9.22

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Johannes Rauch: Sehr geehrter Herr Präsident! Hohes Haus! Herr Abgeordneter Muchitsch, ich mag ja seriöse Politik und seriöse Debatten. Ich danke Ihnen insofern für die Namhaftmachung dieser Aktuellen Stunde unter dem Titel „Rekordinflation: Pensionen an die aktuelle Teuerung anpassen“, deshalb lassen Sie uns das Thema auch seriös betrachten.

Wir haben die höchste Inflation seit 1975, das ist so. Viele Menschen leiden unter der Teuerung, das ist auch klar. Die Teuerung bringt viele Menschen mit geringem Einkommen in Bedrängnis – Energie, Lebensmittel, Wohnen, die Preise sind in allen Bereichen gestiegen. Es stimmt, wir haben auch Schlangen vor den Sozialmärkten. Wir haben in den Beratungseinrichtungen Menschen, die bislang dort nicht vorstellig geworden sind, die sich das auch nie haben vorstellen können. (Zwischenruf der Abg. Belakowitsch.) Wir haben Hunderttausende, die auch von den hohen Wohnkosten insgesamt betroffen sind. Die Sorgen sind spürbar, die Unsicherheit ist groß. Das betrifft übrigens jene, die ohnehin am unteren Rand der Einkommen angesiedelt sind, in ganz besonderer Art und Weise – die Mindestpensionistin, die Alleinerzieherin mit zwei Kindern, die nur Teilzeit arbeiten kann, die Kassiererin im Supermarkt und so weiter.

Jetzt sage ich an dieser Stelle etwas, das in meinen Augen viel zu wenig wertgeschätzt wird: Der Sozialstaat, den wir haben, trägt uns auch durch diese Krise, und dieser Sozialstaat ist ein Verdienst vergangener Jahrzehnte. Er ist erstritten worden, er ist erkämpft worden, er ist eine tragende Säule dieses sozialen Systems in Österreich, und er hat den sozialen Frieden in Österreich sichergestellt. Ich finde, wir sollten auch dankbar sein, diesen Sozialstaat zu haben. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Was trotz allem nicht gelungen ist – und auch das ist natürlich das Ergebnis der Politik nicht nur der letzten beiden Jahre, sondern die der letzten Jahrzehnte –: Es ist nicht gelungen, Armut zu verhindern. Im Gegenteil: Über Jahrzehnte hat sich in diesem Land, in Österreich, die Schere zwischen Arm und Reich weiter aufgetan, und es ist so – das kann man nicht wegdiskutieren –, dass heute das reichste Prozent der Menschen in Österreich mehr als die Hälfte des gesamten Vermögens besitzt. Auch das ist ein Ergebnis von Politik.

Zu den Pensionen: Die Pensionen in Österreich gehören im internationalen Vergleich, auch das ist ein Verdienst der vergangenen Jahrzehnte, zu den höchsten. Das Pensionssystem ist gut, es ist stabil, und es wird zu Unrecht schlechtgeredet. Ich möchte auch das an dieser Stelle betonen. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.) Ich halte es für verantwortungslos, den Leuten permanent den Eindruck zu vermitteln, das Pensionssystem sei am Rande eines Kollapses. Das entspricht nämlich nicht der Wahrheit.

Auch bei den Pensionistinnen und Pensionisten gibt es große Ungleichheiten, und auch das ist kein Zufall. Wenn heute Frauen insbesondere von Altersarmut betroffen sind, keine Pensionen haben, kleine Pensionen haben, dann ist das auch das Ergebnis einer Frauenpolitik, die über Jahrzehnte gemacht worden ist, die es Frauen verunmöglicht hat, am Erwerbsleben teilzunehmen, und die jetzt in der Situation sind, keine Erwerbsjahre, wenig Erwerbsjahre zu haben und sich somit in Altersarmut befinden. Auch das ist ein Ergebnis einer verfehlten Frauenpolitik in den vergangenen Jahrzehnten. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der NEOS.)

Es ist mittlerweile – und auch das ist evident – die Mitte der Gesellschaft betroffen, auch von der Teuerung.

Was ich zum Thema Seriosität auch einfordern möchte, ist, die Debatte auch unter dem Gesichtspunkt der internationalen Entwicklung zu betrachten. Es ist eine vollkommene Illusion, meine Damen und Herren, zu glauben, Österreich oder die österreichische Bundesregierung, egal in welcher Zusammensetzung, könne es alleine schaffen, Inflation und Teuerung zu bekämpfen, denn die Einflussfaktoren sind international getrieben. (Beifall bei den Grünen. Zwischen­ruf des Abg. Stöger.) Und da heute, Herr Kollege Stöger, die Teilmobilmachung in Russland verkündet wurde, so wird das auf die Teuerung in Europa und auf die Wirtschaftssituation in Europa massive Auswirkungen haben. (Zwischenrufe bei der SPÖ. – Zwischenruf des Abg. Kassegger.– Ja, Sie wissen das so gut wie ich, es ist genau so, und deshalb ist es Ihnen unangenehm, wenn ich das sage. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP. Zwischenruf des Abg. Matznetter.)

