Parlamentskorrespondenz Nr. 30 vom 26.01.2000

FINANZ-, SOZIAL- UND WISSENSCHAFTSTHEMEN IM SCHATTEN DES UMBRUCHS

Dringlicher Antrag der Grünen zur Neutralität

Wien (PK) Finanz-, Sozial- und Wissenschaftsthemen standen auf der Tagesordnung der heutigen Plenarsitzung des Nationalrats, aber die Debatte stand ganz im Schatten der innenpolitischen Umbruchsituation nach dem Scheitern der Koalitionsgespräche zwischen SP und VP, dem absehbaren Ende der Bemühungen um eine SP-geführte Minderheitsregierung und den laufenden Regierungsverhandlungen zwischen F und VP. Schon der erste Punkt der Tagesordnung - der Bundesrechnungsabschluss für das Jahr 1998 - bot den Rednern der vier Fraktionen Gelegenheit, ihre Positionen im Blick auf die geänderte und sich ändernde innenpolitische Situation darzustellen.

Vor Eingang in die Tagesordnung gab Nationalratspräsident Dr. FISCHER bekannt, dass der Klub der Grünen das Verlangen gestellt hat, den Selbständigen Antrag 60/A(E) des Abgeordneten Dr. Pilz betreffend „Österreichische Neutralität, europäische Einigung und sofortige Durchführung einer Volksbefragung“ dringlich zu behandeln.

BUNDESRECHNUNGSABSCHLUSS 1998 (III-1 d.B. )

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Nach Ansicht des Abgeordneten Mag. TRATTNER (F) dokumentiere der Bundesrechnungsabschluss 1998 die finanzielle Situation des Bundes auf Besorgnis erregende Weise. Es gebe nicht nur Schulden in der Höhe von 1.863 Mrd. S, der Bund komme seinen Verpflichtungen auch immer schleppender nach, monierte der Redner. Auch mit den Bundeshaftungen, die bereits 817 Mrd. S betragen, sitze man auf einem „explosiven Stoff“. Kritisch setzte sich Trattner zudem mit der Zinsgebarung des Bundes auseinander und machte darauf aufmerksam, dass die Reduktion um nur 1 % 20 Mrd. S für das Budget bringen würde.

Die Sozialdemokraten blicken mit grosser Gelassenheit in die Zukunft und werden sich genau anschauen, wie sich die Finanzpolitik in den nächsten Jahren entwickeln wird, kündigte Abgeordneter Ing. GARTLEHNER (SP) an. Der Bundesrechnungs-Abschluss 1998 stehe seiner Auffassung für eine sehr erfolgreiche Regierungsepoche, denn er dokumentiere die Realisierung des Konsolidierungskurses und das Erreichen der Budgetziele. Noch nie seien die volkswirtschaftlichen Eckdaten besser als derzeit gewesen: niedrigste Inflation und höchste Beschäftigungsquote seit dem Jahre 1945, halbierte Budgetdefizite, sinkende Staatsverschuldung, reales Wirtschaftswachstum und stark steigende Exportraten.

In Richtung seines Vorredners stellte Abgeordneter Dr. VAN DER BELLEN (G) klar, dass niemand bestritten habe, dass der Budgetvollzug mit dem Voranschlag übereingestimmt habe. Dies heiße aber noch lange nicht, dass der ursprüngliche Voranschlag in Ordnung war. 1998 und 1999 habe Österreich etwa das zweithöchste bzw. das höchste Defizit in der gesamten EU aufgewiesen, und 2000 stehe Österreich sogar „einsam an erster Stelle“, erinnerte Van der Bellen. Für diese Entwicklung könne nicht nur der Finanzminister, sondern müsse auch der Koalitionspartner verantwortlich gemacht werden, denn während der Zeit der Großen Koalition haben die Finanzschulden um 1.000 Mrd. S zugenommen. Abschließend appellierte er an die politische Verantwortung der ÖVP, das notwendige Budgetprovisorium mitzubeschließen.

Abgeordneter Dr. STUMMVOLL (VP) räumte eingangs ein, dass Finanzminister Edlinger beim Budget mehrmals eine Punktlandung gelungen sei. Ein schweres Versäumnis sei es jedoch gewesen, dass die SPÖ dem Vorschlag der Volkspartei, eine Ausgabeneinsparungskommission einzusetzen, nicht zugestimmt habe. Überdies habe Edlinger im Vorjahr in einem Zeitungsinterview gemeint, es gebe kein Budgetloch, nunmehr sehe er jedoch Handlungsbedarf. Es sei nicht fair, so Stummvoll, wenn der Finanzminister im Budgetausschuss Zahlen nenne, die nicht auf der geltenden Rechtslage basieren.

