102/PET XXVII. GP

Eingebracht am 04.10.2022
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Petition

Abgeordneter zum Nationalrat Mario Lindner Abgeordnete zum Nationalrat Julia Herr
Abgeordnete zum Nationalrat Nurten Yilmaz

An Herrn

Präsidenten des Nationalrats
Mag. Wolfgang Sobotka
Parlament

1017 Wien, Österreich

Wien, am 28. September 2022

Sehr geehrter Herr Präsident!

In der Anlage überreichen wir Ihnen gem. § 100 (1) GOG-NR die Petition betreffend

„BLACK VOICES. Anti-Rassismus in Österreich zur Praxis machen."

Seitens der Einbringer*innen wird das Vorliegen einer Bundeskompetenz in folgender Hinsicht angenommen:

Gefordert werden zahlreiche Maßnahmen zur Verankerung einer anti-rassistischen Praxis in Zuständigkeitsgebieten des Bundes – unter anderem im Bereich der Bildungspolitik, der
öffentlichen Verwaltung; der Gesundheit, des Arbeitsmarktes, der Polizei, sowie des
Asylsystems und der Migrationspolitik.

Mit der Bitte um geschäftsordnungsmäßige Behandlung dieser Petition verbleiben wir
mit freundlichen Grüßen

Anlage

Hinweis: Ggf. vorgelegte Unterschriftenlisten werden nach dem Ende der parlamentarischen
Behandlung datenschutzkonform vernichtet bzw. gelöscht, soweit diese nicht nach den
Bestimmungen des Bundesarchivgesetzes zu archivieren sind.


BLACK VOICES

Anti-Rassismus in Österreich zur Praxis machen.

 

Das Black Voices Volksbegehren war eine antirassistische Initiative in Österreich mit dem Zweck die institutionelle, repräsentative, gesundheitliche, bildungspolitische, arbeitsrelevante und sozioökonomische Stellung für Schwarze Menschen, Menschen afrikanischer Herfkunft und People of Color mit bundesverfassungsrechtlichen Maßnahmen zu verbessern und zu stärken. Mit 99.381 Unterstützer*innen verfehlte das Volksbegehren nur ganz knapp die Behandlung im Nationalrat, doch eines steht fest: Die Forderungen sind heute aktueller denn je – das Ziel einer anti-rassistischen Praxis in Österreich muss auch in Zukunft im Österreichischen Parlament diskutiert werden. Um eine breite parlamentarische Debatte zu ermöglichen, bringen die unterfertigten Abgeordneten die vorliegenden Forderungen des Volksbegehrens als Petition in den Nationalrat ein.

 

Bildung

 

Rassismusprävention beginnt durch Bildung. Lehrkräfte und Schüler*innen müssen Rassismus verlernen und Anti-Rassismus erlernen. Bildungseinrichtungen müssen Inklusion ermöglichen.

Deshalb fordern wir:

1.     Aufklärungsarbeit und Sensibilisierung für Rassismus sowie die Reflexion über Privilegien müssen unter Mitwirkung außerschulischer und außeruniversitärer Anti- Rassismus-Einrichtungen und –expert*innen verpflichtend in den Unterricht, die Lehre und die pädagogische Betreuung integriert werden, etwa in Form von Workshops oder freien Lehrveranstaltungen. Außerdem soll das Unterrichtsprinzip "Post-Kolonialismus" in Österreich eingeführt werden.

2.      Schulbücher sowie Lehr- und Lerninhalte aller Schulformen müssen auf diskriminierende, rassistische, kolonialistische und eurozentrische Kontinuitäten fortschreibende Inhalte überprüft und gegebenenfalls geändert werden. In allen Bildungsmedien und Lehr- und Lerninhalten muss die Diversität der Bevölkerung abgebildet und Schwarze Menschen und People ob Colour als gleichberechtigt und gleichwertig dargestellt werden.

3.      Inklusive Pädagogik als Basisausbildung von Lehrpersonen sowie verpflichtende Aus- und Fortbildungen für pädagogisches Fachpersonal und Lehrpersonen aller Schulformen zur Sensibilisierung für Rassismus, zur Reflexion eigener Privilegien und Vorteile sowie zum Umgang mit Diversität und Mehrsprachigkeit.

4.      Ersetzung der segregativen Deutschförderklassen durch die Einführung eines gemeinsamen Deutschunterrichts, der an die individuellen Voraussetzungen aller Schüler*innen angepasst ist. Gezielte Förderung der Schüler*innen durch die Erhöhung des Stundenkontingents für Förderunterricht sowie den Ausbau der Ganztagsschule und des Unterrichts in der Erstsprache.

5.      Erhöhung des Anteils Schwarzer Menschen und People of Colour im Bereich des pädagogischen Fachpersonals, des Lehrpersonals und als Direktor*innen.

