12.18

Abgeordneter Philip Kucher (SPÖ): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Alle von uns, die mitten in der Coronakrise sozusagen die politische Bewertung vorgenommen haben, haben in unzähligen Wortmeldungen parteiübergreifend immer wieder die große Bedeutung der Pflege zum Ausdruck gebracht und haben von sehr, sehr viel Wertschätzung gesprochen.

Umso enttäuschender ist es für mich, dass heute hier in diesem Haus ÖVP, Grüne und FPÖ gemeinsam ein Zeichen dahin gehend setzen: Das, was die Menschen Tag und Nacht in der Pflege leisten, die Meinung und das Fachwissen dieser Personen sind uns völlig egal. Obwohl sämtliche Lehrstühle in Österreich im Bereich der Pflegewissenschaft, alle Fachgesellschaften im Bereich der Pflege, alle Menschen, die tagtäglich damit zu tun haben, im Bereich der Aus­bil­dung vor einer Pflegelehre in Österreich warnen, gibt es hier im Parlament Parteien, die sagen: Wir wissen es besser! Die Meinung der Menschen in der Pflege ist diesen Parteien völlig egal.

Herr Wirtschaftsminister, ich sage das ganz offen: Wenn in Österreich alle Ärztinnen und Ärzte, alle medizinischen Fachgesellschaften vor einer Operation warnen würden, würden Sie dann drüberfahren? Hätten Sie dann den Mut, als Wirtschaftsminister zu sagen: Ich weiß es besser!? Im Bereich der Pflege machen Sie genau das. Können Sie mir eine einzige Fachgesellschaft, einen einzigen Lehrstuhl für Pflegewissenschaft nennen, die das, was Sie jetzt machen wollen, begrüßen?

Von der ÖVP kam heute der Vorschlag: Probieren wir es halt einmal, schauen wir uns an, was wir bei der Pflege machen können! – Das ist genau der Zugang, den wir nicht brauchen. Wir wissen doch alle selber, und gerade die Grünen wissen es und der Gesundheitsminister am allerbesten, dass das, was diese Regierung heute hier vorlegt, nicht richtig ist, dass es nicht richtig ist, den Personalmangel jetzt mit einer Pflegelehre zu bekämpfen. (Beifall bei der SPÖ.)

Das würde man sich in keinem anderen Bereich trauen, aber in der Pflege fährt man über die Menschen in diesem Bereich drüber. Die Freiheitlichen sind ganz vorne mit dabei. Christian Ragger ist seit Jahren einfach der Meinung, wir brauchen eine Pflegelehre. (Abg. Ragger – Beifall spendend –: Bravo! Jawohl! Endlich haben wir das richtig erkannt!) Lieber Christian Ragger, vielleicht wäre es einfach sinnvoll, dass du reingehst in ein Pflegeheim und mit den Menschen redest, die dort arbeiten. (Abg. Ragger: Im Gegensatz zu dir habe ich 64 angesehen!) Die werden dich alle mit dem nassen Fetzen davonjagen, weil du von der Praxis keine Ahnung hast. Das ist leider die Lebensrealität, lieber Christian Ragger. Niemand würde, wenn wir bei der Polizei einen Personalmangel haben, auf die Idee kommen (Ruf bei der FPÖ: Keine Ahnung! Keine Ahnung!), zu sagen: Stecken wir 15-, 16-jährige Burschen und Mädels in eine Polizeiuniform und schaffen wir so eine Ausbildungsmöglichkeit, eine Lehre für Polizistinnen und Polizisten! – Bei der Pflege machen wir es auf einmal. (Zwischenruf des Abg. Obernosterer.)

Wie kann man 15-, 16-jährigen Menschen eine derartig wichtige Aufgabe aufbürden, wenn es viele, viele Alternativen gibt, eine Aufgabe, bei der man alle Phasen des Lebens abdecken muss: von der Betreuung von Babys auf der neonatologischen Intensivstation, die instabil sind, über schwer kranke onko­logische Patienten bis hin zu demenzkranken Patienten und Patientinnen auf der Geriatrie? All das bedeutet Pflege!

Alle Fachgesellschaften warnen davor, und die einzige Antwort der ÖVP ist: Muss man halt ein bisschen probieren! – Das aber kostet Vertrauen. Wir sind in Österreich in einer dramatischen Situation. Wir haben in einem massiven Ausmaß Bettensperren quer durch ganz Österreich, weil nicht nur Ärztinnen und Ärzte fehlen, sondern weil vor allem die Pflegekräfte fehlen. Wenn ihr nicht einmal bereit seid, den Menschen, die heute vor der Entscheidung stehen und sich überlegen, ob sie die Ausbildung in der Pflege beginnen oder nicht, wenn ihr nicht einmal den Respekt habt, ihnen zuzuhören und ihre Meinung wertzu­schätzen, was ist das für ein Zugang der Politik, um Menschen Hoffnung zu geben?

