14.06

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Johannes Rauch: Herr Präsident! Hohes Haus! Geschätzte Abgeordnete! Werte Besucherinnen und Besucher! Vielleicht darf ich versuchen, auch die vorige Debatte noch mitzunehmen und ein paar Dinge einzuordnen.

Worum geht es? – Wir haben die Situation, nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa, dass wir eine alternde Gesellschaft sind. – Das ist Faktum. Wir werden in Zukunft mehr pflegebedürftige Menschen haben, und wir haben die Situation, dass der Bedarf an Fachkräften, die wir in der Pflege und im Gesundheitsbereich brauchen, hoch ist.

All das knüpft an ein Bedürfnis an, das Menschen, die älter und pflegebedürftig werden, haben: Sie möchten vor allem, solange es irgendwie geht, zu Hause im eigenen Umfeld gepflegt und betreut werden. Wenn sie das dann nicht mehr schaffen und in eine stationäre Einrichtung oder in eine Gemeinschaftswohnung kommen, dann wollen sie eine gute, qualitative Pflege haben, und das gilt es sicherzustellen.

Was braucht es dafür? – Wir müssen es für das Personal, das wir in der Pflege haben, schaffen – das ist Teil des Pflegepakets eins, das wir vor einem Jahr beschlossen haben, und jetzt auch Teil des Pflegepaketes zwei –, die Arbeitsbe­dingungen so zu erleichtern und so zu gestalten, dass es bleibt; die, die wir haben, müssen bleiben.

Wir haben es geschafft – über eine zusätzliche Urlaubswoche ab dem 43. Lebens­jahr, die Erhöhung der Gehälter, insgesamt bessere Arbeitsbedin­gungen –, im ersten Teil der Pflegereform mit 20 Maßnahmen Schritte zu setzen, die massiv dazu beitragen, dass wir diejenigen, die wir in der Pflege haben, dort auch halten können. (Beifall bei Abgeordneten von Grünen und ÖVP.)

Da das nicht reicht, und das wissen wir, müssen wir alles dafür tun, dass wir Menschen dafür gewinnen, in den Pflegeberuf einzusteigen. Das hat damit zu tun, dass wir einen enormen Fachkräftemangel haben, eine große Konkurrenz zwischen den unterschiedlichen Berufsgruppen und Branchen auf dem Arbeits­markt haben, und das ist der Punkt, warum wir so sehr darum ringen, dass auch junge Menschen sich entscheiden, in den Pflegeberuf einzusteigen. Da ist die Pflegelehre ein Bestandteil, da ist die jetzt stattgefundene Verbesserung des Freiwilligen Sozialjahres ein Baustein, denn 70 Prozent der jungen Menschen, die dieses Jahr absolvieren, steigen dann in einen Gesundheits- und Pflegeberuf ein.

Das ist auch der Grund, warum wir im Pflegepaket beschlossen haben und auch hier das Hohe Haus beschlossen hat, die Ausbildung zu attraktivieren. Das heißt: 600 Euro Pflegestipendium, 1 400 Euro monatlich, wenn jemand die Ausbildung berufsbegleitend macht. Wir merken jetzt schon, dass die Nachfrage durch die beschlossenen Maßnahmen nach diesen Modellen steigt, dass es attraktiv ist, attraktiv wird, in die Pflege einzusteigen, und das soll fortgesetzt werden. (Beifall bei Abgeordneten von Grünen und ÖVP.)

Wir brauchen, und das ist der nächste Schritt, Maßnahmen, damit Pflegeper­sonen, die in diesem Sektor tätig sind, die Arbeit, die sie dort verrichten, vor allem dazu nutzen können, mit den Menschen zu arbeiten und Pflegeleistungen zu erbringen, und nicht mit anderen Tätigkeiten beschäftigt sind. Vor allem geht es darum, bürokratische Dinge hintanzuhalten.

Was heißt das konkret? – Wir erweitern jetzt im nächsten Schritt die Kom­pe­tenzen des Pflegepersonals. Tätigkeiten, die früher ein Arzt vornehmen musste, können dann auch vom Pflegepersonal erledigt werden. Die können das, die sind dafür ausgebildet, denen kann man vertrauen, und das verkürzt beispiels­weise die Pflegegeldeinstufung erheblich. Das macht es leichter, die Weiterver­ordnung von Medizinprodukten zustande zu bekommen, weil man einfach keinen Umweg mehr machen muss.

Nächster Punkt: die Pflege zu Hause. Ja, wir wissen, wir brauchen alle diese Säulen. Überhaupt ist es bei der Pflege wichtig, einen Gesamtüberblick zu bewahren. Es braucht die Pflege zu Hause, es braucht die 24-Stunden-Betreuung, wir brauchen die mobilen Dienste und wir brauchen die stationären Dienste. Wir können auf keine dieser Säulen verzichten. Man kann die eine besser finden, die andere schlechter, die eine mehr forcieren, die andere weniger, es wäre aber ein Fehler, darauf zu setzen, auch nur eine dieser Säulen zu vernachlässigen. Wir brauchen sie nämlich alle, weil wir es sonst nicht schaffen.

