11.38

Abgeordnete Mag. Beate Meinl-Reisinger, MES (NEOS): Sehr geehrte Frau Präsiden­tin! Sehr geehrter Herr Bundeskanzler! Herr Vizekanzler! Werte Mitglieder der Bundesre­gierung! Sehr geehrter Herr Wolfgang Mückstein! Werte Kolleginnen und Kollegen und liebe Zuschauerinnen und Zuschauer zu Hause! Wir dürfen heute einen neuen Gesund­heitsminister in unserer Mitte begrüßen. Ja, es ist jetzt schon der dritte Wechsel in dieser Bundesregierung, und das ist natürlich kein Zeichen für Tatkraft und Aktivität, sondern eigentlich ein Zeichen dafür, dass in den vergangenen Monaten ganz viel schiefgelaufen ist.

Es ist zweifelsohne eine Mammutaufgabe in so einer Pandemie, und wie sehr das bis hin zum Äußersten gezehrt hat, auch gesundheitlich, haben wir bei Rudi Anschober ge­sehen. Meine Fraktion möchte Sie in diesem Haus sehr herzlich begrüßen und gleichzei­tig Dankesworte an Rudi Anschober aussprechen – aber in aller Ehrlichkeit ausspre­chen. Wir zollen jedem und jeder Respekt, der oder die die Verantwortung übernimmt, in so einer Zeit politisch tätig zu sein – oder in jeder Zeit. (Abg. Hanger: Seit wann ist das so?) – Entschuldigen Sie, was ist das für ein Zwischenruf? Es gebührt jedem Men­schen, der in die Politik geht, Respekt! (Neuerlicher Zwischenruf des Abg. Hanger.)

Im Unterschied zu Ihnen – von Ihnen habe ich vorhin nur ein Bashing der Sozialdemo­kratie oder der Freiheitlichen gehört (neuerlicher Zwischenruf des Abg. Hanger) – möch­te ich hier im Namen meiner Fraktion eine sachliche Rede halten, und ich würde mich sehr freuen, wenn Sie das jetzt auch möglich machen (anhaltende Zwischenrufe des Abg. Hanger – Beifall bei den NEOS) und ihre Zwischenrufe, die eigentlich einer Regie­rungspartei gar nicht würdig sind, einstellen. (Neuerlicher Zwischenruf des Abg. Hanger.)

Meine Damen und Herren, Sie sehen also, die Nervosität ist bei der ÖVP besonders groß. Das ist nicht besonders überraschend, ich möchte jetzt aber trotzdem zu meiner Rede und zu meinem Stil zurückkehren, denn ich glaube, das ist wichtig. (Zwischenrufe des Abg. Hanger.)

Die Worte, die Rudi Anschober bei seinem Rücktritt gewählt hat, haben mir auch deshalb sehr viel Respekt abgerungen, weil er mit seiner Erkrankung so transparent umgegan­gen ist. Ja, ich bin auch davon überzeugt, dass es wichtig ist, transparent mit Krankheit, mit Erkrankungen umzugehen und damit auch ein Zeichen für jede und jeden, der in einer ähnlichen Situation ist, zu setzen. (Rufe und Gegenrufe zwischen Abgeordneten von FPÖ und ÖVP.)

Es ist eine Mahnung – und ich sage das jetzt ganz gerne auch in Ihre (in Richtung Bun­deskanzler Kurz) Richtung – uns allen gegenüber, respektvoll miteinander umzugehen und die Person hinter dem Amt zu sehen. Trotzdem möchte ich klar sagen, dass wir vielem kritisch gegenübergestanden sind. Vielleicht hört ja Klubobmann Wöginger auch einmal zu. – Danke vielmals, danke sehr, das freut mich außerordentlich, dass Sie mir jetzt auch Ihre Aufmerksamkeit schenken. (Abg. Wöginger: ... bissl aufregend aber auch, ja! – Weitere Zwischenrufe bei der ÖVP.)  Ich habe ja gerade von Respekt ge­sprochen (Zwischenruf bei der FPÖ), wenn das für Sie nicht aufregend genug ist, dann weiß ich auch nicht. (Zwischenrufe der Abgeordneten Hörl und Ottenschläger.) Ich glaube, dass es sehr wesentlich ist, einander diesen Respekt zu erweisen und trotzdem klarzumachen, dass wir vielem, was in der Regierung passiert ist und was Rudi Anscho­ber gemacht hat, sehr kritisch gegenübergestanden sind.

