11.04

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Johannes Rauch: Frau Präsidentin! Geschätzte Damen und Herren Abgeordnete! Zunächst zwei Worte des Dankes, weil ich die für angebracht halte: Ich möchte mich für die im Gesundheitsausschuss konstruktiven Diskussionen über das Jahr hinweg bedanken. Ich erlebe diesen Ausschuss durchaus als ergebnisorientiert im Sinne der Menschen dieses Landes. Zweiter Punkt: dieses Primärversor­gungs­gesetz, das wir heute beschließen: Da möchte ich mich schon auch bei den Abgeordneten Smolle und Schallmeiner bedanken, die wesentlich dazu beigetragen haben, dass es jetzt im Parlament liegt. Vielen Dank! (Beifall bei den Grünen, bei Abgeordneten der ÖVP sowie des Abg. Kucher.)

Was wir heute beschließen, ist ein erster, aber ganz wesentlicher Baustein einer umfassenden Gesundheitsreform, die wir jetzt im Zuge der Finanzausgleichs­verhandlungen versuchen auf den Boden zu bekommen. Warum ist dieses Primärversorgungsgesetz so wichtig? – Es gibt, das wissen Sie alle, im niederge­lassenen Bereich bei Ärztinnen, bei Ärzten die Situation, dass wir zunehmend eine Entwicklung haben, dass die Kassenvertragsarztstellen nicht besetzt werden können, die Wahlarztstellen hingegen boomen. Es gibt auch die Situation, die Tendenz, dass aufgrund dieser Mangelsituation im niedergelassenen Bereich, insbesondere im ländlichen Raum, Menschen in die Spitalsambulanzen ausweichen. Das führt dann dazu, dass sich die Bundesländer zu Recht beklagen, dass dann jene Patientinnen, Patienten in den Spitalsambulanzen landen, die dort eigentlich nicht hingehören. Die forcierte Ermöglichung von Primärversor­gungszentren ist ein probates Mittel, um dem entgegenzutreten, weil es an mehreren Punkten ansetzt. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Zum Ersten, es holt einfach Ärztinnen und Ärzte in ihrer neuen Lebensrealität ab, weil Ärztinnen und Ärzte nicht mehr bereit sind – wie es früher war –, 100, 120 Patient:innen pro Tag in der Einzelpraxis abzuarbeiten; weil das vollkommen andere, auch kooperative Zugänge sind, da Ärztinnen und Ärzte miteinander arbeiten wollen, da sie andere Berufsgruppen mitnehmen möchten und eine Primärversorgungseinrichtung eine ganze Reihe anderer Vorteile hat: längere Öffnungszeiten, bessere Vertretung in Urlaubszeiten, mehr Professionen mit dabei – also nicht nur Ärztinnen und Ärzte, auch Pflegepersonal, Sozialarbeit bis hin zur Physiotherapie; das heißt, ein ganzes Angebot an medizinischen Dienstleistungen, die es Patientinnen und Patienten ermöglichen, eine höhere Qualität in Anspruch zu nehmen.

Alleine die Ankündigung, dass dieses Gesetz jetzt auf den Weg kommt und in Kraft tritt, hat dazu geführt, dass in Österreich die Nachfrage nach und die Ansuchen betreffend Primärversorgungseinrichtungen und -zentren gestiegen ist. Wir haben aktuell etwa 40 Primärversorgungseinrichtungen in Betrieb, 30 in der Pipeline, fünf davon sind Kinder-PVEs. Das heißt, es zeigt sich, wenn die Hürden gesenkt werden, wenn Vetomöglichkeiten von Standesvertretungen wegfallen, dann wird es attraktiv, in dieses Modell hineinzugehen. Ich bin überzeugt davon, dass sich dieser Weg fortsetzen wird. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

Es wird eine Verfahrensbeschleunigung geben, es wird wie gesagt attraktiver werden, auch Kinderprimärversorgungseinrichtungen zu installieren, an denen wir einen besonderen Mangel haben.

Ich sage jetzt dazu: Das ist ein wichtiger Baustein einer umfassenden Gesund­heits­reform. Es ist von den Vorrednerinnen, Vorrednern zu Recht angesprochen worden, dass das nicht alles sein kann. – Nein, das ist natürlich nicht alles. Das ist überhaupt nicht alles, weil wir eine Menge von Baustellen haben. Es gibt die Situation, dass wir aufgrund der Komplexität des österreichischen Gesundheits­sys­tems keine Finanzierung aus einer Hand haben – haben wir nicht, damit muss ich leben. Wir haben Player im System, die unterschiedliche Interessenlagen haben: die Sozialversicherung mit ihrer Selbstverwaltung, den Bund und die Länder in ihren jeweils eigenen Zuständigkeiten.

