10.49

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ): Herr Präsident! Sehr geehrte Mitglie­der der Bundesregierung! Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Herr Abgeordneter Lindner hat mir noch aufgetragen, die Schü­ler:innen der Mittelschule Weißenbach an der Enns recht herzlich zu begrüßen: Schön, dass Sie und alle anderen bei dieser Europadebatte anwesend sind! (Allgemeiner Beifall.)

Der regelmäßige Austausch der nationalen Parlamente innerhalb der Europäi­schen Union mit dem Europäischen Parlament und mit der Präsidentin des Europäischen Parlaments ist meines Erachtens ein wesentlicher Bestandteil des politischen Handelns und des politischen Agierens. Für Österreich war und ist es so, dass der Beitritt unter Bundeskanzler Franz Vranitzky und Außenminister Alois Mock ein wesentlicher Teil seiner Geschichte und ein wesentlicher Teil seines politischen Verständnisses ist.

Österreich hat sich immer als ein Mitgliedstaat verstanden, der Europapolitik aktiv mitgestalten möchte, der Engagement und Aktivität als Bestandteil seiner europäischen Politik gesehen hat. Europapolitik soll kein Lippenbekenntnis sein, Europapolitik soll aktives Gestalten und nicht Verwalten sein. Ich denke, Österreich ist einer jener Staaten, die dieses Prinzip schon relativ gut gelebt haben, obwohl es natürlich auch immer wieder Bedarf an Verbesserung gegeben hat.

Es ist ja so viel zu tun in Europa. Es ist so viel zu tun in der Europäischen Union. Die EU muss souveräner, demokratischer und transparenter werden. Wir müssen unseren Industriestandort sichern. Wir müssen dafür sorgen, dass in Europa beispielsweise wieder Medikamente produziert werden, die ausreichen, um Europa zu versorgen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir weniger energieabhängig werden.

All das sind Dinge, die aktives europäisches Handeln und aktives europäisches Gestalten brauchen, die die Unterstützung der Mitgliedstaaten brauchen. Frau Präsidentin, ich glaube, ich kann für die meisten hier sprechen und sagen, dass es die Intention von uns allen ist, da etwas weiterzubringen. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abgeordneten Steinacker und Neßler.)

Ich glaube aber – Sie haben es angesprochen, Sie haben die Bürgerinnen und Bürger Europas angesprochen –, das Wesentliche bei allem Handeln, das Wesentliche im Umgang mit der Europäischen Union, das Wesentliche bei dem, was die Europäische Union tut, ist, dass jeder einzelne Bürger und jede Bürgerin das Gefühl hat: Dieses Europa nützt mir etwas, ich bin froh, Mitglied der Europäischen Union oder Bürgerin oder Bürger der Europäischen Union zu sein.

Ich habe schon das Gefühl, dass da noch Handlungsbedarf ist, beispielsweise bei der Steuergerechtigkeit: Es ist bis jetzt nicht gelungen, zu verhindern, dass große internationale Konzerne Steuerlücken nützen, während die Bürgerinnen und Bürger Europas brav ihre Steuern abliefern müssen. (Beifall bei der SPÖ.)

Bei der sozialen Gerechtigkeit: Es ist bis jetzt nicht gelungen, zu verhindern, dass beispielsweise Kollektivvertragsbestimmungen durch Scheinfirmengeflechte verletzt werden, dass das Sozialversicherungsrecht verletzt wird oder dass es zu Lohndumping kommt. Das ist auch etwas, das die Europäische Union – und nur die Europäische Union – angehen muss. Ich denke, auch da ist es hoch an der Zeit. Wenn wir wollen, dass die Bürgerinnen und Bürger das Gefühl haben, Europa nützt uns etwas, dann sind diese Dinge auch anzugehen. Europa muss gerecht und fair werden, geschätzte Damen und Herren. (Beifall bei SPÖ und Grünen, bei Abgeordneten der ÖVP sowie des Abg. Scherak.)

Frau Präsidentin, Sie haben auch den Überfall, den schrecklichen Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine angesprochen. Ich kann Ihnen sagen: Unsere vollste Solidarität gilt der ukrainischen Bevölkerung, und unsere vollste Solidarität gilt auch dem entschlossenen Handeln der Europäischen Union.

Wir haben gesehen, dass ein geeintes Europa Dinge bewegen kann. Es gibt etwas, was zu tun ist; ich sage das auch ganz offen. In Europa gilt das Prinzip: Es gilt nicht das Recht des Stärkeren, sondern es gilt die Stärke des Rechts. Europa hat dazu beizutragen, dass das auch im Völkerrecht so ist. Es darf auch inter­national nicht das Recht des Stärkeren gelten, sondern die Stärke des Rechts, geschätzte Damen und Herren. (Beifall bei der SPÖ sowie der Abg. Voglauer.)

Es ist lange her, da war ich noch ein junger Mann. (Allgemeine Heiterkeit.) – Das ist wirklich lange her. – Ich habe da einmal eine Diskussion geleitet, da hat es noch die Sowjetunion gegeben (allgemeine Heiterkeit), und da waren der amerikanische und der sowjetische Botschafter. Der Titel dieser Diskussion hat geheißen: Europa von außen – wie sehen die die Europäische Union? Ich habe die Frage gestellt: Was meinen Sie, geht das eher in Richtung Staatenbund oder Bundesstaat, oder was wird es?

Der sowjetische Botschafter hat etwas ganz Interessantes gesagt, er hat gesagt: Diese Frage stellt sich nicht. Europa ist etwas, was es in der gesamten Weltgeschichte noch nie gegeben hat. Deshalb ist es auch etwas, das etwas ganz Besonderes werden wird. – Tragen wir dazu bei, dass es wirklich etwas Besonderes wird, geschätzte Damen und Herren! (Beifall bei SPÖ und Grünen sowie bei Abgeordneten der ÖVP.)

10.55

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Frau Abgeordnete Fürst. – Bitte.