Jetzt starten wir sozusagen mit einem neuen Gesundheitsminister neu. Natürlich ist das auch eine Gelegenheit für einen Neustart in der Pandemiepolitik, denn da ist vieles falsch gelaufen. Österreich ist nicht gut durch die Krise gekommen, auch wenn uns und den Menschen in Österreich die millionenteuren Regierungsinserate und dieses Regieren per Rhetorik, per Ankündigung und Selbstlob immer wieder das Gegenteil weismachen wollen. Österreich ist weder gesundheitlich noch wirtschaftlich gut durch die Krise ge­kommen. Im Gegenteil: Wir stehen im europäischen Vergleich sehr schlecht da. Daher ist es jetzt umso wichtiger, in die Zukunft zu schauen und darauf zu achten, dass aus Ihrem Comebackplan nicht tatsächlich ein Comeback zurück zum alten Hinwursteln, sondern ein wirklicher Neustart wird, im Zuge dessen diesen Ankündigungen auch Taten folgen, denn Ankündigungen und Pressekonferenzen haben wir in den vergangenen Mo­naten beileibe genug gehabt.

Was uns in der Vergangenheit gefehlt hat, ist eine zentrale Steuerung. Im Krisenma­nagement ist eine zentrale Steuerung immer und überall besonders wesentlich. Unter einer zentralen Steuerung verstehe ich auch klare, transparente Kommunikation, die zu­mindest versucht, die Menschen in Österreich mitzunehmen. Sehr geehrte Damen und Herren, Ihr Selbstlob in allen Ehren, aber Sie haben die Menschen schon längst verloren. Es kennt sich kaum mehr einer aus. Wenn ich jetzt auf die aktuelle Situation blicke und sehe, dass in Vorarlberg bei einer Inzidenz, die höher als jene in Niederösterreich ist, die Lokale offen sind, aber die Kinder, die Schülerinnen und Schüler in Niederösterreich wieder einmal zu Hause sitzen, dann muss ich sagen, das ist nicht das, was ich unter Transparenz verstehe, sodass die Menschen wirklich nachvollziehen können, warum bestimmte Handlungsschritte gesetzt werden. (Beifall bei den NEOS. – Zwischenruf des Abg. Hanger.)

Dazu zählt natürlich auch eine in einem Widerstreit der Regierungsparteien widersprüch­liche Kommunikation. Herr Bundeskanzler, Sie haben noch vor wenigen Wochen gesagt, zu Ostern gehen die Schanigärten auf. Sie sind nicht aufgegangen. Hat das dazu bei­getragen, dass Vertrauen geschaffen wurde? – Na sicher nicht. Hat das dazu beige­tragen, dass vielleicht manche Menschen glaubten: Na, es ist eh bald alles vorbei, wenn er sagt, die Schanigärten gehen auf!, und sich daher möglicherweise nicht besonders verantwortungsvoll verhalten haben? – Na möglicherweise. (Zwischenbemerkung von Bundeskanzler Kurz.) Also war das besonders gescheit? – Nein, das war es nicht.

Daher ist es jetzt umso wichtiger, dass dieser Plan der Öffnung verlässlich und auch mit den entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen umgesetzt wird. Sehr geehrter Herr Bun­deskanzler, weil Sie jetzt gesagt haben: Was hast du gesagt? – Was haben wir vor Wo­chen schon gesagt? (Zwischenruf bei der FPÖ.) – Wir haben einen Plan mit dem Kon­zept des Testens auf den Tisch gelegt, um in den verschiedenen Bereichen etappen­weise Öffnungsschritte zu setzen. Selbstverständlich gilt: zuallererst immer die Schulen (Bundeskanzler Kurz: Und in Wien hat ...!), denn der Schichtbetrieb, das kann ich Ihnen sagen, ist das Schlechteste aller Welten.

