3673/J XXVII. GP

Eingelangt am 07.10.2020
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abgeordneten Mag. Wolfgang Gerstl, Mag. Friedrich Ofenauer Kolleginnen und Kollegen

an die Bundesministerin für Justiz

betreffend Arbeitsweise und Erfolge der zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption.

Auf der Homepage des Bundesministeriums für Justiz ist über die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft zu lesen: „Die österreichische Justiz ist seit mehr als zehn Jahren mit einer zunehmenden Anzahl besonders umfangreicher Wirtschaftsstrafsachen mit vermehrten internationalen Verflechtungen konfrontiert. Die gesteigerte Komplexität dieser Verfahren erfordert neue Konzepte und Strukturen für einen effizienten und erfolgreichen Einsatz der Ermittlungsbehörden.

Mit der Zentralen Staatsanwaltschaft zur Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption (WKStA) wurde am 1. September 2011 eine Strafverfolgungsbehörde eingerichtet, in der die notwendige Kompetenz und Expertise für eine qualifizierte und effiziente Verfolgung großer Wirtschafts- und Korruptionsdelikte konzentriert ist.

Derzeit (Stand 1. August 2018) sind bei der WKStA 40 Staatsanwältlnnen tätig. Eine Besonderheit dieser Staatsanwaltschaft sind die hier tätigen Experten aus dem Finanz-, Wirtschafts- und IT-Bereich (derzeit insgesamt 13)."

In den vergangenen Jahren wurden viele der von der WKStA geführten Strafverfahren medial begleitet. Die Dauer dieser Verfahren betrug oft mehrere Jahre, die „Erfolge" im Sinne von Verurteilungen und damit der Nachweis der Korruption gelang in den wenigsten Fällen.

Den Beschuldigten blieb neben der dauernden medialen Beobachtung bis hin zur Vorverurteilung nichts als Kosten, finanzielle und nervliche Belastung, ganz abgesehen davon, dass eine berufliche Weiterentwicklung durch den Beschuldigtenstatus schlicht nicht möglich war.

Die wenig sorgfältige Arbeitsweise bzw. die mangelnde Qualitätssicherung der WKStA zeigte jüngst im Ibiza-Untersuchungsausschuss dramatische Auswirkungen. „Offenbar ist also in der WKStA der Fehler passiert: Glatz-Kremsner wurde dem Justizministerium als Beschuldigte genannt, obwohl davon keine Rede ist", war in der Tageszeitung „Die Presse" vom 12. September 2020 zu lesen.

Die Tatsache, dass die Auskunftsperson Bettina Glatz-Kremsner in einem Schreiben der Bundesministerin für Justiz vom 21. Juli 2020 an den Untersuchungsausschuss irrtümlich als Beschuldigte genannt wurde, führte zu irritierenden Pressemeldungen, einer längeren Verzögerung des Ausschusses sowie nahezu zum Abbruch der Befragung. Der peinliche Irrtum konnte aufgeklärt werden, wirft jedoch wichtige Fragen hinsichtlich der Qualitätssicherung in der Arbeitsweise der WKStA auf.

Darüber hinaus berichtet „Der Standard" in seiner Online-Ausgabe vom 23. September 2020 über Vorwürfe von Karl-Heinz Grasser gegen die WKStA, wonach diese einigen Beschuldigten in der Causa BUWOG angeboten habe, das Verfahren gegen sie einzustellen, wenn sie gegen Grasser aussagen. Wenn diese Vorwürfe zutreffen, dann haben die Ermittler das Grundrecht auf ein faires Verfahren verletzt und mit ihrer Vorgangsweise gegen ihre in der Strafprozessordnung festgeschrieben Pflicht zur Objektivität verstoßen.

Das Regierungsprogramm 2020-2024 sieht im Kapitel „Reformen im Strafprozessrecht" eine Stärkung der Korruptionsbekämpfung und Evaluierung der eingesetzten Kapazitäten bei der WKStA sowie eine Präzisierung der Zuständigkeiten der WKStA im Sinne einer zielgerichteten Strafverfolgung vor.

