21.19

Abgeordnete Dr. Stephanie Krisper (NEOS): Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Es gibt mehrere Baustellen im Asylbereich, die wir mit Anträgen reparieren wollten.

Wie alle anderen Menschen, die in Österreich leben, standen auch Asylwerber plötzlich vor riesigen rechtlichen Fragezeichen, zum Beispiel ob die Frist für die freiwillige Aus­reise unterbrochen wird und Abschiebungen so wie in Deutschland – während der Co­ronakrise, Kollege Mahrer, nicht darüber hinaus – ausgesetzt werden. Wir wollten da Klarheit, die Regierungsparteien nicht, sie lehnten unseren Antrag ab.

Neben der rechtlichen Unklarheit gibt es auch andere Probleme, die nur Asylwerberin­nen und Asylwerber betreffen. Eines davon ist die Unterbringung in Großquartieren wie im Erstaufnahmezentrum Traiskirchen, das, Herr Innenminister, ja, für 1 000 Personen ausgelegt ist, genehmigt ist, aber nur eine Normalkapazität für 480 Personen hat. Dort halten sich aber momentan 606 Menschen auf, und das nicht so coronatauglich, wie Sie gestern im Ausschuss zu glauben schienen. Zum Beispiel ist es so, dass in man­chen Einrichtungen Sanitäranlagen nur für jeweils 40 Personen zugänglich sind. Insbe­sondere bei der Ausgabe von Essen, bei der Einnahme von Essen in ganz engen Zeit­fenstern ist es kaum möglich, Mindestabstände einzuhalten. Dort schafft man also Brutstätten für Corona und – wenig überraschend – tauchen natürlich auch Infizierte auf, und dann wird wie in Bergheim und Traiskirchen über alle Hunderten dort aufhäl­tigen Menschen Quarantäne verhängt.

Solche großen Gefahrenherde und Quarantänen für so viele Menschen hätte man ver­hindern können, und nun gilt es, das, diesen Status quo zu reparieren, und deswegen haben wir in unserem Antrag dafür plädiert, die in den Bundesbetreuungsstellen unter­gebrachten Asylwerber auf mehrere Standorte aufzuteilen, um sowohl die Bewohner als auch das dort tätige Personal als auch, liebe FPÖ, die gesamte Bevölkerung vor einer Ansteckung mit Corona zu schützen. Aus diesem Antrag wurde nichts, ÖVP und Grüne haben mit der FPÖ vertagt.

Vertagt wurde auch unser Antrag, der die Grundfesten des Asylrechts klar absichern wollte: dass man nämlich auch in Coronazeiten einen Asylantrag stellen kann. Dass so eine Klärung nötig ist, ist ein Trauerspiel für unseren Rechtsstaat, aber es ist der Fall seit den Verordnungen des Gesundheitsministers und umso mehr seit dem Erscheinen eines ominösen, geisterhaften Erlasses aus dem Innenministerium, denn dieser spricht klar aus, dass der Asylantrag von Menschen ohne ein Gesundheitsattest an der Gren­ze nicht anzunehmen ist. Das BMI wollte uns gestern weismachen, dass es sich nur um eine Anweisung für Beamte handelt, wie die Verordnung des Gesundheitsministers zu interpretieren ist. – Egal ob Erlass oder Anweisung: Der Inhalt dieses Dokuments widerspricht klar dem Recht, einen Asylantrag stellen zu dürfen, und bricht damit das Non-Refoulement-Gebot.

Herr Innenminister, Sie meinten gestern, wir würden ohne diese Position von Fakeasyl­werberinnen und -asylwerbern überrollt. Sie selbst haben aber in einer Pressekonfe­renz Ende März gemeint, es gäbe derzeit maximal zwölf Asylanträge pro Tag, und ges­tern im Innenausschuss wiederum gesagt, dass seit Inkrafttreten der Coronaverord­nung kein einziger Asylantrag an der Grenze gestellt wurde. Vor einer potenziellen Überbelastung der Quarantänekapazitäten kann daher überhaupt keine Rede sein, sondern eher nur von einer Missachtung von zwingendem Völkerrecht. Unser Antrag wollte nur klarstellen, dass das Recht auf ein Asylverfahren noch immer gilt, und wurde vertagt.