Gerade die Grünen müssten dazu etwas sagen. Ich weiß, dass Kollegin Ribo in diesem Bereich lange Zeit dagegen gekämpft hat. Da ist leider Kollegin Maurer umgefallen (Abg. Ribo schüttelt den Kopf) und hat mit August Wöginger hier fachfremd eine Entscheidung getroffen. Das gehört dann leider dazu, aber du weißt, dass das ein Fehler ist. (Abg. Disoski: Ich weiß, dass du Blödsinn redest!)

Und dann kommen die Beispiele, und dann heißt es: Machen wir das, was die Schweizer machen! – Dort beträgt die Drop-out-Rate 50 bis 60 Prozent! Wir haben jede Menge Ausbildungsmöglichkeiten im Bereich der Pflege (Abg. Ragger: Du musst deine Artikel zu Ende lesen!) und übernehmen aus der Schweiz ein Modell, das dort nicht funktioniert, und sagen, wir machen das, obwohl inter­national der Trend in eine ganz, ganz andere Richtung läuft.

Ich bitte wirklich: Wenn wir von Respekt sprechen, wenn wir von Respekt gegenüber Menschen sprechen, die in der Pflege arbeiten, dann kann man nicht drüberfahren. Es gibt keine einzige Fachgesellschaft, die diesen Vorschlag der Regierung begrüßt, keine einzige! Die können ja nicht alle falsch liegen. Die Leute, die Tag und Nacht für Patientinnen und Patienten da sind, sagen alle, dass das ein Fehler ist.

Es sitzt auch nicht der Gesundheitsminister hier, sondern es hat der Wirtschafts­minister diese Frage an sich gerissen. Der Wirtschaftsminister entscheidet das plötzlich! Das kann ja kein Zugang sein. (Abg. Obernosterer: Märchenstunde ist schon fertig!) Er hat beim Begutachtungsverfahren den Architektenverein um eine Stellungnahme zur Pflegelehre gebeten und er hat den Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverband vergessen, weil er nicht einmal weiß, wer die Menschen sind, die in diesem Bereich tätig sind. Er wird auch keine einzige Fachgesellschaft nennen können, die sagt, dass sein Vorschlag sinnvoll ist. Es gibt verheerende Stellungnahmen! (Abg. Michael Hammer: Ah geh!)

Man kann ideologisch der Meinung sein, und als Sozialdemokrat werde ich immer für die Lehre sein, aber wenn man es sich in der Praxis anschaut, dann wird klar (Abg. Michael Hammer: Ihr seid einfach gegen alles derzeit!): Es braucht die Mischung aus Theorie und Praxis. – Und welchen Sinn soll es denn machen, zu sagen, die ersten zwei Jahre arbeitet man eh nicht am Patienten? Was hat denn das mit Praxisbezug zu tun? Und, noch einmal: Wir reden da von schwer kranken Menschen. Wenn wir das jungen Menschen von 15, 16 Jahren aufbürden und dann eine Drop-out-Rate haben wie in der Schweiz, wo 50 bis 60 Prozent aufhören (Abg. Ragger: Das stimmt nicht! – Ruf bei der SPÖ: Was stimmt nicht?), dann werden diese Menschen nie mehr in der Pflege tätig sein (Abg. Ragger: Dann lies deine Berichte fertig!), und wir verlieren all diese Menschen.

Ich bitte also noch einmal: Wenn ihr von Respekt gegenüber der Pflege redet, dann hört den Menschen zu, die Tag und Nacht am Krankenbett für uns alle da sind! (Beifall bei der SPÖ.) Bitte stoppt die Pflegelehre! Finden wir andere Alternativen, und gehen wir wirklich einen gemeinsamen Weg mit den Men­schen, die es besser wissen! (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Michael Hammer: Das ist kein Klubobmannformat! – Ruf bei der ÖVP: ... sich einmal aufschulen lassen dort! – Abg. Obernosterer: Ich hab’ noch nie was Gescheites gehört vom Kucher! – Abg. Kucher – auf dem Weg zu seinem Sitzplatz –: Aber jetzt kannst du einmal nachdenken! – Abg. Obernosterer: Denk einmal du nach: Mea culpa!)

12.24

Präsidentin Doris Bures: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Eva-Maria Himmelbauer.