12.38

Abgeordneter Josef Muchitsch (SPÖ): Frau Präsidentin! Herr Bundesminister! Wenn man Abgeordnetem Christian Ragger jetzt zugehört hat, hat man schon auch zwischen den Zeilen lesen können, dass es für das, worum es hier geht – diese ganze Problematik im Pflegebereich zu lösen –, einfach zu wenige Schritte gibt und dass das, was gestern als sogenannter Teil zwei einer angeblichen Pflegereform präsentiert wurde, eindeutig zu wenig ist.

Von einem Teil zwei der Pflegereform kann man allerdings nicht sprechen. Das sagt jetzt nicht der Muchitsch, das sagt die Frau Direktorin der Diakonie, Maria Katharina Moser, und sie sagt weiter, diese Maßnahmen seien „lediglich als Ergänzungen zum Reformpaket 2022“ zu bewerten. Frau Moser sagt weiter: „Was fehlt, ist der Blick aufs Ganze, ein Herumdoktern an Einzelmaßnahmen ist zu wenig.“

Genau so ist jetzt auch die Situation mit der Pflegelehre: Hier wird etwas zu präsentieren versucht, das die ganz große Lösung sein soll. Während die Personalnot in den Pflegehäusern und in den Spitälern immer größer wird und die Personalsituation dort immer dramatischer wird, beschränken Sie sich darauf, eine Pflegelehre mit einer längeren Ausbildung einzuführen, und sagen: Damit werden wir das Problem schon besser lösen können! – Das ist nicht unser Ansatz, und wir werden deswegen auch gegen diesen Entwurf stimmen, und ich sage Ihnen auch warum.

Wir lehnen das wirklich ab, weil es ausreichende Alternativen und bestehende Strukturen gibt. Junge Menschen haben nach Abschluss der allgemeinen Schulpflicht die Möglichkeit, Fachschulen mit dem Schwerpunkt Gesundheit und Soziales zu besuchen und danach die klassische Ausbildung in der Pflegeassis­tenz im Rahmen von ein bis zwei Jahren zu machen. Genau dort müssen wir ansetzen und genau dort müssen wir auch investieren, weil das Sinn macht. Dort gibt es bestehende Strukturen, die bereits funktionieren. (Beifall bei der SPÖ.)

Ein weiterer Kritikpunkt: Ihr Gesetzentwurf sieht keine Durchlässigkeit und Anrechnung der Pflegelehre vor, wenn man in eine andere Ausbildungsform umsteigen möchte. Was heißt das jetzt zum Beispiel? – Ein junger Mensch macht die Ausbildung zur Pflegefachassistenz, so wie Sie es vorschlagen, aber der junge Mensch schafft diese Ausbildung nicht und möchte dann in die Pflegeassistenz umsteigen. Das ist bei diesem Gesetzentwurf nicht möglich. Wenn ich da auf die Unternehmerseite schaue: Wir haben über 200 Lehrberufe in Österreich, bei denen es beim Umstieg in andere verwandte Lehrberufe eine Anrechnung gibt. Bei diesem Beruf habt ihr es nicht gemacht. Warum habt ihr das nicht gemacht? Warum ist das nicht möglich?

Das Schweizer Modell ist schon angesprochen worden. Ob das Schweizer Modell jetzt von Christian Ragger oder von Philip Kucher richtig dargestellt wurde – wisst ihr, was das Wesentliche ist? Und da hat Philip Kucher recht: Redet mit den Menschen, die schon jahrzehntelang in der Pflege tätig sind! (Abg. Kassegger: Und das tut der Ragger nicht, oder was? – Abg. Kucher: Nein, er weiß es ja besser, er muss ja nicht zuhören! – Abg. Kassegger: Das tut er nicht, der ist 15 Jahre - -! Was soll das?! – Abg. Ragger: Das stimmt ja nicht! Dann geh mit mir in ein Pflegeheim! – Abg. Kassegger: Dann geh einmal mit ihm mit!) Redet mit diesen Menschen und fragt sie, was sie von eurem Vorschlag eines Lehrberufs in der Pflege halten!