Ich bin auch nicht glücklich darüber, dass in Wien die Schulen zu sind. (Bundeskanzler Kurz: Ah so! – Zwischenrufe bei der ÖVP.) Ich kann Ihnen aber auch sagen, dass es andere Bereiche gibt, deren Öffnung natürlich die Testzahlen massiv in die Höhe bringen würde, wie zum Beispiel der Kulturbereich oder auch Sportgroßveranstaltungen. Dieser Plan liegt seit Wochen auf dem Tisch. (Ruf bei der ÖVP: Wer trägt die Verantwortung dafür?) Über diesen Plan könnten wir seit Wochen nicht nur diskutieren, sondern ihn auch umsetzen. (Ruf bei der ÖVP: Redet ihr miteinander?) Und dieser Plan sollte in Zukunft auch umgesetzt werden. (Abg. Wöginger: Wer regiert in Wien?! Hallo!)

Sehr geehrter Herr Gesundheitsminister, Sie haben gestern im „ZIB 2“-Interview gesagt, dass Sie zwei schulpflichtige Kinder haben. Ich möchte nicht nur auf die aktuelle Situa­tion schauen, in der wir wirklich dringend schauen müssen, dass wir von diesem Schlechtesten beider Welten, dem Schichtbetrieb, wegkommen, sondern auch auf den Herbst. Wenn eine Gruppe in Österreich über die letzten Monate von dieser Bundesre­gierung vernachlässigt wurde, dann waren es also definitiv Kinder und Jugendliche. Die Frage ist, was ihnen da an Zukunft geraubt wurde. (Zwischenruf des Abg. Ottenschlä­ger.) Ich hoffe, in Ihnen einen Verbündeten zu haben – denn wir haben in dieser Bundes­regierung bisher zu wenige – und dass es zukünftig auch einen Gesundheitsminister gibt, der sagt: Ich fühle mich auch für Schulen und die Frage der Gesundheitspolitik und Pandemiebekämpfung in den Schulen verantwortlich! (Ruf bei der ÖVP: Wer ist der Bil­dungsstadtrat in Wien?)

Ich möchte jetzt drei Themen ansprechen, die mir wichtig sind und die ich Ihnen in Bezug auf die Arbeit noch mitgeben möchte. Der erste Punkt ist die Achtung des Parlaments. Ich habe oft den Eindruck, dass die Regierungsparteien das immer mit einem Strich wegwischen: Es ist mühsam, es ist ja nur Streit hier im Parlament!, aber das Parlament ist die gewählte Volksvertretung. Wir sind aber schon viel zu lange daran gewohnt, dass Regieren per Verordnung passiert. Mit einer ungleichen Machtfülle ausgestattet agieren und regieren Minister – und allen voran der Gesundheitsminister! – per Verordnungen am Parlament vorbei. Es werden wesentliche Debatten hier herinnen nicht geführt. Ja, es lag auch an der Opposition, dass einzelne Aspekte betreffend die ganz wesentlichen Grund- und Freiheitseinschränkungen jetzt in den sogenannten Hauptausschuss kom­men, aber andere ganz wesentliche Bereiche dieser weitgehenden Eingriffe in die Grund- und Freiheitsrechte der Menschen werden hier herinnen nicht debattiert, sondern sie werden per Verordnung gemacht und es gibt hier keine Debatte. Eine Achtung des Parlaments ist auch und gerade in Krisenzeiten das, was ich mir in einer lebendigen Demokratie erwarte, weil es das ist, was eine Demokratie ausmacht. (Beifall bei den NEOS.)

