16.07

Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten Mag. Alexander Schallenberg, LL.M.: Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten! Es wurde eingangs schon gesagt: Wir blicken auf ein wirklich bewegtes Jahr 2021 zurück, nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa und auf der ganzen Welt.

Auch das nächste Jahr verspricht, ziemlich bewegt zu sein. Es kriselt ja an allen Ecken und Enden. Denken wir nur an den Krisenbogen Nordafrika, Sahel, Nahost bis Afgha­nistan, aber auch an unsere unmittelbare Nachbarschaft! Belarus wurde schon erwähnt, und jetzt natürlich ganz besonders das Säbelrasseln – das nicht zu überhörende Säbelrasseln – Russlands an der russisch-ukrainischen Grenze. Die Lage dort ist zuneh­mend zugespitzt, angespannt und sehr beunruhigend. Ich glaube, unsere gemeinsame Aufgabe ist es, mit allen Mitteln eine Eskalation zu verhindern. Was wir auch am letzten Treffen der EU-Außenminister ganz klar gemacht haben, ist, dass wir eine rote Linie ziehen und dass wir klare Reaktionen in Form von Sanktionen zeigen werden, wenn diese Linie überschritten werden sollte. Ganz offen, Herr Abgeordneter: Nord Stream 2 gehört für mich nicht dazu, das ist für mich wie Äpfel und Birnen vergleichen. Es wäre, glaube ich, ein Schuss ins eigene Knie – aber diese Diskussion haben wir ja schon öfter geführt.

Eines aber ist richtig: Wir können nicht wegschauen. Die Ukraine, die Grenze der Ukraine, ist näher an Wien als Lech am Arlberg. Das ist eine Situation, die uns unmit­telbar betrifft. Zu allem Überdruss werden all diese Krisensituationen natürlich weiterhin von der Covid-19-Pandemie überschattet, obwohl wir ja dank der Wissenschaft nicht nur rasend schnell ein Impfmittel hatten, sondern auch genug davon in Europa zur Verfü­gung haben.

Angesichts dieser ganzen Fülle an Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert sind, braucht es eine sehr starke und eine deutlich wertebasierte Außen- und Europapolitik – und dafür steht diese Bundesregierung –, eine Außenpolitik durchaus mit Profil und Kanten, die sich nicht scheut, nationale Interessen auch nach außen hin zu vertreten, die sich nicht als Balkon am Haus der Republik sieht, sondern als integralen Bestandteil der gesamtstaatlichen Politik, Stichwort zum Beispiel Migrationspolitik, Stichwort Klima­politik. Es braucht aber auch eine Außenpolitik – das sage ich ganz klar – mit deutlicher proeuropäischer Ausrichtung, mit deutlicher Hinwendung auch zu unseren europäischen Nachbarn – Stichwort zum Beispiel Westbalkan oder die Central Five, das Slavkov-Format, die Zusammenarbeit mit unseren unmittelbaren Nachbarstaaten –, und, was mir besonders am Herzen liegt, auch die Orientierung hin zu strategischen Partnern. Das ist an erster Stelle natürlich das transatlantische Verhältnis mit den Vereinigten Staaten, aber eben auch ganz besonders – da bin ich persönlich besonders stolz darauf – unsere neue Qualität der Beziehungen mit Israel; das ist mir besonders wichtig und das werden wir auch fortsetzen. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Das sind die großen Leitlinien der Außenpolitik dieser Bundesregierung, und die werden natürlich auch im Außen- und Europapolitischen Bericht 2020 dargelegt. Ich kann all jene, die sich um den Ruf Österreichs in Europa oder international scheinbar ein bisschen fadenscheinig – Sorgen machen, wirklich beruhigen: Dieser Ruf ist nicht nur vollkommen intakt, er ist sogar gestärkt. (Beifall bei der ÖVP sowie der Abg. Voglauer.) Es ist – ich würde sogar sagen – gute Tradition seit Wolfgang Schüssel, dass die ÖVP Bun­des­kanzler stellt, die sich auf europäischer und internationaler Ebene besonders engagie­ren – wir wissen, das war ja bei anderen nicht immer der Fall –, und ich kann Ihnen garantieren, das wird bei einer ÖVP-geführten Bundesregierung auch weiterhin der Fall sein. (Beifall bei der ÖVP.)