Man müsse Edlinger den Vorwurf machen, dass er die Alarmglocken, die oft geschrillt haben, schlichtweg ignoriert habe, erklärte Abgeordneter Mag. FIRLINGER (F). Der Finanzminister habe seiner Auffassung nach die wahren Zahlen verschleiert und eine äußerst schlampige Budgetpolitik betrieben. Was die aktuelle Situation betrifft, so habe er seine Zweifel, ob es beim Budgetloch in der Höhe von 63-65 Mrd. S hochgerechnet auf das Jahr 2003 bleiben wird. Es sei höchst an der Zeit, eine glasklare und transparente Fiskalpolitik zu vollziehen, die nicht mehr von unrealistischen Annahmen ausgehe.

Finanzminister EDLINGER erinnerte daran, dass die Opposition den Bundesvoranschlag 1998 abgelehnt habe. Dass sie einem Rechnungsabschluss zustimmen könnte, der die punktgenaue Umsetzung dieses Voranschlages dokumentiere, sei daher nicht zu erwarten. In diesem Zusammenhang gab Edlinger bekannt, dass es ihm auch 1999 gelungen sei, die Budgetvorgaben nicht nur exakt zu erfüllen, sondern das präliminierte Defizit sogar zu unterschreiten. Gegenteilige Prognosen der Abgeordneter Trattner und Haider aus dem Jahr 1997 hätten sich als falsch herausgestellt. Dass die Budgets 2000 und 2001 besonderer Anstrengungen bedürfen werden, daran habe er, Edlinger, nie einen Zweifel gelassen.

Er habe nie gesagt, dass die Budgetkonsolidierung allein laufe, sondern immer und gerade auch im letzten Herbst vor Wahlversprechen gewarnt, die nicht zu finanzieren seien. Das "Budgetloch" des Jahres 2000 habe er unter der Voraussetzung, dass keine zusätzlichen Ausgaben erzeugt werden, mit 20 Mrd. S beziffert, wobei Edlinger klarstellte, dass Fondsüberschüsse, über die budgetär nicht verfügt werde, in einer Maastricht-konformen Darstellung als "bar" gelten und das Defizit reduzieren. Die Finanzierungslücke von 63 Mrd. S im Jahr 2003 entstehe nur dann, wenn nichts geschehe, wiederholte der Finanzminister.

Der Volkspartei empfahl Finanzminister Edlinger, im Interesse des Staates ein Budgetprovisorium zu beschließen, um krisenhafte Entwicklungen zu vermeiden.

In seinen weiteren Ausführungen verteidigte Minister Edlinger die Kürzung der Ermessenskredite, weil dies die einzige Möglichkeit für ihn gewesen sei, seine Ministerverantwortlichkeit für die Staatsfinanzen wahrzunehmen. Ausserdem wies er die Kritik des Abgeordneten Trattner an der Bundesfinanzierungsagentur zurück. Sie werde in der EU für ihre Leistungen "bestaunt". Habe doch das kleine Österreich die geringsten Zinszahlungen in der Europäischen Union.

Abgeordneter Dr. GUSENBAUER (SP) räumte zunächst ein, dass es bei der Budgetkonsolidierung ambitioniertere Länder gebe. Österreich sei aber von einem höheren Niveau gestartet und habe zudem versucht, nicht nur die Budgetkonsolidierung zu erreichen, sondern gleichzeitig auch Kaufkraft, Wachstum und Beschäftigung zu erhalten. Das ist gelungen, Österreich hat den Wachstumspfad nicht verlassen und die Beschäftigung stabilisiert - damit sei ein politökonomisches Kunststück gelungen, das viele nicht für möglich gehalten hätten.

Das "Budgetloch" sei seit März 1999 bekannt. Er könne sich aber nicht daran erinnern, dass irgendeine Fraktion gesagt hätte, die Steuerreform sollte kleiner ausfallen. Im Gegenteil, alle haben verlangt, man sollte den Leuten mehr Geld zurückgeben. Mit der Steuerreform und dem Familienpaket sei man bis an die Grenzen der Finanzierbarkeit gegangen, der Spielraum für weitere Großzügigkeiten war damit ausgeschöpft. Der Finanzminister hat dies klar gesagt - er soll nun nicht dafür in die Verantwortung genommen werden, was andere versprochen haben, ohne dafür eine finanzielle Bedeckung vorzuschlagen.