6. Einrichtungen von unabhängigen und außerschulischen Beratungs- und Interventionsstellen sowie von Meldestellen für rassistische Vorfälle in allen Bundesländern, die von der Handhabung her auf Jugendliche ausgerichtet sein sollen (z, B. Bearbeitung mittels Chat oder Hotline).

 

Repräsentation und Öffentlichkeit

 

Schwarze Menschen und People of Colour sind genauso Teil der Gesellschaft wie alle anderen in Österreich lebenden Menschen. Dazu muss sich auch bekannt werden! Sie es in Medien, Politik oder im Stadt- und Ortsbild.

Deshalb fordern wir:

1.     Wahlrecht an den Hauptwohnsitz binden. Einführung des aktiven und passiven Wahlrechts auf allen politischen Ebenen, ab einer gemeldeten Wohndauer von fünf Jahren in Österreich.

2.      Erhöhung des Anteils Schwarzer Menschen und People of Colour bei der Besetzung politischer Gremien und Kontrollgremien von Unternehmen mit Staatsbeteiligung. Besonderer Fokus soll dabei auf Schwarze Frauen* und Women* of Colour gelegt werden.

3.      Anti-Rassismus-Beauftragte*r für jede staatliche Institution von der Bezirks- bis zur Bundesebene. Diese Beauftragten sollen vornehmlich Schwarze Menschen und People of Colour sein.

4.      Keine Nennung der Herkunft von Täter*innen beziehungsweise Tatverdächtigen in den Medien.

5.      Die sofortige Umbenennung von rassistischen und kolonialistischen Straßennamen und Ortsbezeichnungen (beispielsweise "Mohrengasse").

6.     Verbot von Werbungen, Marketingstrategien und sonstigen kommerziellen Medieninhalten, die Schwarze Menschen und People (insbesondere Women*) of Colour in abwertender, stereotyper, sexistischer und/oder rassistischer Weise darstellen.

 

Gesundheit

 

Rassismus wirkt sich negativ auf die psychische und physische Gesundheit der Betroffenen aus. Die medizinische Forschung und Lehre fokussierten sich mehrheitlich auf weiße, meist männliche Körper. Nicht berücksichtige Personengruppen sind einem höheren Risiko von Behandlungsfehlern und Fehldiagnosen ausgesetzt, die wiederum fatale gesundheitliche Folgen nach sich ziehen können. Das Gesundheitswesen muss gesundheitliche Chancengerechtigkeit und eine adäquate gesundheitliche Versorgung aller Menschen sicherstellen.

Deshalb fordern wir:

1.     Ausbau der Diversität in der medizinischen Forschung, Lehre und Praxis, um ein wissenschaftlich breiteres und individualisiertes Wissen über den menschlichen Körper jeder Hautfarbe zu generieren (nach Vorbild der Gender- und Kindermedizin).

2.      Erhöhung der staatlichen Finanzierung von Studien, die sich wissenschaftlich mit der Gesundheit Schwarzer Menschen und People of Colour (u.a. zu den Auswirkungen von Racial Profiling und Rassismus auf die Psyche) auseinandersetzen.

3.     Anti-Rassismus-Workshop und Änderungen in der Ausbildung sowie berufsbegleitende Fortbildungen für Psychiater*innen, Psycholog*innen und Psychotherapeut*innen, um die psychischen und psychologischen Erfahrungen Schwarzer Menschen und People of Colour in Forschung und Therapie mit einzubeziehen.

4.      Anti-Rassismus-Workshop und Änderungen in der Ausbildung sowie berufsbegleitende Fortbildungen für praktizierendes medizinisches Personal an einer Klinik oder im niedergelassenen Bereich (insbesondere in der Allgemeinmedizin) um Schwarzen Menschen oder People of Colour nach biopsychosozialem Modell die individualisiert beste Behandlung zukommen zu lassen.

5.     Anti-Rassismus-Beauftragte*r in der Österreichischen Ärztekammer, in den Kliniken und den Patient*innenanwaltschaften sowie Einrichtung einer unabhängigen Meldestelle für rassistische Ereignisse.

6.      Einrichtung von staatlich finanzierten Förderprogrammen (beispielsweise Stipendien) an den Universitäten, um mehr Schwarze Menschen und People of Colour für den medizinischen Bereich zu motivieren.

 

Arbeitsmarkt

 

Diversität am Arbeitsplatz ist Ausdruck gleichberechtigter Teilhabe von Schwarzen Menschen und People of Colour. Arbeitgeber*innen, Firmen und Unternehmen müssen Diversität als Teil der Unternehmenskultur etablieren und ein Rassismus freies Arbeitsumfeld sicherstellen.

Deshalb fordern wir:

1.     Anti-Rassismus-Workshops in Unternehmen mit direkter und indirekter Staatsbeteiligung für das gesamte Personal mit dem Ziel einer offenen und inklusiven Organisationskultur sowie das Angebot von Anti-Rassismus-Workshops für private Unternehmen durch das Bundesministerium für Arbeit unter Mitwirkung externer Anti-Rassismus-Einrichtungen und -expert*innen.

