4400/J XXVII. GP

Eingelangt am 02.12.2020
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Anfrage

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

an die Bundesministerin für Justiz

betreffend Zusammensetzung der Untersuchungskommission zum Terroranschlag von Wien

 

Am Abend des 2. Novembers 2020  kam es in der Wiener Innenstadt zu einem folgenschweren islamistischen Terroranschlag. Ein behördenbekannter, bereits rechtskräftig nach § 278b StGB verurteilter Mann, schoss mit einer vollautomatischen Waffe in der belebten Gegend zwischen Schwedenplatz und Graben um sich und tötete vier und verletzte zahlreiche weitere Menschen.

In der Zwischenzeit wurden zahlreiche massive Behördenversagen im Vorfeld dieses Anschlages bekannt.

In Summe bleibt festzuhalten, dass auf Grund der Tatsache, dass die Sicherheitsbehörden

·         trotz Hinweis seitens der slowakischen Behörden zum versuchten Munitionskauf für eine vollautomatische Waffe

·         trotz erfolgreichen Ausforschens jener Personen, die diesen versuchten Kauf durchführen wollten (darunter der spätere Attentäter)

·         trotz Wissen, dass der Attentäter bereits eine Haftstrafe wegen Mitgliedschaft beim sog. "Islamischen Staat" verbüßt hatte und diese seitens der Justiz nur bedingt widerrufen worden war

·         trotz Kenntnis über Treffen des späteren Attentäters mit ausländischen Extremisten nach seiner Haftentlassung und

·         trotz der damals daher auch ex ante betrachtet selbst für Laien erkennbaren Gefährlichkeit und Dringlichkeit der Situation

weder die Justiz verständigten noch die nötigen Schritte unternahmen um im eigenen Bereich diese Gefahr erfolgreich abzuwehren, nach bisheriger Informationslage von einem folgenschweren und dringend aufklärungsbedürftigen Fehlverhalten der Sicherheitsbehörden auszugehen ist.

Auch räumte der Innenminister bereits öffentlich ein, dass Fehler geschahen, wenngleich zuvor und zeitgleich stets versucht wurde, die Verantwortung für das Behördenversagen bei anderen – sei es die Justiz, sei es der Verein DERAD oder sei es der ehemalige Innenminister Kickl - festzumachen.

Dieses bisher praktizierte „blame game“ des Innenministers bzw. seitens des Kanzlers lässt nicht gerade darauf schließen, dass Fehler im eigenen Ressort schonungslos aufklärt werden, sondern dass die Außendarstellung (Stichwort: „message control“) wichtiger ist als das Beseitigen von Missständen.

Schlüssig ist bei dieser Intention auch die Zusammensetzung und der festgelegte modus operandi der nunmehr eingesetzten Untersuchungskommission: Die von der Opposition geforderte Einbindung bei der Auswahl der Leitung unterbleibt genauso wie ein Gespräch über deren Mitglieder und Vorgehen. 

Die Auswahl der Mitglieder der Kommission wirft aber Fragen auf. So ist die Zurechenbarkeit von Herbert Anderl zu ÖVP-Kreisen nicht erst seit dem BVT-Untersuchungsausschuss bekannt. Wie der „Falter“ bereits 2008 berichtete, gehörte Anderl auch einem informellen „ÖVP-Zirkel“ im BM.I an, wie sich aus einem Mail des Kabinettschefs von Ex-Innenminister Strasser an ebendiesen ergibt: 

"Lieber Ernst! Wir haben eine zeitlang eine informelle ÖVP-Runde aus dem Hause alle sechs bis acht Wochen zu Dir eingeladen (..). Ich schlage vor, folgende Personen zu Dir einzuladen: (...) Anderl (...)"

Es erhärtete sich im BVT-UA jedoch der Verdacht, dass unter Mitwirkung von Herbert Anderl ÖVP-Vertrauenspersonen in Schlüsselpositionen gesetzt wurden. Als eine solche kann zum Beispiel B. P., langjähriger Freund von Ex-ÖVP-Mandatar Werner Amon, im BVT gesehen werden, der mit seinem Brief an den ehemaligen GD Anderl eindrucksvoll bewies, welcher Art sein Verständnis einer sauberen Amtsführung ist: Er fiel durch das an Herbert Anderl gerichtete Angebot als „Bundesbruder“ (CV) auf, ihm Informationen aus dem BVT „abseits der formellen Kanäle“ zukommen zu lassen. Verstärkt wird dieser Eindruck weiters vor allem durch folgende Aussage von Ex-BVT-Direktor Peter Gridling im Untersuchungsausschuss: „Ich habe meine Bedenken (Anm. bezüglich B.P.) dem Abgeordneten Kössl gesagt, ich habe meine Bedenken auch dem damaligen Generaldirektor Anderl gesagt, und ich habe meine Bedenken auch dem Kabinettchef Kloibmüller gesagt" (siehe S.79 und 92 des NEOS-Fraktionsberichts zum BVT-Untersuchungsausschuss, https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVI/I/I_00695/imfname_767298.pdf). 

