14.10

Abgeordneter Mag. Jörg Leichtfried (SPÖ): Herr Präsident! Herr Bundesminister! Geschätzte Damen und Herren! Sehr geehrte Zuseherinnen und Zuseher! Es hat sich seit der letzten Nationalratssitzung an unserer Situation eigentlich nichts Wesentliches geändert. Die Menschen in Österreich haben immer noch Angst um ihre Gesundheit, Angst davor, arm zu werden, und Angst, ihre persönliche Freiheit zu verlieren.

Wir haben gestern der Neugründung unserer Republik vor 75 Jahren gedacht und da­ran gedacht, was jene motiviert hat, diese Republik zu schaffen. Die Motivation war, ei­nen Verfassungsstaat, einen Rechtsstaat zu bilden, in dem nicht, wie in der Vergan­genheit, das Recht des Stärkeren gilt, sondern die Stärke des Rechts. Diesen Prozess haben viele Staaten in Europa in dieser Zeit hinter sich gebracht.

In der Zeit der Krise merkt man schon Unterschiede darin, wie die einzelnen Staaten agieren. Ja, die Einschränkungen, die es bei uns gegeben hat, waren wahrscheinlich notwendig. Es ist aber schon interessant, wie die Entscheidungsträgerinnen und -trä­ger in unterschiedlichen Ländern mit dieser Situation umgehen. Es gibt die, die es wie Herr Kurz machen: Die haben versucht – und das ist jetzt scheinbar nachweislich ‑, Angst zu erzeugen, um Maßnahmen zu rechtfertigen. Sie können sich noch erinnern: Jeder wird einen Coronatoten kennen!, war die Losung. Sie verkörpern nach außen großes Selbstbewusstsein und wenig Kritikfähigkeit, und jede Kritik, die man übt, gilt gleich als Majestätsbeleidigung. Daraus entspringt eine gewisse Geisteshaltung, auf die ich dann noch zurückkommen möchte.

Es gibt aber auch andere: Die Situation ist eine „demokratische Zumutung“ und fordert Kritik geradezu heraus. – Geschätzte Damen und Herren, so geht Staatsfrau! (Beifall bei der SPÖ.)

Ich frage mich, Kolleginnen und Kollegen der Regierungsfraktionen: Warum geht ihr, warum gehen Sie mit Kritik so autoritär patschert um, wie das bis jetzt geschehen ist? (Zwischenrufe bei der ÖVP.) – Ich glaube, der Grund ist ein relativ einfacher: Sie ha­ben am Anfang gesagt, Sie fahren auf Sicht. Inzwischen fahren Sie nicht mehr auf Sicht, sondern auf halbe Sicht, und das wahrscheinlich in die falsche Richtung, und da ist Kritik natürlich etwas, das wehtut.

Dazu kommt diese Geisteshaltung, die sich jetzt auch im Handeln ausdrückt und die mir wirklich Sorge macht. Sorge macht mir, wenn der Bundeskanzler beispielsweise sagt: Die Verfassung ist für mich nur eine unnötige - - (Abg. Matznetter: Spitzfindig­keit!) – Spitzfindigkeit. Daraus ergibt sich dann auch, dass Gesetzentwürfe plötzlich auf eine Art und Weise vorgelegt werden, die meines Erachtens verfassungswidrig und rechtsstaatswidrig sind. Das Epidemiegesetz, wie Sie es vorgeschlagen haben, hat alle Aspekte von Verfassungswidrigkeit und Rechtsstaatswidrigkeit in sich getragen, und dieses Gesetz wollten Sie durch den Ausschuss peitschen, durch das Parlament peit­schen und durch den Bundesrat peitschen! So geht verantwortungsvolle Gesetzge­bung nicht, geschätzte Damen und Herren! Das ist nicht, wie man mit Grundrechten umgeht! Nein, so tut man das nicht! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der NEOS.)

Was ist heute passiert, nachdem wir kritisiert haben, dass dieses Gesetz verfassungs­widrig ist, nachdem wir gesagt haben: Bitte schön, machen wir wenigstens eine Be­gutachtung!? – Heute ist schon die vierte Version von Änderungsvorschlägen gekom­men. Ja, wenn das nicht für schlechtes Gewissen und schlechte Gesetze spricht, ge­schätzte Damen und Herren, was dann? Eine Gesetzgebung (Zwischenrufe bei der ÖVP), die die Freiheiten einschränkt und die Menschen beschränkt ist keine Gesetzge­bung, wie wir sie uns vorstellen! Das gehört sorgfältig gemacht und das gehört auch ordentlich gemacht! Für etwas anderes stehen wir nicht zur Verfügung! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der NEOS.)

Ich sage Ihnen eines: Die Menschen in Österreich waren tapfer, waren geduldig, haben alles gemacht, was der Regierung notwendig erschien. Wenn Sie jetzt aber anfangen, willkürlich die Freiheit einzuschränken, dann werden Sie unseren Widerstand spüren, und den werden Sie gewaltig spüren, geschätzte Damen und Herren! (Beifall bei der SPÖ und bei Abgeordneten der NEOS. – Ruf: Bauerntheater!)

14.14

Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Zu Wort gemeldet ist Abgeordneter Schallmei­ner. – Bitte.