Das Zweite ist die Transparenz. Wir haben ein Problem mit Daten, das haben wir jetzt schon seit 15 Monaten. Wir haben aber auch ein Problem mit Transparenz. Vor einem Jahr sind wir hier gestanden und haben gesagt: Na ja, genau in so einer Krise ist es wesentlich, alle Daten transparent auf den Tisch zu legen, denn wer nichts weiß, muss alles glauben! – Ich behaupte einmal, dass es der Regierung sehr recht war, dass nicht immer alle Daten auf dem Tisch gelegen sind, denn so konnte man die Politik der Angst gut fortsetzen, die man gleich am Beginn dieser Pandemie begonnen hat. (Zwischenruf des Abg. Wöginger.) Es ging darum, eine steuerbare Bevölkerung zu schaffen – steu­erbar ist ja etwas, was Sie in der Volkspartei gerne haben. Nein, es braucht umfassende Transparenz auf allen Ebenen. Ich glaube, es ist jetzt notwendig, da endlich einmal auf die Mündigkeit der Menschen statt auf Paternalismus, den wir in den letzten Monaten zur Genüge erlebt haben, zu setzen. (Beifall bei den NEOS sowie der Abg. Fürst.)

Ein dritter Punkt ist mir ebenfalls ganz besonders wichtig: die Rechtsstaatlichkeit. Sehr geehrte Damen und Herren in dieser Regierung, nein, man kann nicht so einfach auf Gesetze pfeifen und die Verfassung sozusagen so nonchalant als lästig abtun. (Abg. Wöginger: Wer macht das ...?) In dem Moment, in dem der Verfassungsgerichtshof einschreitet, sind die ganzen Verordnungen aber eh wieder aufgehoben. Die Bilanz ist verheerend. In zehn Verordnungen wurden Bestimmungen vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben – in zehn zentralen Verordnungen Ihres Vorgängers! Ich erwarte mir von Ihnen aus Respekt gegenüber der Verfassung, aus Respekt gegenüber unserer Demo­kratie, aus Respekt gegenüber den Menschen in Österreich, dass Sie den Rechtsstaat und die Verfassung mehr als Ihr Vorgänger achten werden. (Beifall bei den NEOS.)

Sehr geehrte Damen und Herren, wir wollen versuchen, hier so etwas wie einen Neustart zu wagen. Neustart bedeutet aber auch, dass Schluss mit Ankündigungen sein muss und dass den Ankündigungen Taten folgen müssen; dass eine Dialogbereitschaft bei der Frage, wie es jetzt weitergehen soll, und zwar weit über den Sommer hinaus und in den Herbst hinein, auch und gerade bei Ihnen als Regierungspartei vorhanden sein muss; dass eine Bereitschaft, in echte Reformen zu gehen, vorhanden ist und nicht von einem Comeback schwadroniert wird, denn ein Zurück zum Alten wird es nicht geben. Wann, wenn nicht jetzt, ist Anlass dafür, über ganz vieles, was falsch gelaufen ist, nach­zudenken? Sie sind seit 1984 in der Regierung. (Abg. Wöginger: Nein, seit 1987! Seit 1987, nicht einmal das weiß man, nicht?! ... mit den Roten?) – Seit 1987, das ist lang genug, Herr Wöginger, oder? (Anhaltende Zwischenrufe bei ÖVP und FPÖ.)

Ich würde aber sagen, es wäre lang genug Zeit gewesen, in ganz wesentlichen Berei­chen, die Unternehmertum befördern, echte Bildung, echte Innovation und zukünftigen Wohlstand ermöglichen, nicht nur an kleinen Rädern zu drehen, sondern echte Refor­men zu wagen. Das tut vielleicht auch Ihren Klientelen weh, aber jetzt ist die Zeit dafür. – Danke vielmals. (Beifall bei den NEOS. – Abg. Wöginger: ... politische Geschichte wäre auch einmal ...!)

11.48

Präsidentin Doris Bures: Nun hat sich Herr Bundesminister Wolfgang Mückstein zu Wort gemeldet. – Bitte, Herr Minister.