Parlamentskorrespondenz Nr. 170 vom 06.04.2000

DER BUNDESRAT TRAUERT UM ALTBUNDESPRÄSIDENT KIRCHSCHLÄGER

Molterer-Fragestunde, SP-Dringliche: Atompolitik, Zeitungstarife

Wien (PK) - Der Beginn der heutigen Sitzung des Bundesrates stand im Zeichen der Trauer um den verstorbenen Altbundespräsidenten Dr. Rudolf KIRCHSCHLÄGER. Bundesratspräsidentin Anna Elisabeth HASELBACH verlas zunächst ein Beileidstelegramm, in dem der Präsident des Südtiroler Landtags, Hermann Thaler, seine Trauer über den Tod Dr. Rudolf Kirchschlägers zum Ausdruck brachte.

"Österreich verliert mit Dr. Kirchschläger einen überzeugten Demokraten, der sich zunächst als österreichischer Botschafter in Prag, anschließend als Außenminister im Kabinett Kreisky und schließlich als Bundespräsident aus ganzem Herzen und nach besten Wissen und Gewissen für die Belange Österreichs eingesetzt hat. Als sehr südtirolfreundlicher Politiker und hartnäckiger Verfechter der Südtiroler Autonomie bei den Geheimverhandlungen mit Italien in den sechziger Jahren genießt Dr. Kirchschläger bis heute die besondere Wertschätzung und Sympathie der Bevölkerung unseres Landes. Wir werden den Verstorbenen, der sich stets im besonderen Maße für die Belange Südtirols eingesetzt hat, ein ehrendes Andenken bewahren", schreibt der Präsident des Südtiroler Landtages.

"Wir haben mit Dr. Rudolf Kirchschläger einen Menschen verloren, den die Österreicher sehr gerne hatten und der den Respekt aller genoss", sagte Präsidentin HASELBACH und erinnerte an Kirchschlägers aufrichtige Gesinnung, die keinen Kompromiss zu eigenen Vorteilen zuließ. "Nicht nur seine Zivilcourage, sondern vor allem seine Liebe zu den Menschen, sollte Maßstab für unser eigenes Handeln sein."

Vor Eingang in die Fragestunde gelobte die Länderkammer Bundesrat Gottfried KNEIFEL als Nachfolger des oberösterreichischen ÖVP-Bundesrates Dr. Hummer an. 

FRAGESTUNDE MIT LANDWIRTSCHAFTS- UND UMWELTMINISTER MOLTERER

In einer Reihe von Fragen zu den Themen Klimaschutz, umweltgerechte Landwirtschaft, erneuerbare Energieträger und Schutz des Grundwassers hatte Bundesminister Mag. MOLTERER Gelegenheit, die Sinnhaftigkeit der neuen Ressortkombination Umwelt und Landwirtschaft unter Beweis zu stellen.

Bundesrat Peter RODEK (ÖVP): Welche klimarelevante Förderungen hat Ihr Ressort im laufenden Jahr bereits vergeben?

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Bundesminister Mag. MOLTERER bezeichnete den Klimaschutz, namentlich Maßnahmen gegen den Treibhauseffekt, als zentrale umweltpolitische Zielsetzungen. Bisher wurden 210 Mill. S für die Förderung klimarelevanter Projekte aufgewendet und insgesamt ein Investitionsvolumen von 1,6 Mrd. S ermöglicht. Bis zum Ende des Jahres 2000 rechnet Molterer mit weiteren 200 Mill. S an Förderungen. Die konkreten Vermeidungseffekte bezifferte der Ressortchef mit 167.000 t CO2-Äquivalenten im Inland und 20.000 t durch Förderungsmaßnahmen im Ausland. Als Kernstrategie zur Erreichung des Kyoto-Ziels sah Molterer den verstärkten Einsatz erneuerbarer Energieträger. In diesem Zusammenhang machte er auf die Elwog-Novelle aufmerksam, die sich diesem Ziel widmen werde.

Hinsichtlich der Reinhaltung des Grundwassers sehe das ÖPUL-Programm 2000 spezielle Förderungen vor, teilte der Bundesminister mit und bekannte sich zu dem ehrgeizigen Ziel, die Trinkwasserqualität des gesamten Grundwassers in Österreich sicherzustellen.

