Parlamentskorrespondenz Nr. 371 vom 20.06.2000

PARLAMENTARISCHE ENQUETE ZUM THEMA MOBILFUNK

Experten uneinig über Strahlengrenzwerte und Anrainerrechte

Wien (PK) - Mit Referaten von Gesundheitsexperten, Länder- und Gemeindevertretern sowie Vertretern der Regierung und der Europäischen Kommission startete heute Mittag eine Parlamentarische Enquete zum Thema Mobilfunk. Insbesondere geht es dabei um mögliche gesundheitsschädliche Wirkungen von Mobilfunkeinrichtungen sowie um die Frage der Anrainerrechte. Derzeit gibt es weder für Gemeinden noch für unmittelbare Anrainer Informations- oder Mitsprachemöglichkeiten bei der Errichtung von Handymasten.

Was das Gesundheitsrisiko durch Mobiltelefone und Handymasten betrifft, kamen die geladenen Experten in ihren Referaten zu durchaus unterschiedlichen Schlüssen. Während etwa die Vertreter der Europäischen Kommission und der obersten Fernmeldebehörde die bestehenden Grenzwerte als ausreichend werteten, will Michael Kundi vom Hygiene-Institut der Universität Wien mögliche negative Auswirkungen der Strahlen nicht ausschließen. Er hält es aufgrund der vorhandenen Daten zwar nicht für möglich, eine klare Aussage über Gesundheitsrisken zu treffen, seiner Ansicht nach weisen durchgeführte Untersuchungen aber auf ein potentielles Risiko hinsichtlich des Einflusses elektromagnetischer Felder bei der Krebsentstehung hin. Er befürwortet daher strengere Grenzwerte, wenn dies technisch machbar ist. Joachim Röschke von der Psychiatrischen Klinik der Universität Mainz berichtete, bei in seinem Institut durchgeführten Studien konnten im Wesentlichen keine signifikanten Auswirkungen der von Mobiltelefonen ausgehenden Strahlung auf das zentrale Nervensystem festgestellt werden.

Auch in der Frage der Anrainerrechte wurden von Referenten unterschiedliche Standpunkte vertreten. So sprach Hermann Kröll als Vertreter des Städte- und des Gemeindebundes von einer unhaltbaren Situation und urgierte insbesondere verpflichtende Informationen der betroffenen Gemeinden durch die Mobilfunkbetreiber. Dem gegenüber verwies der zuständige Beamte vom Verkehrsministerium, Hermann Weber, auf freiwillige Vereinbarungen mit den Betreibern und warnte vor einem unverhältnismäßigen Verwaltungsaufwand durch die Ausweitung von Parteistellungen. Wolfgang Jankowitsch, nominiert von der Verbindungsstelle der Bundesländer, wandte sich gegen die Einräumung einer Parteistellung von Anrainern in Bauverfahren oder in Naturschutzverfahren, da es dabei nicht um gesundheitliche Fragestellungen, sondern um Ortsbildpflege bzw. Naturschutz, also um öffentliche Interessen, gehe.

Ausgangspunkt für die Enquete ist eine Petition, die von Abgeordneten der SPÖ, der Grünen und der Freiheitlichen im Nationalrat eingebracht wurde. Sie zielt darauf ab, Anrainern und Gemeinden bei der Errichtung von Mobilfunksendeanlagen Parteistellung zu gewähren. Weiters fordern die UnterzeichnerInnen die Erstellung eines bundesweiten Emissions- und Immissionskatasters von GSM-Sendeanlagen, eine Bewilligungspflicht für Standorte, eine laufende Kontrolle der Einhaltung von Immissionswerten und die Einrichtung einer unabhängigen Technologievoraus- und ‑begleitforschung. Sie fürchten, dass elektromagnetische Felder, wie sie von Mobilfunkeinrichtungen ausgehen, gesundheitsschädlich sind.

Bereits im Petitionsausschuss hatte es eine erste Diskussion über die Anliegen der Petition gegeben. Dabei stimmten die Mitglieder des Petitionsausschusses darin überein, dass hinsichtlich der Errichtung von Mobilfunk-Anlagen eine Lösung gefunden werden müsse, die sowohl die Interessen der Betreiber als auch jene der Bevölkerung berücksichtige.