Ich halte es sogar vielmehr für eine etwas verfehlte Annahme, die man immer wieder bei außenpolitischen Diskussionen in Österreich hört: eine gewisse Ängstlichkeit. Man fordert immer eine prononcierte Außenpolitik, und kaum hat man eine, kriegt man Angst vor dem eigenen Schatten. Wir dürfen uns nicht scheuen, dass wir – so wie andere Staa­ten auf europäischer Ebene, wie Dänemark, wie Schweden, wie Portugal – unsere eige­nen Interessen definieren und im europäischen Konzert auch einbringen. Das heißt nicht polarisieren, das heißt nicht spalten. So funktioniert Europa seit 1954, das ist ganz normale Zusammenarbeit! Am Schluss erzielt man dann einen Konsens, aber von Anfang an so zu tun, als wäre eine eigenständige außenpolitische Positionierung Österreichs eine Spaltungspolitik, halte ich für vollkommen verkehrt und nicht im Interesse der Bürger dieses Landes. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Es liegt ja heute eine ganze Reihe von Anträgen zur Diskussion auf dem Tisch, die einige der Krisenherde, die uns momentan beschäftigen, aufgreifen, wie zum Beispiel Äthio­pien, das weiterhin ein besonderer Sorgenfall für uns ist: Der Konflikt reicht weit über die Grenzen von Tigray hinaus und Berichte über massive Menschenrechtsverletzungen und Gräueltaten sind mehr als beunruhigend. Vor allem die geschlechtsspezifisch und die ethnisch motivierte Gewalt droht aus den Bruchlinien in diesem Vielvölkerstaat nicht zu überbrückende Gräben in der Zukunft zu machen. Das heißt, unser Ziel ist ganz klar, einen möglichst umgehenden Waffenstillstand und einen politischen Dialog zu erreichen. Österreich hilft auch konkret vor Ort, so wie an anderen Krisenorten. Wir haben 5 Millio­nen Euro aus dem Auslandskatastrophenfonds zur Verfügung gestellt, um das huma­nitäre Leid in Äthiopien zu lindern.

In Syrien – auch das ist ein aktuelles Thema in der heutigen Debatte – hat der seit zehn Jahren dauernde Krieg, wie wir alle wissen, mehr als deutliche Spuren hinterlassen, und es kommt leider Gottes gerade in der Region Idlib immer wieder zu brutalen militärischen Auseinandersetzungen. Auch da versuchen wir, das zu tun, was meines Erachtens immer die richtige Politik ist: vor Ort zu helfen – nicht nur darüber zu reden, sondern konkret zu helfen. Allein in diesem Jahr, 2021, hat Österreich sage und schreibe 18 Mil­lionen Euro für die Krisenbewältigung in Syrien und die Unterstützung der Flüchtlinge aus Syrien in den umliegenden Staaten – das heißt im Libanon und in Jordanien – zur Verfügung gestellt. Ich halte das für die ganz richtige Politik.

Es gibt einerseits Krisenherde, die sozusagen ein bisschen die Möglichkeit haben, die Titelseiten der Zeitungen zu beherrschen: Syrien habe ich gerade erwähnt, Äthiopien und Afghanistan gehören auch dazu. Es gibt aber andererseits natürlich auch Krisen­herde, die es weniger schaffen, mediale Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, deswegen aber nicht weniger tragisch sind, zum Beispiel Nicaragua. Dort sehen wir ja momentan ein Regime – man kann es gar nicht anders bezeichnen: das Ortega-Regime –, das sich quasi in Lichtgeschwindigkeit von allen demokratischen Standards verabschiedet. In Nicaragua haben Wahlen stattgefunden, die nicht einmal diesen Namen verdienen, bei denen im Vorfeld alle Personen mit oppositionellen und kritischen Stimmen mit Gewalt an der Teilnahme an der Wahl gehindert wurden, festgenommen wurden.

