats eine Klage vor dem Handelsgericht Wien erhoben werden.

Zu Z 4 (§ 11 Abs. 13):

Inkrafttretensbestimmung.