Vor diesem Hintergrund und dem zehnjährigen Jubiläum scheint deshalb eine Evaluierung der Tätigkeit der WKStA angebracht.

Daher stellen die unterfertigten Abgeordneten nachstehende

Anfrage:

1.        Wie viele Ermittlungsverfahren wurden seit dem Bestehen der WKStA eingeleitet?

a.        Wie viele aufgrund von anonymen Anzeigen?

2.        Wie viele Ermittlungsverfahren wurden mangels Anfangsverdachtes gemäß § 35 c StAG gar nicht eingeleitet?

a.       Wie viele Ermittlungsverfahren aufgrund anonymer Anzeigen wurden mangels Anfangsverdachtes gar nicht eingeleitet?

b.       Wie lange war der Zeitraum bis zum Absehen von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens?

3.        Wie lange dauerte das kürzeste abgeschlossene Ermittlungsverfahren?

4.        Wie lange dauerte das längste abgeschlossene Ermittlungsverfahren?

5.        Wie lange dauert das längste noch offene Verfahren?

6.        Wie lange dauerten die Ermittlungsverfahren im Durchschnitt?

7.        Wie viele Personen waren in den Ermittlungsverfahren als Verdächtige geführt?

8.        Wie viele Personen waren in den Ermittlungsverfahren als Beschuldigte geführt?

9.        Wie viele Personen waren in den geführten Strafverfahren, jeweils aufgeschlüsselt in Korruptions- und Wirtschaftsstrafverfahren, Beschuldigte?

10.     Wie viele der Beschuldigten wurden tatsächlich verurteilt?

11.     In wie vielen Verfahren wurden Freisprüche von der WKStA erfolgreich mit Rechtsmittel bekämpft?

12.     Wie viele Ermittlungsverfahren gegen wie viele Beschuldigte wurden aus

rechtlichen oder tatsächlichen Gründen eingestellt?

a. Wie viele Ermittlungsverfahren gegen wie viele Beschuldigte aufgrund anonymer Anzeigen wurden aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen eingestellt?

13.     In wie vielen Ermittlungsverfahren der WKStA gab es Einsprüche wegen

Rechtsverletzung?

a.        Wie vielen davon wurde von der WKStA selbst Folge gegeben?

b.       Wie vielen wurde vom Gericht Folge gegeben?

c.        In wie vielen Verfahren wurde eine von der WKStA zu verantwortende Verletzung des Beschleunigungsverbots (überlange Verfahrensdauer) festgestellt?

14.     Wie viele Oberstaatsanwältlnnen sind derzeit bei der WKStA ernannt?

a.        Wie viele davon sind auch aktuell für die WKStA tätig?

b.       Wie viele davon sind GruppenleiterInnen?

c.        Wie erfolgt die Bestellung der GruppenleiterInnen bei der WKStA?

d.       Wer entscheidet über die Anzahl und Auswahl der GruppenleiterInnen?

e.        Für welche Dauer sind GruppenleiterInnen tätig?

f.         Welche fachlichen und persönlichen Voraussetzungen müssen die GruppenleiterInnen erfüllen?

g.       Welche Aufgaben nehmen die GruppenleiterInnen wahr?

h.       Wie viel Zeit wenden die GruppenleiterInnen für diese Tätigkeit auf und wie wird dies bei der Arbeitsverteilung berücksichtigt?

i.         Wer entscheidet über die Abberufung von GruppenleiterInnen?

j. Aus welchen Gründen ist eine derartige Abberufung vorgesehen?

15.     Bestehen Unterschiede zwischen GruppenleiterInnen der WKStA und

GruppenleiterInnen anderer Staatsanwaltschaften?

a.        Wenn ja, welche und wie sind diese sachlich begründet?

16.     Wie viele offene Ermittlungsverfahren sind derzeit bei der WKStA anhängig?

17.     Auf wie viele Oberstaatsanwältlnnen verteilen sich die anhängigen

Ermittlungsverfahren?

a.       Wie hoch ist die durchschnittliche Zahl an anhängigen Ermittlungsverfahren pro Oberstaatsanwalt?

b.       Welche ist die höchste und welche ist die niedrigste Zahl an Ermittlungsverfahren, die von einem Oberstaatsanwalt der WKStA geführt werden?