Bundesrat Erhard MEIER (SPÖ): Welche Evaluierungen – durch wen und mit welchen Ergebnissen – gab es seit Einführung des ÖPUL, um die durch die Intensivlandwirtschaft verursachte Grundwasserbelastung  zu verringern?

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Der MINISTER listete insgesamt vier Berichte auf, die bislang zur Evaluierungen des Österreichischen Programms für eine umweltgerechte Landwirtschaft vorgelegt wurden und informierte die Ländervertreter auch über die konsensuale Arbeit des Evaluierungsbeirates, in dem auch Vertreter von Umweltschutzorganisationen mitwirken. Unter den dokumentierten positiven Wirkungen des Programms hob der Minister die Senkung des Nitratgehalts im Grundwassers hervor, verschwieg dabei aber nicht, dass in diesem Bereich noch weitere Anstrengungen notwendig seien. Der Minister setzt auf freiwillige Beiträge, stellte aber klar, dass dort, wo dies nicht ausreiche, die wasserrechtlich vorgesehenen Sanktionen greifen sollen. Außerdem nannte Molterer seine Priorität für Gebiete, in denen das Grundwasser für die Trinkwassergewinnung genutzt werde und grössere Belastungen festzustellen seien. Über das ÖPUL 2000 und damit auch über weitere spezifische Programme für Grundwasser werde derzeit mit der EU-Kommission verhandelt, gab Molterer bekannt.

Bundesrat Franz KOLLER (FPÖ): Welche Auswirkungen hat der vorbereitete Beschluss der EU-Agrarminister, für die Verarbeitungsindustrie die Einfuhr von landwirtschaftlichen Rohstoffen zum Weltmarktpreis zu erleichtern, auf die bäuerlichen Produzenten von Zucker, Milch, Getreide und Eiern in Österreich?

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Bundesminister Mag. Molterer machte die Bundesräte darauf aufmerksam, dass die Grundlage dieser Entscheidung in den Ergebnissen der WTO-Verhandlungen aus den Jahren 1992 bis 1995 liege. Die EU ist seither verpflichtet, die Exporterstattungen abzubauen. Das Stützungsniveau werde dadurch geringer, der aktive Veredelungsverkehr ermögliche aber - insbesondere in dem für Österreich wichtigen Zuckerbereich - die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der Betriebe.

Insgesamt sah der Minister die Lebensmittelwirtschaft auf einem guten Weg. Die Sektorpläne erlauben die Förderung der Wettbewerbsfähigkeit. Weitere Strukturmaßnahmen, etwa in der Milchwirtschaft, seien aber notwendig. "Wir sind auf gutem Weg, aber noch nicht weit genug", lautete das Resüme Molterers.

Bundesrat Ing. Franz GRUBER (ÖVP): Was sind die Eckpunkte des österreichischen Programms für die Entwicklung des ländlichen Raums?

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Der LANDWIRTSCHAFTSMINISTER erinnerte daran, dass die Entwicklung des ländlichen Raumes die zweite Säule der Agenda 2000 darstelle. In Österreich werde dieses Programm mit den Schwerpunkten einer flächenhaften Ökologisierung durch das ÖPUL 2000, einer verbesserten Bergbauförderung, durch die Realisierung des Sockelbetrages für kleinere Betriebe, die Integration der Forstwirtschaft, die Förderung von Investitionen der bäuerlichen Betriebe, die Weiterentwicklung der Verarbeitungswirtschaft, Prämien für Jungunternehmer und neue Maßnahmen für den ländlichen Raum umgesetzt. Dafür stehen 423 Mill. Euro zur Verfügung, wobei die Bundesregierung durch die Budgeterstellung dafür vorgesorgt hat, dass dieser Betrag in Brüssel "abgeholt" und "dieses exzellente Programm zeitgerecht umgesetzt werden kann", sagte Molterer mit Stolz.

Bundesrat Johann KRAML (SPÖ): Welche Möglichkeiten sehen Sie, die Betriebsschließung der Molkerei Königswiesen in Oberösterreich zu verhindern und den dortigen Genossenschaften (Milchbauern), Arbeitern und Angestellten Unterstützung angedeihen zu lassen?

