12.03

Abgeordneter Michel Reimon, MBA (Grüne): Zu einem so späten Zeitpunkt in der Debatte sollte eigentlich schon fast alles gesagt sein. Mir ist aufgefallen, was nicht vorgekommen ist, und das finde ich relativ spannend: Mehrere Redner und Rednerinnen haben die beiden großen Studien, die wir zu Gewalt an Frauen haben, erwähnt: dass weltweit ein Drittel der Frauen über 15 Jahren im Laufe ihres Lebens Opfer von Gewalt wird, dass es nach einer anderen Studie in Europa bis zu 50 Prozent der Frauen sind. Worüber niemand gesprochen hat, weil wir keine Zahlen dazu haben, ist, wie viel Prozent der Männer Gewalt gegen Frauen ausüben. Wir wissen es nicht.

Wir können aus diesen Studien, die wir haben, Schlüsse ziehen. Wenn ich es auf diesen Plenarsaal herunterbreche: 72 Frauen wurden als Abgeordnete angelobt, von diesen 72 werden nach diesen Studien im Laufe ihres Lebens ein Drittel bis die Hälfte – 24 bis 36 – Opfer von Gewalt. Das muss man sich einmal vor Augen halten, denn das können wir uns vor Augen halten. Was wir uns nicht vor Augen halten können, ist, wie viele Schläger da eigentlich herumrennen und diese Taten begehen – und ich finde, dieser Debatte muss man sich stellen, sollte man sich stellen. Dazu fehlen offensichtlich die Daten, wenn man es nicht einmal hier im Parlament so diskutieren kann.

Wir haben einen Vorschlag: Gerade vorhin haben wir relativ spontan und ad hoc be­sprochen, dass wir uns darum kümmern sollten, diese Daten zu bekommen, um das nächste Mal, wenn wir eine solche Debatte führen, diese auf Zahlenbasis auch über die Männer zu führen – und nicht nur über die Frauen, die davon betroffen sind. Das geht, die Mittel dazu gibt es Gott sei Dank – und da sind wir gleich bei der Europadebatte, weil das nicht nur ein österreichisches Thema und nicht nur für Österreich interessant ist.

Die Europäische Union stellt ihre Politik in diesem Bereich in den nächsten sieben Jahren um, mit dem Budget für die nächsten sieben Jahre, das wir jetzt diskutieren. Das ist eine interessante Sache, durch Zusammenlegung wurde ein neuer Fonds geschaffen: 400 Millionen Euro für Aufklärungsarbeit, für frauenpolitische Arbeit und Rechtearbeit. Das klingt nach wahnsinnig viel Geld, umgelegt auf sieben Jahre und 27 Mitgliedstaaten sind das 2 Millionen Euro pro Land und pro Jahr, die nun für Aufklärungsarbeit und Informationsarbeit in diesem Bereich zur Verfügung stehen. Dieses Geld kann man aller­dings nutzen, muss man nutzen und muss man einsetzen – und das ist auch europaweit wichtig.

Wie haben es gehört: Drei Nachbarländer Österreichs – Ungarn, Slowakei und Tschechien – haben die Istanbulkonvention noch nicht ratifiziert, dort spielt das keine Rolle. Die Situation in Polen bringt Frauen tatsächlich realpolitisch unter Druck. Bulgarien hat nicht unterzeichnet. Es ist wichtig, dass wir in diesem Bereich europäische Politik machen, weil es möglich ist, aufklärende, unterstützende und beratende Organisationen von der europäischen Ebene aus zu finanzieren. Wenn diese in Polen oder sonst wo kein Geld bekommen, dann können wir das auf europäischer Ebene machen. Das ist wichtig und gehört mit dem nächsten europäischen Budget unterstützt. (Beifall bei den Grünen sowie der Abg. Gabriela Schwarz.)

Ich finde, wir müssen aber nicht mit dem Finger auf andere EU-Mitgliedstaaten zeigen. In Österreich ist Gewalt von Vätern gegenüber ihren Kindern erst seit Ende der Sieb­zigerjahre strafbar, und Vergewaltigung in der Ehe ist erst seit Ende der Achtzigerjahre verboten. Wir sind die erste Generation, der das überhaupt verboten ist. Bis dahin war es legal. Tun wir doch bitte nicht so, als ob das bei uns kein Problem und kein Thema wäre!

Wenn ihr von der FPÖ euch hierherstellt und sagt: Oh, unsere Kultur hat sich von der Gewalt abgewendet!, ja, bitte, dann geht und kniet am Grab von Johanna Dohnal nieder, dafür, dass sie das in Österreich geschafft hat – nämlich gegen eure Politik und gegen eure Kultur. Wir haben es geschafft, dass hierzulande Gewalt gegen Frauen nicht mehr legitimiert werden kann, aber genau ihr mit eurer konservativen Rechtspolitik habt jahr­zehntelang dagegen gekämpft, dass diese Frauenrechte durchgesetzt werden können. Gegen euch haben wir das durchgesetzt (Abg. Amesbauer: ... ÖVP!), gegen euch haben wir das geschafft, Gott sei Dank! (Beifall bei den Grünen.)

Wie gesagt, wir müssen nicht mit dem Finger auf Polen oder sonst wohin zeigen, wir werden uns dagegen wehren müssen, dass es einen Backlash gibt. Wir werden immer dagegen kämpfen müssen, wenn in Österreich Stimmen laut werden, dass man Schwan­gerschaftsabbrüche wieder einmal zur Diskussion stellt (Heiterkeit der Abgeordneten Bösch und Kassegger) und Studien erhebt und sonst etwas, wenn der politische Katholizismus beginnt (Abg. Amesbauer: Sie meinen jetzt die Frau Kugler!), im Parlament ein und aus zu gehen. Dann werden wir sehr wachsam sein müssen und keinen Fußbreit weichen. – Danke. (Beifall bei den Grünen und bei Abgeordneten der ÖVP.)

12.08

Präsidentin Doris Bures: Herr Abgeordneter Johannes Margreiter ist nächster Redner. – Bitte.