Parlamentskorrespondenz Nr. 17 vom 19.01.2000

FINANZMINISTER EDLINGER: DAS BUDGETLOCH IST FINANZIERBAR

Experten analysieren im Budgetausschuss die Lage der Staatsfinanzen

Wien (PK) - Auf der Tagesordnung des heutigen Budgetauschusses stand der BUNDESRECHNUNGSABSCHLUSS 1998. Die Verhandlungen darüber waren am 2.12.1999 vertagt worden, um heute gemeinsam mit Finanzexperten ein Hearing zum Thema Budgetpolitik abzuhalten. Im Vordergrund der Aussprache stand die Frage, wie das Lob des Rechnungshofes über die Umsetzung der Bundesvoranschläge der letzten Jahre und des Sparpakets bei gleichzeitiger Mahnung zu Maßnahmen gegen das strukturelle Defizit zu verstehen sei. Finanzminister EDLINGER sah sich mit der Frage konfrontiert, warum er Mitte 1999 kein "Budgetloch" gesehen habe, jetzt aber einen zusätzlichen Finanzierungsbedarf einräumen müsse.

Rechnungshofpräsident Dr. FIEDLER schränkte sein Lob für die Bundesregierung auf die insgesamt ordnungsmäße Umsetzung der budgetären Vorgaben ein und erinnerte an seine wiederholten Mahnungen zu längerfristigen strukturellen Maßnahmen bei der Budgeterstellung. Der Finanzminister machte darauf aufmerksam, dass das Budget 1999 ebenso mit einem geringeren Defizit abgeschlossen werde wie jenes für 1998. Der zusätzliche Finanzbedarf im Jahr 2000 resultiere aus dem Umstand, dass noch kein Budget ausgearbeitet werden konnte. Die Finanzierungslücke betrage 2000 20 Mrd. S., die ohne gegensteuernde Maßnahmen auf 63 Mrd. S bis zum Jahr 2003 wachsen würde. Unter der Voraussetzung, das keine weiteren Ausgaben hinzukommen, könne dieser Fehlbetrag aufgebracht werden, zeigte sich der Finanzminister überzeugt. Er sehe keinen Anlass für eine Budgethysterie, sagte Minister Edlinger, der in seinem Optimismus von den Budget-Experten Dr. WALTERSKIRCHEN und Dr. ROSSMANN unterstützt wurde. Einig waren Rechnungshofpräsident, Abgeordnete und Experten, dass die Instrumente Budgetvorschau, Budgetprogramm und Budgetbericht stärker genützt werden sollen, um negativen Entwicklungen in den öffentlichen Haushalten rascher gegensteuern zu können.

ABGEORDNETE FRAGEN ...

Abgeordneter Mag. TRATTNER (FP) sprach zunächst von einer Stunde der Wahrheit und leitete die Debatte mit der Frage ein, wie es möglich sei, dass der Budgetvollzug Jahr für Jahr hohes Lob vom Rechnungshof erhalte, nunmehr aber über einen zusätzlichen Finanzbedarf von 63 Mrd. S bis 2003 zu diskutieren sei.

Abgeordneter Ing. GARTLEHNER (SP) drängte auf eine sachliche Diskussion über die aus seiner Sicht gute und erfolgreiche Konsolidierungspolitik der Bundesregierung. Es sei gelungen, die Maastricht-Kriterien zu erfüllen und die Budgetberechnungsmethode mit jener der EU zu harmonisieren. Gartlehner lobte ausdrücklich den geringen Umfang der Abweichungen bei den Ausgaben.

Abgeordneter KURZBAUER (VP) wollte wissen, warum der Finanzminister noch Mitte des Vorjahres sagen konnte, es gebe kein Budgetloch.

Abgeordneter Dr. VAN DER BELLEN (G) hielt es für notwendig, Budgetdaten rascher zu erstellen, um früher Indikatoren für die Entwicklung des strukturellen Defizits zu bekommen. Er wollte rascher auf aktuelle Entwicklungen reagieren können. Zudem erkundigte er sich, ob der Budgetvollzug der letzten Jahre regelmäßige Abweichungen vom Bundesvoranschlag erkennen lasse.

... BUDGETEXPERTEN ANTWORTEN

Dr. Ewald WALTERSKIRCHEN (WIFO) gab als Hauptgrund für den zusätzlichen Finanzierungsbedarf Einnahmenausfälle infolge der Steuer- und Familiensteuerreform und nannte als Ursache für den zusätzlichen Pensionsaufwand die demographische Verschiebung der Bevölkerung. Der Anteil der über 60-jährigen wird bis 2003 um 144.000 Personen zunehmen, während die Zahl der Erwerbstätigen um 70.000 bis 80.000 zurückgehen und gleichzeitig die Zahl der Kinder um 5 % abnehmen werde. Bei guter Konjunktur müsste diese Lücke aber ohne Sparpakete zu schliessen sein, sagte der Experte.