2.      Erhöhung des Anteils von Schwarzen Menschen und People of Colour in Unternehmen mit Staatsbeteiligung in allen Ebenen der Belegschaft. Diese Strategie soll zentral in der Organisationsentwicklung und im Bewerbungsprozess verankert werden.

3.      Privatunternehmen, die die Diversität in ihrer Belegschaft nachhaltig fördern, sollen bevorzugt (zusätzliche) öffentliche Leistungen erhalten.

4.      Ausbau der Anerkennung von Ausbildungen und (akademischen) Abschlüssen von Migrant*innen in Österreich.

 

Polizei

 

Polizei und Justiz sind unerlässlich für die Rassismusbekämpfung. Innerhalb und außerhalb der Polizei und Justiz müssen rassistische Vorfälle konsequent geahndet und Betroffene adäquat unterstützt werden. Sicherheitsinstitutionen müssen allen Menschen gleichermaßen Schutz und Hilfe bieten.

Deshalb fordern wird:

1.      Einrichtung eines psychosozialen Dienstes von und für Schwarze Menschen und People of Colour bei Fällen rassistischer Polizeigewalt.

2.      Einrichtung einer neuen und unabhängigen Kontroll- und Beschwerdestelle gegen polizeiliches Fehlverhalten - explizit außerhalb vom Bundesministerium für Inneres - mit Expert*innen. Bei der Auswahl der Expert*innen ist sicherzustellen, dass Schwarze Menschen People of Colour mit gleicher fachlicher Kompetenz, in der Auswahl der Stellenbewerber*innen bevorzugt werden.

3.      Wirksame rechtliche Konsequenzen bei Fehlverhalten von Exekutivbeamt*innen.

4.      Verfahrenserleichterung für Betroffene von rassistischen polizeilichen Übergriffen.

5.      Verpflichtende Verwendung von Bodycams und Anbringung der Dienstnummer an der Dienstkleidung der Polizeibeamt*innen.

6.      Anti-Rassismus-Schulungen als Teil der Polizeiausbildung, abgehalten von externen Expert*innen. Bei der Auswahl der Expert*innen ist sicherzustellen, dass Schwarze Menschen und People of Colour mit gleicher fachlicher Kompetenz in der Auswahl der Trainer*innen bevorzugt werden.

7.      Öffentliche Beschimpfungen und Verspottungen, die sich gegen der im § 283 Abs. 1 StGB bezeichneten Gruppen richten, müssen unabhängig von Wortwahl und Anwesenheit mehrerer Personen verfolgt werden. Die Strafverfolgung der Täterin/des Täters erfolgt auf Verlangen der verletzten Person, ohne dass das Delikt als Privatanklage beim zuständigen Strafgericht erhoben werden muss. Bei einem Privatanklagedelikt muss die Gebühr von €270, welche vom Strafgericht erhoben wird, nicht von der verletzten Person, die öffentliche Beschimpfung und Verspottung erlebt, getragen werden.

 

Flucht und Migration

 

Eine humane Migrationspolitik ist die Basis für eine offene und inklusive Gesellschaft. Dafür müssen die Menschenrechts-Prinzipien geachtet, Hetze gegen Migrant*innen unterlassen und Geflüchteten aktiv geholfen werden.

Deshalb fordern wir:

1.      Einsatz der österreichischen Regierung für die Erneuerung des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) sowie für die Schaffung sicherer und legaler Wege nach Europa unter Beachtung der menschenrechtlichen Prinzipien der UN-Menschenrechtscharta sowie der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).

2.      Aktive Beteiligung Österreichs an Resettlement- sowie Relocation-Programmen, insbesondere durch die Aufnahme von Geflüchteten aus überfüllten Aufnahmezentren.

3.      Inklusion aller Menschen mit Flucht- bzw. Migrationshintergrund in die österreichische Gesellschaft durch den Ausbau des Angebots und der staatlichen Finanzierung von

Deutschkursen, durch die Erweiterung von Angeboten zur Eingliederung in den Arbeitsmarkt sowie durch die Ausweitung des Zugangs von Asylwerber*innen zum Arbeitsmarkt.

4. Obligatorische Anti-Rassismus-Schulung für sämtliche am Asylverfahren beteiligte Akteur*innen sowie das Angebot einer psychologischen Unterstützung und Kinderbetreuung für die Dauer der Einvernahme und der mündlichen Verhandlung.

5. Ergreifung von Maßnahmen zur Bekämpfung von Verhetzung, rassistischer Gewalt und rassistischer (öffentlicher) Beleidigung gegenüber Asylwerber*innen, Geflüchteten und Migrant*innen, insbesondere in Wahlkämpfen und im politischen Diskurs, sowie – sofern angezeigt – konsequente Strafverfolgung.