DDr. Joachim RÖSCHKE von der Psychiatrischen Klinik der Universität Mainz informierte die Abgeordneten über zwei Untersuchungen an seinem Institut hinsichtlich der Auswirkungen von Strahlungen, die von Mobiltelefonen ausgehen, auf das zentrale Nervensystem. Zum einen habe man Veränderungen des Wach-EEG und zum anderen Auswirkungen der Strahlen auf den Schlaf untersucht. Da Schlaf und Schlafstörungen ein empfindlicher Indikator für latente oder manifeste pathophysiologische Prozesse seien, müssten sich gerade hier Einflüsse elektromagnetischer Felder besonders bemerkbar machen, meinte Röschke.

Im Rahmen der ersten Studie sind dem Mediziner zufolge gesunde männliche Probanden im Alter von 21 bis 35 Jahren drei Minuten einer intensiven "Befeldung" mittels eines aktiven, handelsüblichen Mobiltelefons ausgesetzt worden, ohne dass dies zu einer Veränderung des spontanen Wach-EEGs geführt hätte.

Differenzierter waren die Ergebnisse der zweiten Studie, in deren Rahmen eine "Polysomnographie" bei schlafenden Personen durchgeführt wurde. Hier hat sich in einem ersten Teil, so die Schilderung Röschkes, ein Hinweis auf einen antidepressiven Effekt von Mobiltelefon-Strahlungen ergeben. Die Probanden waren beispielsweise schneller eingeschlafen, die Zeit zwischen dem Einschlafen und dem Eintritt der ersten REM-Phase (REM-Latenz) war verlängert. Zudem fühlten sich die Betroffenen am nächsten Morgen ausgeruhter. Detailliertere Folgestudien konnten dieses Ergebnis aber nicht stützen. Zwar wurde auch hier u.a. eine längere REM-Latenz oder ein Anstieg der Melatoninproduktion festgestellt, die Abweichungen waren aber nicht signifikant.

Prof. Dr. Michael KUNDI vom Hygiene Institut der Universität Wien wies daraufhin, dass es zwar zahlreiche Studien über die Auswirkungen von elektromagnetischen Feldern auf die Gesundheit gebe, diese befassten sich aber alle mit Kurzzeiteffekten. Über Langzeitwirkungen gebe es so gut wie keine Untersuchungen.

Kundi zufolge lassen die bisherigen Befunde, die aus dem Niedrigdosisbereich vorliegen, zwar keinen Schluss auf einen Wirkungsmechanismus zu, er will aufgrund des vorhandenen Datenmaterials negative gesundheitliche Auswirkungen von Mobilfunk-Strahlungen aber nicht ausschließen. Einige Untersuchungen würden entsprechende Schlüsse zulassen. So besteht laut Kundi ein potentielles Risiko der Einflussnahme elektromagnetischer Felder auf Krebsentstehung, wobei aufgrund der Netzabdeckung ein Großteil der österreichischen Bevölkerung als exponiert zu bezeichnen wäre. Behauptungen, wonach die Untersuchungsergebnisse inkonsistent seien, sich nicht wiederholen ließen oder eine fragliche gesundheitliche Relevanz hätten, wies der Mediziner zurück.

Kundi vertrat zwar die Auffassung, dass es aufgrund der von der EU geforderten Verhältnismäßigkeit in der Praxis nicht sinnvoll wäre, ein "Null-Risiko" einzugehen, man sollte aber bei den Grenzwerten durchaus strenger sein, wenn dies technisch machbar ist. Schließlich gebe es auch in anderen Umweltbereichen strenge Grenzwert. Dabei sollten die Grenzwerte aber nicht einzementiert werden, vielmehr müsse man auf neue wissenschaftliche Erkenntnisse flexibel reagieren können.

Allgemein gab Kundi zu bedenken, dass es innerhalb der EU gewaltige Unterschiede hinsichtlich der Grenzwerte gebe und dadurch Unsicherheiten entstünden, die Angst auslösen könnten. Auch solche Ängste könnten aber zu Krankheiten führen. Daher wäre nicht nur eine Absenkung des Grenzwertes, sondern auch eine Beteiligung der Bürger ein wichtiges Element.