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Der MINISTER wies auf den starken Wettbewerbsdruck hin, der in der Verarbeitungswirtschaft herrscht. Dies mache Strukturänderungen notwendig, wobei die konkreten Entscheidungen von den Unternehmen getroffen, nicht aber von der Politik getroffen werden. Bund und Länder verfügen über Instrumente, um betroffenen Arbeitnehmern zu helfen. Konkrete Projekte, die sich wirtschaftlich rechnen, können durch Sektorplanförderungen unterstützt werden, sagte Molterer. Er betonte aber, dass der Marktpreis es nicht ermögliche, Strukturen zu erhalten, wie wir sie jahrzehntelang gewohnt waren. Daher werde es auch in Zukunft Strukturreformen in der Verarbeitungswirtschaft geben. Es gehe darum, bäuerliche Einkommen durch marktfähige Betriebe sicherzustellen.

Eine Schlüsselfrage auf dem Milchsektor sei für ihn das künftige Verhältnis von "Bergland" und "NÖM", wobei Molterer seine Präferenz für eine mittelfristige Verschmelzung der beiden Unternehmen erkennen ließ.

Bundesrat Leopold STEINBICHLER (ÖVP): Welche Aktivitäten setzen Sie als Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft im laufenden UVP-Verfahren betreffend Temelin?

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Bundesminister MOLTERER führte aus, dass die Bundesregierung bereits im August 1999 über dieses Verfahren informiert wurde und daher ausreichend Zeit hatte, eine Stellungnahme vorzubereiten. Das damit beauftragte Umweltbundesamt hat einen initiativen Dialog geführt und eine fachliche Stellungnahme erarbeitet, die den tschechischen Stellen zeitgerecht übermittelt wurde. Von Seiten des Ministerrates wurde Tschechien außerdem die Idee unterbreitet, ein Hearing in Österreich durchzuführen.

Als Kernelement sowohl einer vernünftigen Umweltpolitik wie einer Energiekooperation mit den Nachbarn bezeichnete Molterer den verstärkten Einsatz erneuerbarer Energieträger. Dieser Weg sei aber nicht einfach, weil die Atomkraft in manchen Staaten anders eingeschätzt werde als in Österreich. Hinsichtlich der in einer Zusatzfrage angesprochenen nicht nachrüstbaren Reaktoren wies der Minister an den EU-Gipfel von Helsinki hin, auf dem deren Stilllegung als ein wesentliches Beitrittskriterium festgestellt wurde. Spätestens beim EU-Beitritt müssen Stilllegungsverfahren eingeleitet werden. Die diesbezügliche Verhandlungsbereitschaft der Slowakei strich Molterer positiv heraus.

Bundesrat Mag. John GUDENUS (FPÖ): Welche Auswirkungen hätten erfolgreiche Bestrebungen der EU-Finanzkommissärin Schreyer, Teilbeträge aus dem EU-Agrarhaushalt für andere Zwecke zu verwenden, auf die verschiedenen Bereiche der Land-, Forst- und Wasserwirtschaft im österreichischen Bundesbudget?

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Der LANDWIRTSCHAFTSMINISTER ging davon aus, dass diese Ideen Ideen bleiben werden. Betroffen wäre - Molterer betonte die Möglichkeitsform - der Marktordnungsbereich, wobei die konkreten Auswirkungen jeweils von der Marktentwicklung abhängen würden. Bewusst von der Möglichkeits- zur Wirklichkeitsform übergehend stellte Molterer aber dezidiert fest, dass der auf dem EU-Gipfel in Berlin beschlossene Finanzplan für die Agenda 2000 "nicht zur Disposition steht". Außerdem teilte er auf Zusatzfragen  mit, dass der Rückfluss der österreichischen Marktordnungsmittel gesichert sei und Österreich mit einem Betrag von 423 Mill. Euro den höchsten Anteil unter den EU-Ländern für das Programm zur Entwicklung des ländlichen Raumes erreicht hat. Dieses Programm schätzte Molterer aus zwei Gründen als besonders bedeutsam ein. Einerseits sei es WTO-tauglich und kann daher im Gegensatz zur Marktordnung ausgebaut werden, andererseits entspreche es den Zielsetzungen der österreichischen Agrarpolitik.