Wir NEOS werden uns weiterhin auch unter dieser Bundesregierung, in der anschei­nend die Grünen in der Geiselhaft der ÖVP alles mittragen – auch im Menschenrechts­bereich –, für Menschen einsetzen, die auch sonst keine starke Vertretung haben, und versuchen das jetzt wieder mit zwei weiteren Anträgen.

Der erste will verhindern, dass das österreichische Innenministerium unter Türkis-Grün ein von Herrn Kickl initiiertes Projekt weiterverfolgt und jetzt umsetzt, nämlich ein rechtsstaatlich nicht zu vertretendes, sicherheitspolitisch völlig sinnloses und wahr­scheinlich – denn wir dürfen ja laut Innenminister Nehammer die Zahlen nicht wissen – teures Aus-den-Augen-aus-dem-Sinn-Lager für nicht abschiebbare Asylwerber in Ser­bien. Das kann es nicht sein, daher stelle ich folgenden Antrag:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Kündi­gung der Arbeitsvereinbarung über ein Abschiebelager in Serbien“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Der Bundesminister für Inneres wird aufgefordert, ehestmöglich die am 24. April 2019 unterzeichnete Arbeitsvereinbarung mit dem serbischen Innenministerium über die Un­terbringung von in Österreich abgelehnten Asylwerber_innen in Serbien zu kündigen.“

*****

Der zweite Antrag betrifft die schon seit Jahren menschenunwürdigen Zustände in den Lagern auf den griechischen Inseln. Es ist jetzt völlig egal, wer daran schuld ist. Es ist gut, wenn Sie, Herr Innenminister, Container nach Griechenland liefern, es gibt aber ein Programm der Europäischen Kommission für die unbegleiteten Kinder dort. Die Kommission identifiziert diese Kinder, bietet sie den EU-Ländern an und finanziert auch den Flug in die EU-Mitgliedstaaten mit.

Ein derartiges Programm entlastet das griechische Gesundheitssystem und ermöglicht diesen ausgewählten Kindern eine Rettung aus einer humanitären Krise und Notlage, die sich auf EU-Territorium abspielt, was eigentlich schon unfassbar ist – deswegen auch das Engagement der Europäischen Kommission. Da gibt es also ein Angebot, das Sie aktiv ausschlagen müssten. Tun Sie das wirklich als Minister der vermeintlich christlichen ÖVP? – Luxemburg hat Kinder aufgenommen, Deutschland will noch mehr aufnehmen, Portugal hat heute gesagt, sie nehmen Kinder, Slowenien hat heute ge­sagt, sie nehmen Kinder. Es kann doch nicht sein, dass wir unter einer türkis-grünen Bundesregierung kein einziges Kind aufnehmen! Daher stelle ich folgenden Antrag:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Beteili­gung am EU-Kommissions-Programm zur Aufnahme von Flüchtlingskindern aus La­gern auf den griechischen Inseln“

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Inneres, wird aufgefordert sich am Programm der EU-Kommission zur Aufnahme von Flüchtlingskindern aus La­gern auf den griechischen Inseln zu beteiligen.“

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Zu guter Letzt noch zu dem von den Regierungsparteien vorgelegten Gesetzesantrag: Wir werden diesem nur nach einer Klärung, dass die Rechtsberatung weiterhin gesi­chert scheint, heute zustimmen. – Danke sehr. (Beifall bei den NEOS.)