Jetzt zu den Maßnahmen, die die Bundesregierung ergriffen hat (neuerlicher Zwischenruf des Abg. Matznetter): Von Einmalzahlungen zu reden halte ich für etwas frivol (Abg. Stöger: Wasserkraft kostet nichts!), und für noch frivoler halte ich es, zu sagen, diese würden nicht wirken. (Abg. Matznetter: Frivol ist das, was ...!) Ich werde es Ihnen an einem Beispiel erläutern (Zwischenrufe bei der SPÖ – Präsident Sobotka gibt das Glockenzeichen): Zu behaupten, dass es einer Alleinerzieherin mit zwei Kindern, die von diesen Entlastungen mit 2 600 Euro profitiert, nichts nützt, ist frivol (Beifall bei Abgeordneten von Grünen und ÖVP); zu sagen, wenn eine Pensionistin, ein Pensionist, die oder der eine Ausgleichszulage bezieht, 969 Euro im Monat hat, jetzt von diesen Entlastungszahlungen, von diesen Direktzahlungen in der Größenordnung von 1 450 Euro profitiert, dass das nicht wirkt, ist frivol (Beifall bei Grünen und ÖVP); oder zu sagen, dass, wenn ein männlicher Pensionist mit einer Durchschnittspension von 1 598 Euro 1 338 Euro bekommt, das nichts nützt, ist frivol. In welcher Welt leben Sie? (Zwischenrufe bei der SPÖ.)

Das sind Beträge (Beifall bei Grünen und ÖVP), die diese Menschen in die Lage versetzen, ihre Rechnungen zu bezahlen, meine Damen und Herren. Das ist Soforthilfe, die jetzt wirkt, jetzt ankommt, und die lassen wir uns nicht klein­reden. (Zwischenruf des Abg. Matznetter.) Reden Sie mit den Menschen! Reden Sie mit den Leuten, die diese Zahlungen jetzt bekommen (Zwischenrufe der Abgeordneten Belakowitsch und Wurm), die jetzt in der Lage sind, ihre Rech­nun­gen zu bezahlen! (Präsident Sobotka gibt neuerlich das Glockenzeichen.) Und ja, die Erhöhung, die Anpassung der Sozialleistungen an die Teuerung, die Valorisierung der Sozialleistungen, die kein roter Sozialminister in dieser Republik in den letzten 30 Jahren zustande gebracht hat, ist eine Errungenschaft, von der Menschen in der Zukunft noch jahrzehntelang profitieren werden. (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie Bravoruf der Abg. Disoski.)

Zur Pensionserhöhung: Die Pensionserhöhung in Zeiten der Teuerung ist eine berechtigte, notwendige Forderung, die auch in einer Höhe stattfinden muss, die die Inflation abgilt, und genau das ist im gesetzlichen Modus auch vorgesehen. Es gibt einen Durchrechnungszeitraum für die Inflation von der Mitte des vergangenen Jahres bis zu Mitte des heurigen Jahres, daraus ergibt sich ein Anpassungsfaktor von 5,8 Prozent. (Abg. Belakowitsch: Bei einer Inflationsrate von 9,3!) Die Forderung der Pensionistinnen und Pensionisten ist höher, das wissen wir. Es sind die Gespräche dort auch im Gange, bei den Ausgleichszulagenbezieher:innen, bei den kleinen Pensionen die Anpassungen auch höher zu machen. Diese Gespräche laufen.

Aber um jetzt die Balance zu halten, muss ich Ihnen schon auch sagen – und dieser Einwand oder jedenfalls dieser Hinweis ist ja nicht unberechtigt –, dass sich eine Erhöhung um 5,8 Prozent im Budget strukturell mit 2,8 Milliarden Euro niederschlägt. (Zwischenruf des Abg. Matznetter.) Wenn man verlangt, es müssten 8, 9, 10 Prozent sein, dann heißt das strukturell im Budget: 4, 4,5 Milliarden Euro. Das ist enorm viel Geld. Das muss auch irgendwann wieder eingenommen und ausgeglichen werden. (Zwischenrufe bei der SPÖ.) Es ist auch eine Verantwor­tung einer Bundesregierung, auf einen Haushalt zu achten, der auch darstellbar ist, auch für die Zukunft. Dazu stehe ich auch.

Wie gesagt, die Gespräche darüber, wie die Pensionsanpassung stattfinden wird, laufen jetzt. Wir glauben, dass wir eine Erhöhung zustande bekommen, die gut argumentierbar, die gut vertretbar ist, auch in der Ausgewogenheit, die darauf Rücksicht nimmt, wie die Situation der Pensionistinnen und Pensionisten ist, die darauf Rücksicht nimmt, dass man eine Unterscheidung machen muss, ob jemand eine Mindestpension bekommt, eine Ausgleichszulage bezieht, eine besonders kleine Pension hat oder ob jemand ohnehin auch in der Pension schon sehr gut ausgestattet und angesiedelt ist.

Was die Bekämpfung der Teuerung und die Maßnahmen der Bundesregierung insgesamt angeht, haben wir immer gesagt: Ja, es wird auch strukturelle Maßnahmen brauchen und es wird, sage ich dazu, auch auf europäischer Ebene Maßnahmen brauchen. Ursula von der Leyen hat auf europäischer Ebene angekündigt (Abg. Bösch: Oje!) – und das hat schon Auswirkungen gehabt –, die Energiemärkte, die Strommärkte, die Gasmärkte regulierend zu begleiten.

Anders wird es nicht gehen, ich sage Ihnen nämlich Folgendes: Es wird keiner Regierung, keinem Nationalstaat auf europäischer Ebene möglich sein, auf Dauer Preissteigerungen und Preisentwicklungen, die wir jetzt auf den Strommärkten und den Energiemärkten haben, aus den eigenen Budgets zu alimentieren. Das wird sich nicht ausgehen – Punkt! (Abg. Deimek: ... das ignorieren Sie schon wieder sträflich!)

Das heißt, es braucht Eingriffe dort, wo der Markt reguliert wird; die sind notwendig. Das ist auf europäischer Ebene angegangen worden, und insofern glaube ich, dass da jedenfalls in den nächsten Wochen die Debatte noch deutlich intensiver werden wird. – Danke schön. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

9.32

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Klubobmann Wöginger. – Bitte sehr.