11.49

Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz Dr. Wolfgang Mückstein: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol­legen! Sehr geehrte Damen und Herren auch zu Hause vor den Fernsehbildschirmen! (Der Redner trägt eine FFP2-Maske.) Mein Name ist Wolfgang Mückstein, ich bin Arzt für Allgemeinmedizin, in den letzten 15 Jahren praktischer Arzt in Wien gewesen. Ich bin aber auch Vater zweier Töchter. Warum sage ich Ihnen das? – Weil ich Ihnen gleich auch eine Art Beipackzettel mitliefern will, weil natürlich meine persönlichen Erfahrungen als Arzt, aber eben auch als Familienvater meine Entscheidungen in Zukunft mitbestim­men werden.

Wie ist die aktuelle Lage? – Wir befinden uns am Gipfel der dritten Welle. Gipfel bedeutet eigentlich, es geht jetzt wieder runter und es wird alles gut. Ich warne davor, das so zu sehen. Das ist noch lange nicht vorbei. Es ist trügerisch.

Auf der einen Seite machen wir uns darüber Gedanken – und müssen wir uns Gedanken machen –, wie wir wieder aufsperren. Dazu gibt es Gespräche. Wir erwarten gegen Ende der Woche die Einigung, und wir werden Ihnen das dann mitteilen. Wir alle freuen uns natürlich darüber. Wir alle wollen zurück in unser altes Leben. Glauben Sie mir: Ich will auch zurück in mein altes Leben. (Heiterkeit bei der FPÖ.) Ich will wieder meine Freunde treffen. Ich will wieder nach Griechenland auf Urlaub fahren, und ja, ich will mein altes Leben wieder zurück. (Abg. Steger: Maske runter! – Rufe bei der FPÖ: Ins Mikro! Lau­ter!)

Auf der anderen Seite müssen wir aber auch schauen, wie die Situation auf den Inten­sivstationen ausschaut. Wie ist die Situation auf den Intensivstationen? – Gerade in Wien schaut es nicht sehr rosig aus. Wir haben eigentlich fast überall eine Überbelas­tung. Wenn es darum geht, Menschenleben zu schützen, dann mache ich keine Kom­promisse. Das heißt, alles, was wir und was Sie hier in den letzten 15 Monaten gemacht haben, muss das Ziel haben, dass wir zuerst einmal die Menschen schützen, damit sie nicht sterben – all diese Maßnahmen. Dann können wir beginnen, daran zu denken, zu öffnen, wir können an den grünen Pass denken, wir können an den Herbst denken und so weiter. Das ist mein erster wesentlicher Punkt. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Wie können wir das erreichen? – Da ersuche ich Sie auch um Ihre Unterstützung. Wir müssen den Leuten signalisieren: Es gibt eine Lösung. Die Lösung ist für mich: Impfen, Testen, Testen, Testen und die Basismaßnahmen einhalten. Wir müssen Abstand hal­ten, wir müssen uns die Hände waschen und wir müssen (auf seine FFP2-Maske deu­tend) Maske tragen. (Beifall bei Grünen und ÖVP.)

Zum Thema Impfen gibt es tatsächlich gute Neuigkeiten, das muss man schon sagen: Die Dosen von Biontech/Pfizer, die vorgezogen worden sind, die wir jetzt schon im April, im Mai, im Juni bekommen, bedeuten, dass wir – zusätzlich zu den 200 000, die wir über das EU-Kontingent kriegen – tatsächlich sagen können, dass wir alle impfwilligen Ös­terreicher bis Ende Juni impfen können. Denken Sie bitte zurück! Vor einem Jahr ist gesagt worden: Wir kriegen Impfstoff frühestens im Juni 2021 – also in zwei Monaten. Denken Sie an die Situation im Jänner, da hat es geheißen: Wir kriegen Impfstoff!, aber es gab immer mehr Verzögerungen. Wir können tatsächlich seit 10 Tagen sagen, dass in Österreich im Juni genug Impfstoff da sein wird: 4 Millionen Dosen.