21.25

Die Anträge haben folgenden Gesamtwortlaut:

Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Kündigung der Arbeitsvereinbarung über ein Abschiebelager in Serbien

eingebracht im Zuge der Debatte in der 27. Sitzung des Nationalrats über – TOP 30

Laut der Beantwortung einer NEOS-Anfrage durch Innenminister Karl Nehammer vom 14.04.2020 (923/AB zu 866/J, XXVII. GP) wurde am 24. April 2019 zwischen dem österreichischen Bundesministerium für Inneres und dem Ministerium für Inneres der Republik Serbien eine Arbeitsvereinbarung über die Unterbringung von in Österreich abgelehnten Asylwerber_innen in Serbien unterzeichnet. Zielgruppe dieses Vertrages sind in Österreich aufhältige abgelehnte Asylwerber_innen, die nicht in ihren Herkunfts­staat abgeschoben werden können. Dazu muss ein ausreichender Bezug des Fremden zur Republik Serbien bestehen, der aber laut Innenminister Nehammer schon bei einer Flucht über die Westbalkanroute vorliege. Fest steht, dass das österreichische Innen­ministerium für die Unterbringungskosten aufkommen und die Unterbringung der Be­troffenen in Serbien unbefristet erfolgen soll. Über die vertraglich festgelegten wechsel­seitigen Rechte und Verpflichtungen wurde allerdings Stillschweigen vereinbart. Aktuell ist ein Konzept zur Umsetzung der Arbeitsvereinbarung in Ausarbeitung. Detailanga­ben sowie die abschließende Ausgestaltung seien noch nicht definiert.

Statt die Verantwortung nach Serbien abzuschieben, gilt es Rücknahmeabkommen zu verhandeln und vernünftige Lösungen für nicht abschiebbare Menschen, mit einem rechtskräftig negativen Ausgang des Asylverfahrens, zu suchen. Ein Auslagern der be­troffenen Menschen ohne Perspektive und Interesse an den Umständen wäre men­schenrechtswidrig und populistischer Unsinn. Es ist nicht klar, wie in Serbien men­schenwürdige Lebensbedingungen sowie die Einhaltung rechtsstaatlicher Standards und geltender völkerrechtlicher Verpflichtungen sichergestellt werden sollen. Außer­dem ist völlig unklar, wieviel Steuergeld dieses Projekt kostet. Die Arbeitsvereinbarung wurde zwar ohne zeitliche Befristung abgeschlossen, allerdings kann diese durch schriftliche Mitteilung an das jeweilige andere Ministerium aufgekündigt werden. Wir fordern daher Innenminister Karl Nehammer auf, so schnell wie möglich aus diesem Vertrag auszusteigen.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Der Bundesminister für Inneres wird aufgefordert, ehestmöglich die am 24. April 2019 unterzeichnete Arbeitsvereinbarung mit dem serbischen Innenministerium über die Un­terbringung von in Österreich abgelehnten Asylwerber_innen in Serbien zu kündigen."

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Entschließungsantrag

der Abgeordneten Dr. Stephanie Krisper, Kolleginnen und Kollegen

betreffend Beteiligung am EU-Kommissions-Programm zur Aufnahme von Flüchtlings­kindern aus Lagern auf den griechischen Inseln

eingebracht im Zuge der Debatte in der 27. Sitzung des Nationalrats über – TOP 30

Die Zustände in den Lagern für Asylwerber_innen und Migrant_innen auf den griechi­schen Inseln sind schon seit Jahren nicht mehr menschenwürdig. Mittlerweile sind sie aufgrund der Untätigkeit der EU-Mitgliedsstaaten, die auch nach 2015 keine ge­meinsame, effiziente Asyl- und Migrationspolitik umgesetzt haben, unerträglich (https://fra.europa.eu/sites/default/files/fra_uploads/fra-2020-coronavirus-pandemic-eu-bulletin-1_en.pdf). Anfang Februar forderte der UNHCR die Räumung des Lagers in Moria auf Lesbos (https://www.theguardian.com/global-development/2020/feb/11/un-calls-for-urgent-evacuation-of-lesbos-refugee-camp). Dieses Lager hat die schlimmsten Bedingungen, mit 1.300 Menschen pro Wasserhahn und ohne Seife. Seit Mitte März appelliert das EU-Parlament an Griechenland, die Lager zu räumen (https://www.europarl.europa.eu/news/en/press-room/20200323IPR75632/refugees-on-greek-islands-urgent-evacuation-to-prevent-spread-of-covid-19).