18.     Gibt es bei der WKStA tätige Oberstaatsanwältlnnen, die keine eigenen

Ermittlungsverfahren führen?

a.       Wenn ja, wie viele und warum?

19.     Werden bei der WKStA in umfangreichen und schwierigen Ermittlungsverfahren Teams gebildet?

a.       Wenn ja, wer entscheidet darüber?

b.       Wie erden diese Teams gebildet?

c.        Wie viele Teams gibt es derzeit bei der WKStA?

d.       Wie viele Oberstaatsanwältlnnen sind pro Team tätig und in welchem Teil der Arbeitskraft?

e.       Gibt es Oberstaatsanwältlnnen, die in mehreren Teams gleichzeitig tätig sind?

20.     Gibt es bei der WKStA Oberstaatsanwältlnnen, die nicht regelmäßig neue Akten bearbeiten?

a. Wenn ja, wie viele und warum?

21.     Auf welcher Grundlage erfolgen die Geschäftsverteilung, Aktenverteilung und Teambildung innerhalb der WKStA?

a.       Wer ist dafür zuständig?

b.       Wurde eine interne oder externe Evaluierung der Arbeitssituation bei der WKStA durchgeführt?

c.        Wenn ja, von wem und mit welchem Ergebnis wurde diese durchgeführt?

d.       Wenn nein, warum nicht?

22.     Kommt es in anhängigen Ermittlungsverfahren zu Wechseln der zuständigen Oberstaatsanwältlnnen, auch wenn diese noch bei der WKStA tätig sind?

a. Wenn ja, warum?

23.     Wie hoch waren die konkreten Kosten der Ermittlungsverfahren?

24.     Wie viele Hausdurchsuchungen wurden im Zuge der Ermittlungen angeordnet?

25.     Wie viele Einvernahmen wurden im Zuge der Ermittlungen durchgeführt?

a.       Im Auftrag der WKStA?

b.       Durch die WKStA selbst?

26.     Wie lange nach Einleitung des Ermittlungsverfahrens wurden betroffene Personen informiert, dass gegen sie Ermittlungen laufen?

27.     Wie lange nach Einleitung des Ermittlungsverfahrens erfolgte im Durchschnitt die erste Einvernahme der Beschuldigten?

28.     Wie lange nach Einleitung des Ermittlungsverfahrens konnten die Beschuldigten erstmals in den Ermittlungsakt Einsicht nehmen?

29.     Wurden Sie im Zusammenhang mit der irrtümlichen Beschuldigtennennung im Ibiza-Untersuchungsausschuss von der WKStA falsch informiert?

30.     Wer erstellte auf welcher Grundlage die Information sowie den Briefentwurf für Ihr Schreiben vom 21. Juli 2020 an den Untersuchungsschuss?

a.       Welche Schritte haben Sie zur Aufklärung gesetzt?

b.       Welche Maßnahmen haben sie zur Vermeidung künftiger Falschinformation durch die WKStA gesetzt?

31.     Existiert in der WKStA ein Qualitätssicherungssystem?

a.         Wenn ja, wie ist es aufgebaut?

b.        Was sind die Qualitätskriterien die gemessen und beurteilt werden?

c.         Gibt es ein regelmäßiges, strukturiertes Berichtswesen?

d.        Wie ist das Berichtswesen aufgebaut?

e.         Wie regelmäßig wird an wen berichtet?

32.     Ist Ihnen der Bericht des „Standard" vom 23. September 2020 betreffend Vorwürfe gegen die WKStA bekannt?

33.     Wenn ja, welche Maßnahmen haben Sie daraufhin eingeleitet?

34.     Wann ist mit der Klärung der Vorwürfe, die WKStA hätte im BUWOG- Verfahren das Recht auf ein faires Verfahren verletzt, zu rechnen?

35.     Werden Sie nach den vielen Problemen mit der WKStA diese einer unabhängigen Evaluierung unterziehen?