Kurzum: Anderl stand im Zentrum des schwarzen Netzwerkes im BM.I – und soll nun dort Missstände unter einem ÖVP-Innenminister aufklären; ein untragbarer Zustand.

Die tiefgreifende Aufklärung der Vorkommnisse im Vorfeld des Terroranschlages von Wien und eine schonungslose Fehleranalyse in diesem Zusammenhang sind zu wichtig, um hier aus parteipolitischen Motiven zu versuchen, Fehler zu kaschieren.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

1.    Nach welchen Kriterien wurden die Mitglieder der Untersuchungskommission ausgewählt?

2.    In wie weit ist den einzelnen Mitgliedern der Kommission Ablauf- und Organisationsstruktur sowohl im BM.I als auch im BMJ jeweils bekannt?

a.    War dies ein Kriterium bei der Auswahl der Mitglieder?

3.    Wer traf die Auswahl, wer besaß ein Vorschlagsrecht?

4.    Welche Mitglieder wurden von wem vorgeschlagen?

5.    Gab es einen Aufteilungsschlüssel, etwa nach Ressort (BM.I/BMJ) oder nach Partei innerhalb der Koalition?

a.    Wenn ja: wie lautete dieser und welche Mitglieder wurden von welcher Seite bestimmt?

6.    Wie kam es, dass Herbert Anderl zum Mitglied der Kommission bestellt wurde?

7.    Gab es hier seitens des BMJ bedenken?

a.    Wenn ja: welche, durch wen wurden diese wann geäußert und warum kam es dennoch zu seiner Bestellung?

8.    Ist Ihnen Herr Anderl persönlich bekannt?

a.    Wenn ja: seit wann?

b.    Wenn ja: sehen Sie dies nicht als problematisch hinsichtlich einer möglichst neutralen Aufarbeitung von behördeninternen Fehlern an?

9.    Ist Ihnen bekannt, dass Anderl laut medial bekannten Mails zu einem „ÖVP-Zirkel“ im BM.I gehörte, der sich regelmäßig im Büro von Minister a.D. Strasser traf?

a.    Wenn ja: seit wann?

b.    Wenn ja: sehen Sie dies nicht als problematisch hinsichtlich einer möglichst neutralen Aufarbeitung von behördeninternen Fehlern an?

10. Sind Ihnen weiter Mitglieder der Kommission persönlich bekannt?

a.    Wenn ja: seit wann?

b.    Wenn ja: sehen Sie dies nicht als problematisch hinsichtlich einer möglichst neutralen Aufarbeitung von behördeninternen Fehlern an?

11. Ist Ihnen die gemeinsam Tätigkeit Anderls mit Stefan Steiner und Ex-ÖVP LR Wolfgang Waldner im Aufsichtsrat des österr. Integrationsfonds (ÖIF) bekannt, in welchem zuvor auch die Minister Raab und Schallenberg saßen?

a.    Wenn ja: seit wann?

12. Warum wurden Parlament (etwa im Rahmen des „Geheimdienstausschusses“) und Opposition nicht in die Auswahl der Kommissionsmitglieder eingebunden?

13. Warum wurden Parlament (wenn auch nur etwa im Rahmen des „Geheimdienstausschusses“) bzw. Opposition nicht in die Auswahl der Kommissionsmitglieder eingebunden?

a.    Wer entschied dies wann?

14. Welcher Zeitplan wurde ausgearbeitet?

a.    Inwiefern wurde dieser umgesetzt?

15. Inwiefern wurde den Mitgliedern der Untersuchungskommission vollumfängliche Akteneinsicht gewährt?

16. Inwiefern wurde den Mitgliedern der Untersuchungskommission vollumfängliche Befragungen bzw. Gespräche von MitarbeiterInnen Ihres Hauses gewährt?

a.    Mit wem wurden wann Befragungen bzw. Gespräche geführt?

17. Warum wird das Parlament nicht in die Arbeit der Kommission eingebunden (wenn auch nur etwa durch Information über den Status Quo ihrer Arbeit im Rahmen des „Geheimdienstausschusses“)?

a.    Wer traf diese Entscheidung wann?

b.    Hatten Sie hinsichtlich dieser Entscheidung Kontakt mit Kanzler Kurz?

                                      i.Wenn ja, wann, und welche Position bezog Kanzler Kurz in dieser Frage?

18. Warum sollte der Bericht zunächst nicht an das Parlament gehen?

a.    Wer traf diese Entscheidung wann?

b.    Hatten Sie hinsichtlich dieser Entscheidung Kontakt mit Kanzler Kurz?

                                      i.Wenn ja, wann, und welche Position bezog Kanzler Kurz in dieser Frage?