Dr. Wolfgang JANKOWITSCH, der von der Verbindungsstelle der Bundesländer für die Enquete nominiert wurde, befasste sich in seinem Referat mit juristischen Fragen und machte darauf aufmerksam, dass das Fernmeldewesen in die Kompetenz des Bundes falle. Es gebe auch ein Urteil des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Baubehörde in ihren Verfahren gesundheitliche Belange nicht überprüfen dürfe. Jankowitsch erachtet daher die Einräumung einer Parteistellung für Anrainer in Bauverfahren als nicht zielführend. Ebenso wenig zielführend und sachgerecht wäre seiner Auffassung nach die Einräumung einer Parteistellung in einem Naturschutzverfahren, da Pflege und Schutz der Natur bzw. Ortsbildpflege öffentliche Interessen darstellten. Das "wahre Problem" ist für ihn die Parteistellung im Rahmen der Betriebsbewilligungsverfahren.

Von Jankowitsch befürwortet wurden einige in der Petition enthaltene Vorschläge in Bezug auf eine Änderung des Telekommunikationsgesetzes. So hält er es für notwendig, die betroffenen Personen über die Errichtung von Sendeanlagen verpflichtend zu informieren und allgemein Aufklärungsmaßnahmen über bestehende oder mögliche Risken des Mobilfunks zu leisten. Auch die Einführung des Vorsorgeprinzips mit entsprechenden wissenschaftlichen Grenzwerten wird von ihm unterstützt. Der Vorsorgegrenzwert sollte Jankowitsch zufolge so niedrig gewählt sein, dass an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eine gesundheitliche Beeinträchtigung ausgeschlossen werden kann. Einen zu niedrigen Grenzwert hält er aber für insofern nicht sinnvoll, als dann die Zahl der Sendemasten erhöht werden müsste. Schließlich begrüßte der Ländervertreter auch eine gesetzliche Kennzeichnungspflicht für Antennen mit niederfrequenzmodulierten oder pulsmodulierten Feldern.

Der Forderung nach Erstellung eines bundesweiten Katasters für GSM-Sendeanlagen und anderer Funkdienste wollte Jankowitsch aufgrund fehlender Zusatzinformationen nicht generell zustimmen. Ihm zufolge müsste man zunächst einmal definieren, welche Funkdienste oder Quellen von Hochfrequenzstrahlungen zu erfassen sind, da es eine Vielfältigkeit von Strahlenquellen - z. B. in der Medizintechnik, durch Induktionsöfen oder durch Radar - gebe. Ob eine flächendeckende messtechnische Kontrolle der Einhaltung der Summe der GSM-Emissionen technisch möglich ist, wäre ihm zufolge noch zu untersuchen, da die gemessenen Werte zeitlich und örtlich stark variieren können, etwa je nach dem wie stark ein Netz gerade genutzt wird.

Bürgermeister Hermann KRÖLL, der vom Städte- bzw. Gemeindebund für die Enquete nominiert wurde, sprach im Zusammenhang mit den Rechten der Anrainer und der Gemeinden von einer nicht haltbaren Situation. Er gab zu bedenken, dass sich die betroffenen Bürger bei Errichtung von Handymasten in erster Linie an die Gemeinde wenden würden, die in dieser Frage aber keine Kompetenzen habe. Betreiber könnten Mobilfunkanlagen errichten, ohne den Bürgermeister oder die Anrainer auch nur informieren zu müssen, von einer Mitsprache ganz abgesehen. Das schüre, ob zu Recht oder zu Unrecht, Ängste.

Um solchen Ängsten entgegenzuwirken, urgierte Kröll zumindest eine Informationspflicht der Betreiber gegenüber den Gemeinden, wenn in ihrem Gebiet eine Sendeanlage errichtet wird. Niemand wolle den Fortschritt hemmen, betonte er, der jetzige Zustand sei aber unbefriedigend.