Ich war gestern im Vienna International Center. Die Kolleginnen und Kollegen dort, die Krankenschwestern, die Krankenpfleger können am Tag 30 000 Menschen impfen. Können Sie sich das vorstellen? Wenn 130 000 Dosen am Tag in Österreich verimpft werden müssen, dann schafft alleine das Austria Center, das Vienna International Center, 30 000. – Großartig – Respekt dafür! (Beifall bei Grünen und ÖVP sowie bei Abgeordne­ten der SPÖ.) Übrigens: Parallel dazu können dort auch 10 000 Leute einen Schnelltest machen.

Wir sind jetzt dabei, diese ersten Öffnungsschritte zu akkordieren und endabzustimmen. Es fehlt dann noch die Runde über die Länder – natürlich – und die Sozialpartner. Don­nerstag, Freitag wird dann die Kommunikation diesbezüglich erfolgen.

Es ist mir aber auch Folgendes ein besonderes Anliegen: Wir alle kennen den Ausdruck Kollateralschäden. Es gibt die Kollateralschäden im medizinischen Bereich. Das ist das eine. Es gibt die Kollateralschäden aber auch im sozialen Bereich. Ich weiß nicht, ob Ihnen allen die Zahl – oder ich nehme an, dass es so ist – von 1,2 Millionen armen Men­schen – ich benutze extra das Wort arme Menschen – in Österreich bekannt ist. Die werden Sie kennen. Das sind aber bitte die Zahlen von vor der Krise. Wir alle wissen nicht, wie viele Leute jetzt arm sind, denn dazu gibt es noch überhaupt keine Zahlen. Wenn ich weiß, dass eine Mutter, die Alleinerzieherin ist, zu 50 Prozent armutsgefährdet ist, dann ist das bitte ein Auftrag zu handeln – für uns alle. (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ.)

Schauen wir uns die psychischen Auswirkungen der Krise an! Ich habe das in den letzten zehn Jahren grundsätzlich und in den letzten 15 Monaten die Pandemie betreffend er­lebt: Da gibt es natürlich die Depressionen, die zugenommen haben. Angststörungen, Schlafstörungen bei Kindern – so etwas hat es früher fast nicht gegeben – haben rapide zugenommen. Das heißt, die Betreuung, die psychotherapeutische Betreuung, insbe­sondere von Kindern, ist auszubauen, und ja: Ich möchte Psychotherapie auf Kranken­schein. (Beifall bei den Grünen sowie bei Abgeordneten von ÖVP und SPÖ.)

Auch neue Herausforderungen kommen auf uns zu, Long Covid zum Beispiel. Wir wissen in der Zwischenzeit: Zwölf Wochen nach der Infektion werden die Symptome nicht besser, die Leute sind müde, die Leute kommen nicht auf die Beine, sie haben keinen Geruchs-, Geschmackssinn – Long Covid. Wir brauchen erstens einmal eine transparente Kommunikation, damit die Leute überhaupt wissen, dass sie Long Covid haben, und dann anständige Einrichtungen, die im ambulanten Setting – ob in Ordinatio­nen oder in Ambulanzen, das wird zu klären sein – Ansprechpartner bieten, und auch Reha-Einrichtungen.

Ich habe in meiner Zeit – das war die Berufsentscheidung, die ich nach meiner Berufsbe­rechtigung getroffen habe – beim Ganslwirt, für die Wiener, in Mariahilf, jetzt sozialmedi­zinisches Zentrum Jedmayer am Gumpendorfer Gürtel, glaube ich, den Zusammenhang zwischen Armut und Krankheit sehr gut kennenlernen dürfen. Dort sind die Ärmsten der Armen. Dort sind die Drogenabhängigen – multipler Substanzkonsum, Spritzenabszes­se, Hepatitis B, C, HIV –, Leute, die keinen Platz zum Schlafen haben.