Bundesrat Karl BODEN (SPÖ): Wie sehen die konkreten Umsetzungen des Finanzministers der blau-schwarzen Regierung im Budget des Landwirtschaftsministeriums aus, wonach „als oberstes Prinzip hervorzuheben (sei), dass diese Regierung in besonderer Weise soziale Gerechtigkeit ermöglichen wird“ (Budgetrede des Finanzministers am 21.3.2000, Seite 2)?

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Für Bundesminister Mag. MOLTERER ist es klar, dass sich auch die Agrarpolitik und die Umweltpolitik an den restriktiven Budgetkurs zu halten haben. Dem Gesichtspunkt der sozialen Gerechtigkeit diene in besonderer Weise die Sicherung der Bergbauernförderung und die Einführung von Obergrenzen bei den Agrarförderungen im Sinne einer Degression nach Betriebsgrößen im Bereich der Marktordnung. Diese Degression liege angesichts der Verteilung der Betriebsgrößen in der EU auch im besonderen Interesse der österreichischen Landwirtschaft.

Zu den Budgetvorgaben zähle auch eine restriktive Vorgangsweise bei den Ermessensausgaben, eine sparsame Gestaltung der Organisationsstruktur und das Aufgeben nicht mehr zeitgemäßer Aufgaben. Die agrarpolitische Vereinbarung zwischen Bund und Ländern für die laufende Gesetzgebungsperiode stehe aber außer Streit.

Bundesrat Friedrich HENSLER (ÖVP): Wie sieht die finanzielle Absicherung der Agenda 2000, allen voran des Programms Ländliche Entwicklung, im Budget 2000 aus?

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Der BUNDESMINISTER gab bekannt, dass die 423 Mill. Euro bzw. 3,3 Mrd. S für die ländliche Entwicklung durch österreichische Kofinanzierungen und eine Überschreitungsermächtigung im Budget 2000 sichergestellt wurde. Die Brüsseler Mittel können damit voll ausgeschöpft werden: 7,8 Mrd. S für das ÖPUL, 2,8 Mrd. S für die Bergbauern und 1,5 Mrd. S für die ländliche Entwicklung. Von letzterem Betrag sind 660 Mill. S für die kofinanzierte Investitionsförderung reserviert. 330 Mill. S davon stammen von der EU, 330 Mill. S aus Österreich, 60 % vom Bund, 40 % von den Ländern. Ein Drittel der Gesamtsumme ist für Investitionsförderungen vorgesehen, sagte der Landwirtschaftsminister.

Die Aufteilung der Mittel auf die Bundesländer erfolge hinsichtlich ÖPUL und Bergbauern nach den natürlichen Gegebenheiten, in den anderen Bereichen nach einem zwischen Bund und Ländern erstellten Schlüssel.

Im Anschluss an die Fragestunde wandte sich der Bundesrat der Debatte über eine Reihe von Berichten der Bundesregierung zu: Nach dem Grünen Bericht 1998, dem Gewässerschutzbericht 1999 und dem Bericht über Maßnahmen für die Landwirtschaft, die unter einem abgehandelt werden, stehen der Bericht über die Vollziehung des Umweltverträglichkeitsprüfungs-Gesetzes und der 5. Umweltkontrollbericht (über die Jahre 1995 bis 1997) zur Diskussion. Letzter Tagesordnungspunkt der Sitzung ist die Wahl von Ausschüssen.

Außerdem werden in dieser Sitzung des Bundesrats zwei von den Sozialdemokraten eingebrachte Dringliche Anfragen aufgerufen. Von Infrastrukturminister Schmid wird Auskunft "betreffend Gefährdung der Meinungsvielfalt durch Abschaffung des Postzeitungsversands, Gefährdung von Arbeitsplätzen, Gefährdung des unabhängigen Journalismus, Benachteiligung des ländlichen Raumes und EU-Rechtswidrigkeit der geplanten Maßnahme" verlangt; Außenministerin Ferrero-Waldner soll - unter Bezugnahme auf eine Äußerung in der gestrigen Zeit im Bild 1 - zur "Aufgabe der österreichischen Anti-Atompolititik" Stellung nehmen.

(Schluss)


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