Prof. Dr. Gerhard LEHNER (WIFO) beantwortete die Frage des Abgeordneten Trattner nach den grössten Brocken des auf 63 Mrd. S geschätzten zusätzlichen Finanzierungsbedarfs des Bundes bis 2003 wie folgt: 25 bis 30 Mrd. S für die Pensionen und 15 bis 20 Mrd. S für den Personalaufwand. Dazu kommen steigende Aufwendungen in den Bereichen Soziales und ASFINAG. Um Überraschungen künftig zu vermeiden, schlug Lehner vor, die mittelfristigen Budgetvorschau zu aktivieren. Lehner teilte das Unbehagen Van der Bellens an der mangelnden Transparenz der Budgetpolitik und klagte über schwierige  Zahlenvergleiche durch Ausgliederungen. Für verbesserungswürdig hielt Lehner auch die Integration der Haushaltsdaten von Ländern und Gemeinden in die Nettodarstellung des öffentlichen Sektors.

Dr. Franz BURKERT sah die Budgettransparenz auch durch Vorzieheffekte der Sparpakete in Mitleidenschaft gezogen. Um die WWU-Kriterien zu erreichen, habe man Einnahmen gepusht, Verlustvorträge sistiert und damit eine Fülle von Budgetunsicherheiten bewirkt, ohne das Ziel zu erreichen, die Finanzschuld des Bundes zu senken.

Auch Dr. Bruno ROSSMANN sah die ökonomische Analyse der Budgetentwicklung durch geringere Transparenz schwieriger geworden. Neben den Ausgliederungen machte er dafür auch die Änderung der Defizitberechnung infolge des EU-Beitritts verantwortlich. Er klagte darüber, dass die öffentlichen Investitionen kaum noch berechenbar seien. - Nach Reduzierung des strukturellen Defizits in den Jahren 1996/97 seien die Strukturprobleme im Jahr 1998 wieder gewachsen und hätten durch Familiensteuerreform und Steuerreform weiter zugenommen. Rossmann regte an, Budgetvorschau, Budgetprogramm und Budgetbericht ernster zu nehmen als zuletzt; diese Instrumente lassen Tendenzen erkennen und zeigen Handlungsbedarf an. Schließlich wandte er sich gegen eine Budgethysterie in den Medien, für die er keinen Anlass sah. - Bei den Abweichungen vom Budgetvoranschlag nannte der Experte die Umsatzsteuerschätzung, die Folgen von Ausgliederungen und die regelmäßig unterdotierten Gesundheitsbeihilfen trotz realistischer Prognosen. Rossmann sprach von systematischen Abweichungen sowohl auf der Einnahmen- wie auch auf der Ausgabenseite.

Rechnungshofpräsident Dr. FIEDLER stellte einleitend fest, dass der Budgetvollzug des Jahres 1998 nicht kritikabel sei. Der Vollzug des Budgets 1998 sei ordnungsgemäß abgewickelt worden, dies festzustellen sei Aufgabe des Rechnungshofes. Er habe aber immer wieder zum Ausdruck gebracht, dass es mit Sparpaketen allein nicht sein Bewenden haben könne, sondern weitere strukturelle Maßnahmen, insbesondere ausgabenseitige Konsolidierungsschritte, erforderlich seien. Nicht der Budgetvollzug 1998 habe Probleme geschaffen, sondern die Erstellung des Budgets; dort sei der Hebel anzusetzen. Während 1997 eine Senkung des Defizits nach Maastricht-Kriterien erzielt wurde, sei für 1998 ein höheres Defizit veranschlagt und damit ein falscher Weg eingeschlagen worden. - Regelmäßige Abweichungen von den Bundesvoranschlägen registrierte der Rechnungshofpräsident nicht, wohl aber schloss er sich den Klagen der Vorredner darüber an, dass die Budgethoheit des Nationalrates durch mangelnde Transparenz des Haushalts infolge von Ausgliederungen beschränkt werde. - Auch der Rechnungshofpräsident schlug vor, Budgetvorschauen besser zu nutzen und im Nationalrat intensiver zu diskutieren, vor allem hielt er es für wünschenswert, die Daten zum Maastricht-Defizit rascher zu berechnen.