Ich habe danach beim Neunerhaus gearbeitet. Dort sind Menschen, die jahrelang auf der Straße gelebt haben, die sich ins Bett legen und zum ersten Mal wieder einen grippalen Infekt kriegen, weil einen grippalen Infekt auf der Straße zu bekommen nämlich heißt, dass man stirbt, und das kann man sich nicht leisten. Ich habe das gesehen, ich habe das auch in der Ordination gesehen. Ich glaube, ich weiß tatsächlich, wo der Schuh drückt. Meine Damen und Herren, die Krise hat diese Sachen schlimmer gemacht. (Abg. Martin Graf: Sie haben ...!) Wenn wir im Regierungsübereinkommen von einer Reduk­tion der Armut reden, dann wissen wir, dass wir jetzt weniger Mittel und mehr Probleme haben. Ich glaube – und da werde ich auch Ihre Unterstützung brauchen –, da müssen wir alle zusammenarbeiten. (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ.)

Die nächste große Baustelle ist natürlich die Baustelle der Pflege. Wir haben viel zu wenig Pflegerinnen und Pfleger. Wir haben viel zu wenig Leute, die sich ausbilden lassen wollen. Das heißt, wir müssen nicht nur die Fragen klären: Wer pflegt und wer wird ge­pflegt? Wie geht man mit Menschen um, die Hilfe in diesem Bereich brauchen?, sondern wir müssen uns fragen: Wie schaffen wir es, Ausbildungsbedingungen zu verbessern? Wir haben das gleiche Thema übrigens auch bei den Ärztinnen und Ärzten. Da haben wir das KPJ – für Insider –, das Klinisch-Praktische Jahr, am Ende des Studiums. Das wird jetzt im Rahmen eines Exzellenzprogramms mit ungefähr 550 Euro gefördert. Ich kann mir das als Beispiel auch für die Pflege vorstellen. Das muss man sich jetzt genau anschauen.

Menschen mit Behinderung: Wenn es eine UN-Behindertenrechtskonvention gibt, die noch nicht umgesetzt ist, dann wird mir ganz schwummrig. Das ist auch ein Auftrag, zu handeln. Man muss auch an Leute denken, die nicht – oder schwerer – aktiv am öffentli­chen Leben teilnehmen können. Das ist mir auch ein besonderes Anliegen. (Beifall bei Grünen, ÖVP, SPÖ und NEOS.)

Das gilt übrigens auch für den Tierschutz, denn für den bin ich auch zuständig – nicht nur für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, sondern auch für den Tierschutz. Das werde ich so wie Rudi Anschober halten.

Gut, dass mir der Name jetzt bei der Rede unterkommt: Ich möchte mich bei Rudi An­schober sehr herzlich bedanken. Warum? – Er hat ein Haus übernommen, in dem we­sentliche Funktionen, wesentliche Sektionen gar nicht besetzt waren. (Zwischenrufe der Abgeordneten Hafenecker und Loacker.) Ihre Funktion (in Richtung Abg. Rendi-Wag­ner) Chief Medical Officer hat es gar nicht mehr gegeben. Wir haben jetzt mit Frau Dr. Katharina Reich unsere oberste Pandemiebekämpferin im Haus – sie ist übrigens auch Impfkoordinatorin –, und das hat Rudi Anschober wieder möglich gemacht, neben der Medizinrechtssektion, die er massiv verstärkt hat, und, und, und. Das Haus ist jetzt pandemiefit, und ich bin der Profiteur davon. – Danke, Rudi Anschober! (Beifall bei Grü­nen und ÖVP.)

Ich darf ein Ressort mit einem sehr breiten Spektrum übernehmen. Das ist mir sehr wohl bewusst. Es muss Ziel sein, eine möglichst große Anzahl der Österreicherinnen und Österreicher in ihrer Lebenssituation zu unterstützen und diese zu verbessern. Wir alle hier werden bitte gemeinsam daran arbeiten! – Ich bedanke mich für die Aufmerksam­keit. (Beifall bei Grünen, ÖVP und SPÖ.)

11.59

Präsidentin Doris Bures: Danke, Herr Bundesminister! Nun ist der nächste Redner Herr Abgeordneter Josef Smolle. – Bitte.