Die Ausbreitung des Coronavirus ist unter den in den Lagern herrschenden Bedin­gungen sehr wahrscheinlich: die rund 40.000 Geflüchteten und Migrant_innen fristen in den Lagern ihr Dasein in unwürdigen Zuständen, ohne genügend medizinische Versor­gung oder die Möglichkeit, sich regelmäßig die Hände zu waschen.

Um eine humanitäre Katastrophe auf dem Terrain der Europäischen Union zu verhin­dern, hätten die Lager schon längst geräumt werden müssen. Auch die Eindämmung eines tödlichen Virus und die Verhinderung explosiver gesellschaftlicher Spannungen ist ein europaweites Interesse.

Am 31. März appellierte der Vorsitzende des Ausschusses für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres an alle EU-Staaten, sich solidarisch mit Griechenland zu zeigen und sich bei der Verteilung der Schutzbedürftigen zu beteiligen (https://www.europarl.euro­pa.eu/news/en/press-room/20200330IPR76106/refugees-in-greece-meps-demand-soli­darity-warn-about-impact-of-health-crisis).

Eine erste Verlegung für 1.000 besonders Schutzbedürftige ist durch eine Zusammen­arbeit der EU Kommission mit dem UNHCR, der Internationalen Organisation für Mi­gration (IOM) und der griechischen Regierung geplant. Nun wählt ein Programm der EU-Kommission unbegleitete Flüchtlingskinder aus den Lagern aus, überführt sie in spezielle und sichere Unterbringungen nahe Athen und finanziert deren Ausreise in an­dere EU-Mitgliedstaaten. Ein derartiges Programm entlastet auch das griechische Ge­sundheitssystem und ermöglicht den ausgewählten Kindern Rettung und Gesundheits­versorgung.

Luxemburg hat die ersten 12 Kinder aufgenommen, Deutschland hat bereits 58 Kinder in Sicherheit gebracht und plant insgesamt 350-500 unbegleitete Kinder aufzunehmen.

Am 23. März riefen 150 NGOs in Österreich und der EU in einem dringenden Appell zur sofortigen „Evakuierung der Flüchtlingslager und Hotspots auf den griechischen In­seln auf, um eine Katastrophe inmitten der Covid-19-Pandemie zu verhindern“ (https://orf.at/stories/3159053/). Innerhalb von drei Tagen lag der Zuspruch zu diesem Appell bei über 300 NGOs, viele unter ihnen sind österreichische zivilgesellschaftliche und kirchliche Organisationen (https://asyl.at/sysadmin/info/presseaussendungen/brei­teunterstuetzungfuerappellzurevakuierungderlageringriechenland/). In Österreich ap­pellieren immer mehr Petitionen an ein humanes Vorgehen und Beteiligung an der Aufnahme von Menschen aus den Lagern, was die Bereitschaft widerspiegelt, sich hier der aufgenommenen Kinder anzunehmen.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

Entschließungsantrag

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Inneres, wird aufgefordert sich am Programm der EU-Kommission zur Aufnahme von Flüchtlingskindern aus La­gern auf den griechischen Inseln zu beteiligen."

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Präsident Mag. Wolfgang Sobotka: Beide Anträge sind ordnungsgemäß eingebracht, ausreichend unterstützt und stehen somit in Verhandlung.

Zu Wort gemeldet ist der Herr Bundesminister für Inneres. – Bitte.