13074/J XXVII. GP
Eingelangt am 17.11.2022
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Anfrage
der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen
an den Bundesminister für Inneres
betreffend Folgeanfrage Push-backs von Kroatien nach Bosnien und Herzegowina: Österreichische Unterstützung für das Lager Lipa in BiH
Nach Angaben des UNHCR wurden zwischen Januar 2018 und Oktober 2021 in Bosnien und Herzegowina (BiH) rund 84.000 Migrant_innen, Flüchtlinge und Asylsuchende registriert. Kaum einer von ihnen beantragte in BiH in diesem Zeitraum internationalen Schutz, insgesamt stellten 2.731 Personen Anträge - lediglich 3,2% - obwohl viele von ihnen beabsichtigten, einen Asylantrag zu stellen (z.B.: 93% von ihnen beabsichtigten im Oktober 2021, einen Asylantrag zu stellen). Personen, die einen Antrag auf internationalen Schutz stellen, warten oft über ein Jahr lang auf eine Entscheidung. Im Jahr 2021 betrug die durchschnittliche Dauer des Asylverfahrens in BiH bis zur erstinstanzlichen Entscheidung nämlich 444 Tage. In den letzten 4 Jahren wurde nur 7 Asylwerber_innen der Flüchtlingsstatus zuerkannt, 109 Personen erhielten einen subsidiären Schutzstatus (siehe "UNHCR BiH Operational Update"). Das Asylsystem in BiH ist aufgrund institutioneller Mängel, begrenzter Kapazitäten in der zuständigen Behörde und einer hohen Anzahl an angestauten Fällen nicht funktionsfähig - es besteht kein effektiver Zugang zum Asylsystem (siehe "Bosnien und Herzegowina 2021" I Amnesty International).
Die Aufnahmebedingungen der Schutzsuchenden stehen aufgrund menschenunwürdiger Zustände schon jahrelang in der Kritik, insbesondere in Lipa. Das erste Aufnahmezentrum in Lipa war das von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) verwaltete Notzeltlager. Es wurde offiziell am 21. April 2020 als vorbeugende Maßnahme gegen die Covid-19-Pandemie eröffnet und beherbergte bis zu 1.000 Personen. Das Lager wurde am 23. Dezember 2020 geschlossen, da es nicht winterfest war. Ein Brand zerstörte es am selben Tag fast zur Gänze. Die Verlagerung der dort aufhältigen Menschen scheiterte jedoch, weshalb sie in den Überresten des Lagers verblieben und die bosnischen Behörden entschieden mit IOM das Lager Lipa wieder in Betrieb zu nehmen - doch die Lebensbedingungen blieben zunächst katastrophal. Zwischen Januar und April 2021 lebten rund 900 Migrant_innen und Asylsuchende unter unmenschlichen Bedingungen und ohne Zugang zu Nahrung, Wasser und Strom im Notaufnahmelager Lipa in der Form eines provisorischen Zeltlagers. Zwischen Mai und Oktober 2021 verblieben rund 2.000 Menschen, darunter Familien und Kinder, unter freiem Himmel, in verlassenen Häusern, Fabrikhallen und Wäldern im Kanton Una-Sana.
Am 19. November 2021 eröffneten die bosnischen Behörden mit Unterstützung der EU und unter Beteiligung weiterer europäischer Staaten ein neues "temporäres Aufnahmezentrum" in Lipa (TRC Lipa). Es wird von bosnischen Behörden in Zusammenarbeit mit IOM, UN-Organisationen und anderen Hilfsorganisationen betrieben. Insgesamt können in dem Lager bis zu 1.500 Personen untergebracht werden. 1.000 Plätze sind für alleinstehende Männer, 300 Plätze für Familien und 200 Plätze für unbegleitete Minderjährige vorgesehen. Mit Stand 6. Dezember 2021 waren im TRC Lipa 382 Personen aufhältig.
Die Antragstellerin konnte sich im Rahmen von zwei Besuchen davon überzeugen, dass im Vergleich zu den Zuständen in den von April 2020 bis November 2021 betriebenen Einrichtungen die Lebensbedingungen im neuen TRC Lipa besser sind, jedoch ist auch dieses in vielerlei Hinsicht problematisch: Das TRC Lipa befindet sich 2 Kilometer von der nächsten asphaltierten Staatsstraße und 24 Kilometer von der Stadt Bihać entfernt. Somit sind jegliche Einrichtungen (Krankenhäuser, Schulen, Bahnhöfe, Supermärkte usw.) nur schwierig zu erreichen - die Isolation ist vor allem für Familien oder unbegleitete Minderjährige problematisch, z.B. was den Zugang zu Bildungseinrichtungen angeht. Darüber hinaus sind Kinder auf der Flucht über die Balkan-Route in Richtung der EU häufig Schlägen, sexuellem Missbrauch und anderen Formen der Gewalt ausgeliefert (siehe dazu: "Flüchtlingskinder auf Balkan oft Opfer von Gewalt" I ORF). Des Weiteren herrschen aufgrund der Höhenlage im Winter besonders harte Bedingungen - die Temperaturen sinken z.T. auf -15°C (siehe "Lipa, the camp where Europe fails").