Finanzminister EDLINGER wies die Abgeordneten mit Stolz darauf hin, dass auch für das Jahr 1999 ein geringeres Defizit zu erwarten sei, als dies im Bundesvoranschlag vorgesehen war. Obwohl dieses Budget bereits Mitte 1997 erstellt worden war und die Einnahmen sich auf Grund einer besonders niedrigen Inflation geringer entwickelten, habe das Budget im Vorjahr im Wesentlichen gehalten.

Noch einmal erklärte der Ressortleiter, dass er im Hinblick auf das Budgetprovisorium, das seit Beginn des Jahres gilt, gezwungen war, die Ermessenskredite um 20 % zu kürzen. Da es noch kein Budget für das Jahr 2000 gebe, sei dies seine einzige Möglichkeit gewesen um zu verhindern, dass das Finanzierungsproblem im Jahr 2000 grösser werde. Sein Erlass werde sehr flexibel, keineswegs im Sinne einer linearen Kürzung, umgesetzt, wichtig sei ihm nur, dass der Nettoansatz stimme. Das "Budgetloch", das freilich nur entstünde, würde die Politik nicht handeln, bezifferte Edlinger für 2000 mit 20 oder 22 Mrd. S. Es würde bis 2003 auf 63 Mrd. S wachsen. Er halte es für möglich, diese Lücke zu schliessen, sagte Finanzminister Edlinger. Er sah keinen Anlass für Hysterie, hielt alle Finanzierungsprobleme für lösbar und unterstrich die Absicht von SPÖ und ÖVP, das gesamtstaatliche Defizit bis 2005 auf 1 % des BIP zu reduzieren. Dies nicht aus "sportlichem Ehrgeiz", wie Edlinger anmerkte, sondern deshalb, weil zusätzliche Schulden zusätzliche Belastungen durch Zinsen mit sich bringen.

Um die Transparenz und die Planbarkeit des Budgets zu verbessern werde der Bundesvoranschlag für das Jahr 2000 eine Beilage über die finanziellen Beziehungen zwischen den Bund und den ausgegliederten Einrichtungen enthalten.

Hauptthemen einer zweiten Fragen-Antwortrunde zwischen Abgeordneten, Experten, Ressortleiter und Rechnungshofpräsident waren eine neuerliche Pensionsreform (Abgeordneter Mag. KOGLER,G), das Thema Abgabenrückstände und Einmaleffekte (Abgeordneter BÖHACKER,FP), Einsparungen in der öffentlichen Verwaltung (Abgeordnete HAGENHOFER,SP), die budgetären Auswirkungen der Zinsentwicklung und das Privatisierungspotenzial (Abgeordneter Mag. FIRLINGER,FP) sowie Kritik an der Absicht, "die Fonds abzukassieren" (Abgeordneter Mag. STEIDL,VP).

Dr. WALTERSKIRCHEN informierte darüber, dass die zu erwartenden Mehrkosten infolge höherer Zinsen, die Dr. Lehner bis 2003 auf insgesamt 15 Mrd. S schätzte, in der von den Experten genannten Summe von 63 Mrd. S inkludiert seien. Überschüsse der Fonds, so Walterskirchen, mindern das Defizit in jeden Fall, ob sie nun budgetär verwendet werden oder im Vermögen des Bundes bleiben. Die budgetären Auswirkungen der diskutierten Erhöhung des Frühpensionsalters bezifferte Dr. LEHNER mit 10 Mrd. S pro Jahr.

Die Auffassung des Finanzministers, einnahmenseitige und ausgabenseitige Maßnahmen zur Budgetkonsolidierung würden von den Betroffenen gleich unangenehm empfunden, kritisierte Dr. BURKERT. Seiner Meinung nach mindern einnahmenseitige Maßnahmen die Investitionen und vergrößern die bereits auf 9 % bzw. 233 Mrd. S geschätzte Schattenwirtschaft.

Dr. ROSSMANN drängte darauf, Ausgliederungen jeweils zu evaluieren um Fehlentwicklungen zu erkennen, dazu gehöre die finanzielle Darstellung ausgegliederter Einheiten im Budget. Seiner Meinung nach eignen sich die Pensionen nicht zur Sanierung des Budgets, weil dadurch das Vertrauen in das Pensionssystem untergraben werde. Rossmann schlug vor, Effizienzpotenziale in der öffentlichen Verwaltung im Sinn von "New Public Management" auszuschöpfen.

