Abgeordneter Dr. Helmut Brandstätter (NEOS): Herr Präsident! Herr Bundeskanzler, ich möchte mit einem persönlichen Wort beginnen. Ich fand es wirklich bemerkenswert, dass Sie sagen: Ja, wir haben bei der Beantwortung dieser Dringlichen Anfrage einen Fehler gemacht, ja, wir wollen das verbessern. – Ich glaube, das soll man hier nicht ver­gessen. Das wäre dann nämlich wirklich neuer Stil, der ja versprochen war, und ich möchte das hervorheben.

Und wenn wir schon beim Persönlichen sind: Ich würde Ihnen zutrauen, eine Frage, die nicht vorformuliert ist, zu beantworten, aber das ist mehr ein Appell für eine Parlaments­reform (Präsident Sobotka weist mit einer Handbewegung auf die Reihen der Abgeord­neten), also komme ich zur vorformulierten Anfrage, die Sie kennen, aber vielleicht noch eine Vorbemerkung. (Zwischenruf des Abg. Leichtfried.– Ja, machen wir eine Reform! Machen wir eine Reform!

Im heutigen „Standard“ ist ein Interview mit dem Industriellen Stefan Pierer, in dem er sehr deutliche Kritik an der Regierung übt – er ist auch sehr enttäuscht von Ihrem Vorvor­vorgänger, aber das ist eine andere Geschichte –, und er sagt, es fehle „vorausschauen­des Denken“, das sei „besorgniserregend“.

Nun aber zu meiner konkreten Frage:

206/M

„Es wurde mehrfach die Möglichkeit eines gemeinsamen, europäischen Gaskaufs am internationalen Gasmarkt angedacht und wohl auch im Europäischen Rat besprochen. Was ist hier der Stand der Diskussionen auf EU Ebene?“

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Herr Bundeskanzler.

Bundeskanzler Karl Nehammer, MSc: Vielen Dank für die Frage, Herr Abgeordneter. Ich kann Ihre Kritik nachvollziehen. Als ich selbst Abgeordneter in diesem Hohen Haus war, habe ich das Prozedere auch für ein wenig antiquiert anmutend gehalten. Wenn es tatsächlich zu einem gemeinsamen Beschluss der Parteien hier im Hohen Haus kommt (Zwischenruf des auf Präsident Sobotka weisenden Abg. Leichtfried), um die Frage­stunde zu verändern, dann begrüße ich das (Abg. Brandstätter – auf Präsident Sobotka weisend –: Er ist auch dafür!), aber wie ich weiß, ist es für den Präsidenten eine stete Herausforderung, hier eine Einigkeit unter den im Parlament vertretenen Fraktionen zu erzielen, also ist das ein Appell an Sie selbst. (Abg. Brandstätter: Danke!) Ich freue mich darauf, wenn es reformiert und dann tatsächlich spontan ist.

Zu der Frage: Es gibt diese sogenannte Energieplattform, die seit circa zwei Wochen tatsächlich aktiv ist. Das Energieministerium hat einen Beauftragten in die Plattform ent­sandt. Wir haben das höchstmögliche Potenzial an Terawattstunden Gas eingemeldet. Das sind 50 Terawattstunden, die für Österreich da möglich waren. Die Plattform nimmt ihre Arbeit auf, operativ wird sie noch nicht spürbar, faktisch ist es aber so, dass wir bei der strategischen Reserve jetzt trotzdem handeln müssen und nicht darauf warten kön­nen, ob die Plattform uns dann tatsächlich unterstützt und uns hilft.

Ich habe es auch – das muss ich auch offen dazusagen – ein wenig eigenartig gefunden, dass die Präsidentin der Kommission die Mitgliedstaaten dazu aufgerufen hat, sich nicht gegenseitig zu konkurrenzieren. Das wäre dann nicht der Fall, würde die Plattform ar­beiten und uns schon selbst bei der Suche nach den notwendigen Gasvorkommen ent­lasten. Das heißt also, es wird einfach davon abhängen, wie schnell die Plattform ope­rativ tätig wird. Die volle Unterstützung von österreichischer Seite ist zugesichert.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage? – Bitte, Herr Abgeordneter.

Abgeordneter Dr. Helmut Brandstätter (NEOS): Ich beziehe mich noch einmal auf das Interview von Stefan Pierer. Er sagt, die Lage ist besorgniserregend, weil noch mehr Preiserhöhungen kommen werden, und das, was er da vorschlägt, ist natürlich umstrit­ten, und ich möchte wissen, was Sie dazu sagen. Er sagt, in „Krisenzeiten“ muss man „den Strompreis deckeln“, das „ist nicht so kompliziert“. – Wie sehen Sie das?

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Herr Bundeskanzler.

Bundeskanzler Karl Nehammer, MSc: Ja, da gehen die Expertinnen- und Experten­meinungen derzeit auseinander, weil Europa auch regional extrem unterschiedlich auf­gestellt ist.