Seit mehr als zwei Jahren ist offensichtlich, dass die Erhaltung von Lagern in Lipa eine Problembewirtschaftung darstellt. Trotzdem beteiligte sich Österreich im hohen Ausmaß an der Errichtung des neuen TRC Lipa und gab nicht die damals vom ehemaligen Innenminister, Karl Nehammer, angekündigten 500.000 Euro dafür aus (siehe "NGOs üben scharfe Kritik an Nehammers Balkan-Plänen" I Kleine Zeitung), sondern insgesamt sogar 821.671,98 Euro - wie sich in der Beantwortung zur NEOS-Anfrage 11750/J herausstellte. Davon gingen 321.671,98 Euro in die Anschaffung von Containern. Zur finanziellen Beteiligung Österreichs kam es, weil das Sicherheitsministeriums von BiH sich nach dem Brand in Lipa ans BMI gewendet hatte. Jedoch blieben viele der in der NEOS-Anfrage 11750/J gestellten Fragen unbeantwortet,- etwa, welche Maßnahmen getroffen wurden, um sicherzustellen, dass Österreich sich durch seine finanzielle Unterstützung nicht an einem menschenrechtswidrigen Umgang mit Menschen auf der Flucht, darunter auch Minderjährige, beteiligt. Inwieweit die Unterstützung eines solchen Lagers für eine gute Asyl- und Migrationspolitik sinnvoll ist, kann das Innenministerium auch nicht argumentieren. Dass Push-Backs und Kettenzurückweisungen von Kroatien nach Bosnien stattfinden, wäre dem Bundesministerium für Inneres - trotz Verurteilung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (siehe M.H. and Others v. Croatia I EGMR) und ausführlichem Bericht des Antifolterkommittees (siehe "Länderbericht Kroatien" I CPT, Europarat) - anscheinend auch nicht bekannt.
Die wiederkehrende Kritik an den gewaltsamen Pushbacks von Kroatien nach BiH führte zur medialen Infragestellung dessen Beitritts zum Schengen-Raum. Bisher hatte jedoch kein Schengen-Land größere Einwände (siehe "Scharfe Kritik an Kroatiens Pushbacks" I Tagesschau). Daher steht trotz der schweren Menschenrechtsverletzungen Kroatiens dessen Beitritt zum Schengen-Raum bevor. Die österreichische Unterstützung beim Beitritt zum Schengenraum Kroatien sicherte die Regierung zu und erklärte: "Durch den Schengen-Beitritt wird sich unsere Zusammenarbeit noch weiter verstärken, denn damit wird endgültig klar: die kroatische Grenze ist auch die österreichische" (siehe Presseaussendung BMEIA). In den Bereichen Außengrenzschutz und Migration werde man weiterhin eng zusammenarbeiten.
Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende
i. Inwieweit ist dies nach Auffassung Ihres Ressorts mit dem in der UN-Kinderrechtskonvention verankerten "best interest of the child" Prinzip vereinbar?
i. Wenn ja, wann, welche und mit welchem Ergebnis?
ii. Wenn nein, warum nicht?
i. Wenn ja, wie lange?
i. Wenn ja, was?
i. Wenn ja, wann haben Sie bzw. Ihr Ressort davon Kenntnis erlangt und bis wann ist der Betrieb des Lagers vorgesehen?
i. Wann jeweils?
ii. Mit welchem Inhalt und Ergebnis?
iii. Inwiefern waren Push-Backs Thema?
i. Wann jeweils?
ii. Mit welchem Inhalt und Ergebnis?
iii. Inwiefern waren Push-Backs Thema?
i. Wenn ja, in welchem Ausmaß und wie kam es dazu?
ii. Wenn ja, wie wird sichergestellt, dass nur Personen abgeschoben werden, die keine Asylantrag stellen wollen bzw. deren Asylverfahren rechtskräftig negativ abgeschlossen ist?
i. Wann und in welche Länder jeweils?