Ein bisschen ist es dann so, dass der Gesundheitsminister in Österreich 10 Prozent Zuständigkeit hat, aber 100 Prozent Verantwortung. Ich versuche, das gerade ein bisschen umzudrehen und da auch andere mit in die Verant­wortung zu nehmen, mit – ja! – mehr Mitteln. Es wird mehr Mittel brauchen, aber geknüpft an die Voraussetzung und die Bereitschaft, Reformen durchzu­führen. Das ist exakt der Weg, den wir jetzt versuchen im Zuge des Finanz­ausgleichs zu gehen.

Was bedeutet das? – Das bedeutet eine deutliche, massive Aufwertung und Ausweitung des niedergelassenen Sektors, insbesondere wenn es um Kassen­arztstellen geht. Ich kenne das zitierte Beispiel oder viele solcher Beispiele sehr wohl, dass Menschen aufgrund des Mangels an Kassenärztinnen, Kassenärzten dazu gezwungen sind, in Wahlarztpraxen zu gehen und dort auch erhebliche Kosten zu tragen haben. Es nützt auch nichts, wenn wir in spitalsambulante Systeme zusätzliches Geld hineinschütten, wenn es nicht gelingt, den Mangel im niedergelassenen Sektor einigermaßen in den Griff zu bekommen.

Das bedeutet eine deutliche Erhöhung der Kassenarztstellen im nieder­gelassenen Bereich, das heißt auch zusätzliche Mittel. Das heißt auch, in der Vertragsausgestaltung und in der Attraktivität von Kassenarztstellen an Schrauben zu drehen, dass dies einfach möglich sein wird.

Zweiter Punkt, der wird meistens vernachlässigt: Wir brauchen im Bereich der Digitalisierung einen deutlichen Schub nach vorne. Ja, wir haben mit Elga eine gute Voraussetzung geschaffen, das wissen wir, es muss aber gelingen, entlang der Abfolge, digital geht vor ambulant und vor stationär, in die Gänge zu kommen. 1450 als Anlaufstelle, Gesundheitsapps, Abklärungsmöglichkeiten, die digital stattfinden, müssen vorgeschaltet sein.

Es muss auch gelingen, dass Patient:innendaten und Befunde aus bildge­benden Verfahren, Medikationen und Ähnliches mehr verfügbar sind. Es geht nicht an, dass Patientinnen und Patienten von A nach B nach C laufen müssen, um ihre Befunde, möglicherweise noch in ausgedruckter Form, absammeln zu müssen, um dann zur nächsten Stelle gehen zu können. Das ist antiquiert, das soll sich jetzt ändern, und zwar deutlich. (Beifall bei den Grünen sowie der Abg. Pfurtscheller.)

Wir werden massiv in die Gesundheitsförderung einsteigen müssen, denn da haben wir Nachholbedarf. Ich sage immer, wir haben in Österreich lange Zeit einen Zugang gehabt, dass wir in der Finanzierung und in der Abwicklung nur zwei Aggregatzustände gekannt haben, gesund oder krank, viel zu wenig geschah in der Prävention und in der Nachsorge und Rehabilitation. Auch das versuchen wir zu stärken. Warum jetzt? – Weil jetzt im Zuge der Finanzausgleichsverhand­lungen ein Fenster offen ist, alle ins Boot zu bekommen – die Sozialversicherung, die Bundesländer und auch den Bund.

Diese Verhandlungen sind weit fortgeschritten. Es gibt auch einen koope­rativen Zugang der Bundesländer, das möchte ich an dieser Stelle auch dazusagen. Die Gesundheitslandesrätinnen und -landesräte aller Bundesländer, egal welcher Couleur, haben sich da konstruktiv eingeklinkt. Wir werden da nicht bis zum Herbst warten, sondern den Sommer über selbstverständlich durcharbeiten, um dann im Herbst in der Lage zu sein, den Finanzausgleich zu beschließen. – Danke schön. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

11.12

Präsidentin Doris Bures: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Barbara Neßler. – Bitte.