Auch da gilt es, ganz klar Position zu beziehen, und da ist es ganz klar, dass wir auf europäischer Ebene nicht tatenlos zuschauen werden. Ich halte es daher für vollkommen richtig, dass wir sehr rasch eine ganze Reihe von Personen, die sich schwerer Men­schenrechtsverletzungen schuldig gemacht haben oder die Demokratie oder Rechts­staatlichkeit in Nicaragua unterminieren, unter Sanktionen gestellt haben.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Sie sehen also, die Herausforderungen, vor denen wir stehen, sind wirklich sehr vielfältig. Gleichzeitig haben wir es in diesem Jahr aber auch geschafft, unsere Stärken als österreichische Diplomatie auszuspielen. Ich denke, das von mir schon erwähnte aktive Engagement im Rahmen der Europäischen Union und die vertrauensvollen Beziehungen mit unseren Nachbarstaaten sind wirkliche Asse in unseren Ärmeln.

Unsere Nachbarschaftspolitik hat sich gerade in der Pandemie als Sicherheitsnetz für Österreich erwiesen, und ich bin sehr stolz darauf, dass ich da wirklich auf der Arbeit vieler meiner Amtsvorgänger – das hat mit Alois Mock begonnen – aufbauen kann. Wir haben auch etwas gemacht oder weiterbetrieben, was ich für sehr sinnvoll und für sehr wichtig halte, nämlich Dialog auf Augenhöhe, nicht nur mit gleichgesinnten Partnern wie zum Beispiel den Vereinigten Staaten oder Israel, sondern auch – genauso wichtig – mit Partnern, die nicht gleichgesinnt sind, wie etwa Russland oder China. Ich denke zum Beispiel an den Besuch von Sergei Lawrow hier in Österreich im letzten Sommer.

Wenn ich jetzt Stimmen aus der Opposition höre, die die Steigerung der Entwick­lungs­zusammenarbeit und humanitären Hilfe in Zweifel ziehen, so kann ich nur sagen: Das Gegenteil ist wichtig! Und gerade auch an die Adresse der FPÖ gerichtet: Wenn wir in Zukunft Migrationsströme verhindern wollen, dann wird uns das nur gelingen, wenn wir den Menschen in den Heimatländern auch Perspektiven schaffen, wenn wir ihnen die Möglichkeit geben, in ihren eigenen Heimatorten ein Leben zu finden, sich eine Zukunft zu gestalten. Das heißt, auch schon aus diesem Aspekt heraus ist jede Steigerung von Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe ein wohlverstandenes Investment in eine wohlverstandene Interessenpolitik im Interesse der Bürger Österreichs. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Als letzter Punkt vielleicht noch von meiner Warte: Wir wissen alle, dass die Pandemie und die Bewältigung der verschiedenen Krisen, zum Beispiel in Afghanistan, enorme Kräfte gebunden haben, wir haben es als Außenministerium aber auch verstanden, den Blick nach vorne zu richten.

Ich bin in diesem Zusammenhang besonders stolz auf ein wirkliches Erfolgsprojekt: Refocus Austria. Im Zusammenwirken mit Wirtschaftskammer, Wirtschaftsministerium und Österreich-Werbung stehen wir gemeinsam im Ausland auf und stellen uns als Promoter, als Outreacher für den Wirtschafts- und Investitionsstandort Österreich dar – und das sehr erfolgreich. Am 1. Dezember hat in Berlin die bereits 100. Veranstaltung unter dem Motto Refocus Austria stattgefunden, und viele weitere werden in diesem Rahmen noch folgen. Ich bin in diesem Zusammenhang insbesondere dem Wirtschafts­ministerium und der WKO für die wirklich gelungene Zusammenarbeit im Ausland sehr dankbar. Es geht darum, dass wir dazu beitragen, dass Arbeitsplätze und die Export­wirtschaft in diesem Land gesichert werden. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

Das ist natürlich nur ein kleiner Ausschnitt der außenpolitischen Themen, die uns in den letzten zwölf Monaten beschäftigt haben, und es werden noch weitere, auch jetzt noch nicht absehbare Themen in den nächsten zwölf Monaten dazukommen. Ich freue mich auf jeden Fall auf jede weitere Diskussion hier und den Austausch mit dem Hohen Haus. – Danke sehr. (Beifall bei der ÖVP und bei Abgeordneten der Grünen.)

16.17

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Troch. – Bitte.