Christian Ragger, weißt du, was eine 55-jährige Pflegerin zu mir gesagt hat? – Die war auf Besuch, als wir da unten diskutiert haben, und die hat gesagt: Es ist schön, wie ihr über Pflegebonus, über Zusatzurlaubswochen diskutiert, das ist alles schön, aber wisst ihr, was das Wichtigste ist? – Wir brauchen mehr Pflegekräfte (Ruf bei der ÖVP: Eben!), aber nicht in Form von jungen Menschen, die da hineingedrängt werden (Abg. Obernosterer: Ach so! Sollen wir 30-Jährige herzaubern?), die das psychisch und physisch nicht schaffen. (Beifall bei der SPÖ.) Die schaffen das nicht, und das ist die Botschaft. (Abg. Ragger: ... Pflegeheime in der Steiermark sind halb leer!)

Wir brauchen insgesamt in der ganzen Pflegeproblematik – du hast es angeschnitten – wirklich wirksame Maßnahmen. Ich bringe daher folgenden Entschließungsantrag ein:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Philip Kucher, Kolleginnen und Kollegen betreffend „endlich wirksame Maßnahmen gegen den Pflegepersonalmangel setzen“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz und der Bundesminister für Finanzen werden aufgefordert, umgehend Maß­nahmen zur Verbesserung der Personalsituation im Pflegebereich zu ergreifen. Insbesondere muss eine echte Ausbildungsreform angegangen werden, indem die Ausbildung zu einem Pflegeberuf, ähnlich anderen Ausbildungen (z.B. Polizei), durch echte Entlohnung attraktiviert und eine Arbeitsplatzgarantie nach der Ausbildung geschaffen wird. Die Ausbildungsplätze müssen aufge­stockt und kostenfrei gestellt werden. Zusätzlich müssen weitere finanzielle Mittel für höhere Entlohnung und Verbesserungen der Arbeitsbedingungen für das Pflegepersonal zur Verfügung gestellt werden.“

*****

Wenn ihr diesem Antrag zustimmt, dann geht in der Pflegegeschichte wirklich etwas weiter. (Beifall bei der SPÖ. – Abg. Obernosterer: Das kann ich mir vorstellen! ...!)

12.44

Der Antrag hat folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Philip Kucher, Josef Muchitsch, Genossinnen und Genossen

betreffend endlich wirksame Maßnahmen gegen den Pflegepersonalmangel setzen

eingebracht im Zuge der Debatte zum Bericht des Wirtschaftsausschusses über ein Bundesgesetz, mit dem das Berufsausbildungsgesetz und das Gesundheits- und Krankenpflegegesetz geändert werden (2037 d.B.)

Rund ein Jahr nach dem Beschluss der, von der Regierung als größte der letzten Jahrzehnte bezeichneten, Pflegereform wird klar: das kann doch nicht alles sein, jetzt muss es dringend weitergehen. Es braucht langfristige Lösungen, eine Harmonisierung der Pflegelandschaft in Österreich sowie eine Personal- und Ausbildungsoffensive, denn die Pflegekrise ist nicht beendet.

Die Sicherstellung einer menschenwürdigen und hochwertigen Pflege nach dem Stand der Pflegewissenschaft und Medizin sowie die Unterstützung von pflegebedürftigen Menschen und deren Angehörigen müssen in Österreich höchste Priorität haben. Nach der Bevölkerungsprognose wird der Anteil der über 80-Jährigen bis zum Jahr 2030 von derzeit 5 Prozent auf 6,8 Prozent angestiegen sein. Bedingt durch diese Verschiebung der Altersstruktur in der Bevölkerung sagen sämtliche Studien und Prognosen für die nächsten Jahre einen steigenden Bedarf an Pflegepersonen voraus.

In unserer alternden Gesellschaft steigt der Bedarf schneller als Absolventen der Pflegeausbildung nachrücken. Bis 2030 werden 75.000 bis 100.000 Pflege- und Betreuungskräfte fehlen, außerdem steht auch in diesem Fachbereich eine Pensionierungswelle an.

Die Pandemie hat zusätzlich die Dropout-Quoten ansteigen lassen und die Teuerung hat pflegende Angehörige vor weitere Herausforderungen gestellt. Ziel muss es sein, möglichst viele Menschen für die Pflege zu gewinnen und im Beruf zu halten.