Abgeordneter MÜLLER (F) erinnerte an die Verhandlungen des Budgetausschusses, in denen der Präsident des Rechnungshofes sein Lob für den Bundesrechnungsabschluss 1998 auf den ordnungsgemäßen Vollzug des Bundesvoranschlages eingeschränkt und gleichzeitig auf seine wiederholten Mahnungen zu strukturellen Reformen hingewiesen hatte. Versäumnisse warf Müller dem Finanzminister auch beim Controlling vor und schloss sich der Meinung der Experten an, dass die Instrumente Budgetvorschau und Budgetbericht künftig stärker genützt werden sollten. Seine Kritik galt auch der mangelnden Transparenz des Budgetvollzugs infolge von Ausgliederungen.

Abgeordneter Mag. STEINDL (VP) warf dem Finanzminister vor, seine beeindruckende Rhetorik dafür einzusetzen, um glauben zu machen, im Budget sei alles in Ordnung. Auch Steindl erinnerte den Finanzminister an seine Controlling-Aufgaben und stellte die Frage, ob er das wahre Ausmaß des Budgetlochs gekannt habe oder nicht. Edlinger habe sein Ressort nicht im Griff, sagte Steindl, anders sei es nicht zu erklären, dass er die wahren Budgetzahlen erst bei den Sondierungsgesprächen genannt habe. Kritik übte Steindl auch an der "Rasenmäher-Methode" bei der Kürzung der Ermessenskredite, mit der bedauerlicherweise auch das Projekt einer grundlegenden und kostensparenden Reorganisation des Rechnungswesens gestoppt wurde.

Abgeordneter GAUGG (F) wies die Darstellung Edlingers, Österreich sei bei der Verzinsung der Staatsschuld als ein Musterland anzusehen, mit dem Hinweis auf die diesbezügliche Kritik der OECD zurück. Lob über Punktlandungen beim Budgetvollzug relativierte der Abgeordnete, indem er auf die soziale Kälte aufmerksam machte, die durch die Sparpakete für die Bevölkerung spürbar geworden sei. Es werde nur noch von Kapital und Geld gesprochen, aber nicht mehr von den Menschen. Es verlangte eine Trendwende und ein Umdenken in der Budgetpolitik, eine andere Politik, um Belastungen für die Bevölkerung künftig zu vermeiden.

Abgeordneter LACKNER (SP) lobte den Finanzminister, dem beim Budgetvollzug 1998 eine Punktlandung gelungen sei und warf gleichzeitig den Abgeordneten Trattner und Gaugg vor, ihre Kritik an Edlinger auf Allgemeinplätzen aufgebaut zu haben. Der Volkspartei warf Lackner vor, so zu tun, als habe sie von der Budgetentwicklung nichts gewusst, was er aber nicht annehme. Der ÖVP gehe es vielmehr darum, der SPÖ den Schwarzen Peter zuzuschieben. Dies sei aber gründlich daneben gegangen, da die Debatte im Rechnungshofausschuss deutlich gemacht habe, wie sehr die ÖVP-Minister beim Vollzug des Konsolidierungspakets säumig waren.

Abgeordneter FISCHL (F) hielt es angesichts der vorliegenden Zahlen für angebracht, statt von einer "Punktlandung" von einem "Bauchfleck" des Finanzministers zu sprechen. Die Staatsverschuldung habe sich in der Ära der großen Koalition verdoppelt, die Abgabenquote liege bei 45 % des BIP und das Budgetdefizit werde sich um 2 % erhöhen, obwohl es 30 % über dem EU-Durchschnitt liege. Den Sozialdemokraten warf Fischl Versagen auf Kosten der Bevölkerung und insbesondere der nächsten Generationen vorzuwerfen.

Abgeordneter KURZBAUER (VP) erinnerte die SPÖ daran, dass es die Volkspartei war, die 1995 die Weichen in Richtung Budgetkonsolidierung und Erreichung der Maastricht-Kriterien gestellt habe. Der Erfolg beim Vollzug des Budgets 1998 sei auch auf die günstige wirtschaftliche Entwicklung und Einmaleffekte zurückzuführen, sagte Kurzbauer. Auch er unterstrich Mahnungen des Rechnungshofs und der Nationalbank, durch strukturelle Reformen zu verhindern, dass Österreich zum budgetpolitischen Schlusslicht in Europa werde.

Abgeordneter BÖHACKER (F) wies auf die Ausführungen des Rechnungshofpräsidenten im letzten Budgetausschuss hin und unterstrich die Auffassung, dass die Verabschiedung eines Budgetdefizits von 2,5 % im Voranschlag 1998 der falsche Weg gewesen sei. Der Finanzminister habe ein falsches, weil zu wenig ambitioniertes Budgetziel erreicht, dafür sei kein Lob angebracht. Für die Zukunft sei vorzusorgen, dass die Budgetkonsolidierung ohne Belastung der kleinen und mittleren Einkommen und ohne Vorgriffe auf künftige Budgets erreicht werden könne. (Forts.)