Sektionschef Dr. Hermann WEBER vom Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie hielt fest, dass die angesprochenen Probleme mit der Liberalisierung im Telekom-Sektor zusammenhingen. Er sieht aber weniger die Notwendigkeit, das Telekommunikationsgesetz zu novellieren als den Informationsmangel der Betroffenen zu beheben.

Weber machte geltend, dass im Telekommunikationsgesetz klar verankert sei, dass der Betrieb von Mobilfunkeinrichtungen die Gesundheit nicht gefährden dürfe. Eine entsprechende Prüfung habe durch die Fernmeldebehörden zu erfolgen, die sich bei der Erteilung von Betriebsbewilligungen von Funkanlagen auf Europanormen stütze. So basiere der in Österreich geltende Vorsorgewert auf Empfehlungen der WHO und der Europäischen Kommission.

Mit einem geforderten Grenzwert von einem Milliwatt pro Quadratmeter für GSM-Wellen aus Handymasten verlassen die Unterzeichner der Petition aus der Sicht Webers "den Boden der Seriosität". Umgelegt auf Handys, die im Prinzip nichts anderes als Sendemasten im Kleinen wären, würde dies bedeuten, dass man beim Telefonieren das Gerät vier bis fünf Meter vom Körper weghalten müsse, veranschaulichte er. Man solle, forderte Weber, die Forschungstätigkeit der WHO genau beobachten, "aber nicht in spektakulärer Weise neue Werte erfinden", die für die Vollziehung nicht tauglich seien. Skeptisch äußerte er sich auch zu einer nachträglichen Anpassung bestehender GSM-Anlagen, ohne dass neue wissenschaftliche Erkenntnisse eine Revision der bestehenden Grenzwerte nahelegen würden.

Zur Frage der Parteistellung merkte Weber an, eine gerechtfertigte Abgrenzung von Basisstationen und Endgeräten würde verfassungsrechtlich nicht einfach sein. Zudem drohe ein unverhältnismäßiger Verwaltungsaufwand. Der Ressortvertreter machte geltend, dass sich die Handybetreiber ohnehin verpflichtet hätten, jeder Gemeinde, in der sie einen Handymasten errichten, die entsprechenden Daten wie technische Kennzahlen, Standort und Sicherheitsabstand zur Verfügung zu stellen. Die Gemeinden müssten lediglich die Einhaltung dieser Zusage einfordern. Weber wies schließlich darauf hin, dass es durch die verpflichtende gemeinsame Nutzung von Sendeanlagen bereits zu einer Eindämmung des so genannten Antennenwaldes gekommen sei. Mehr als 600 Standorte würden gemeinsam genutzt.

Dr. Marc SEGUINOT nahm zum Thema aus Sicht der Europäischen Kommission Stellung und bemerkte, dass die Kommission gesundheitliche Bedenken zur Kenntnis genommen und eine Empfehlung zur Begrenzung der Emissionen von so genannter nichtionisierender Strahlung gegeben habe. Die Grenzwerte basierten auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und seien so gelegt, dass ein hoher Schutz der Gesundheit der Öffentlichkeit gewährleistet sei. Die Richtwerte sind für die EU-Mitgliedstaaten jedoch nicht verpflichtend, es stehe ihnen frei, strengere Normen anzuwenden. Im Dezember dieses Jahres soll es Seguinot zufolge erste Normen für Endgeräte geben.

Prinzipiell hielt der Vertreter der Europäischen Kommission fest, die ausführliche Forschungstätigkeit in Europa hätte keine gesundheitsgefährdenden Effekte von Strahlungen gezeigt, wie sie für Mobiltelefone bzw. Handymasten typisch sind. Langzeiteffekte seien jedoch noch nicht untersucht worden, solche Studien würden aber von der EU unterstützt. Sollte es neue wissenschaftliche Erkenntnisse geben, werde die Kommission selbstverständlich reagieren, versicherte Seguinot.

Im Anschluss an die Referate wurde die Enquete mit einer Diskussion fortgesetzt, zu der neben zwanzig Abgeordneten des Nationalrates und acht Mitgliedern des Bundesrates auch drei Proponenten der Mobilfunk-Petition, Vertreter der Ministerien, der Kammern und der Volksanwaltschaft sowie weitere Experten und Expertinnen eingeladen waren. (Fortsetzung)