Rechnungshofpräsident Dr. FIEDLER gab die Summe der grauen Finanzschulden in den Bereichen Umwelt und Wasserwirtschaftsfonds, ASFINAG, BIG und SchIG mit 136 Mrd. S an. Das theoretische Privatisierungspotenzial des Bundes berechnete Dr. Fiedler mit 32 Mrd. S. Personalabbau in der öffentlichen Verwaltung wollte er an eine vorgängige Aufgabenkritik und Ausgliederungen an klare Zielvorgaben gebunden wissen. Grundsätzlich wandte er sich gegen lineare Personalkürzungen in der Verwaltung. Auch hielt er Maßnahmen bei den Pensionen nicht für geeignet, um kurzfristige Budgetsanierungserfolge zu erzielen. Das Vertrauen der Bevölkerung in das System der Alterssicherung sei zu schützen.

Finanzminister EDLINGER gab bekannt, dass die Steuerrückstände derzeit 75 Mrd. S ausmachen und relativ sinken, da sie bei wachsendem BIP gleich bleiben. Von Seiten der deutschen Steuerreform (Frage des F-Abgeordneten BÖHACKER) sah Edlinger keinen Handlungsbedarf. Österreich liege bei der Körperschafts-, Lohn- und Mineralölsteuer weiter unter den deutschen Sätzen.

Reserviert zeigte sich Bundesminister Edlinger gegenüber weiteren Privatisierungen, da es wirtschaftspolitisch nicht schlau sei, Industriebeteiligungen zu verkaufen, um einen relativ geringen Betrag zu lukrieren. - Ablehnend zeigte sich Edlinger auch gegenüber dem Vorschlag, die privatwirtschaftlich erstellten Bilanzen ausgegliederter Unternehmen politisch zu prüfen.

Als einen "tollen Erfolg" bezeichnete der Ressortleiter die im Jahr 1998 erstmals eingesetzten Maßnahmen gegen das "Dezemberfieber". Die Möglichkeit der Ressorts, nicht verbrauchte Budgetmittel für das nächste Jahr zurückzulegen, habe dem Budget insgesamt 1,3 Mrd. S gebracht.

Der Bundesrechnungsabschluss 1998 wurde in Form eines Bundesgesetzes mit SP-VP-Mehrheit beschlossen.

DIE ZENTRALEN BUDGETDATEN 1998

Das Nettodefizit lag 1998 mit 66 Mrd. S um 1,2 Mrd. S unter dem Abgang des Jahres 1997 und um 1,3 Mrd. S unter der Vorgabe des Bundesfinanzgesetzes 1998. Die Einnahmen stiegen gegenüber 1997 netto um 5,1 % auf 696,1 Mrd. S an, während der Zuwachs der Ausgaben mit 4,5 % auf 762,1 Mrd. S geringer ausfiel. Bereinigt um vermögenswirksame Transaktionen wie Grundstückserwerb oder -verkauf und Rücklagenzuführungen verbesserte sich der Budgetsaldo binnen Jahresfrist von minus 67,8 Mrd. S auf minus 46 Mrd. S.

Günstig lag der Budgetvollzug 1998 auch hinsichtlich der - um den Zinsendienst bereinigten - Primärausgaben: Der erstmals 1997 erzielte Einnahmenüberschuss von 20,9 Mrd. S konnte auf 27,2 Mrd. S erhöht werden.

Positiv entwickelte sich 1998 auch die Volkswirtschaft. Mit Ausnahme der Arbeitslosenquote, die seit 1997 von 7,1 % bzw. 4,4 % (EUROSTAT-Quote) auf 7,2 bzw. 4,5 % leicht anstieg, weisen alle Eckdaten im Vorjahr nach oben: Das BIP-Wachstum lag mit 3,3 % über dem Vorjahrsniveau (2,5 %), über den Erwartungen bei der Budgeterstellung (2,2 %) und den in Deutschland (2,8 %), der EU (2,8) und in der OECD (2,3 %) erzielten Werten. Die Beschäftigung nahm um 1 % zu, während die Inflation von 1,3 % auf 0,9 % zurückging. Das Minus der Leistungsbilanz sank absolut von 61,4 Mrd. S auf 51,6 Mrd. S, die Relation des Defizits zum BIP verbesserte sich von 2,4 % auf 2 %. Das Wachstum der Ausfuhren (8,2 %) übertraf bei steigendem privaten und öffentlichen Konsum (+2,6 % bzw., +3,2 %) die Zunahme der Einfuhren (6,2 %) deutlich. Das Volkseinkommen wuchs 1998 um 3,8 % (1997: 3,7 %) auf 1.897,4 Mrd. S, wobei das Plus bei den Einkünften aus Besitz und Unternehmung sowie bei den unverteilten Gewinnen der Kapitalgesellschaften (5,9 %) neuerlich über der Steigerung der Bruttoentgelte für unselbständige Arbeit (3,4 %) lag. Die Abgabenquote sank (nach Kriterien der OECD) im Jahr 1998 von 44,3 % auf 44,2 %. (Schluss)