11.35

Abgeordneter Dr. Nikolaus Scherak, MA (NEOS): Herr Präsident! Frau Präsidentin! Herr Vizekanzler! Damen und Herren auf der Regierungsbank! Vielen Dank, Frau Präsidentin, dass Sie heute hierher nach Österreich gekommen sind und uns, wie ich glaube, wieder sehr klar gezeigt haben, dass die großen Herausforderungen, die insbesondere die nächsten Generationen betreffen, nur gemeinsam in einer Europäischen Union gelöst werden können.

Sie haben heute sehr augenscheinlich miterleben dürfen, wie der Populismus der FPÖ hier auch versucht, einfache Lösungen zu propagieren. (Abg. Kickl: Ah, das ist kein Populismus, dass die große Aufgabe, die große gemeinschaftliche Herausforderung nur gemeinsam gelöst werden kann? Das ist kein Populismus?) Das Problem ist leider, Frau Präsidentin – und deswegen bin ich sehr froh, dass Sie hier sind und dieses Gemeinsame angesprochen haben –, dass der Populismus nicht nur bei der FPÖ beheimatet ist, sondern dass auch so manch andere Partei im österreichischen Parlament oder in der österreichischen Regierung teilweise den einfachen populistischen Lösungen aufsitzt, wie beim Thema Schengen­erweiterung, wie beim Thema Freihandel. (Abg. Kassegger: Also das ist kein Populismus?) Insofern ist es wichtig, dass Sie hierher kommen und uns noch einmal klarmachen, dass es gemeinsame europäische Lösungen braucht. (Beifall bei den NEOS. – Abg. Kickl: Das ist auch Populismus!)

Ich glaube, eine der wesentlichen Herausforderungen – und die haben Sie auch angesprochen – ist die Frage, wie wir unseren Wohlstand auch für die nächsten Generationen erhalten können. Es ist in einer Zeit wie dieser, in der wir mit einer massiven Teuerung konfrontiert sind, mit einer Inflation konfrontiert sind und noch viele andere Herausforderungen zu bewältigen haben – wir in Österreich insbesondere den enormen Fachkräftemangel –, sehr wichtig, dass wir darüber sprechen, wie wir das weiterhin schaffen können.

Wir leben in einem Land, das noch enormen Wohlstand hat, aber wie Sie richtig gesagt haben, müssen wir vorausschauend denken, in die Zukunft denken und uns überlegen, wie wir gemeinsam, als Österreich in einer starken Europäischen Union, diesen Wohlstand für die nächsten Generationen erhalten können.

Ich bin überzeugt davon, dass es nichts Besseres gibt, als auf einem Kontinent zu leben, auf dem Demokratie herrscht, auf dem Menschenrechte geschützt werden, auf dem uns ein Leben in Freiheit ermöglicht wird, aber, und das ist sehr wichtig, wir dürfen diese Werte der Europäischen Union nicht als etwas Gegebenes und als etwas für immer da Seiendes annehmen, denn wir wissen – das wurde ja auch schon angesprochen –, dass es immer mehr autokratische Staaten gibt, die leider großen Zuspruch bekommen, nicht nur in den eigenen Staaten, sondern auch innerhalb von Europa. Es gibt immer wieder Parteien, die das Modell China, die das Modell Russland offensichtlich als etwas Besseres empfinden als das europäische Modell.

Wenn wir unseren Wohlstand erhalten wollen, dann müssen wir versuchen, dass wir uns auf internationaler Ebene so stark wie möglich aufstellen und versuchen, unsere Werte und unsere Standards auch in die Welt hinauszubringen.

Vor ein paar Wochen war der österreichische EU-Kommissar Gio Hahn hier im Parlament und hat anlässlich des Europatages auch davon gesprochen, wie wir denn die Verhandlungsmasse der Europäischen Union in die Welt bringen. Er hat in diesem Zusammenhang sehr eindrücklich vom Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und Japan berichtet. Gleichzeitig mit dem Brexit hat die Europäische Union dieses Freihandelsabkommen mit Japan abgeschlossen, und Boris Johnson hat dann der eigenen Bevölkerung in Groß­britannien irgendwie vermittelt, na ja, er wird auch solch ein Abkommen abschließen. – Denkste!, kann man nur sagen. Die Japaner haben sich gedacht: Ja, das ist ganz nett, wir werden auch ein Abkommen mit England abschließen, aber natürlich zu ganz anderen Bedingungen als mit der Europäischen Union, weil Großbritannien viel weniger Einwohner als Japan hat.

Genau deswegen ist es so wichtig, dass wir als Europäische Union unseren Verhandlungsspielraum auch so einnehmen, wie wir ihn einnehmen können, und versuchen, unsere Standards international zu setzen, denn wenn wir sie nicht setzen, dann werden sie andere setzen. (Beifall bei den NEOS.)

Ich halte das deswegen für so essenziell, weil wir an einem gewissen Wende­punkt sind. Wenn wir das nicht jetzt machen, dann werden nach und nach autoritäre Staaten noch mehr an Einfluss gewinnen und versuchen, auf der ganzen Welt noch mehr andere Standards zu implementieren. Deswegen halte ich dieses populistische Nein Österreichs zum Mercosur-Abkommen auch für besonders gefährlich.

Wir, die meisten österreichischen Parteien, werden hier von einer Kleingeistig­keit vorangetrieben – einerseits von einer populistischen Kleingeistigkeit der FPÖ, von einer protektionistischen Kleingeistigkeit des Bauernbundes, von einer Ängstlichkeit der Gewerkschaft, ohne dass offensichtlich irgendjemand begreift (Abg. Berlakovich: Frechheit!), dass es, Herr Kollege, essenziell ist, dass wir unsere Standards in die Welt exportieren, dass wir unsere ökologischen, sozialen Standards in die Welt exportieren, denn wenn wir es nicht machen, dann wird es diese Standards schlichtweg nicht geben. (Beifall bei den NEOS.  Abg. Meinl-Reisinger: ... sind die Chinesen eh dort!)

Sie vergessen dabei immer, dass Handel Wohlstand schafft, dass Handel Freiheit schafft, dass Handel Arbeitsplätze schafft, und die populistische Kleingeistigkeit tut nichts davon. (Abg. Berlakovich: Aber Handel bedeutet auch ...!)

Wir müssen uns jetzt entscheiden, Herr Kollege Berlakovich! Wir müssen uns jetzt entscheiden, in welcher Welt wir leben wollen. Wollen wir in einer autokra­tischen Staatenwelt leben, in einer Idee des chinesischen Überwachungsstaats, oder wollen wir in einem freien, demokratischen Europa leben, das seine Werte exportiert? Und wir werden das nur dann schaffen, wenn wir Abkommen mit anderen Ländern schaffen und nicht der populistischen Kleingeistigkeit anheim­fallen. (Beifall bei den NEOS sowie der Abg. Steinacker.)

11.41

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Die Debatte ist damit geschlossen, da keine Wortmeldung dazu mehr vorliegt.

Ich darf mich bei der Frau Präsidentin ganz herzlich bedanken. Sie darf mit ihrer Premiere erstens einmal miterleben, wie breit und wie vielschichtig der österreichische Nationalrat das Thema Europa letzten Endes diskutiert und in dieser Breite auch Österreich repräsentiert.

Ich denke, dass ein gemeinsames Bekenntnis zu Europa ein starkes und ein verlässliches ist, und auf den Nationalrat können Sie sich in dieser Form auch verlassen.

In diesem Sinne: Herzlichen Dank für Ihr Kommen! (Anhaltender Beifall bei ÖVP, SPÖ, Grünen und NEOS.)