Wir haben auf der Iberischen Halbinsel tatsächlich ein erfolgreiches Modell einer Preis­deckelung, das liegt aber daran, dass die Iberische Halbinsel vom internationalen Handel mit Strom deutlicher abgeschottet ist.

In Österreich ist die Herausforderung, dass wir im wahrsten Sinne des Wortes komplett vernetzt sind, ja auch selbst immer wieder Stromimporte brauchen. Aufgrund dieses Handelsvolumens führt eine Deckelung des Strompreises, die ausschließlich in Öster­reich durchgeführt würde, dazu, dass dieser billige Strom in der Sekunde international gehandelt und dann nicht den eigenen Verbrauchern zugutekommen würde. Das heißt, das Ziel ist nachvollziehbar, aus meiner Sicht auch anstrebenswert – wir diskutieren das ja auch auf Kommissionsebene, zumindest auch bei dem Thema Gas an sich oder Merit­order –, es ist aber ein total komplexes Unterfangen.

Ich kann es Ihnen nur so ehrlich beantworten, wie es tatsächlich auch im EU-Rat der Regierungschefs diskutiert wird: In Ermangelung anderer bewährter Systeme gilt derzeit noch das Vorsichtsprinzip. Ich halte das für einen Fehler, weil tatsächlich außergewöhn­liche Zeiten außergewöhnliche Maßnahmen erfordern, aber was ich zusagen kann, ist, dass sich Österreich konstruktiv an diesen Reformbemühungen des Strommarkts betei­ligt und auch da guten Lösungen nicht im Wege steht. (Beifall bei Abgeordneten der ÖVP.)

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zusatzfrage: Abgeordneter Hammer. – Bitte.

Abgeordneter Lukas Hammer (Grüne): Guten Morgen, Herr Bundeskanzler! Sie haben im Prinzip meine Frage in Ihrer Beantwortung schon vorweggenommen. Wir haben das auch in den letzten Tagen diskutiert, da haben Sie auch gesagt, man muss aufpassen, es sind sehr komplexe Probleme, gerade bei diesen Preisbildungen, vor denen wir ste­hen, und es ist natürlich sehr verlockend, da mit einfachen Antworten zu kommen, eben zum Beispiel mit einem Strompreisdeckel.

Es besteht dieses Meritordersystem der Preiszusammensetzung, bei dem sich der Strompreis immer nach dem teuersten Kraftwerk, das gerade ans Netz geht, richtet. Das ist problematisch, das sehen wir jetzt. Das hat sehr lange sehr gut funktioniert, in der aktuellen Situation ist es problematisch, weil es zu extrem hohen Preisen führt, auch wenn wir im Strommix sehr viele Erneuerbare haben.

Auch Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Sie haben es angesprochen, hat angedeutet, dass es andere Lösungen bei der Preisbildung braucht. Es braucht gesamt­europäische Lösungen, Sie sind schon darauf eingegangen. Vielleicht können Sie noch näher auf Ihre Position eingehen, darauf, was Sie da auf europäischer Ebene tun wer­den.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Bitte, Herr Bundeskanzler.

Bundeskanzler Karl Nehammer, MSc: Das Thema ist, dass die Kommission da tat­sächlich sehr engagiert ist, aber aus meiner Sicht gerade sehr viele Bälle in der Luft sind und es daher noch an konkreten Ergebnissen mangelt. Weil der Strommarkt in Öster­reich so besonders ist, wie ich es vorhin beschrieben habe, haben eben nationalstaat­liche Maßnahmen nur beschränkt Wirkung, selbst wenn man sie setzen würde, und ei­nen enorm hohen Kostenaufwand.

Das heißt, auch wenn wir die Meritorder hinterfragen und die Entkoppelung von Gas- und Strompreis erreichen, wird die Frage sein, wie das System an sich dann trotzdem, hierarchisch gesehen, mit den verschiedensten Produktionsmöglichkeiten funktionieren kann.

Die Meritorder, so wie Sie sagen, hat ja deshalb auch lange funktioniert, weil dieses System es ermöglicht hat, dass erneuerbare Energie im größeren Ausmaß indirekt geför­dert worden ist und damit auch der Ausbau stärker vorangetrieben worden ist. Das hat sich jetzt, wie Sie es auch richtig beschrieben haben, als ein nicht brauchbares Instru­ment in Zeiten der Krise gezeigt. Das heißt, es wird jetzt mit Wirtschaftsexperten, mit Energieexperten, auf europäischer Ebene darum gerungen, was ein Alternativmodell sein kann, es gibt nur derzeit keine konkreten Vorschläge.

Wir werden weiter danach trachten, auch alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die sich nationalstaatlich bieten, durch die Entlastung der Unternehmen durch die Strompreis­kompensation, durch die Entlastung der Unternehmen da, wo sie besonders energiein­tensiv sind, auch wenn es kleinere und mittlere Unternehmen sind.

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die nächste Anfrage stellt Abgeordneter Sieber. – Bitte sehr.