Im Hinblick darauf sind wir dabei, auch die Pflege zu Hause zu verbessern, dort die Kostenabgeltungen für die 24-Stunden-Betreuung zu erhöhen, mehr Geld zur Verfügung zu stellen, den Angehörigenbonus zu erhöhen, um insgesamt eine Situation zu schaffen, dass es einfach von den Rahmenbedingungen her leichter möglich ist, finanziell und auch durch Beratungsgespräche und von der Unterstützungsleistung her, diese Pflege zu leisten, egal in welchem System. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Einen Satz noch, weil angesprochen worden ist, dass es europäische Mittel gibt, die abgeholt werden können: Das tun wir. Die Communitynurses sind ein Modellprojekt, das wir mit großem Erfolg gestartet haben. Da geht es einfach darum, nachgehende, aufsuchende pflegerische Arbeit zu leisten, im Sinne einer Einschätzung einer Gesamtsituation hinzuschauen, Menschen Hilfe anzubieten, und zwar bevor sie pflegebedürftig werden. Es soll so einfach deutlich länger möglich werden, zu Hause wohnen zu bleiben. Dafür wurden 52 Millionen Euro an europäischen Geldern eingesetzt.

Ist das alles, reicht das? – Nein, es reicht nicht. Jetzt wird es im Zuge des Finanz­ausgleichs darum gehen, die 30 Maßnahmen, die wir im Laufe des letzten Jahres mit dem ersten und dem zweiten Paket verabschiedet haben, auch langfristig abzusichern. Was heißt das? – Das heißt, die Finanzierung des Pflegefonds aufzustocken, es den Ländern zu ermöglichen, dass sie die gewährten Gehaltser­höhungen, die jetzt für zwei Jahre vom Bund vorfinanziert worden sind, weiterhin gewähren können. Das ist jedenfalls die erklärte Absicht und das wird im Finanzausgleich auch gelingen. Insgesamt ist die finanzielle Ausstattung von allen, die im Pflegesystem tätig sind, das sind Städte, Gemeinden, private Träger und Länder, so zu gestalten, dass es ihnen möglich ist, eine hohe Qualität in der Pflege zu halten.

Letzter und kritischster Punkt: die Personalfrage. Ich habe Ihnen dargelegt, dass wir versuchen, an all diesen Schrauben so zu drehen, dass es gut möglich ist, neue Menschen dafür zu gewinnen, die Ausbildung attraktiver zu machen und die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Dies alles wird nicht reichen. Wir werden es nicht schaffen, und zwar gesamteuropäisch nicht schaffen, dass wir mit dem Nachwuchs, den wir im eigenen Land gewinnen können, das Auslangen finden. Das heißt, wir brauchen im Pflege- und Gesundheitssystem qualifizierte Zuwanderung, qualifizierte Anwerbung von außen, um überhaupt den Bedarf decken zu können. Wenn wir nicht erkennen, dass wir das tun müssen, dann werden wir den Wettlauf mit anderen europäischen Staaten verlieren. Die sind allesamt unterwegs und haben eine Kultur entwickelt, die signalisiert: Ihr seid willkommen! Kommt zu uns! Wir bieten euch gute Arbeitsbedingungen. Wir schaffen es, dass ihr auch Ausbildungen machen könnt, Spracherwerb machen könnt. – Ohne diese aktive Akquise auch außerhalb Europas wird es nicht gelingen. Da sind wir dabei, jetzt in die Gänge zu kommen.

Ich erwähne noch einen letzten Aspekt: Wir haben einen Wettbewerbsnachteil im Ranking der europäischen Staaten. Wenn wir als Österreich auf die Reise gehen und versuchen, Menschen zu akquirieren, haben wir den Nachteil, dass wir in den letzten 15 Jahren eine Kultur entwickelt haben, die keine Willkom­menskultur ist. Jetzt rede ich nicht von Flüchtlingen, sondern von Personal, das wir brauchen. Wenn wir es nicht schaffen, da eine Kultur nach außen zu vertreten, die sagt: Ihr seid willkommen, wir brauchen euch, wir bieten euch gute Arbeitsbedingungen, dann werden wir diesen Wettbewerb unter den euro­päischen Staaten verlieren. Und die Leidtragenden werden die pflegebedürftigen Menschen in diesem Land sein, und das will ich jedenfalls nicht. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP. – Abg. Kassegger: Das war Angstmache, Herr Minister!)

14.15

Präsident Ing. Norbert Hofer: Zu Wort gelangt Frau Abgeordnete Heike Grebien. – Bitte, Frau Abgeordnete.