Die Befristung von Ausbildungs- und Gehaltsboni auf zwei bzw. drei Jahre trägt dazu allerdings nicht bei.

Bis zum Jahr 2050 ist in Österreich mit einem Anstieg pflegebedürftiger Menschen von derzeit 450.000 auf 750.000 Menschen zu rechnen.

Das derzeit beschäftigte Pflegepersonal ist bereits physisch und psychisch extrem belastet. Mehrere hundert Stellen können gar nicht besetzt werden. Der Mitar­beitermangel trifft auch Pflegeeinrichtungen im ganzen Land. Immer mehr Pflegehäuser und Einrichtungen haben mit Personalnot zu kämpfen, sodass es zwar die Betten, nicht aber die dafür nötigen Pflegekräfte gibt.

Die Pflegepersonalsituation in den Spitälern ist ähnlich dramatisch. Beispielsweise sind knapp zehn Prozent der Betten in Oberösterreichs Spitälern aktuell gesperrt, das sind in Zahlen ausgedrückt 720 von 7.927 Betten. Der Grund: Personalnot.

Ein weiteres Ausbildungsmodell für Pflegeassistenzberufe, nämlich die Pflegelehre, ist nicht sinnvoll, da die bestehenden Strukturen schon ausreichende Alternativen für Interessent*innen vorsehen. Bereits jetzt gibt es für die Zielgruppe („Pflege ab 14“) nach Abschluss der allgemeinen Schulpflicht die Möglichkeit Fachschulen mit Schwer­punkt Gesundheit oder Soziales zu besuchen, um die Zeit bis zur „klassischen“ PA- bzw. PFA-Ausbildung zu überbrücken. Der Mehrwert der vorgeschlagenen Lehrberufe ist nicht ersichtlich, dauern diese doch jeweils zwei Jahre länger als die klassischen Ausbildungen (ein Jahr PF, zwei Jahre PFA). Die Vermutung liegt nahe, dass junge Menschen als billige Arbeitskräfte über einen längeren Zeitraum ins System gebracht werden sollen.

Es braucht daher sofort eine echte Ausbildungsoffensive, mit der z.B. Personen, die eine Pflegeausbildung machen, eine Entlohnung (ähnlich den Polizeischülern) angeboten wird, mit der auch die Fachhochschulbeiträge erlassen und weitere Anreize geboten werden (z. B. Arbeitsplatzgarantie nach der Ausbildung).

Um einen Beruf mit Zukunftschancen zu ergreifen, ist es auch wichtig, dass die Arbeitsbedingungen ansprechend sind. Gerade die letzten Jahre der Gesundheitskrise haben uns gezeigt, dass Pflegekräfte oft unter dramatischen Bedingungen ihre Arbeit erbringen müssen. Es braucht daher einen Personalbedarfsschlüssel und mehr finanzielle Mittel, um ausreichend Personal beschäftigen zu können.

Es bedarf aber auch attraktiver Arbeitsplätze durch bessere Arbeitsbedingungen: faire Bezahlung und langfristig lebbare Arbeitszeitmodelle: z.B. Bonus für schlechte Arbeitszeit-Lage oder eine echte zusätzliche Erholungswoche. Damit kann auch die Drop-Out-Rate erheblich reduziert werden.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen nachfolgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz und der Bundesminister für Finanzen werden aufgefordert, umgehend Maßnahmen zur Verbesserung der Personalsituation im Pflegebereich zu ergreifen. Insbesondere muss eine echte Ausbildungsreform angegangen werden, indem die Ausbildung zu einem Pflegeberuf, ähnlich anderen Ausbildungen (z. B. Polizei), durch echte Entlohnung attraktiviert und eine Arbeitsplatzgarantie nach der Ausbildung geschaffen wird. Die Ausbildungsplätze müssen aufgestockt und kostenfrei gestellt werden. Zusätzlich müssen weitere finanzielle Mittel für höhere Entlohnung und Verbesserungen der Arbeitsbedingungen für das Pflegepersonal zur Verfügung gestellt werden.“

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Präsidentin Doris Bures: Der Entschließungsantrag ist ordnungsgemäß eingebracht.

Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Bedrana Ribo. – Bitte.